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Dr. Dante Valentino hat zwar der Liebe abgeschworen, trotzdem gehört eine eigene Familie für ihn zum Leben dazu. Da kommt ihm Schwester Lises Kinderwunsch gerade recht. Kaum hat er sie jedoch zu einer Scheinehe inklusive heißem Sex überredet, erwachen ungeahnte Gefühle …


  • Erscheinungstag 17.09.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719968
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Versetzt.

Und dabei hatten ihre Kolleginnen sie auf dieses Blind Date geschickt. Konnten sie da nicht wenigstens einen Mann aussuchen, der auch tatsächlich auftauchte?

Zum zehnten Mal in ungefähr zwanzig Minuten schaute OP-Schwester Lise Bradshaw auf ihre Uhr, dann bestellte sie einen Mojito und zwang sich, nicht ständig auf die Tür zu starren.

Vergiss ihn.

Denk nicht mehr darüber nach.

Die Musik war gut. Selbst wenn sie ohne Begleitung hier war, auf einer Tanzfläche in South Beach war niemand wirklich allein.

Und falls ihre Verabredung wie durch ein Wunder doch noch auftauchen sollte, stach ihr hautenges, rotes Kleid in der schwarzweißen Deko des Clubs definitiv heraus.

In ihrem sicheren, ruhigen Leben arbeitete Lise hart, las viel und plante ihre Zukunft – eine Zukunft, in der sie wieder eine Familie haben würde. Sie ging weder mit ihren Kollegen aus, noch hatte sie wirklich enge Freunde, seit sie von Jacksonville nach Miami gezogen war. Prinzipiell ging sie überhaupt nicht aus. Falls – nein, wenn – sie ihren Plan umsetzte, blieb ihr auch keine Zeit mehr dazu, also sollte sie das Beste aus diesem Abend machen.

Sie hatte sich nicht auf die Blind Dates eingelassen, weil sie die giftige Ehe ihrer Eltern kopieren wollte, sondern um die Zeit vor ihrer Schwangerschaft voll auszukosten.

Ihr Mojito wurde gebracht, und sie trank die Hälfte davon aus, bevor sie sich auf die Tanzfläche stürzte.

Auf einer Bühne hinter der Tanzfläche standen Instrumente und versprachen später Livemusik. Aber im Moment brachte der DJ ihre Füße und ihren Körper in Bewegung. Sie schloss die Augen und überließ sich ganz der Musik. Vom Text verstand sie nicht viel, aber der Rhythmus spülte den Frust und die Sorgen der Woche fort, wärmte ihr den Magen … wobei das vielleicht am Mojito lag.

Plötzlich verstummte die Musik, und Lise hielt inne, öffnete die Augen. An ihr vorbei gingen Musiker auf die Bühne.

Ein großer Mann in einem dreiteiligen, schwarzen Anzug samt Hemd – das Sakko fehlte – einen schwarzen Hut tief ins Gesicht gezogen, sah sie an, als er an ihr vorbeiging.

Augen, so schwarz wie sein Anzug, begegneten ihrem Blick, und Lise spürte den Kick gegenseitiger Anziehung, bevor sie ihn erkannte.

Diese Augen. Sie kannte sie nur zu gut. Ihr Atem stockte, Hitze schoss ihr in die Wangen und lief in einer Welle durch ihren Körper.

Dr. Valentino.

Rein technisch gesehen war er nicht ihr Chef. Doch sie stand zu oft mit ihm im OP, wo Masken nur die Augen freiließen, um ihn nicht wiederzuerkennen.

Er schaute sie an, als wollte er sie in seine Arme ziehen und ihre Kurven gleich hier auf der Tanzfläche erforschen … So hatte er sie noch nie angesehen, und sie selbst gab sich immer größte Mühe, ihn nicht so anzusehen.

Obwohl sie schon so lange zusammenarbeiteten, wusste sie so gut wie gar nichts über ihn. Nur dass er ein toller Chirurg war, sündhaft sexy, manchmal gereizt, und welche Instrumente und Techniken er bevorzugte.

Irgendwann fiel ihr ein, dass sie nicht so starren sollte. Geh zurück zu deinem Tisch, Dummerchen.

Aber ihre Füße bewegten sich kein Stück, genauso wenig wie ihr Blick.

