Echo der Liebe

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Arizona, jetzt komme ich! Schwungvoll fährt die temperamentvolle Echo vor ihrem neuen Buchladen vor - und Rance McKettrick beinahe um. Ausgerechnet den reichsten, mächtigsten und garantiert bestaussehenden Mann in Indian Rock. Kein guter Start! Immerhin gibt das Schicksal ihr noch eine Chance. Mit den beiden Töchtern des attraktiven Witwers versteht Echo sich nämlich bestens und kommt so auch Rance näher. Zu nahe! Denn Echo glaubt nicht an Wunder oder Märchen. Eine arme, mittellose Waise und ein bekannter, schwerreicher Unternehmer? Das kann einfach nicht gut gehen …


  • Erscheinungstag 14.06.2009
  • Bandnummer 1685
  • ISBN / Artikelnummer 9783862953646
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der Hund hockte mit nassem, verfilztem Fell auf dem rutschigen Gehsteig neben Echo Wells’ rosa lackiertem VW Käfer. In der Hoffnung, nicht allzu nass zu werden, stürzte Echo aus dem Truckstop-Restaurant. Als sie den Hund sah, blieb sie wie angewurzelt stehen.

„Ich kann keinen Hund brauchen“, erklärte sie dem Universum und legte den Kopf in den Nacken.

Der Hund winselte. Das große Tier war von unbestimmter Farbe und Rasse. Eine leichte Vertiefung am Hals deutete darauf hin, dass er früher einmal ein Halsband getragen hatte. Seine Rippen zeichneten sich deutlich unter dem Fell ab. Auf einer Vorderpfote entdeckte sie einen bräunlichen Blutfleck.

„Ach, zur Hölle!“, rief Echo. Sie sah sich auf dem Parkplatz um. Abgesehen von ein paar kleinen Lastern und einem uralten Wohnwagen war er leer. Sie sah keine Menschenseele und vor allem niemanden, der nach einem weggelaufenen Tier Ausschau hielt.

Der Hund schien schon seit Tagen allein zu sein, wenn nicht seit Wochen oder sogar Monaten. Bei der Vorstellung, wie einsam und verängstigt er sein musste, bekam Echo Mitleid.

„Ich habe den Wagen gerade putzen lassen“, erklärte sie dem Hund. Der Käfer war die einzige Eitelkeit, die sie sich leistete.

Das Tier winselte erneut. Dann sah es so hoffnungsvoll mit seinen schwermütigen Augen zu ihr auf, dass Echos Herz dahinschmolz.

Resigniert lief sie um den Wagen und öffnete die Beifahrertür mit einer Hand, während sie auf der anderen die Schachtel mit dem Abendessen balancierte. Der Hund schlich geduckt neben ihr her. Er hinkte ein wenig.

„Komm schon“, lockte sie sanft. „Spring rein.“

Einen Moment zögerte der Hund, dann hüpfte er auf den Sitz – schmutzig und nass, wie er war. Echo seufzte, öffnete die Schachtel und fütterte, im Regen stehend, den Hund mit den Resten des Hackbratens.

Der ausgehungerte Hund schlang sein Abendessen hinunter. Anschließend sah er Echo so herzergreifend an, dass ihr Tränen in die Augen schossen.

„Mach dir keine Sorgen“, sagte sie zu ihm und zu sich selbst. „Alles wird gut.“

Zweieinhalb Stunden später, am Stadtrand von Phoenix, fuhr sie auf den Parkplatz einer günstigen Hotelkette. Während Echo einen ihrer Koffer aus dem Auto wuchtete, erledigte das Tier diskret hinter einem Busch sein Geschäft.

„Jetzt wirst du erst mal gebadet.“ In ihrem Zimmer lotste Echo den Hund direkt ins Badezimmer.

„Na so was“, rief sie, nachdem sie ihn gründlich abgeduscht hatte. „Du weißt das vielleicht nicht, aber du bist ein weißer Labrador. Und noch dazu ein weiblicher.“

Der Hund wedelte mit dem Schwanz, als hätte er sie verstanden.

