The Ryders - Millionäre aus Montana (3in1)

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Die Geschwister der wohlhabenen Ryders-Dynastie suchen im Big Sky Country Montana nach der großen Liebe…

VERFÜHR MICH UNDERCOVER!

Eine Story über den Immobilien-Mogul Jared Ryder würde Melissas Karriere als Journalistin retten! Von einer riesigen Ranch aus regiert Jared sein Firmenimperium - und hütet sein Privatleben wie einen Schatz. Nur wenn Melissa undercover bei ihm als "Stallbursche" anheuert, kann sie herausfinden, was er zu verbergen hat. Doch als sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzt, gerät ihr Plan ins Wanken: Hals über Kopf verliebt sie sich in Jared und genießt seine erregenden Küsse. Er beichtet ihr sein Geheimnis, und Melissa muss sich entscheiden: für die Story oder die Liebe ihres Lebens …

KÜSS MICH ÜBER DEN WOLKEN

Der Brillantring funkelt im schummrigen Licht der Bar, aber seltsam - er bedeutet Amber nichts. Und plötzlich weiß sie: Die Verlobung mit ihrem langjährigen Freund Hargrove war falsch. Weg damit! Stattdessen überredet sie den attraktiven Fremden, der sie zu einem Drink eingeladen hat, zu etwas Verrücktem: Noch in dieser Nacht will er mit seinem Jet nach Montana fliegen. Da ist doch sicher noch Platz für sie? Amber wünscht sich einen Urlaub fern von Chicago, um wieder zu sich selbst zu finden. Aber Royce Ryder, Pilot und Playboy, wünscht sich etwas ganz anderes …

WAS FÜR EIN MANN!

Stephanie ist außer sich. Der Finanzexperte ihrer Familie behauptet allen Ernstes, dass ihre geliebten Pferde sie in den Ruin treiben! Trotzdem galoppiert ihr Puls davon, sobald der unwiderstehlich männliche Alec Creighton auch nur in ihre Nähe kommt. Was für ein Mann, denkt sie, denn schon bald schenkt er ihr Stunden voll ungekannter Leidenschaft - bis sich ihre Wege trennen. Ihn zieht es beruflich zurück in die Stadt, Stephanies großes Ziel jedoch ist Olympia. Bis zu jenem Morgen, an dem sie begreift, dass ihre Hormone nicht allein wegen Alec verrücktspielen …


  • Erscheinungstag 03.10.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783745751598
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Barbara Dunlop

The Ryders - Millionäre aus Montana (3in1)

Barbara Dunlop

Verführ mich undercover!

1. KAPITEL

Brandon Langard war gescheitert. Das war das Tagesgespräch in der Redaktion des Magazins Windy City Bizz, die sich im sechsten Stock eines Bürogebäudes befand. Als klarer Favorit für den Posten des Feuilletonchefs hatte Brandon versprochen, ein Interview mit Jared Ryder zu liefern, aber er hatte versagt.

In diesem Augenblick beobachteten Melissa Warner und ihre Kollegen gefesselt die Konsequenzen von Langards Misserfolg. Die Tür zum Büro von Redaktionsleiter Seth Strickland war zwar geschlossen, doch durch das Innenfenster konnten sie ihn brüllen sehen. Seine Augen sprühten vor Zorn, und sein Gesicht war tiefrot angelaufen. Brandon hatte den Kopf eingezogen.

„Die Titelseite war schon fertig“, flüsterte die Fotografin Susan Alaric über ihren Schreibtisch hinweg Melissa zu.

„Ja, weil Brandon geschworen hat, dass die Sache unter Dach und Fach ist“, flüsterte Melissa zurück und dachte daran, wie er in der Woche zuvor mit seinem tollen Auftrag angegeben hatte.

„Dem fehlt es wirklich nicht an Selbstbewusstsein.“ Susan verdrehte die Augen.

Mit seiner Angewohnheit, vor den weiblichen Redaktionsmitgliedern anzugeben und aufdringlich mit ihnen zu flirten, hatte Brandon sich nicht gerade beliebt gemacht.

„Ich war sicher, dass er es schafft“, sagte Melissa. Brandon mochte unausstehlich sein, aber er war auch ehrgeizig und sehr tüchtig. Und er wusste zweifellos, dass ein ausführlicher Bericht über Chicagos pressescheusten Unternehmer und begehrtesten Junggesellen ihm den Posten des Feuilletonchefs gesichert hätte.

Dass Jared Ryder ein Vermögen auf dem Immobilienmarkt von Chicago verdiente, passte in den Wirtschaftsteil des Magazins. Und der Umstand, dass mindestens die Hälfte der weiblichen Bevölkerung Chicagos für ihn schwärmte, würde die Auflage in die Höhe treiben.

Heftig gestikulierend kam Seth nun hinter seinem überladenen Schreibtisch hervor und baute sich vor Brandon auf. Wortfetzen drangen durch die geschlossene Tür: „… inkompetent … unzuverlässig …“

„Autsch!“ Susan duckte sich.

Melissa empfand beinahe Mitleid für Brandon. Aber dann dachte sie daran, wie er vor einem Monat ihr Gespräch mit der „Women in Business Organization“ belauscht und sich die Story unter den Nagel gerissen hatte. Dafür schuldet er mir noch etwas, dachte sie. Und vielleicht bezahlt er gerade jetzt.

Es würde ihm recht geschehen, wenn sie seine Superstory zu ihrer eigenen machte. Warum auch nicht? Seth brauchte das Interview mit Jared Ryder. Und um Feuilletonchefin zu werden, hätte Melissa alles getan.

Seth hatte aufgehört zu brüllen. Er atmete schwer, wie gemeißelt traten seine Kieferknochen hervor. Als Brandon eilig der Tür zustrebte, stand Melissa auf.

Susan deutete Melissas entschlossenen Gesichtsausdruck richtig.

„Tu es“, spornte sie die Kollegin grinsend an. „Oh, bitte, tu es!“

Melissas Herz schlug schneller. Sie schluckte und versuchte, nicht daran zu denken, was es für ihre Karriere bedeuten würde, wenn sie scheiterte.

Doch als Langard die Redaktionsräume verließ, hatte sie ihre Furcht besiegt. Von allen Seiten trafen sie die Blicke ihrer Kollegen, während sie geradewegs in das Büro des Chefs vom Dienst marschierte.

Sie konnten sich natürlich denken, was sie vorhatte. Und vermutlich waren sie schockiert, dass sie nicht wartete, bis Seth sich beruhigt hatte. Seine Wutausbrüche waren gefürchtet. Normalerweise gingen alle Mitarbeiter wohlweislich in Deckung, bis der Sturm sich gelegt hatte.

Melissa klopfte an die Tür, die noch offen stand. „Seth?“

„Was ist?“, bellte er und raschelte mit den Papieren, die auf seinem Schreibtisch lagen.

Ruhig betrat sie das Büro und schloss die Tür hinter sich.

Seths rundes Gesicht war bis zur Stirnglatze hinauf gerötet und glänzte vor Schweiß, das weiße Hemd mit den hochgerollten Ärmeln war zerknittert. Lose baumelte die Krawatte über seinen ausladenden Bauch.

„Ich kann Ihnen das Interview besorgen.“ Melissa kam direkt zur Sache. Mit gestrafften Schultern und durchgedrücktem Rücken stand sie auf acht Zentimeter hohen Absätzen vor ihrem Chef.

„Was für ein Interview?“

„Das mit Jared Ryder.“

„Nein, können Sie nicht.“

„Oh, doch“, entgegnete sie mit dem Selbstbewusstsein einer Frau, die sich gegen fünf ältere Brüder hatte durchsetzen müssen. „Ich kann. Wann ist die Deadline?“

„Ryder hat Chicago heute Morgen verlassen.“

„Kein Problem. Wo ist er?“

Schweigend starrte Seth sie an.

„Ich kriege das hin, Seth.“

„Langard hat von Ryder eine glatte Abfuhr kassiert“, hielt ihr Chef dagegen.

„Ich bin aber nicht Langard.“

„Eben“, pflichtete Seth ihr in einem Ton bei, der deutlich machte, dass sie niemals so gut wie Brandon Langard sein würde. Dann griff er zum Telefon und hämmerte eine Nummer in die Tasten.

„Geben Sie mir eine Chance.“ Melissa trat näher an den Schreibtisch heran. „Es schadet doch keinem.“

„Dafür ist es zu spät.“

„Eine Woche nur.“ Sie versuchte, sich ihre innere Anspannung nicht anmerken zu lassen, cool zu bleiben. „Geben Sie mir eine Woche.“

„Ist Everett zu sprechen?“, bellte Seth ins Telefon.

Everett war der Herausgeber des Windy City Bizz, der große Boss, Herr über Titelseiten und Leitartikel.

„Können wir wenigstens darüber reden?“, drängte sie.

„Es gibt nichts zu reden. Ryder hat sich nach Montana abgesetzt.“

Melissa war überrascht. „Was treibt Jared Ryder in Montana?“ In Butte würde er sicher keinen Wolkenkratzer bauen.

„Er hat sich auf seiner Ranch verkrochen.“

Das hörte Melissa heute zum ersten Mal. Ryder besaß eine Ranch? Sicher, es gab Gerüchte, dass er einmal Cowboy gewesen war. Doch genauso wurde er als ehemaliger Spion verdächtigt.