Dr. Valentino ging zum Klavier in der Ecke der Bühne, vor der sie stand. Als er sich auf den Hocker setzte, begegneten sich ihre Blicke erneut, und Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch.

Das war Verlangen. Echtes Verlangen. Diese wunderschönen Augen versprachen schmutzige, schmutzige Dinge.

Wie machte er das?

Hatte er schon immer so gefühlt, war aber zu anständig gewesen, um es im Krankenhaus zu zeigen? Offensichtlich konnte er Dinge gut verstecken – wie zum Beispiel seine musikalischen Fähigkeiten. Dass er in einer Band spielte und ihm echte Klamotten besser standen, als erlaubt sein sollte. Wer trug bitte einen dreiteiligen Anzug in einem Nachtclub? Vorausgesetzt, dass hier noch irgendwo das Sakko herumlag.

Plötzlich fühlte sie sich so mächtig und sexy wie schon sehr lange nicht mehr. Ihr rotes Kleid schenkte ihr heute Abend Mut und Selbstvertrauen.

Ihre Verabredung mochte sie versetzt haben, aber wen interessierte das, wenn Dr. Valentino sie so ansah!

Doch auf einmal runzelte er die Stirn und kniff seine dunklen Augen zusammen, sein schöner Mund wurde zu einer schmalen Linie zusammengepresst.

Es dauerte einen Moment, doch dann raubte ihr eine Erkenntnis den Atem: Er hatte sie nicht erkannt – erst als er sich setzte.

Da dieser Mann bis auf Anordnungen oder Ausführungen für die Operationsaufzeichnung nichts sagte, hatte sie gelernt, in seinen Augen zu lesen, weil sie von seinem Gesicht sonst kaum etwas sehen konnte.

Hätte er ihr diesen Blick während einer OP zugeworfen, hätte sie sich auf das Schlimmste vorbereitet.

Sie brauchte definitiv noch einen Mojito, und sie musste aus dem Scheinwerferlicht raus. Dann konnte er sie nicht mehr sehen. Denn im Moment konkurrierte ihre Gesichtsfarbe gerade mit der Farbe ihres Kleides.

Schnell ging Lise zu ihrem Tisch zurück. Dort nahm sie ihre kleine Handtasche, die sie quer über dem Oberkörper trug, ab, zog ihr Handy heraus und legte es vor sich auf den Tisch, als die Musik begann. Sie bestellte einen weiteren Mojito, so konnte sie die Musik genießen, ohne sich Sorgen darüber machen zu müssen, was sein finsterer Blick wohl bedeutet hatte.

Vorher hatte der DJ modernen Latin Pop gespielt, die Band dagegen spielte hellen, fiebrigen Jazz, den Lise zuerst nicht einordnen konnte.

Es half etwas, obwohl sie am liebsten gegangen wäre. Dann würde sie ihn über die nächsten drei Tage vergessen können, bevor am Montagmorgen die nächste Operation mit ihm anstand.

Aber Jefferson konnte immer noch auftauchen. Vielleicht stand er im Stau oder hatte vergessen, wann genau sie sich treffen wollten. Ein schrecklicher Unfall könnte entschuldigen, dass er nicht anrief oder eine Nachricht schrieb, um ihr abzusagen. Bei ihrem Glück heute kam er noch, wenn sie jetzt ging, und sie müsste ein neues Treffen ausmachen, statt diese dritte Verabredung offiziell von ihrer Liste streichen zu können.

Entweder übte die Band täglich oder spielte schon seit Jahren zusammen. Die Arrangements gaben allen Instrumenten die Chance zu glänzen, und Dr. Valentino versuchte nicht, die Musik zu dominieren, wie sonst alles andere – wie es seine Persönlichkeit zu sein schien.

Dieser schrecklich finstere Blick verschwand noch vor dem Ende des ersten Liedes. Seine Anspannung ließ nach. Es machte ihm offensichtlich Spaß, und er war gut darin.

Als die Band nach ungefähr einer Stunde aufhörte, hatte sie sich beinahe erfolgreich eingeredet, dass er sie nur so finster angestarrt hatte, weil er sie vorher mit diesem heißen Blick angesehen hatte und sie mit ihm arbeitete. Warum auch sonst?