„Du brauchst einen Namen“, beschloss sie, als sie ihn mit einem Handtuch trockenrieb. „Und irgendwie hast du etwas Geheimnisvolles und Mystisches an dir – ich glaube, das liegt an deinen Augen.“ Sie überlegte. „Deshalb taufe ich dich auf den Namen Avalon.“

Rance McKettrick betrachtete das Schaufenster neben Coras Laden, einer Mischung aus einem Schönheitssalon und einer Halle für rhythmische Sportgymnastik. Offenbar bemerkte er, dass das Verkaufsschild aus dem staubigen Fenster verschwunden war.

„Hast du endlich den Laden verkauft?“, fragte er.

Seufzend musterte Cora den gut aussehenden Ehemann ihrer verstorbenen Tochter. Er war über einen Meter fünfundachtzig groß. Und trotz des teuren Anzugs gelang es ihm, wie ein wilder Cowboy auszusehen, der gerade von seiner Ranch geritten war. Sein Haar war dunkel. In den markanten blauen Augen lag tiefer Kummer. Seit Julies Tod vor fast fünf Jahren schien Rance nicht mehr ganz am Leben zu sein. Wie eine Marionette erfüllte er seine Pflichten und Aufgaben, mehr aber auch nicht.

Auch Cora vermisste Julie, vielleicht sogar noch mehr als er, denn nichts auf der Welt war schmerzlicher, als das eigene Kind zu begraben. Aber ihren Enkelinnen zuliebe hatte sie sich mit ihrer Trauer abgefunden. Die Mädchen waren erst sechs und zehn Jahre alt. Sie brauchten ihre Großmutter. Natürlich brauchten sie auch Rance, der die beiden auf seine eigene, zerstreute Art liebte. Doch offenbar schaffte er es, die Gefühle für seine beiden Töchter auf Eis zu legen, sobald er auf Geschäftsreisen ging – was sehr häufig der Fall war.

„Es wird eine Buchhandlung“, erklärte Cora. „Die unsere kleine Stadt sehr gut gebrauchen kann.“

„Ich wollte fragen, ob Rianna und Maeve für ein paar Tage bei dir bleiben können“, sagte er, ohne sie anzusehen. „Ich habe einen wichtigen Termin in San Antonio, im Hauptbüro.“

McKettrickCo, der Konzern, der Rances Familie unendlich reich gemacht hatte, stand kurz vor seinem Börsengang. Wenn sich nun alle in San Antonio trafen, musste es sich wirklich um einen wichtigen Termin handeln. Rances Cousin Jesse interessierte sich bekanntermaßen überhaupt nicht für die Firmengeschäfte.

„Rance“, begann Cora vorsichtig, „Rianna hat Samstag Geburtstag. Sie will eine Party feiern. Und Maeve bekommt Montagmorgen ihre Zahnspange, für den Fall, dass du das vergessen hast.“

Rance warf genervt die Arme in die Luft. „Rianna und Maeve haben kein Problem damit“, behauptete er. „Wir können die Geschichte mit der Zahnspange verschieben, und Sierra wird an Riannas Geburtstag eine kleine Party auf der Ranch schmeißen.“

Cora verschränkte die Arme vor der Brust. Zwar spielte sie ihre Trumpfkarte nicht gern aus, aber genau das war es, was Rance McKettrick brauchte, um verflixt noch mal endlich zu kapieren, dass seine Töchter ihn brauchten. Er konnte sie nicht behandeln wie irgendwelche Termine, die er verschob, um seine verrückten und komplett überflüssigen Geschäfte zu machen. „Was würde Julie deiner Ansicht nach zu dem sagen, was mit ihren Kindern geschieht, Rance? Und mit dir?“

Einen Moment sah er aus, als hätte sie ihn geschlagen. Dann stieß er verärgert die Luft aus. „Verdammt, Cora, das war unter der Gürtellinie.“

„Nenn es, wie du magst“, entgegnete Cora und zwang sich dabei, kein Mitleid zu zeigen. „Du und diese beiden kleinen Mädchen haben Julie mehr bedeutet als alles andere auf der Welt. Sie hat ihre Karriere aufgegeben, um euch allen ein Heim zu schaffen, dort draußen auf Triple M. Und jetzt behandelst du dieses Heim wie ein Hotel, in dem man ein- und auscheckt, wie es einem passt.“

Nach diesem Vorwurf schwieg Rance lange. Cora wartete mit angehaltenem Atem ab.