„Sie wussten nichts von der Ranch?“ Seth reagierte herablassend auf ihre offensichtliche Verwirrung, die ihn mit Genugtuung zu erfüllen schien. „Der Grundstein des gesamten Ryder-Konzerns. Wie wollen Sie meinen Kopf retten, wenn Sie keine Ahnung haben?“

„Weil ich es tun werde“, behauptete Melissa fest. Dass sie zufällig nie von der Ranch gehört hatte, hieß noch lange nicht, dass sie kein Interview bekommen würde. „Ich werde nach Montana fliegen.“

„Er hasst die Presse. Und das Bizz ganz besonders. Er wird Sie sofort von seinem Grund und Boden verjagen …“ Seth wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Telefon zu. „Everett?“

„Ich schaffe das.“ Ja, das würde sie, wenn sie die Chance dazu bekäme … die ihr aber gerade zu entgleiten drohte.

„Es gibt ein Problem“, sagte Seth zu Everett.

„Ich schleuse mich auf der Ranch ein“, brachte sie gepresst hervor. „Ich arbeite verdeckt. Ich werde Ihnen die Story liefern.“

Seth konzentrierte sich auf das Telefonat. „Es geht um das Interview mit Ryder.“ Während er Everett zuhörte, der sein Missfallen offenbar deutlich zum Ausdruck brachte, lief sein Gesicht noch dunkler an.

Sie gab nicht auf. „Habe ich Sie jemals enttäuscht?“ Nein, habe ich nicht. Aber ich habe auch noch nie eine so große Sache angepackt. Egal, ich kriege das hin!

„Ja, klar.“ Seths Miene verdüsterte sich.

„Bitte.“ Melissa beugte sich eindringlich vor. „Ich bezahle das Flugticket selbst.“

Jetzt war es Seth, der den Kopf einzog. „Langard war der Beste, den …“

Während Everett am anderen Ende der Leitung tobte, suchte Melissa verzweifelt nach neuen Argumenten.

„Ich bin mit Pferden aufgewachsen“, platzte sie heraus. Na ja, mit einem Pferd, um genau zu sein. Es hatte auf einer Wiese am Stadtrand gestanden, gegenüber dem Haus, in das ihre Familie gerade eingezogen war. Sie hatte es Midnight genannt. „Ich werde …“

Seth warf ihr einen warnenden Blick zu.

„… auf der Ranch arbeiten.“

Er legte seine Hand über die Sprechmuschel. „Ist Ihnen bewusst, mit wem ich hier rede?“

Sie nickte beklommen.

„Raus jetzt!“

„Aber …“

„Raus!“

Melissa presste die Lippen aufeinander. Seths Augen funkelten vor Zorn, als er sich wieder Everett zuwandte. „Dann nehmen wir eben die Cooper-Story auf die Titelseite.“

Für den Bruchteil einer Sekunde wollte Melissa weiterdiskutieren. Doch Mut war eine Sache, Dummheit eine andere. Sie wagte nicht, Seth noch mehr zu bedrängen. Das wäre gar nicht klug.

Also trat sie notgedrungen den Rückzug an. Die Stimme ihres Chefs war jetzt bis in die Redaktion zu hören. „Ich werde sofort einen Fotografen darauf ansetzen.“

Melissa wich den Blicken ihrer Kollegen aus, während sie zu ihrem Schreibtisch ging.

„Susan!“, brüllte Seth in gewohnt cholerischer Manier.

Susan warf Melissa einen mitleidigen Blick zu. Dann stand sie auf und ging in Seths Büro.

Niedergeschlagen ließ Melissa sich auf ihren Stuhl sinken und starrte auf die hüpfenden bunten Bälle ihres Bildschirmschoners. Sie hätte dieses Interview bekommen. Sie wusste, sie hätte es geschafft.

„Lorne Cooper kommt auf die Titelseite“, berichtete Susan, als sie sich wieder auf ihren Stuhl gleiten ließ.

Resigniert nickte Melissa. „Der König der Sportausrüster.“ Er eröffnete gerade einen Megastore auf der Murdoch Street, und um das Ereignis zu feiern, sponserte „Cruisin’ Cooper“ ein Radrennen. „Der Artikel ist fertig, er muss nur überarbeitet werden.“

Melissa beugte sich über die Tastatur und traf versehentlich die Leertaste. „R. J. Holmes hat ihn geschrieben.“ In ihrer Stimme lag eine Spur von Selbstmitleid. R. J. gehörte noch nicht lange zum Team und lieferte schon eine Titelstory, etwas, was ihr selbst noch nicht gelungen war.

„Seth war wohl nicht in der Stimmung, Brandon zu schonen.“

„Oder mich.“ Seufzend öffnete Melissa eine Suchmaschine auf dem Bildschirm.

„Was hast du geschrieben?“, wollte Susan wissen.

„Die Myers AG und die Fusion von Briggs.“

Susan schwieg.

„Ich weiß“, seufzte Melissa und stocherte auf der Tastatur herum. „Noch langweiliger als Cooper.“ Keine der üblichen Geschichten würde ihr zum ersehnten Aufstieg verhelfen. Es gab nur eine Story, die ihrer Karriere Auftrieb geben konnte.

Sie löschte die Buchstaben, die sie versehentlich eingegeben hatte, und tippte „Jared Ryder“ in die Suchmaschine ein. Im Bruchteil einer Sekunde öffnete sich eine Liste, auf der die Homepage von „Ryder International“ auftauchte, eine Rede von Jared vor der Handelskammer, die Kontaktdaten für sein neues Bürohochhaus und ein Link zur Ryder-Ranch. Neugierig klickte sie darauf.

Auf dem Bildschirm erschien ein sattgrünes Panorama von Bäumen, Wiesen und sanften Hügeln unter einem türkisblauen Himmel, und wie ein hellblaues Band schlängelte sich ein Fluss durch die Landschaft. Beinahe streifte der Wasserlauf ein zweistöckiges Haus mit rotem Dach, das von Viehweiden und Nebengebäuden umgeben war.

Das also war Montana.

Eine Reihe von Miniaturbildern säumte den unteren Rand des Bildschirms. „Natürliche Schönheit“, warb ein Bildtext. „Glacier National Park.“

Susan fuhr ihren Computer herunter, stand auf und warf ihre drei Kameras über die Schulter. „Ich muss los.“

„Viel Spaß“, sagte Melissa und klickte auf ein Bild, auf dem Wildblumen in verschwenderischer Fülle um die Wette leuchteten. Rot, violett, gelb und weiß und einfach wunderschön.

Ein schadenfrohes Lächeln um die Lippen, stieß Susan mit der Hüfte eine Schublade zu. „Spaß werde ich haben. Heute Fotoshootings, Freitagabend eine Gala, und beim Radrennen fliege ich im Hubschrauber von Channel Ten mit.“

„Ach, sei still“, meinte Melissa missgestimmt, als Susan sich um die Ecke ihres Schreibtisches schob.

Sie selbst würde für den Rest der Woche in dem stickigen Büro hocken und die Protokolle städtischer Ausschüsse nach Material für eine halbwegs interessante Wirtschaftsstory durchsuchen. Na, super.

„Was ist das?“ Susan deutete mit einer Kopfbewegung auf den Bildschirm.

Melissa konzentrierte sich wieder auf das frische Grün und die leuchtenden Blumen. „Montana. Wo ich jetzt wäre, wenn Seth ein Herz hätte.“ Oder ein Hirn.

„Nicht mein Fall“, winkte Susan ab und setzte sich eine fesche, karierte Kappe auf die braunen Locken.

„Meiner auch nicht“, gab Melissa zu. Mit einer Hand hielt sie ihr glattes blondes Haar im Nacken zusammen, um sich trotz der schwachen Klimaanlage Kühlung zu verschaffen. „Aber um Jared Ryder zu treffen, würde ich hinfliegen.“

„Dann tu es doch“, forderte Susan sie auf.

„Quatsch!“

„Warum denn nicht?“

Melissa drehte sich um und blickte ihrer Kollegin direkt ins Gesicht. „Weil Seth es mir gerade verboten hat.“

„Erzähl ihm einfach, dass du die Protokolle zu Hause durchsiehst. Und dann steigst du in den Flieger.“

Tolle Idee! „Ich soll also meinen Boss anlügen und seine Anweisungen missachten?“

„Er wird dir verzeihen, wenn du ihm die Story lieferst.“ Susan lächelte verschwörerisch. „Vertrau mir.“

Melissa ließ ihren Haarschopf wieder los. Die Idee war wirklich absurd.

Doch ihre Kollegin ließ nicht locker. Sie beugte sich vor und flüsterte: „Wenn du es nicht tust, tut es jemand anders.“

„Wenigstens ist dieser andere nicht Brandon.“

„Läuft auf dasselbe hinaus.“

„Nach Montana zu fliegen, kann mich meinen Job kosten“, gab Melissa zu bedenken.

„Oder deine Karriere voranbringen.“

„Du hast gut reden.“

Mit einem Ruck brachte Susan ihre Kameras in eine bequemere Position und schob ihre Kappe zurück. „Ganz wie du willst. Aber denk dran: no risk, no fun – kein Gewinn ohne Risiko. Meinen größten Erfolg hatte ich an dem Tag, als Rowdys im Lincoln Park die Löwen freiließen.“

„Das war wirklich verrückt.“ Melissa schmunzelte.

Susan hatte an den Ästen einer Eiche gebaumelt, und unter ihr strich ein hungriger Löwe entlang, bis der städtische Tierschutzbeauftragte ihn mit einem Bolzenschuss betäubte. „Willst du etwa behaupten, dass ich nur dann genug Einsatz zeige, wenn ich mich in Lebensgefahr begebe?“

Beschwichtigend klopfte Susan Melissa auf die Schulter. „Ich behaupte, dass du nicht genug Einsatz zeigst, wenn du dir nicht den Job an Brandons Stelle schnappst.“

Susan zwinkerte ihr zu und schlenderte zur Tür hinaus, während Melissa unruhig mit den Fingern auf ihren Schreibtisch trommelte.