Aber Lügen waren gefährlich. Zuerst fiel es schwer, eine Lüge zu erzählen, dann wurde es immer leichter, wurde zu einem Reflex … Es lag nur an dem sexy Kleid und einigen Mojitos gemixt mit ihrer heißen Schwärmerei, dass sie so uncharakteristisch reagiert hatte, und dazu würde sie stehen.

Wenn denn die Sprache darauf kommen sollte.

Sie würde nicht wie ihre Eltern werden.

Sobald das Licht auf der Bühne ausging, sah er sie erneut an, und weil ihr gerade nichts anderes einfiel, erhob sie ihr leeres Glas zu einem Toast.

Er stand auf, kein Anzeichen eines finsteren Blickes, sprang von der Bühne und kam direkt auf sie zu.

„Noch einen Drink, Bradshaw?“

Nachnamen. Gut! Wie bei der Arbeit.

„Darauf wollte ich zwar nicht hinaus, aber klar, wenn Sie möchten. Ich habe Ihnen nur mit einem leeren Glas zugeprostet, weil ich vorhin nicht richtig aufgepasst habe, Dr. …“

„Dante“, unterbrach er sie, setzte sich, bedeutete dem Kellner, dass er noch zwei Mojitos wollte, und konzentrierte sich dann ganz auf sie. „Hier bin ich Dante. Und du bist Lise.“

„Dante …“, wiederholte sie zögernd. Seinen Vornamen auszusprechen, fühlte sich gefährlich an, als könnte sie jede ihrer Regeln brechen. „Danke für den Mojito, Dante.“

Dante neigte den Kopf. „Es ist nur ein Drink“, entgegnete er. Er wollte noch mehr sagen, aber er hatte Zeit, und in diesem Moment vibrierte ihr Telefon. Sofort nahm er es in die Hand und überprüfte, was es war. Eine Nachricht. Von einem Jefferson.

Er wusste, er neigte zu Misstrauen. Wenn ihre Anwesenheit hier das war, wonach es aussah, wollte er damit nichts zu tun haben. Wo würde er wieder einen Ort finden, um sich in Ruhe zu entspannen, falls seine Verbindung zum Inferno herauskam?

„Gehst du normalerweise immer an anderer Leute Telefone?“, fragte sie leicht irritiert und sah ihn gereizt an. Dabei beugte sie sich über den kleinen, runden Tisch zu ihm, sodass es ihm schwerfiel, nicht auf ihr atemberaubendes Dekolleté zu starren.

„Wenn sie an einem Abend, an dem ich spiele, unangekündigt in meinem Club auftauchen, schon. Hast du Bilder gemacht?“ Weil ihm der Name Jefferson nichts sagte, öffnete er die Nachricht nicht sofort, dafür den Fotoordner.

Konzentrierte sich auf die Tatsachen, nicht auf den erstaunlich sinnlichen Körper, den sie unter der schlabberigen OP-Kleidung versteckte.

Dein Club?“, fragte sie. Dann schienen seine Fragen anzukommen, und ihr verwirrter Gesichtsausdruck verfinsterte sich, überschattete ihre unglaublich hübschen Gesichtszüge. „Nein, ich habe keine Fotos von dir gemacht.“

Sie schnipste mit den Fingern und streckte ihm auffordernd die Hand entgegen. Durch die ruckhaften Bewegungen geriet ihr gut ausgefülltes Dekolleté ins Schwingen.

Was er ignorieren würde.

Halt dich an den Plan. Regle das. Wenn es ganz unschuldig war, konnte er in Erwägung ziehen, sie hinterher zu unterhalten.

In der Bildergalerie gab es viele Sonnenuntergänge und Meerbilder, zusammen mit dem dokumentierten Fortschritt eines gelb gestrichenen Kinderzimmers mit Ententhema.

Oh.

Aber keine Fotos von ihm oder dem Club. „Hast du jemanden angerufen oder jemandem geschrieben, dass du mich hier gefunden hast?“

„Warum sollte ich das tun? Bist du im Zeugenschutzprogramm, oder was? Gib mir einfach mein Telefon, Dante.“ In ihrem Frust – oder dank ihrer Drinks – sagte sie seinen Namen auf eine Art, wie er sie seit der Highschool nicht mehr gehört hatte. Verärgert. Ein bisschen zu betont. Sarkastisch.

Er ignorierte es, aber er musste sich daran erinnern, mit wem er hier sprach: mit der besten OP-Schwester, mit der er je gearbeitet hatte. Niemand, der zu … nun ja, zu irgendwelchen Gefühlsausbrüchen neigte.