„Kümmerst du dich nun um Rianna und Maeve oder nicht?“, fragte er schließlich.

Obwohl sie damit gerechnet hatte, dass das Gespräch auf diese Weise enden würde, verspürte Cora bittere Enttäuschung.

„Das weißt du doch genau“, sagte sie nur. „Tu, was du tun musst. Ich kümmere mich um Rianna und Maeve.“

„Ich weiß das zu schätzen“, sagte Rance. Cora wusste, dass er es ernst meinte. Aber leider Gottes nicht ernst genug.

Rance sah seiner Schwiegermutter hinterher, wie sie ins Curl and Twirl stolzierte und die Tür hinter sich zuknallte. Dabei hatte er das Gefühl, vor den Augen aller übers Knie gelegt worden zu sein. Zu allem Überfluss schoss in diesem Moment auch noch ein bonbonrosa Käfer in den freien Parkplatz, auf dem er stand, und fuhr ihm dabei beinahe alle Zehen ab.

Es war gut, seinen Ärger auf etwas anderes zu richten. „Was zur Hölle …“, stieß er hervor und stürmte zur Fahrerseite des Wagens.

Das Fenster wurde geöffnet, und eine Blondine mit großen haselnussbraunen Augen und Zopf blinzelte ihn an, mit leicht geröteten Wangen.

„Tut mir leid“, sagte sie.

Rance beugte sich vor. Ein weißer Hund, der auf dem Beifahrersitz angeschnallt war, knurrte ihn warnend an. „Ich habe keine Ahnung, wo Sie herkommen, Lady“, sagte Rance, „aber in dieser Gegend muss man normalerweise nicht um sein Leben fürchten, nur weil man in sein Auto steigen will.“

„Gehört dieser Geländewagen Ihnen?“, fragte sie nach einem Blick in den Rückspiegel.

„Ja“, antwortete er und begriff nicht, was sein Wagen damit zu tun haben sollte.

„Wenn Sie ein vernünftiges Auto fahren würden und nicht so eine gigantische Benzinschleuder, dann hätten Sie mich gesehen und dieser ganze Nicht-Unfall wäre nicht passiert.“

Diese Dreistigkeit verblüffte Rance so, dass er auflachte, allerdings nur kurz und unwirsch, woraufhin der Hund sofort wieder zu knurren begann.

Wieder blinzelte sie. Doch dann streckte sie eine schlanke Hand durch das Fenster, was ihn fast genauso erschreckte wie ihr rasanter Einparkstil. „Echo Wells“, sagte sie.

„Wie bitte?“

„Das ist mein Name“, erklärte sie.

Er ergriff ihre Hand. Sie fühlte sich kühl und weich an.

„McKettrick“, sagte er etwas verspätet, wobei er ihre Hand länger festhielt als nötig. „Rance McKettrick.“

Plötzlich lächelte sie, und Rance fühlte sich irgendwie wie aus dem Hinterhalt überfallen.

„Ist ja nichts passiert“, sagte sie.

Dessen war er sich nicht so sicher. Denn er fühlte sich merkwürdig erschüttert. Vielleicht hatte sie ihn doch überfahren, mit allen vier Rädern, und er hatte es irgendwie überlebt und stand in einer wirren Verfassung wieder auf seinen Beinen? „Was für ein Name soll Echo Wells denn sein?“, hörte er sich fragen.

„Was soll Rance McKettrick denn für ein Name sein?“, schoss sie zurück.

Ohne Rance aus den Augen zu lassen, beugte sie sich zur Seite, um dem Hund ein paar Mal beruhigend übers Fell zu streichen. Instinktiv wünschte Rance, er könnte mit dem Tier tauschen. Doch da er ein äußerst praktischer Mann war, schob er den albernen Gedanken umgehend weit von sich.