Sie betrachtete die Bilder der Ranch in Montana. Dann wanderte ihr Blick zu dem geräumigen Glaskasten, der für den neuen Feuilletonisten reserviert war. Was Seth wohl für ein Gesicht machen würde, wenn er von ihrem großen Coup erfuhr?

Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihren Namen auf der Titelseite des Bizz und stellte sich vor, wie sie im Januar in ihrem schicken kleinen Schwarzen den Prentice Award entgegennehmen würde.

Das hast du davon, Brandon Langard.

Ihr Leben wäre perfekt. Und alles, was sie dafür tun musste, war, sich Zugang zu Ryders Ranch zu verschaffen.

2. KAPITEL

Entspannt saß Jared Ryder im Sattel und führte seinen Hengst Tango im Schritt über die Holzbrücke, die zum Haus seiner Schwester Stephanie führte. Der Springparcours war auf dem Bonaparte Plateau errichtet worden. Das Land, eingebettet in den Hügeln etwa zehn Meilen von der breitesten Stelle des Spirit Lake entfernt, gehörte Ryder.

Tangos Ohren zuckten, und er spannte seine Muskeln an, als er die Pferde sah, die ringsum auf den Wiesen grasten und in den Pferchen umherliefen, die um den Reitplatz angeordnet waren.

Auch Jared war nervös. Der vertraute Anblick der Ranch bot dieses Mal nicht wie üblich Zuflucht, sondern er rief eine Flut von unguten Erinnerungen in ihm hervor. Gleichzeitig erfasste ihn eine Welle von Ärger.

Am liebsten hätte er in dieser Woche einen großen Bogen um die Ranch gemacht, doch seine Schwester Stephanie brauchte ihn. Außerdem gab es auch in Chicago Probleme.

Ryder International hatte gerade einen langfristigen Vertrag mit der Stadt Chicago abgeschlossen. Die Kommune hatte Räume in dem Büroturm angemietet, den der Konzern auf der Washington Street baute. Seitdem bestand der Bürgermeister darauf, Jared auf Wohltätigkeitsbällen und Vernissagen vorzuführen.

Inzwischen war er so oft in der Öffentlichkeit erschienen, dass die Boulevardblätter sich das Recht herausnahmen, Fotos von ihm zu schießen und ihm ihre Mikrofone vors Gesicht zu halten.

Es war frustrierend. Er war Geschäftsmann, kein Politiker oder Promi. Sein Privatleben ging niemanden etwas an. Und der Reporter vom Windy City Bizz, der Montagnacht vor Jareds Haus gelauert hatte, hatte das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht.

Nachdem Jared ihm ausgewichen und in die Stadt zurückgefahren war, hatte er das erste Mal ernsthaft über eine einstweilige Verfügung nachgedacht. Oder vielleicht sollte er in Zukunft nur noch verkleidet das Haus verlassen?

Bevor er sich weiter mit diesem unerfreulichen Thema beschäftigte, musste er zunächst die Dinge zu Hause in Montana in Ordnung bringen.

Als er auf dem Reitplatz eintraf, erregte sein Erscheinen sofort die Aufmerksamkeit der Gruppe von Reitern, die sich dort aufhielten. Gleich darauf entfernte sich einer von ihnen mit seinem Pferd von den anderen, um ihm auf dem staubigen Weg unter der Julisonne entgegenzutraben. Jared beobachtete, wie Pferd und Reiter Nebengebäude und karge Bäume hinter sich ließen.

„Der verlorene Sohn ist zurück!“, rief seine zweiundzwanzigjährige Schwester Stephanie zur Begrüßung und brachte ihre Stute in einer Staubwolke zum Stehen.

Unter der Reitkappe schaute ihr lächelndes, sommersprossiges Gesicht hervor. Ihre langen Beine steckten in engen Reithosen und hohen glänzend-braunen Stiefeln. Dazu trug sie eine locker sitzende hellbraune Bluse. Das widerspenstige kastanienbraune Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden.

„Du verwechselst mich wohl mit Royce“, erwiderte Jared und betrachtete sie genauer. Seine Schwester wusste zwar nicht, was er wusste, doch der Tod ihres Großvaters vor drei Monaten hatte sie alle erschüttert.

Er zügelte Tango, der argwöhnisch die Stute beäugte.

„Royce kommt wenigstens zu meinen Turnieren“, schmollte Stephanie. Sie stellte sich in den Steigbügeln auf. „Er war letzte Woche hier und hat gesehen, wie ich in Spruce Meadows gewonnen habe.“

„Er lebt ja auch im Flugzeug“, konterte Jared, um sich zu verteidigen. Sein Bruder Royce pendelte ständig zwischen New York, London und Rom hin und her, um Firmen ausfindig zu machen, die er für den Ryder International Konzern aufkaufen konnte. „Ich dagegen wohne in einer Vorstandsetage.“

„Du armer Junge“, neckte Stephanie ihn.

Sie lächelte zwar, doch Jared entging nicht die Traurigkeit in ihren silberblauen Augen. Stephanie war beim Tod ihrer Eltern erst zwei Jahre alt gewesen, und Grandpa war der einzige Mensch gewesen, der sie annähernd ersetzen konnte.

„Gratuliere“, sagte Jared, und seine Stimme klang sanft. Er bemühte sich, seine Verärgerung zu unterdrücken. Die Bedürfnisse seiner Schwester gingen vor.

Er selbst war fünfzehn gewesen, als er seine Eltern verloren hatte, und er hatte nicht unerheblich zu Stephanies Erziehung beigetragen. Auf ihre Erfolge als Reiterin und Trainerin war er ungeheuer stolz.

„Danke.“ Sie beugte sich vor, um Rosie-Jo, ihrem grauen Hannoveraner Champion, den Hals zu tätscheln. Jared war der verräterische Glanz in ihren Augen natürlich nicht entgangen.

„Willst du unseren Pokal sehen?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Na klar“, antwortete er. Später war noch genug Zeit, um über ihren Großvater zu reden.

„Bis zum Meeting bleiben uns noch ein paar Stunden.“ Stephanie atmete hörbar ein, straffte die Schultern und schüttelte entschlossen die Traurigkeit ab. Sie lenkte ihr Pferd neben Jareds.

Gemeinsam ritten sie auf das zweistöckige Farmhaus mit dem blauen Giebel zu.

Das Jahrestreffen des Genevieve-Gedächtnisfonds, der nach ihrer Mutter benannten Wohltätigkeitsstiftung, würde heute stattfinden. Wie jedes Jahr fiel es auf den Todestag ihrer Eltern. Erneut fühlte Jared Bitterkeit in sich aufkeimen, doch er musste seine Gefühle hinunterschlucken und sich wie ein Mann verhalten. Es war sinnlos, die Illusionen seiner jüngeren Geschwister zu zerstören.

„Und ich habe dich letzte Woche in einer Chicagoer Tageszeitung gesehen“, verkündete Stephanie, nachdem sie den Fluss überquert hatten.

„Nein, das war der Bürgermeister“, erwiderte Jared. Er hatte sich, so gut es ging, hinter dem korpulenten Mann versteckt.

„Aber unter dem Foto steht dein Name.“

„Das liegt nur am Sommerloch.“ Missgestimmt dachte er an das Blitzlichtgewitter vor der Galerie und an die absurden Fragen der Reporter, als er Nadine geholfen hatte, in den Wagen zu steigen.

Stephanie musterte ihn forschend, ihre Stimme klang eindeutig neugierig. „Ach, und wer ist sie?“

„Wer ist wer?“ Jared zog es vor, so zu tun, als wüsste er nicht, worauf seine Schwester hinauswollte. Sie war in einem männlich geprägten Haushalt aufgewachsen, und seitdem sie sieben Jahre alt war, versuchte sie ständig, irgendjemanden dazu zu bringen, irgendeine nette Frau zu heiraten. Kuppeln schien ihr eine richtige Leidenschaft geworden zu sein.

„Na, die Sexbombe da neben dir auf dem Bild.“

„Ich hatte ein Date mit ihr“, erwiderte Jared einsilbig, verzichtete auf weitere Erklärungen.

„Und?“, fragte seine Schwester ungeduldig nach.

Er spannte sie noch ein wenig länger auf die Folter, bevor er sich zu einer Antwort bequemte. „Und sie heißt Nadine Romsey. Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss, aber sie ist keine Sexbombe. Sie ist Anwältin bei Comcoe Newsome.“

Stephanies Neugier war ungebrochen. „Gutes Aussehen und Grips. Eine perfekte Kombination. Ist es etwas Ernstes?“

„Die Verabredung war rein geschäftlich. Der Bürgermeister hat mich zu einer Party eingeladen, und es waren Leute dort, die Nadine treffen wollte.“

„Aber sie ist so hübsch.“ Stephanie schmollte wieder.

„Du bist eine heillose Romantikerin.“

„Gehst du noch mal mit ihr aus?“

„Nur, wenn sie sich wieder auf eine Party schmuggeln muss.“ Zwar bewunderte er Nadine, doch er hatte nicht das geringste Interesse an ihr als Frau.

Frustriert presste seine Schwester ihre Lippen aufeinander. „Hast du sie etwa schon abgeschrieben? Du wirst nie eine Frau finden, wenn du dich nicht ins Leben stürzt und …“

„Ich bin vierundzwanzig Stunden am Tag und sieben Tage die Woche da draußen, kleine Schwester“, unterbrach er sie. Mit einer weit ausholenden Geste fügte er hinzu: „Damit bezahle ich all das hier, nur zu deiner Information.“

Stephanie reckte ihre niedliche Stupsnase in die Luft. „Das Ryder Equestrian Center hat im letzten Jahr eine Million Dollar eingebracht.“

Jared lachte schnaubend. „Und vier Millionen hast du dafür ausgegeben!“

„Dafür hat der Konzern es oft genug für Werbezwecke benutzt, um sein Image aufzupolieren. So etwas ist unbezahlbar!“

„Das hast du vor dem Spiegel geübt, stimmt’s?“, gab er vergnügt zurück.