„Ich möchte nicht, dass sich mein Berufs- und mein Privatleben kreuzen. Niemand weiß vom Inferno, und so soll es auch bleiben. Wenn du wirklich zufällig hier bist, dann solltest du mit keiner Menschenseele am Buena Vista darüber sprechen.“

„Keinem erzählen, dass du in einer Boygroup bist. Verstanden.“

Boygroup. Er lachte, obwohl er sie eigentlich so einschüchtern wollte, dass sie tat, was er wollte. Bradshaw wirkte sonst immer so ruhig und professionell während der Arbeit – diese freche und gleichzeitig wütende Version sollte ihn wirklich nicht so reizen.

„Du weißt, dass ich nicht einfach herumsitze und darauf warte, über dich zu tratschen.“

Die Art wie sie die Augen zusammenkniff, überzeugte ihn nicht. Wie viel hatte sie getrunken?

Die Nachricht. Wenn sie jemandem geschrieben hatte …

Er schaute wieder auf das Telefon und las die Nachricht. „Wer ist Jefferson?“

Lise, ich habe viel Gutes über dich gehört, und deswegen habe ich der Verabredung auch zuerst zugestimmt. Aber mir sind Zweifel gekommen. Es scheint mir nicht fair, dir etwas vorzumachen, wenn Dicke Frauen nicht mein Typ sind.

Unbekannter Name, schreckliche Nachricht – sie sagte wirklich die Wahrheit. Sie war rein zufällig hier.

„Niemand Wichtiges“, antwortete sie und streckte erneut ihre Hand nach ihrem Telefon aus. Etwas traf ihn wie ein Stich im Magen – er hätte es für Schuldgefühle gehalten, aber nach den Dingen, die er in der Vergangenheit getan hatte, konnte ihn nur eine einzige Sache beschämen. Nein, es musste eher nachempfundene Verlegenheit sein. Er drückte auf die Zurück-Taste, um die Nachricht vom Bildschirm zu entfernen, und legte ihr das Telefon dann in die Hand.

„Und dabei musst du mich immer nur einmal um etwas bitten“, sagte sie ironisch.

Wenn überhaupt. Sie war aus gutem Grund seine Lieblings-OP-Schwester. Seine schwierigsten Operationen legte er stets auf Montag oder Donnerstag – die Tage, an denen er sie bekommen konnte. Einmal hatte er sogar einen Kollegen bestochen, um sie an einem Dienstag an der Seite zu haben. Mit ihr im OP war es, als wäre ein zweiter Chirurg in Bereitschaft dabei. Sie ahnte voraus, was er brauchte.

Es fiel ihm schwer, dieses sexy, sarkastische Wesen als dieselbe Person zu sehen. Selbst als sie verstummte und ihr die Verlegenheit die Frechheit aus dem Gesicht wischte.

„Er hat dich versetzt?“, fragte Dante sanfter als alles andere, was er bis jetzt zu ihr gesagt hatte.

„Er sollte vor einer Stunde hier sein, aber wie es scheint, hat er sich großzügig zurückgezogen, nachdem er mich so lange hat warten lassen. Also habe ich ihn nicht getroffen und mich auch nicht hoffnungslos in ihn verliebt … denn dicke Frauen fand er noch nie attraktiv. Und das auch noch großgeschrieben.“

Als hätte er es nicht bereits gelesen.

Ja, das musste wehtun.

Die Mojitos wurden gebracht, und sie trank einen großen Schluck. Er tat es ihr gleich, zum allerersten Mal wusste er nicht, was er sagen sollte. Versetzt von jemandem, den sie noch nie getroffen hatte, und dabei trug sie dieses Kleid? Das hätte auf den Typen auf jeden Fall Eindruck gemacht.