„Wären Sie so nett, zur Seite zu gehen?“, fragte Echo in süßsaurem Ton. „Es war eine lange Fahrt, und ich würde gern aussteigen.“

Sie reichte ihm gerade bis ans Kinn, und das knappe rosa-weiße Sommerkleidchen musste die kleinste Größe haben. Anstelle der Highheels, die er wegen des Kleides erwartet hatte, trug sie knöchelhohe, rosa Turnschuhe mit goldenen Schnürsenkeln. Sie lächelte verträumt, als ob Rance durchsichtig geworden wäre und sie durch ihn hindurch das Land auf der anderen Straßenseite betrachten könnte.

„Willkommen in Indian Rock.“ Das sagte er eigentlich nur, um ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen. Durchaus möglich, dass sein Tonfall dabei ein klein wenig angespannt klang.

Statt zu antworten, ging sie um ihn herum auf den Gehsteig, öffnete die Tür und ließ den Hund heraus. Avalon – was für ein alberner Name für einen Hund. So einen versponnenen Namen konnte man nur von jemandem erwarten, der einen Bergkristall am Rückspiegel hängen hatte und rosa Turnschuhe passend zum rosa Auto trug.

Immer noch stumm, nahm Echo Wells ihre Handtasche aus dem Auto und kramte darin nach einem Schlüssel. Dann marschierte sie direkt zu dem Laden neben dem Coras Curl and Twirl und steckte ihn ins Schloss.

Das war die neue Besitzerin? Er hatte jemand ganz anderes erwartet. Jemanden, der Cora mehr ähnelte. Aber auf jeden Fall nicht so eine Frau.

Bevor Rance sich abwenden konnte, wurde die Tür von Coras Laden aufgerissen, und seine Töchter stürmten heraus. Beide hatten sein dunkles Haar, doch die grünen Augen von Julie. Es hatte ein ganzes Jahr gedauert, bis er nach Julies Unfall in der Lage gewesen war, in diese Augen zu schauen, ohne zusammenzuzucken.

„Wir hätten beinahe vergessen, uns zu verabschieden!“, sagte Rianna, die Jüngere, und umklammerte mit beiden Armen sein rechtes Bein. Am Samstag feierte sie ihren siebten Geburtstag.

Maeve, die für ihre zehn Jahre ziemlich groß war, hielt sich an seiner Taille fest. Rance schmolz das Herz, und seine Augen brannten ein wenig. Er umarmte die beiden Mädchen, dann beugte er sich herab, um sie auf die Stirn zu küssen.

„In ein paar Tagen bin ich zurück“, sagte er.

Doch Riannas Aufmerksamkeit richtete sich auf den rosa Volkswagen. Ehrfürchtig berührte sie den Kotflügel, als handelte es sich um eine verzauberte Kutsche, die sechs weiße Pferde zogen.

„Sieht aus wie das Auto von Barbie“, sagte sie verwundert. „Nur größer.“

Maeve, ganz Frau von Welt, verdrehte die Augen.

Die Tür des künftigen Buchladens öffnete sich. Rance hörte eine Türglocke bimmeln. Mit einer nackten, wunderhübschen Schulter lehnte Echo am Türrahmen und lächelte den Mädchen zu.

„Hi“, sagte sie und sah die beiden Mädchen freundlich und aufmerksam an, ohne Rance zu beachten. „Ich heiße Echo. Und ihr?“

„Echo“, seufzte Rianna verzaubert.

„Das hast du bestimmt erfunden“, warf Maeve ein, ganz die Tochter ihres Vaters. Doch sie klang trotzdem fasziniert. „Da hast du recht, den Namen habe ich erfunden – gewissermaßen“, sagte Echo. „Aber er passt zu mir, findet ihr nicht?“

„Und wie heißt du in echt?“

Rance hätte sich längst auf den Weg zum Flughafen machen müssen, wo der Privatjet von McKettrickCo mit Keegan und Jesse an Bord bereits auf ihn wartete. Doch er war auf die Antwort mindestens so gespannt wie Maeve.

„Das ist ein Geheimnis.“ Echo legte einen Finger an die Lippen. „Vielleicht verrate ich es euch, wenn ich euch etwas besser kenne.“

„Ich heiße Maeve“, erklärte Rances älteste Tochter.