„Bruderherz, du solltest endlich heiraten.“

„Bist du nicht ein bisschen zu alt, um dir eine Mutterfigur zu wünschen?“

„Eher eine Schwester. Ich hoffe, du heiratest eine lustige junge Frau. Die Pferde mag“, fügte sie zur Sicherheit hinzu und trieb ihre Stute an.

Jared schüttelte den Kopf. Die Enthüllung seines Großvaters auf dem Sterbebett, die Medien und die Befürchtungen seines Steuerberaters, dass Ryder International zu schnell expandierte, beanspruchten Jareds ganze Energie. Für eine Liebesaffäre fehlten ihm einfach Zeit und Kraft.

Als er Stephanie durch die offene Tür in einen Stall folgte, überlief ihn plötzlich ein elektrisierendes Prickeln. Abrupt drehte er sich um und begegnete dem Blick einer blonden, grünäugigen Schönheit, die mitten im Haupttor stand. Sie trug Jeans und eine blütenweiße Bluse. Mit beiden Händen hielt sie eine Mistgabel umklammert.

Schnell wandte sie den Blick ab, doch die Alarmglocken in seinem Innern schrillten bereits.

Was war das?

Er betrachtete sie genauer.

Make-up. Zwar sehr dezent, aber sie trug welches. Und er hätte gewettet, dass die blonden Strähnchen nicht die Sonne, sondern der Friseur in ihr Haar gezaubert hatte. Ihre Hemdbluse war sorgfältig gebügelt, und die Hände, die die Mistgabel hielten, wirkten weich wie die einer typischen Städterin. Sie trug keine Handschuhe.

„Wer ist das?“, fragte er seine Schwester.

Stephanie drehte sich um und folgte seinem Blick. „Warum? Findest du sie hübsch?“

Die Frau sah fantastisch aus. Aber darum ging es nicht.

„Ich glaube, sie ist eine blutige Anfängerin.“

„Sie heißt Melissa … irgendwie. Webster, wenn mich nicht alles täuscht. Soll ich dich vorstellen?“ Wieder lag dieses mutwillige Glitzern in Stephanies Augen.

„Lass das“, befahl Jared barsch.

Was seine Schwester nicht weiter beeindruckte. Sie hörte nicht auf zu grinsen.

„Du sollst erfahrene Mitarbeiter einstellen. Wir verpulvern hier schon genug Geld.“

„Na ja, sie brauchte einen Job“, erklärte Stephanie. „Sie kommt übrigens aus Indiana.“

Jared schaute zu, wie die Frau ungeschickt einen Haufen Pferdemist vom Bretterboden in eine Schubkarre schaufelte. „Ach, und wenn sie eine Million Dollar bräuchte, würdest du ihr die wohl auch geben?“

„Sie hat aber nicht nach einer Million Dollar gefragt. Sie will nach Seattle. Und braucht Geld für das Busticket.“

„Stellst du jetzt schon Durchreisende ein?“

„Nun komm mal wieder runter! Sie mistet doch nur unsere Ställe aus und unterschreibt keine Firmenschecks!“

„Über Unterschlagung mache ich mir keine Sorgen, eher über die Kosteneffizienz.“

Irgendetwas stimmte hier nicht. Welche Frau, die sich die Nägel lackierte, arbeitete im Stall, um ein Busticket bezahlen zu können?

Vielleicht ist sie vor etwas auf der Flucht, überlegte er. Oder vor jemandem. Einem Exfreund? Der wütenden Ehefrau eines Lovers? Hoffentlich nicht vor dem FBI …

Aufmerksam betrachtete er ihr fein geschnittenes Profil. Wie eine Kriminelle sah sie nicht aus. Jetzt nahm sie den nächsten Misthaufen in Angriff, und ihre zarten Hände rutschten über den hölzernen Griff der Forke.

„Sie wird Blasen an den Fingern bekommen“, stellte Jared nüchtern fest.

„Willst du ihr ein Paar Handschuhe spendieren?“

„Jedenfalls sollte sie welche tragen.“ Wenn sie ihr schon einen Job gaben, würden sie auch dafür sorgen müssen, dass sie sich nicht verletzte.

„Hey, Melissa!“, rief Stephanie.

Die Frau blickte auf.

„Hol dir Handschuhe aus dem Lagerraum.“

Verwundert betrachtete sie ihre Hände.

„Sie hat wirklich keine Ahnung“, erklärte Jared in einer ungewohnten Anwandlung von Mitgefühl. Vielleicht lief sie tatsächlich vor einem wütenden Ex davon. Schnell verbot er sich diese Gedanken. Es ging ihn nichts an.

„Bist du sicher, dass ich euch nicht bekannt machen soll?“, flötete Stephanie mit einem kessen Seitenblick zu ihrem Bruder.

Anstatt zu antworten, zog Jared an Tangos Zügel und schlug die Richtung zum Haus ein. „Was ist, zeigst du mir jetzt deinen Pokal oder nicht?“

Während sie sich entfernten, schaute Jared ein letztes Mal über die Schulter zurück. Die Frau namens Melissa hielt die Mistgabel in der Armbeuge, um die Finger in die steifen Lederhandschuhe zu zwängen. Dabei rutschte die Forke ab und fiel polternd auf den Bretterboden.

Das Geräusch erschreckte ein Pferd. Das Pferd erschreckte die Frau. Sie trat auf die Mistgabel und landete mit einem Knall auf ihrem Po.

Und wieder trafen sich ihre Blicke. Diesmal amüsierte er sich, und sie wirkte verärgert.

Achselzuckend drehte Jared sich um, doch er dachte noch an das Funkeln in ihren smaragdgrünen Augen, als er Stephanie zur Pferdestange vor dem Haus folgte.

3. KAPITEL

Die Prellung auf Melissas linker Pobacke verursachte am Abend zum Glück nur noch ein dumpfes Pochen.

Während sie die letzten Strohhalme vom Stallboden fegte, bemerkte sie, dass ein Bentley vor dem Farmhaus anhielt. Auch der Staub auf dem glänzenden schwarzen Lack schmälerte nicht die Imposanz des majestätischen Gefährts. Der Chauffeur, der jetzt diensteifrig vom Fahrersitz sprang, trug eine frische Uniform und wirkte auch sonst wie aus dem Ei gepellt.

Melissa trat unter das Eingangstor und wartete auf den Griff ihres Besens gestützt, wer auf der Beifahrerseite aussteigen würde.

Es war ein vornehmer älterer Mann, der einen maßgeschneiderten Anzug trug. Er war groß und hatte dichtes silbergraues Haar. Höflich nickte er dem Chauffeur zu und erklomm die Stufen zur Veranda, wo Stephanie und Jared ihn in Empfang nahmen.

Der Fahrer schloss die Wagentür und ließ neugierig den Blick über das Gelände schweifen, bevor er den Kofferraum öffnete.

Melissa versuchte, ins Innere des Hauses zu spähen, doch sie konnte nicht erkennen, was dort geschah. Vermutlich war der Mann ein Freund oder Geschäftspartner.

Andererseits war das Haus von Ryders Schwester ein ungewöhnlicher Ort für ein geschäftliches Meeting … es sei denn, es sollte unbemerkt bleiben.

Gab es da etwas, was Ryder International verheimlichen wollte?

Wie zuvor der Chauffeur, verfolgte nun Melissa neugierig das Treiben auf dem Hof. Unter den Augen ihrer Trainer absolvierten junge Reiter ein Sprungtraining. Stallburschen luden Heu auf den Pritschenwagen neben der Scheune, und drei Cowboys trieben mit ihren Border Collies ein paar Pferde über den Fluss. Niemand schenkte dem Bentley die geringste Beachtung.

Dann fuhr ein weiteres Fahrzeug auf das Haus zu, ein Geländewagen, der zwar wuchtiger war, aber genauso luxuriös wie der Bentley wirkte.

Ein Mann in den Dreißigern mit Sonnenbrille und lockigem dunklen Haar stieg aus. Er sah südländisch aus, und offensichtlich war er kein Chauffeur. Der Mann trug Slipper und perfekt sitzende Jeans, ein offenes weißes Hemd und ein dunkles Jackett. Auch er grüßte den Fahrer des Bentleys höflich, bevor er mit großen Schritten die Stufen zur Veranda nahm.

Nun war Melissas professionelle Neugier erwacht. Sie lehnte den Besen an die Wand und überquerte den Hof. Es war beinahe Essenszeit, und der Bentley stand ungefähr in der Richtung, in der auch das Küchenhaus lag. Sollte jemand fragen, konnte sie ihre Anwesenheit plausibel erklären.

Zu ihrer großen Enttäuschung hatte sie keinen Job unten auf der Hauptranch bekommen. Als der Vorarbeiter dort hörte, dass sie eine mittellose Reisende war, hatte er sie sofort weggeschickt.

Wie der Zufall es wollte, hatte auch Stephanie Ryder sich zu dem Zeitpunkt dort aufgehalten. Die junge Frau hatte Mitleid gezeigt und Melissa einen Job im Ryder Equestrian Center angeboten.

Seitdem grübelte Melissa ununterbrochen darüber nach, wie sie doch noch auf die Ranch gelangen könnte.

So viel zum Thema Glück.

Davon brauchte sie nun jede Menge. Sie schenkte dem Fahrer ein strahlendes Lächeln und wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab. Melissa wünschte, sie wäre nicht so staubig und schweißgebadet und trüge etwas anderes als Jeans und eine inzwischen eher graue als weiße Bluse.