Lise trank aus und sah erneut zur Tanzfläche. „Sie mixen hier großartige Mojitos …“

„Ich stelle immer gute Leute ein. Warum wolltest du in diesem Kleid einen Mann treffen, den du nicht kennst?“

„Hast du die Gerüchte noch nicht gehört?“ Sie beugte sich näher zu ihm. „Das wundert mich. Dabei fragt mich mittlerweile beinahe jeden Tag jemand danach oder hält mir deswegen einen Vortrag.“

„Ich plaudere auf der Arbeit nicht über Privates.“ So sollten beide Welten getrennt bleiben. „Also, welches Gerücht?“

„Ich werde von den hartnäckigeren Schwestern von Blau Acht auf fünf Blind Dates geschickt.“ Blau Acht war die neurologische Station im Buena Vista – ihre Station. „Allerdings war bis jetzt keins davon sonderlich aufregend. Die ersten beiden konnten keine Unterhaltung führen – selbst, wenn ihr Leben davon abgehangen hätte. Jetzt dieser Idiot, und weißt du, mir ist egal, dass er nicht aufgetaucht ist, er zählt. Sie bekommen also noch zwei Versuche, nicht drei. Ist schließlich nicht meine Schuld, wenn sie schlecht wählen.“

„Warum haben sie sich so auf dich fixiert?“

Davor hatte sie sich gefürchtet, aber Lise lebte ihr Leben gern offen und ehrlich. Sie verheimlichte nichts. Sie log nicht. Lieber sollten die Leute sie so ablehnen, wie sie wirklich war, bevor sie sich in eine Maske verliebten und dann aus allen Wolken fielen, wenn sie bemerkten, dass sie nicht perfekt war.

„Weil ich beschlossen habe, eine eigene Familie zu gründen, und so ziemlich alle entsetzt sind, dass ich dafür einen Samenspender suche, oder, wie sie es nennen ‚die Liebe aufgebe‘ und nicht auf meinen ‚Seelenverwandten‘ warte.“ Sie verdrehte die Augen.

Eine Unterhaltung mit dem echten Dante war nicht halb so befriedigend wie die sexy neckende Unterhaltung mit dem imaginären Dante, die manchmal in ihrem Kopf stattfand, wenn sie gerade nichts Wichtigeres zu tun hatte. Dieser Dante hätte sie längst davon überzeugt, dass sie perfekt geformt war und dass ihm sehr gefiel, was er sah. Er hätte sie mit Venus verglichen, und die Göttin hätte dabei den Kürzeren gezogen.

Der imaginäre Dante war deutlich besser.

„Ich verstehe. Deswegen die Fotos von dem Kinderzimmer mit den gelben Enten in deinem Telefon?“

„Vielleicht …“

„Klingt, als hättest du einen schlechten Abend, Bradshaw.“ Er stützte seine Ellbogen auf den Tisch, als wären sie enge Freunde. Definitiv nicht so, als wollte er sie küssen, das wäre etwas, was der imaginäre Dante getan hätte.

Darum beugte sie sich erneut zu ihm hinüber. „Lise. Wenn ich dich Dante nenne, dann nenn mich Lise.“

Zuerst hatte er nicht bestritten, dass sie übergewichtig war, und jetzt missachtete er ihre Mutterschaftspläne und das fantastische, entzückend fröhliche Entenzimmer?

Es reichte.

Sie musste nicht bei ihm sitzen und so tun, als würde es ihr nichts ausmachen, dass Jefferson nicht aufgetaucht war, gefolgt von seiner Ohrfeige per SMS. Sie waren hier nicht im Krankenhaus, sondern in einem Tanzclub. Und der Dr. Valentino, der kühl, heldenhaft und brillant Leben rettete, gefiel ihr weitaus besser als Dante, der Barbesitzer und Pianist.

„Dieser Abend wird mit jeder Minute unangenehmer. Wenn du mir auch einen Vortrag halten willst, kannst du … kannst du das vergessen! Denn du bist einfach unhöflich, und dabei wollte ich dir sagen, wie wunderbar die Musik war. Aber jetzt nicht mehr! Und nur damit das klar ist …“ Sie hob einen Finger, als er den Mund öffnete. „Wenn eine Frau sagt, jemand hat sie als kurvig, rundlich oder sogar dick bezeichnet, und sie ist es offensichtlich nicht, wird erwartet, dass du vehement widersprichst. Und selbst wenn sie es ist, solltest du sowas sagen wie, dass es unhöflich ist, das zu sagen. Dass du nichts davon getan hast, heißt, dass du mich auch dick findest. Und das bin ich nicht. Also … noch einen schönen Abend, Dante.“

Ein neues Stück begann, perfektes Timing. Lise nahm ihre Handtasche und hängte sie sich wieder quer über die Brust um, damit sie die Hände frei hatte für Mr. Mojito, und trat dann an Dante vorbei auf die Tanzfläche.