„Und ich Rianna“, sagte die jüngere.

„Tja, wenn mein echter Name so schön wäre wie eure, dann hätte ich ihn behalten“, gestand Echo.

In Gedanken hörte Rance die gestarteten Motoren des Jets. „Ich muss jetzt gehen“, sagte er zu seinen Töchtern, die seine Existenz offenbar vergessen hatten.

Der weiße Hund schlüpfte an Echo vorbei. Er trottete zu Rianna und leckte ihr übers Gesicht. Rianna kicherte, streichelte den Hund mit beiden Händen und warf Rance einen Blick über ihre Schulter zu. „Bekommen wir auch einen Hund, Daddy?“

„Nein“, sagte er. „Ich verreise zu oft.“

„Das kannst du laut sagen“, sagte Maeve. Manchmal kam sie ihm vor wie eine kleine Erwachsene.

Bei dieser Bemerkung hob Echo eine ihrer wunderschönen Augenbrauen.

„Wiedersehen“, sagte Rance zu seinen Töchtern.

Rianna war viel zu sehr damit beschäftigt, mit dem Hund zu kuscheln, um zu antworten. Und Maeve warf ihm nur einen Blick zu. Er stieg in seine gigantische Benzinschleuder und fuhr davon.

„Ich mag dein rosa Auto“, sagte Maeve, allerdings erst, nachdem der Wagen ihres Vaters außer Sicht war.

„Ich mag deinen Hund“, ergänzte Rianna.

„Dad erlaubt nicht, dass wir einen haben“, verkündete Maeve.

„Er ist oft weg“, sagte Rianna.

„Wir sind die meiste Zeit bei Granny“, fügte Maeve hinzu.

„Reist eure Mutter auch so viel?“, fragte Echo.

„Sie ist tot.“

Vor Schreck zuckte Echo zusammen. „Oh.“ Etwas anderes fiel ihr nicht ein.

In diesem Moment öffnete sich die Tür von Curl and Twirl und eine Frau steckte ihren kunstvoll frisierten Kopf heraus. „Maeve, Rianna …“ Sie hielt inne, als sie zuerst den Hund entdeckte, dann das Auto und schließlich Echo. Ein strahlendes Lächeln erhellte ihr Gesicht. „Ach, Sie müssen Miss Wells sein“, sagte sie.

„Nennen Sie mich doch bitte Echo.“

„Gern“, entgegnete die Frau freundlich. „Ich bin Cora Tellington, und wie ich sehe, haben Sie meine Enkelkinder bereits kennengelernt.“

„Allerdings“, sagte Echo sanft.

Cora trat begeistert auf sie zu und schüttelte ihre Hand „Ich habe Sie erst in ein paar Tagen erwartet. Ich hätte im Laden noch etwas Staub gewischt und die Wohnung darüber gelüftet, wenn ich gewusst hätte, dass Sie so bald kommen.“

„Das ist sehr nett von Ihnen.“ Echo mochte die Frau bereits. Sie hatte den Laden ungesehen gekauft. Das komplette Geschäft war per Telefon, Fax und Post abgeschlossen worden.

„Ich freue mich darauf, die Wohnung schön herzurichten“, sagte Echo.

„Hast du gar keine Möbel?“, fragte Maeve, die durch das schmutzige Schaufenster spähte.

Rianna und Avalon stellten sich neben Maeve, um selbst einen Blick hineinzuwerfen.

„Wieso hast du einen Buchladen ohne Bücher?“, wollte Rianna wissen.

„Das kommt alles mit einem Umzugswagen“, erklärte Echo. „Bevor ich die Regale einräumen kann, habe ich noch eine ganze Menge zu tun.“

Rianna sah Echo besorgt an. „Wo schläfst du?“

„Hier“, antwortete Echo. „Avalon und ich haben heute Morgen an einem Supermarkt gehalten und Luftmatratzen und Decken gekauft.“

„Das ist wie Camping“, bemerkte Rianna.