„Tolles Auto“, bemerkte sie beiläufig im Näherkommen und ließ einen entsprechend anerkennenden Blick folgen.

Der Fahrer schlug den Kofferraumdeckel zu und betrachtete den Bentley kritisch. „Besser staubig als voller Schlamm.“

Er war etwa in Melissas Alter, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, ein attraktiver blonder Naturbursche mit einer geraden Nase und einem schmalen Kinn. Sein Aussehen war sehr gepflegt, er war sorgfältig rasiert, sein Haar sauber geschnitten.

Melissa verlangsamte ihre Schritte, registrierte das Nummernschild aus Montana. Rasch prägte sie sich die Zahlen ein. „Hatten Sie eine lange Fahrt?“, fragte sie freundlich.

„Ein paar Stunden von Helena aus.“

Helena. Okay. Das ist ein Anfang. „Arbeiten Sie dort?“

„Seit drei Jahren.“

Sie schwieg einen Moment in der Hoffnung, dass er mehr über seinen Job erzählen würde.

„Zum ersten Mal auf der Ryder Ranch?“, bohrte sie weiter, als von seiner Seite nichts kam.

Er nickte eifrig. „Hab natürlich schon davon gehört. Jeder in Montana kennt die Ryders.“

„Ich stamme aus Indiana.“

„Bin selber in der Nähe von Butte aufgewachsen.“ Wieder betrachtete er kritisch den Staub, der das Auto bedeckte. „Gibt es hier irgendwo einen Schlauch?“

Melissa zuckte gleichgültig die Achseln. „Sie treffen in Ihrem Job bestimmt interessante Leute, stimmt’s?“

„Ja, manchmal“, sagte er nur und ließ den Blick suchend über das Grundstück schweifen. In der Ferne wieherte ein Pferd, ein Traktor dröhnte.

Noch gab Melissa nicht auf. Sie ging einen Schritt auf ihn zu, warf in einer sinnlichen Geste ihr Haar zurück. Verlegen blickte er zu Boden. Touché.

Sie beschloss, eins draufzusetzen, und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Mit verschwörerisch gesenkter Stimme gurrte sie: „Es ist mir ein bisschen peinlich, aber müsste ich den Mann kennen, den Sie hier abgesetzt haben?“

Schweigend blickte der Fahrer Melissa wieder an. Er schluckte hart, die Haut unter dem Kragen seiner Uniform war gerötet.

„Ich frage nur“, fuhr sie fort und neigte den Kopf zur Seite, „weil ich nicht möchte …“

Seine Kiefer mahlten. Melissa hielt sich zurück, wartete gespannt auf eine Antwort, doch er brachte keinen Ton heraus.

Plötzlich merkte sie, dass der Fahrer nicht sie fixierte, sondern eine Stelle über ihrer linken Schulter. Ihre Kopfhaut begann zu prickeln.

Als sie sich zur Seite wandte, blickte sie Jared Ryder direkt ins Gesicht.

Seine Verärgerung war ihm deutlich anzusehen. Irgendetwas musste ihn ziemlich verstimmt haben.

Er war größer, als sie ihn in Erinnerung hatte, die tiefblauen Augen und das markante Kinn ließen ihn sehr gebieterisch, fast ein bisschen Angst einflößend aussehen. Seine Schultern waren breit, er wirkte muskulös und durchtrainiert. Die Ärmel seines Hemds hatte er halb hochgekrempelt, sodass seine sehnigen Unterarme zu sehen waren. Seine Haut war tief gebräunt, sein Blick eindringlich.

„Weil Sie was nicht möchten?“, fragte er Melissa herausfordernd.

Ihr fiel keine Antwort ein.

Aus dunkelblauen Augen musterte Jared nun den schweigsamen Fahrer. „Im Küchenhaus gibt es Kaffee“, sagte er und zeigte ihm mit einem Kopfnicken die Richtung.

Ohne zu zögern, setzte sich der Mann in Bewegung.

Jareds Ton wurde härter, als sich sein Zorn jetzt ganz auf Melissa richtete. „Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie das Flirten auf Ihre Freizeit beschränken.“

„Ich …“ Was sollte sie sagen? Dass sie nicht flirtete? Oder gar, dass sie hier ungehemmt herumspionierte?

„Es tut mir leid“, brachte sie heraus. Ihre Stimme klang belegt.

Jared taxierte sie so kritisch, dass sie froh war, nicht wirklich seine Angestellte zu sein.

„Ich habe keine Ahnung, warum Stephanie Ihnen den Job gegeben hat“, meinte er schließlich vernichtend.

Melissa wusste nicht, ob er überhaupt eine Antwort von ihr erwartete. Egal. Sie war fest entschlossen, die Gelegenheit, mit ihm allein zu sprechen, nicht ungenutzt verstreichen lassen.

„Sind Sie Stephanies Bruder?“, erkundigte sie sich harmlos, als hätte sie nicht längst alle Berichte im Internet über ihn gelesen.

„Sie behauptet, dass Sie mit Pferden aufgewachsen sind“, erwiderte er, anstatt ihre Frage zu beantworten.

„Das stimmt.“ Melissa nickte bestätigend.

Sie deutete auf die Koppeln im Norden der Ranch. „Und Sie sind offensichtlich mit sehr vielen Pferden groß geworden.“

„Um meine Qualifikationen geht es hier nicht.“

„Und mit meinen schien Stephanie zufrieden zu sein.“ Tapfer kämpfte Melissa ihre Nervosität nieder. „Ich habe gestern das Hauptgebäude gesehen. Das Haus, das Ihre Großeltern gebaut haben. Sind Sie auf der Ranch geboren?“

Ein Muskel in seiner Wange zuckte. „Da Sie offenbar nichts zu tun haben, bringen Sie bitte mein Pferd zu der Koppel am Flussufer. Die mit dem roten Gatter.“

„Klar“, sagte Melissa schnell.

„Er heißt Tango.“ Jared zeigte auf die Weide, die auf der anderen Seite des Wendekreises am Ende der Auffahrt lag. Ein schwarzer Hengst tänzelte am Zaun entlang. Das Pferd trug den Kopf hoch und schüttelte stolz seine Mähne.

Bei seinem Anblick bekam Melissa weiche Knie.

„Sie können ihn satteln“, fuhr Jared fort. „Aber es geht auch ohne.“

Ungesattelt? Sie schluckte. Nicht, dass ein Sattel die Sache besser gemacht hätte.

„Melissa?“

Okay, Zeit, zu verschwinden. Vergiss das Interview. „Ich … äh …“, stammelte sie. „Mir … äh … fällt gerade ein … meine Schicht ist zu Ende.“

Er runzelte die Stirn. „Seit wann haben wir Schichtdienst?“

„Ich meine nur …“ Sie blinzelte ihn an. Was um Himmels willen hatte sie da eben gesagt?

Theatralisch rieb sie über die Prellung auf ihrer linken Pobacke und zuckte mit schmerzverzerrter Miene zusammen. „Ich bin hingefallen. Vorhin. Ich fühle mich noch ganz steif und wund.“

„Zu steif, um aufs Pferd zu steigen?“ Es war deutlich, dass er ihr nicht glaubte.

„Na ja, ich bin etwas eingerostet.“ Sie machte ein zerknirschtes Gesicht. „Ich bin eine Weile nicht geritten.“

Mit leicht zur Seite geneigtem Kopf musterte er sie vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen. „Es ist so einfach wie Radfahren.“

Ja, klar.

„Das Zaumzeug hängt auf dem dritten Ständer. Und lassen Sie ihn nicht die Luft anhalten, wenn Sie den Sattelgurt einstellen.“

Lieber wäre sie im Lincoln-Park auf Löwenjagd gegangen. „Ich kann wirklich nicht …“

„Wir feuern Leute, die ihren Job nicht machen“, sagte Jared mit warnendem Unterton.

Melissa schwieg. Wenn er sie entließ, konnte sie sich den Artikel und ihren Aufstieg abschminken. Und falls Seth herausfand, wo sie gewesen war, konnte sie sich auch gleich von ihrem Job beim Bizz verabschieden.

„Bitte tun Sie das nicht“, bat sie ihn aufrichtig.

Aufmerksam blickte Jared sie an. Er machte einen Schritt auf sie zu, forderte sie mit gesenkter Stimme auf: „Nennen Sie mir einen Grund, der dagegenspricht.“

„Ich arbeite hart“, behauptete sie, ohne zu zögern.

„Im Augenblick nicht“, stellte er fest.

„Es ist schon sechs Uhr.“

„Auf der Ryder-Ranch gibt es keinen geregelten Arbeitstag.“

„Ich weiß.“

Unmerklich war er noch näher gekommen. Melissa registrierte die Lachfältchen um seine Augen und den leichten Bartschatten auf seinem Kinn. „Tatsächlich?“

Seine raues, sehr maskulines Aussehen verfehlte seine Wirkung auf Melissa nicht. Oh ja, Jared Ryder war durchaus anziehend, doch daran durfte sie jetzt lieber nicht denken. „Ja.“

„Sie werden also Ihren Beitrag leisten?“

„Ja.“

„Sie können sich hier nicht auf Ihr gutes Aussehen verlassen.“

Verblüfft wich Melissa zurück.

„Wenn ich Sie dabei erwische, dass Sie meinen Männern schöne Augen machen …“

„Ich habe nie …“

Er fixierte sie scharf, und sie schwieg.

„Wenn Sie mit meinen Cowboys anbändeln, stehen Sie eher wieder auf der Straße, als Sie sich vorstellen können.“

Heiße Röte schoss ihr in die Wangen. „Ich habe nicht die geringste Absicht zu flirten.“

Eine Wolke schob sich vor die untergehende Sonne, und die plötzliche Abkühlung entspannte die knisternde Atmosphäre zwischen ihnen.