Sie hatte kaum einen Fuß auf den polierten Fliesenboden gesetzt, als eine große, warme Hand ihr freies Handgelenk umfasste und sie aufhielt.

„Du bist nicht dick, Lise. Aber du versteckst dich gut in überweiter OP-Kleidung.“ Sie drehte sich nicht zu ihm um, aber er sagte das über ihre Schulter, so nah an ihrem Ohr, dass ihr eine Gänsehaut den Arm hinauflief.

„OP-Kleidung ist nun mal weit. Und falls es dir nicht aufgefallen sein sollte, ich habe nur eine große Oberweite.“ Sie wandte ihm den Kopf zu, und er nutzte die Gelegenheit, ihr den Mojito abzunehmen, bevor sie den Inhalt über einem von ihnen vergoss. Dann trank er den Rest aus und stellte das Glas auf das Tablett eines vorbeigehenden Kellners.

Dieser Mann hatte ihren Mojito ausgetrunken. Was tat man, wenn einem der Mojito aus der Hand geklaut wurde?

Weitersprechen. Sprachlosigkeit zeigte nur, dass man überfordert und nicht clever genug war, um bei diesem verrückten Gespräch mitzuhalten.

Dabei starrte sie auf seinen Mund und dachte an die sinnlichen, schwärmerischen Fantasien, die dieser Mund definitiv erfüllen könnte, wenn er denn wollte.

Erbärmlich teenagerhaft. Und es zeigte nur, wie sehr sie sich nach Gesellschaft sehnte – genug, um sich auf Blind Dates einzulassen. Genug für alkoholverursachte Lust. Jämmerlich.

Sag. Einfach. Was.

„Diese dummen Dinger bestimmen, welche Größe ich tragen kann, aber die OP-Oberteile sind eine Standardausführung, und jeder – sogar Menschen, die normal proportioniert sind – sieht dämlich darin aus. Außer dir, aus irgendeinem Grund siehst du in OP-Kleidung gut aus. Ich würde ja behaupten, du hast deine Seele dafür verkauft, aber wir sind bereits im Inferno. Außerdem ist die Kleidung bequem, darum kann man gut darin arbeiten. Und falls ich jemals Oberteile bekäme, die meinem Hüftumfang entsprechen, würde ich an meiner eigenen Oberweite ersticken.“

Super. Tolles Bild: Erdrosselt von Brüsten.

Dante grinste auf sie herunter.

Aber lachte er mit ihr oder über sie?

Bevor sie sich noch weiter blamieren konnte, schlang er einen Arm um ihre Taille, ergriff ihre jetzt freie Hand, manövrierte sie sicher in eine Tanzposition und führte sie rückwärts auf die Tanzfläche.

Atemlos und mehr als nur leicht erstaunt ließ Lise es zu. „Wir tanzen? Ein Streit weckt bei dir die Lust zu tanzen?“

Vielleicht war es ganz gut, dass er ihren Mojito ausgetrunken hatte, sie hatte offensichtlich schon zu viele davon intus.

Der starke Arm um ihre Taille zog sie nah genug an sich, um die Notwendigkeit ihrer zugegebenermaßen zeltähnlichen OP-Oberteile zu demonstrieren – unterhalb der Taille berührten sie sich nicht, aber ihre Brüste wurden an seine warme Brust gepresst, und automatisch legte sie ihren Arm um seine Schultern.

„Dieses Kleid ist spektakulär, und es steht dir ausgesprochen gut“, sagte er, die Hand fest auf ihrer Taille, um sie in einem Tanzstil zu drehen, den ihre Füße nicht kannten. „Folge mir.“ Er wurde langsamer, trat so weit zurück, dass sie seine Füße sehen konnte, und nachdem sie die Schrittfolge ein paar Mal wiederholt hatte, lagen seine starken Hände wieder auf ihrem Körper, und er führte sie langsam am Rand der jetzt noch volleren Tanzfläche entlang.

Warum machte sie hier mit? Sie war auf die Tanzfläche gegangen, um von ihm wegzukommen. Und weil sie tanzen wollte.

Aber selbst nach der ungehobelten Telefonangelegenheit war dieser Mann noch unglaublich sexy, und sie war versetzt worden. Auf jeden Fall war Dante ein sehr zufriedenstellender Ersatz.