„Nein, ist es nicht, du Doofi“, rief Maeve mit der Verachtung der älteren Schwester. „Camping macht man im Freien.“

„Genug“, unterbrach Cora sie freundlich. Doch sie sah genauso besorgt aus wie Rianna. „In meiner Wohnung ist jede Menge Platz“, sagte sie. „Und Hunde sind natürlich auch willkommen.“

Nach dieser aufrichtigen Einladung wurde Echo ganz warm ums Herz. „Wir kommen schon zurecht, nicht wahr, Avalon?“

Wenn es um einen Neuanfang ging, war Indian Rock genauso gut wie jeder andere Ort auf der Welt.

2. KAPITEL

Als Echo den Laden genauer unter die Lupe nahm, kamen ihr allerdings Zweifel. Sie würde jede Menge Arbeit und Geld in die Renovierung stecken müssen. Und das, wo ihre Geldreserven seit ihrem Entschluss stetig schrumpften.

Für den Laden hatte sie eine gut bezahlte Stelle in der Windy City aufgegeben, wo sie Benefizveranstaltungen für eine Kunstgalerie organisiert hatte. Auch ihr winziges Apartment mit Seeblick hatte sie verkauft. Dort hatte sie an ihren einsamen Abenden ein kleines Onlinegeschäft aufgebaut, das allerdings keinen Profit abwarf.

Zusammen mit Avalon stieg Echo die Treppe hinauf, um sich ihr neues Zuhause anzusehen: ein Zimmer und ein winziges Bad. Doch die Wohnung besaß einen gewissen Charme mit ihren unebenen Holzböden und den großen Fenstern. Eines davon ging auf die Straße, das andere nach hinten hinaus auf eine Gasse.

„Wir brauchen Putzmittel“, erklärte Echo Avalon. Diese neue Gewohnheit, Gespräche mit einem Hund zu führen, beunruhigte sie ein wenig. Die Wahrheit war, dass sie schon zu lange allein lebte und viel zu viele Worte aufgespart hatte. „Und etwas zu essen.“

Am Samstagmorgen öffnete Rianna McKettrick die Augen und blieb ganz still liegen. Im Bett gegenüber hörte sie Maeve leise und regelmäßig atmen.

„Ich bin sieben“, hätte Rianna am liebsten laut gesagt. „Gestern Abend, als ich ins Bett ging, war ich noch sechs. Aber heute Morgen bin ich sieben.“ Sie sprang aus dem Bett.

Gestern Abend, nachdem Granny sie und Maeve ins Bett gebracht und mit ihnen gebetet hatte, hatte Rianna ihrer Schwester zugeflüstert, dass sie glaubte, ihr Vater würde doch noch zu der Geburtstagsparty kommen. Schließlich hatte er einen eigenen Jet, mit dem er hin und herfliegen konnte, oder vielleicht nicht?

„Vergiss es“, sagte Maeve. „Er kommt nicht. Er ist beschäftigt.“

Riannas Hals begann zu schmerzen. Ihre Augen brannten jetzt so sehr, dass sie einen Moment lang nichts sehen konnte.

„Rianna, Liebling?“, rief Granny leise von unten an der Treppe. „Alles Gute zum Geburtstag, meine Süße.“

Das Mädchen schluckte schwer, setzte ein Lächeln auf und lief die Treppe hinunter. „Ich bin sieben“, verkündete sie.

Als Rianna unten ankam, beugte Granny sich nach vorn, um sie auf den Kopf zu küssen. „Das bist du allerdings. Ein richtig großes Mädchen.“ Danach nahm Granny sie fest in die Arme. Sie roch nach Flieder wie immer.

Maeve erschien in ihrem Schlafanzug auf der Treppe. Sie rieb sich die Augen und gähnte. „Ist das Frühstück fertig?“

„Ich bin sieben“, platzte Rianna heraus, nicht in der Lage, diese erstaunliche Tatsache für sich zu behalten.

„Toll“, sagte Maeve. „Trotzdem bist du ein Baby.“

„Maeve McKettrick“, schimpfte Granny. „Wenn du frech sein willst, geh besser gleich wieder zurück ins Bett.“ Sie wandte sich lächelnd an Rianna. „Und auf dich warten ein paar Geschenke in der Küche.“

Das verbesserte Riannas Laune schlagartig. Sie mochte Geschenke.