Jareds Nasenflügel bebten, in dem wechselnden Licht wirkten seine Augen indigoblau. Er fixierte sie ausgiebig, sagte aber nichts. Fast hatte sie das Gefühl, unter seinem Blick zu verbrennen …

Wie es wohl wäre, von ihm geküsst zu werden? Dieser Gedanke schoss ihr unwillkürlich durch den Kopf. Er würde sie erst sanft küssen, dann fester, und sie mit seinen starken Armen ganz dicht an sich ziehen.

Hitze durchfuhr ihren Körper, als der Wind den Staub auf der Zufahrt aufwühlte. Noch immer waren aus der Ferne die Rufe der Cowboys zu hören. Und noch immer tuckerte in der Ferne ein Traktor.

„Gut“, sagte Jared endlich leise. „Und bringen Sie jetzt mein Pferd weg.“

„Okay“, stieß sie hervor und unterdrückte den Aufruhr in ihrem Innern. Sie würde ihr Möglichstes tun.

Später am Abend saß Jared in Stephanies Esszimmer und versuchte, nicht an Melissa zu denken. Seine Schwester hatte die Frau offenbar aus Mitleid eingestellt. Und aus demselben Grund hatte er sie bisher nicht gefeuert. Er fragte sich, wer den größeren Fehler begangen hatte.

„Wir hatten dieses Jahr fünfunddreißig Förderanträge“, berichtete Otto Durand. Er legte eine Akte auf den Stapel vor sich. Seit fünfzehn Jahren gehörte Otto dem Vorstand des Genevieve-Gedächtnisfonds an. Außerdem war er Geschäftsführer von Rutledge Agricultural Equipment. Mit Jareds Eltern hatte ihn eine lebenslange Freundschaft verbunden.

„Wir haben genug Geld“, warf Anthony Salvatore ein. „Fast zwanzig Prozent stammen aus Spenden.“

Anthony war ein entfernter Verwandter, der Sohn einer Cousine von Jareds Mutter. Die Cousine hatte sich auf einer Klassenfahrt nach Neapel in Carmine Salvatore verliebt, und Genevieve hatte den einzigen Sohn der beiden in ihr Herz geschlossen.

Stephanie stellte eine weitere Flasche Merlot auf den großen Tisch, als die Haushälterin die Überreste des Dinners abräumte.

Zwar saß Royce noch bis Samstag in London fest, doch die übrigen Vorstandsmitglieder konnten auch ohne ihn über die diesjährigen Projekte abstimmen.

„Mir gefällt diese Sache mit der Schule in Westafrika“, sagte Stephanie. „Die meisten Kinder dort stammen aus Bauernfamilien.“

„Das hätte Mom auch gefallen“, stimmte Jared zu. Er bemerkte, wie Stephanie zusammenzuckte. Heute spürte seine Schwester die Lücke, die der Tod ihrer Mutter in ihr Leben gerissen hatte, besonders deutlich.

Gemeinsam mit ihrem Großvater hatten Royce und er das Andenken ihrer Mutter für Stephanie lebendig gehalten, indem sie ihr Geschichten erzählten und Erinnerungsstücke zeigten. Doch die Einsamkeit, die Stephanie zu harter Arbeit anstachelte, konnten sie nicht vertreiben. Jared musste nur die zahlreichen Trophäen auf dem Kaminsims betrachten, um zu ahnen, wie sehr sie sich quälte.

„Die Schule in Westafrika also.“ Otto machte ein Kreuz auf Seite drei seines Berichts. „Und ich glaube, wir sind uns einig, dass wir die Zuwendungen für Tierschutzprojekte erhöhen wollen. Was ist mit dem Klinikprojekt in Südamerika?“

„Zu gefährlich“, sagte Jared. Er wusste, dass Royce Feuer und Flamme für das Vorhaben war, seitdem er einen britischen Studenten kennengelernt hatte, der in der Gebirgsregion arbeitete. Doch es gab besorgniserregende Geschichten über das Gebiet.

„Die Rebellen haben ihre Aktivitäten vor sechs Monaten eingestellt“, hielt Anthony dagegen. „Und wir werden eine Firma beauftragen, die Erfahrung in der Gegend hat.“

„Und wer sorgt für die Sicherheit?“, konterte Jared. Es war nicht das erste Mal, dass der Genevieve-Gedächtnisfonds in einem unsicheren Teil der Welt aktiv wurde, doch bisher wurden die Projekte von multinationalen Stiftungen getragen, die professionelle Sicherheitskräfte engagierten.

„Wir werden Fachkräfte einstellen“, sagte Anthony.

So leicht war Jared nicht zu überzeugen. „Mit dem Geld für private Security könnten wir ein oder zwei weitere Projekte finanzieren.“

„Aber keines von so großer Bedeutung.“ Anthony schien jetzt richtig in Schwung zu kommen.

In ihrer Familie liebte man solche Diskussionen, Rede und Gegenrede. Jared stürzte sich mit Feuereifer in das Streitgespräch. Jeder der beiden versuchte, Stephanie und Otto von seinem Standpunkt zu überzeugen.

Zwar räumte Jared ein, dass das Projekt sich lohnte, während Anthony nicht leugnete, dass die Sicherheitsbedingungen alles andere als ideal waren. Doch unterm Strich empfand Jared die Situation als zu gefährlich, und das machte er unmissverständlich klar.

Schließlich gab Anthony auf und hob verdrossen die Hände. „Ich gehe ein bisschen frische Luft schnappen.“

Jared war das nur recht. Die Gelegenheit wollte er nutzen, um Stephanie und Otto zu bearbeiten, damit diese sich seiner Sicht der Dinge anschlossen.

Doch auch Stephanie stand auf und reckte sich, während Otto seinen Stift auf den Bericht vor sich legte und zu sprechen begann, bevor Jared etwas sagen konnte. „Vielleicht sollten wir dieses Mal Anthony und Royce zustimmen.“

„Und wenn jemand entführt oder ermordet wird?“, gab Jared düster zu bedenken. Dies war zwar eine sehr pessimistische Sichtweise, aber sie war durchaus realistisch.

„Es gibt ein Waffenstillstandsabkommen“, erwiderte Otto.

„Das das Papier nicht wert ist, auf dem es gedruckt wurde. Um Himmels willen, Sierra Benito! Die politische Lage dort kann sich im Handumdrehen ändern.“

Jared blickte zum Fenster. Durch die hauchdünnen Gardinen erkannte er Anthonys Profil.

„Wie viele Entführungen gab es letztes Jahr?“

„Zu viele“, sagte Jared.

„Seit Dezember keine einzige mehr“, widersprach Otto. „Ich will nicht mit dir streiten, aber …“

„Und ich erwarte ja auch gar nicht, dass wir etwas völlig Ungefährliches fördern“, betonte Jared. „Ich habe auch nichts dagegen, Geld für Security auszugeben. Aber wollen wir uns ausgerechnet auf Royces Meinung dazu verlassen, was gefährlich ist und was nicht?“

Weder Otto noch Stephanie wussten darauf etwas zu erwidern.

In der plötzlichen Stille bemerkte Jared, dass sich auf der Veranda etwas bewegte. Es war nicht Anthony. Es war …

„Entschuldigt mich bitte einen Moment.“ Jared stand auf und ignorierte die überraschten Gesichter der beiden. Zielstrebig ging er zur Tür.

„Wir haben in Neapel noch Familie“, sagte Anthony gerade zu Melissa, als Jared die Fliegengittertür aufstieß. „Und ich besuche sie, sooft ich kann.“ Anthony saß auf dem Geländer der Veranda und stützte sich mit den Armen ab. Melissa stand vor ihm.

„Ich wollte schon immer nach Italien“, sagte sie seufzend. „Das Kolosseum, der Vatikan, die Sixtinische Kapelle …“

Ganz schön große Träume für eine Frau, die es nicht einmal bis Seattle schafft, dachte Jared abschätzig.

Anthony stieß sich vom Geländer ab und baute sich in voller Größe vor Melissa auf.

„Ich würde Ihnen Venedig sehr gerne zeigen“, sagte er, und sein Ton versprach mehr als nur eine Fahrt auf dem Canale Grande.

Jared fragte sich, wen er warnen sollte – Melissa vor Anthony, der ein unverbesserlicher Frauenheld war, oder Anthony davor, dass Melissas Talente sich aufs Flirten beschränkten.

„Ich nehme an, Sie haben meine Anweisung befolgt und mein Pferd weggebracht?“, fragte er stattdessen.

Melissa drehte sich um. Wieder wirkte sie schuldbewusst und überrascht, ihn zu sehen. Und wieder durchströmte ihn Begehren – höchst unwillkommenes Begehren.

Entschlossen schüttelte er das Gefühl ab.

„Melissa und ich sprachen gerade über Italien“, plauderte Anthony weiter, doch seine angespannt hochgezogenen Schultern signalisierten Jared deutlich, dass er sich über die Unterbrechung nicht freute.

So ein Pech aber auch.

„Du sollst dir Gedanken über Sierra Benito machen“, erinnerte Jared ihn und näherte sich den beiden unter dem Schein der Verandalampe.

„Das kann warten“, meinte Anthony wegwerfend.

Betont langsam hob Jared den Arm, um auf seine Uhr zu blicken. „Das Meeting dauert schon ziemlich lange.“

„Gib mir fünf Minuten. Ich bin gleich wieder da.“

Jared machte keine Anstalten, zu gehen.

Melissas Blick wanderte zwischen den beiden Männern hin und her. Sie verzog keine Miene, doch ihre Augen leuchteten vor Neugier.