Grüble nicht unnötig darüber nach. Tanz einfach mit ihm.

„Warum dieses Kleid, wenn du Jefferson gar nicht kennst?“, fragte er erneut.

Um ihn über der lauten Musik verstehen zu können, musste sie auf seinen Mund starren, dessen Mundwinkel sich hoben.

Alles hieran fühlte sich surreal an.

Tanz so, als wärst du nicht das Kind eines Straußes und einer dreibeinigen Ziege.

Ignorier die Gefühle, die seine Hände in deinem Körper auslösen.

Kein Problem.

„Es ist neu“, gestand sie, und genau wie sie konzentrierte er sich auf ihren Mund, während sie sprach. „Für mich sind diese Verabredungen der letzte große Auftritt vor dem Muttersein. Weil ich sonst nicht wirklich ausgehe oder mich verabrede. Hauptsächlich, weil es einfach zu viel Aufwand ist. Aber ich dachte, wenn Jefferson seine Karten richtig ausspielt und nicht …“

„Hässlich ist?“

Lise zuckte leicht zusammen, nickte aber.

Auch wenn sein anzüglicher Gesichtsausdruck verschwunden war, als er sie erkannt hatte, schien Dante seine Meinung geändert zu haben. Er starrte länger auf ihren Mund, sexgeschwängerte Erwartung verdunkelte seine Augen.

Weil sie sich etwas unsicher auf den Beinen fühlte, ließ sie seine Hand los, um beide Arme um seine Schultern zu legen, ihn fester zu halten.

Wenn sie wollte – und wenn sie einen Grund dafür finden könnte, sich mit ihm einzulassen, der als zurechnungsfähig bezeichnet werden konnte – wäre Dante ihr letztes großes Hurra.

Und eins von epischem Ausmaß. Er könnte sogar Mojitos mitbringen.

Dante sagte nichts, zog sie nur etwas näher, sodass sein Mund ihr Ohr berührte. So spürte sie die Bartstoppeln auf seiner Wange, während er leise den spanischen Text zur Musik mitsang.

Das Zittern, das sein Lied in ihr auslöste, brachte ihn dazu, sie fester zu halten, obwohl er sich etwas zurücklehnte, um ihr in die Augen sehen zu können.

„Du solltest dich von mir fotografieren lassen und ihm das Bild schicken. Lass ihn für seine dumme Entscheidung leiden.“

Warum dachte er noch immer über Jefferson nach?

„Du denkst, das lässt ihn leiden? Er könnte auch hier gewesen sein, einen Blick auf mich geworfen haben und dann eilig wieder verschwunden sein.“

„Nein.“ Dante schüttelte den Kopf, hielt sie noch immer eng an sich gepresst, obwohl sie sich jetzt auf der Stelle wiegten, vor der Bühne, etwas abseits.

„Das weißt du nicht.“

„Doch. Er ist hetero, und hätte er dich heute Abend gesehen … Vertrau mir.“

Ihm vertrauen. Als wäre es das Einfachste auf der Welt. Vertrau dem sexy Mann, der ein Doppelleben führt.

Andererseits, was konnte ein Foto schon schaden? So fühlte sich Jefferson vielleicht etwas schuldig, wenn er sah, dass sie sich extra herausgeputzt und so lange auf ihn in einem Nachtclub gewartet hatte, bevor er tatsächlich absagte. Das sollte ihm eine Lektion für sein nächstes Blind Date sein.

„Na gut.“ Lise löste sich von ihm, um das Telefon aus ihrer Tasche zu ziehen. „Aber sorg dafür, dass ich gut aussehe. Vielleicht gibt es ja einen sexy Filter, den wir nutzen können.“

Während sie ihre Handtasche abnahm und sich ordentlich über eine Schulter hängte, kam er ihr ganz nah und murmelte ihr etwas ins Ohr, das unerträglich sexy war. Warm. Verspielt. Und viel zu Spanisch, als dass sie es verstand.

Selbst nach drei Jahren in Miami verstand sie nur querida.

Aber das reichte.

Einen Augenblick später hatte er sie positioniert und ein Bild gemacht. Noch bevor sie einen Blick darauf werfen konnte, hatte er es auch schon an Jefferson geschickt.

„Was hast du dazu geschrieben?“

„Nichts.“

Autor

Amalie Berlin
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