Neben Riannas Teller lag ein großer Berg Geschenke. Jedes einzelne war mit einer Schleife versehen, und sie vergaß sofort, dass Maeve sie Baby genannt hatte. Laut überlegte sie, welches davon wohl von ihrem Vater war.

Ganz kurz wurden Coras Lippen schmal. „Er hat etwas zur Ranch schicken lassen“, sagte sie. „Myrna Terp hat vorhin angerufen und es mir gesagt.“

„Ich hoffe, es ist ein Hund“, sagte Rianna.

„So ein Quatsch“, rief Maeve.

„Maeve“, mahnte Granny.

Maeve verdrehte die Augen. Das tat sie sehr oft. Rianna vermutete, dass ihre Augen eines Tages einfach aus ihrem Kopf fallen und auf dem Boden herumkullern würden.

„Vielleicht ist es auch eine Mommy“, überlegte Rianna.

„Man kann keine Mutter kaufen, Doofi“, entgegnete Maeve. Doch ein weiterer Blick von Cora ließ sie verstummen.

Derweil inspizierte Rianna das oberste Geschenk. „Kann ich es aufmachen?“

„Iss erst“, bestimmte Cora und stellte Riannas Lieblingsfrühstück auf den Tisch: French Toast mit Blaubeeren und Schlagsahne.

Nach dem Frühstück stürzte sie sich auf die Geschenke.

Ein Malbuch.

Ein kleines Plastikpony mit lavendelfarbener Mähne.

Außerdem bekam sie von Granny ein paar Kleider für die Barbiepuppen und ein goldenes Medaillon in einer roten Samtschachtel.

Als sie das Medaillon auspackte, hielt Rianna die Luft an. Maeve hatte genau so eins bekommen, als sie zehn wurde. Deshalb hatte Rianna geglaubt, dass sie noch weitere drei Jahre warten musste.

Mit zitternden Fingern öffnete sie das kleine herzförmige Medaillon. Darin entdeckte sie ein Foto von ihrer Mutter und eines von ihrem Vater. Beide lächelten.

„Das solltest du besser nicht verlieren“, sagte Maeve.

Wieder warf Cora Maeve einen warnenden Blick zu, dann legte sie Rianna die Kette um den Hals, obwohl sie noch immer ihren Schlafanzug trug.

Das dünne Goldkettchen glitzerte märchenhaft, als Rianna an sich herabsah. Mit einem leisen Schniefen wandte Cora den Kopf ab und blieb sehr lange am Spülbecken stehen.

„Sie vermisst Mom“, flüsterte Maeve ihr zu.

Ich auch, wollte Rianna sagen, verkniff es sich aber.

Maeve tätschelte ihre Hand und lächelte wie die alte Maeve – die Maeve, die ihre Schwester lieb hatte. „Alles Gute, Kleine“, sagte sie.

Echo und Avalon standen auf dem Trottoir und bewunderten die goldene Beschriftung auf dem Schaufenster – Echo’s Books and Gifts – als Cora in ihrem alten Pick-up angefahren kam. Rianna und Maeve purzelten heraus, bevor ihre Großmutter noch ganz angehalten hatte.

„Sieh mal!“, rief Rianna, die vor Begeisterung fast tanzte. „Ich habe ein Medaillon mit dem Foto meiner Mutter bekommen!“

Echo lächelte. Den kleinen Stich, den sie verspürte, schob sie der Tatsache zu, dass sie ihre eigene Mutter vermisste. Als Echo vier Jahre alt gewesen war, hatten ihre Eltern einen Unfall, bei dem sie beide starben. Danach wuchs sie bei einer Tante und ihrem Mann auf, die selbst drei Kinder hatten und eigentlich kein viertes brauchen konnten, wie sie ihr regelmäßig erklärten.

„Zeig mal“, sagte sie sanft zu Rianna.

Stolz öffnete das Mädchen das Medaillon. „Das ist meine Mommy“, erklärte Rianna ehrfürchtig.

Echo nickte. „Sie ist sehr hübsch. Und ihr seht ihr sehr ähnlich.“ Sie blickte auf, um Rianna und Maeve eindringlich zu mustern.