„Wenn Melissa schon hier ist …“, Jared drehte sich zu ihr um, „… kann sie vielleicht etwas zur Diskussion beitragen. Was meinen Sie? Ist Sierra Benito für ein humanitäres Projekt zu gefährlich?“

„Darüber will sie bestimmt nicht diskutieren …“, protestierte Anthony.

„Meinen Sie direkt in Suri City?“, fragte sie, ohne seinen Einwurf zu beachten. „Oder in den Bergen?“

Verblüfft sah Jared sie an. Die meisten Menschen hatten noch nie von Sierra Benito gehört, geschweige denn von seiner Hauptstadt.

„Ein kleines Dorf namens Tappee“, erklärte er.

Fast unmerklich schüttelte sie den Kopf. Die winzige Bewegung unterstrich den Schwung ihres seidigen blonden Haars. „Dort herrschen schreckliche Bedingungen. Die Dorfbewohner leben in bitterer Armut.“

Lachend legte Anthony einen Arm um Melissas Schultern. „Willkommen im Klub, Signorina Melissa.“

Am liebsten hätte Jared sie ihm aus den Armen gerissen. Doch das war ja lächerlich. Die halbe Umarmung bedeutete eine freundschaftliche Geste, mehr nicht.

„Wissen Sie eigentlich, was die Goldgräber den Dörflern antun?“, fragte Melissa.

„Und wissen Sie, was die Rebellen mit den Goldsuchern machen?“, gab Jared zurück. Er hatte Mühe, sich zu konzentrieren, war damit beschäftigt, den Aufruhr seiner Gefühle zu unterdrücken.

Was interessierte es ihn, ob Anthony Melissa umarmte?

Entrüstet schüttelte sie den Kopf. „Ich kann nicht glauben, dass Sie sie auch ausbeuten wollen.“

Jared zuckte zusammen. „Wen beuten wir aus?“

„Die Leute im Dorf.“

„Das habe ich keinesfalls vor.“ Noch immer starrte Jared auf Anthonys Hand.

Melissa trug eine weiße Baumwollbluse. Das Gewebe war dünn und bildete kaum eine Barriere zwischen Anthonys Fingerspitzen und ihrer Haut.

Jetzt drückte ihre Miene unverhohlene Missbilligung aus. „Klar. Sie werden die Ausbeutung vertraglich an Tomesko Mining weitergeben. So zieht man sich wohl bequem aus der Affäre, was?“

„Das ist doch unlogisch“, konterte er.

„Welchen anderen Grund gibt es, nach Tappee zu gehen?“

„Wir bauen dort ein Krankenhaus“, warf Anthony ein.

„Vielleicht“, sagte Jared. Er warf ihm einen warnenden Blick zu.

Überrascht blickte Melissa von einem zum anderen.

„Wie kommt es, dass Sie so viel über Tappee wissen?“, fragte Jared schließlich. Er musterte Melissa forschend, suchte nach Anzeichen von … hm, er wusste selbst nicht, wovon.

„Ich lese die Chicago Daily“, antwortete sie. Sie blinzelte, und der Zorn in ihren grünen Augen verschwand. „Letztes Jahr gab es eine Geschichte über einen Bergbauingenieur, der von Rebellen entführt wurde.“

„Seine Firma hat eine Million gezahlt“, erzählte Jared die Geschichte zu Ende. „Und sie haben den armen Kerl trotzdem umgebracht.“

„Das war vor über einem Jahr“, warf Anthony ein. „Und wir wollen dort nicht nach Gold graben.“

„Glaubst du, das interessiert die Rebellen?“, hielt Jared ihm vor. „Glaubst du wirklich, sie nehmen keine Geiseln mehr?“

„Ich glaube schon, dass es sie interessiert“, antwortete Melissa an Anthonys Stelle.

„Ach ja?“, meinte Jared herausfordernd. „Basiert diese Schlussfolgerung auf Ihrer weitreichenden Reiseerfahrung mit amerikanischen Überlandbussen?“

„Sei nicht so grob“, wies Anthony ihn ärgerlich zurecht.

Doch auch Jared war zornig. Er hatte genug von diesem Streit, und er hatte genug davon zuzusehen, wie Melissa von Anthony bearbeitet wurde. Er nahm seinen Stetson von einem Haken an der Wand und setzte ihn auf.

„Ich bringe Melissa zurück zu ihrem Cottage“, verkündete er, hakte sie unter und befreite sie aus Anthonys Griff.

„Verdammt noch mal, was …“, begann Anthony.

„Und du gehst wieder ins Haus“, rief Jared über die Schulter zurück, während er Melissa zur Treppe dirigierte.

Er spürte, dass Anthony ihnen nachblickte, als sie den dunklen Hof in Richtung der beleuchteten Zufahrt überquerten. Jared war sich im Klaren, dass er sich bei seiner Rückkehr einiges würde anhören müssen, doch das scherte ihn nicht. Er konnte genauso gut einstecken wie austeilen.

Zügig führte er Melissa über den Platz. Zwar wusste er nicht, welche Hütte ihr zugeteilt war, doch normalerweise wohnten alleinstehende Frauen an der Uferseite des großen Reitplatzes. Also bog er rechts ab.

„Warum habe ich eigentlich das komische Gefühl, dass es nur ein Vorwand ist, mich zu meiner Hütte zu bringen?“ Melissas Stimme klang leicht spöttisch.

Jared biss die Zähne zusammen. Er musste seine Emotionen unter Kontrolle bringen. „Und warum habe ich bei Ihnen das komische Gefühl, dass Ihre Arbeit hier nur ein Vorwand ist, um Geld für ein Busticket zu verdienen?“

4. KAPITEL

Melissa zwang sich, ruhig zu bleiben. Nichts deutete darauf hin, dass Jared die Wahrheit kannte, dennoch lief es ihr in diesem Moment eiskalt den Rücken hinunter.

Jared ging schnell, sein Griff um ihren Oberarm war hart wie Stahl.

„Erst der Fahrer“, durchschnitt seine Stimme scharf die Stille der Nacht, „dann Anthony.“ Er atmete hörbar ein. „Und ich kann mir schon denken, was mit dem verdammten Pferd passiert ist.“

Melissa war verwirrt. Das Pferd? Was hatte sie mit seinem Pferd zu schaffen?

„Etwa selbst geritten?“, fragte Jared höhnisch.

Sie verstand einfach nicht, was er von ihr wollte. Natürlich hatte sie das Pferd nicht geritten, aber was spielte das für eine Rolle?

„Oder hat jemand geholfen?“, fügte er mit einem bedeutungsvollen Unterton hinzu.

Okay, es hatte wohl keinen Sinn, es abzustreiten. „Ich habe einen der Cowboys gebeten, mir zu helfen. Rich … oder Rand … oder so.“

„Das kann ich mir vorstellen“, meinte Jared verächtlich.

„Na und?“ Allmählich verwandelte sich ihre Verwirrung in Ärger. Rafe – ja, genau, das war sein Name! – hatte tatsächlich seine Hilfe angeboten. Die ganze Sache hatte nur fünfzehn Minuten gedauert.

„Na und?“ Abrupt packte Jared sie am Arm und zwang sie so, stehen zu bleiben. Finster musterte er sie unter seinem zerbeulten Stetson hervor.

In der Dämmerung begegnete Melissa seinem düsteren Blick. Warum war dieses Pferd so wichtig? Sollte es ihn nicht vielmehr aufregen, dass sie Anthony ausgefragt hatte?

Plötzlich wurde ihr klar, dass sie die falschen Schlüsse gezogen hatte: Jared war zornig, weil sie Kontakt zu seinen Cowboys gesucht hatte.

„Dürfen die Cowboys den Stallburschen nicht helfen?“

„Nein, aber ich denke darüber nach, ein Verbrüderungsverbot auszusprechen.“

Die Anspielung beleidigte Melissa. „Glauben Sie wirklich, ich hätte Zeit gehabt, mich vor dem Dinner mit Rafe zu verbrüdern?“

Jareds Augen blitzten. „Ich glaube, Flirten ist alles, was Sie können.“

„Sie irren sich.“ Erstens hatte sie einen Hochschulabschluss. Zweitens besaß sie Immobilien, die verwaltet werden mussten. Und sie hatte einen guten Job, der bald ein fantastischer sein würde, wenn sie nur dieses Interview bekam.

„Ich höre?“ Seine Stimme klang herausfordernd.

„Ich bin intelligent, wortgewandt und kann gut organisieren.“

„Sie können nicht einmal ein Busticket nach Seattle organisieren.“

„Es geht nicht darum, schnell ein Ticket zu kaufen.“

„Sondern?“

„Die Reise zu genießen.“

„Indem Sie mit den Wimpern klimpern und die Hüften schwingen?“

Melissa streckte ihm ihre blasenübersäten Handflächen hin. „Indem ich acht Stunden am Tag Ihre Ställe ausmiste.“

Er zog ihre Hände unter den Lichtstrahl einer Lampe. Seine Lippen wurden schmal. „Haben Sie etwas aufgetragen?“

„Arbeitshandschuhe.“ Und sie wünschte, sie hätte es früher getan.

„Ich meine es ernst.“

Rasch entzog sie ihm ihre Hände. „Es geht mir gut.“

Jared musterte sie von Kopf bis Fuß, wobei er sich ausgiebig Zeit ließ. „Ich glaube, für harte Arbeit sind Sie nicht geschaffen.“

Spontan verbarg Melissa ihre geschundenen Hände hinter dem Rücken. „Ich sagte doch, es geht mir gut.“

„Können Sie einen Computer bedienen? Tippen? Textverarbeitung?“

Oh, nein! Sie würde ihren Job auf der Ranch nicht aufgeben. „Ich habe noch nie im Büro gearbeitet“, log sie. „Außerdem brauche ich nur das Geld für den Bus. In einer Woche sind Sie mich los.“ Zumindest dieser Teil der Geschichte stimmte.