„Ich glaube, wir sehen eher Dad ähnlich“, sagte Maeve.

„Ihm auch“, stimmte Echo zu, während sie mit Cora einen Blick tauschte.

„Sind deine Möbel gekommen?“, fragte Rianna.

„Ja, gestern. Avalon gefällt die Luftmatratze. Deshalb schläft sie jetzt darauf.“

„Du hast noch immer keine Bücher“, bemerkte Maeve, die näher ans Schaufenster trat. Avalon folgte ihr und leckte zögernd ihre Hand.

„Die kommen nächste Woche. Vorher baut ein Handwerker die neuen Regale auf.“

„Und ihr Mädchen kommt jetzt mit mir rein und stört Miss Wells nicht länger“, sagte Cora ein wenig abgelenkt. Obwohl es erst halb neun war, drängelten sich bereits die Kunden im Curl and Twirl. Gehorsam marschierten die Kinder in den Laden.

Nur Cora blieb noch einen Moment draußen. „Das sollte nicht unhöflich klingen“, sagte sie. „Nur, an solchen Tagen wie heute … na ja, da vermisse ich Julie – meine Tochter – ganz besonders.“

Echo nickte. „Geburtstage und Feiertage sind immer am schlimmsten“, sagte sie leise.

„Es hilft, wenn man beschäftigt ist.“ Die ältere Frau lachte nervös auf. „Bitte sagen Sie, dass ich nicht vergessen habe, Sie heute Abend auf die Geburtstagsparty einzuladen“, flehte sie. „Auf der Ranch, im Haus von Sierra und Travis.“

„Das haben Sie nicht“, beruhigte Echo ihre Geschäftsnachbarin. „Und ich sagte Ihnen, dass ich das Gefühl hätte, zu stören.“

„Unfug“, rief Cora. „Wie wollen Sie Leute kennenlernen, wenn Sie keine Partys besuchen? Avalon kann auch mit, wenn es ihr nichts ausmacht, in meinem Kofferraum zu sitzen. Und Sie könnten sich zwischen die Mädchen quetschen.“

„Ich kann auch in meinem eigenen Wagen hinterherfahren“, sagte Echo.

„Wunderbar. Wir fahren gegen sechs los“, sagte Cora. Dann verschwand sie in ihrem Laden.

Avalon hob den Kopf, stellte die Ohren auf und ließ ihre Zunge heraushängen. Sie sah genauso aus wie auf dem Foto, das Echo am Tag zuvor gemacht und auf mehrere Internetseiten für vermisste Haustiere gestellt hatte.

Ganz plötzlich hatte Echo das Bedürfnis, sich auf den Boden zu werfen und in Tränen auszubrechen. Direkt hier auf dem Gehweg. Weil kleine Mädchen ihre Mütter verloren. Weil ihre Väter zu beschäftigt waren, um zu Geburtstagspartys zu kommen. Weil dieser Hund vielleicht niemandem wichtig genug war, um im Internet nach ihm zu suchen und ihn nach Hause zu holen. Und weil irgendjemand vielleicht genau das tun würde.

3. KAPITEL

Als Avalon sich um punkt sechs Uhr abends standhaft weigerte, ins Auto zu springen, führte Echo sie durch den Laden die Treppe hinauf in ihre Wohnung im ersten Stock. Cora und die Mädchen kamen hinterher.

Mit einem Seufzen legte die Hündin sich auf die Luftmatratze.

„Ob sie vielleicht krank ist?“, fragte Echo Cora besorgt.

Doch Cora lächelte, näherte sich dem Hund und tätschelte seinen Bauch. „Nein. Ich glaube, sie ist schwanger.“

Autor

Linda Lael Miller
Linda Lael Miller wurde als Tochter eines Town Marshalls in Washington geboren. Natürlich wurde sie auch durch den Beruf ihres Vaters in den „Western lifestyle“ hineingeboren, der ihr Leben prägte. Sie verließ Washington und folgte ihrem Fernweh. Sie lebte in Arizona und London (Europa) und reiste rund um die Erde....
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