„Vielleicht halten Sie keine ganze Woche durch.“

„Immerhin habe ich es einen Tag lang geschafft.“

„Mag sein.“ Er schwieg einen Moment. „Hm, wissen Sie, diese Typen, mit denen Sie da flirten, die erwarten von Ihnen, dass Sie sie irgendwann ranlassen.“

„Das stimmt nicht“, protestierte sie entrüstet.

Jared hob nur skeptisch die Brauen.

Der Mann ist ein Schwarzmaler, aber er hat keine Ahnung, worum es wirklich geht, beruhigte sich Melissa.

Anstatt weiter mit ihm zu streiten, wiegte sie kokett die Hüften, strich ihr Haar hinter die Ohren und gurrte mit sinnlichem Timbre: „Und wie weit kann ich bei Ihnen gehen?“

Melissa erntete einen ungläubigen Blick. „Sie flirten mit mir?“

„Und, funktioniert es?“

Betont gleichgültig verlagerte er sein Gewicht von einem Bein aufs andere. „Kommt drauf an, was Sie wollen.“

Was sie wollte, war das Interview ihres Lebens. Und um es zu bekommen, war sie zu beinahe allem bereit. „Bitte zwingen Sie mich nicht mehr, Ihren Hengst zu reiten“, bat sie mit ängstlichem Unterton in der Stimme. „Ich fürchte mich vor ihm. Woher haben Sie ihn?“

„Er ist ein direkter Abkömmling von Renegade.“

Staunend riss Melissa die Augen auf.

„Der Zuchthengst meines Ururgroßvaters“, erklärte Jared. „Meine Großeltern haben das Tal hier 1883 besiedelt.“

„Sie haben das ursprüngliche Haus gebaut.“ Melissa hatte das beeindruckende Gebäude bei ihrer Ankunft gesehen.

„Ja, das Haus.“ Er deutete mit dem Kopf flussabwärts. „Die alte Hütte steht schon seit Jahrzehnten leer.“

„Dann befindet sich die Ranch also schon in der fünften Generation im Besitz Ihrer Familie?“

„Ja, so ist es“, sagte Jared. „Auch Tangos Vorfahren waren schon immer im Besitz unserer Familie.“

„Führen Sie darüber Buch?“

„Natürlich“, antwortete er in einem Ton, der ihr bedeutete, dass sie das hätte wissen müssen.

Melissa drehte sich um, und sie gingen die zerfurchte Zufahrt hinunter zum Fluss und zu ihrem kleinen weißen Cottage. „Wie viele Pferde haben Sie im Augenblick?“

Jared gab bereitwillig Auskunft. „Mehrere Hundert. Und ein paar Tausend Stück Vieh.“

„Wirft die Ranch denn noch Gewinn ab?“

Er zögerte. „Warum fragen Sie das?“

Unbeirrt betrachtete sie die Sichel des Mondes, die über dem Gebirgszug jenseits des Flusses schwebte. „Sie sind ins Baugeschäft eingestiegen.“

„Woher wissen Sie das?“

„Vom Hörensagen.“

Jared blieb stehen. „Kursieren etwa schon überall Gerüchte darüber?“

„Nein“, beeilte sie sich zu versichern, „nur Gerede hier auf der Ranch. Sie sind hier, obwohl Sie sich normalerweise in Chicago aufhalten. Das fällt natürlich auf. Beim Mittagessen haben Ihre Leute darüber geredet.“

Tatsächlich hatte Melissa die Unterhaltung bei Tisch bewusst auf dieses Thema gelenkt, aber das würde sie Jared nicht unter die Nase reiben.

„Sie scheinen eine Menge über mich zu wissen.“

Vorsichtig blickte sie zu ihm hoch. „Sie sind der Boss. Was Sie tun, interessiert die Leute.“

„Das sollte es aber nicht.“

Melissa musste lächeln. „Mag sein. Aber so ist das Leben.“

„Es sind nur Gerüchte“, betonte er.

„Nein, es ist echtes Interesse“, widersprach sie. „Und Respekt. Sie können keine Millionen machen und hoffen, dass niemand Sie beachtet“, fügte sie hinzu.

„Woher wollen Sie wissen, dass ich so viel Geld mache?“

„Wie viele Morgen Land besitzen Sie hier?“

„Fünftausend.“

„Sehen Sie: Ich habe recht.“

„Die meisten Rinderfarmen machen heute Verlust.“

„Und die meisten Baufirmen fahren Gewinne ein.“

Jared erwiderte nichts darauf, und Melissa beschloss, ihn nicht zu bedrängen. Aus Erfahrung wusste sie, dass man mehr erfuhr, wenn man sich nicht allzu interessiert zeigte.

Sie betraten den kurzen Steg, der über eine tosende Flussenge führte. Ein unbefestigter Weg schlängelte sich südwärts durch einen Teppich aus Gras und Wildblumen zu den von Bäumen gesäumten Hütten der Mitarbeiter hinab. Es sah genauso atemberaubend aus wie auf der Website der Ranch.

„In welcher wohnen Sie?“, fragte Jared und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Reihe kleiner Hütten. Hinter einigen Fenstern brannte noch Licht.

„Nummer sechs.“

„Ich bringe Sie hin.“ Er machte auf dem Weg kehrt, und Melissa bewunderte, wie mühelos er sich an die Umgebung anpasste. Mit sicheren Schritten bewegte er sich über den holperigen Untergrund.

„Sehr nobel von Ihnen.“ Hoffentlich hört er nicht auf zu reden.

„Nicht, dass Sie noch einem Berglöwen begegnen.“

Sie war nicht sicher, ob es ein Scherz war. Doch dann überlegte sie, dass sich die Belegschaft in der Nähe der Gebäude wahrscheinlich nicht in Gefahr befand. „Ich fürchte mich eher vor wild gewordenen Bullen“, gab sie zurück.

„Die Zuchtbullen stehen gerade oben in den Bergen.“

„Gut zu wissen. Seit wann sind Sie eigentlich in Montana?“

„Ungefähr so lange wie Sie.“

„Sind Sie gerne hier?“ Sie trat auf eine Baumwurzel, und sofort griff er nach ihrem Arm, um Melissa Halt zu geben.

„Warum fragen Sie?“

„Ich unterhalte mich mit Ihnen. Es scheint Ihnen hier zu gefallen.“

Er schaute sich um. Der Windy River toste vorbei, und in der Ferne schrie eine Eule. Verstohlen verlangsamte Melissa ihre Schritte, um die Ankunft bei der Hütte zu verzögern. Sie wollte die Gelegenheit nutzen, Jared in Plauderstimmung zu erleben.

„Ich war schon immer gerne hier“, erzählte er. Doch in seiner Stimme schwang ein angestrengter Unterton mit, was Melissa sofort bemerkte.

„Warum sind Sie weggegangen?“, fragte sie mutig.

„Um Geld zu verdienen“, antwortete er kurz angebunden.

„Brauchen Cowboys Millionen?“

„Grundbesitz in dieser Größe verschlingt Unsummen. Die letzten Jahrzehnte waren schwer für Montanas Rancher. Das wird sich ändern. Aber vorerst …“

Schließlich standen sie vor Melissas Veranda. Wahrscheinlich war dies die größte Chance, die sich ihr in dieser Woche bieten würde, deshalb versuchte Melissa, Zeit zu schinden. „Vorerst bauen Sie also Bürotürme, um Ihre Rinderfarm in den schwarzen Zahlen zu halten.“

„Woher wissen Sie das?“

Autsch … Der Mann war ihr entschieden zu aufmerksam.

„Jemand hat es mir beim Essen erzählt“, schwindelte sie.

Lange blickte Jared ihr schweigend in die Augen. Dann umfasste er sachte ihr Kinn und hob ihr Gesicht an, um sie im Licht der Sterne ansehen zu können. „Irgendetwas stimmt mit Ihnen nicht, Melissa.“

„Ich bin eben eine heiße Braut.“ Besser, sie bestätigte ihn in seinem Irrglauben, als dass er anfing, über andere Möglichkeiten nachzudenken …

Wieder betrachtete er sie intensiv. „Das wird es wohl sein.“ Er schwieg einen Moment. Plötzlich fragte er mit rauer Stimme: „Und, lassen Sie mich jetzt ran?“

Seine Stimme klang sanft, sein Blick war sinnlich, die Lippen voll und weich. Melissa stellte sich vor, wie sie sich in seine starken Arme schmiegte … Würde sein Kuss weich und schmelzend sein? Stark und sicher? Oder ganz und gar erotisch?

„Im Flirten sind Sie erschreckend gut.“ Seine schroffe Stimme riss sie aus ihren Tagträumen.

Sie blinzelte. „Wie bitte?“

Jareds Lippen wurden schmal, und er trat einen Schritt zurück. „Ich kann mir schon vorstellen, warum so viele Männer nach Ihrer Pfeife tanzen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein …“

„Seien Sie vorsichtig, Melissa“, warnte er sie. „Nicht alle lassen sich einfach wegschicken.“

Und damit wandte er sich zum Gehen.

Am liebsten hätte sie laut protestiert. Wenn sie flirtete, dann unaufdringlich und harmlos. Heute hatte sie sich zum ersten Mal überhaupt vorstellen können, einen Schritt weiterzugehen.

Und sie hätte Jared bestimmt nicht geküsst. Alles, was sie wollte, waren ein paar Informationen über seine Geschäfte und sein Leben. Und die hatte sie bekommen. Melissa lächelte zufrieden in sich hinein. Jared mochte sie für frech und ein bisschen verrucht halten, aber darauf, dass sie Journalistin war, kam er im Leben nicht.

Die energischen Schritte, mit denen er die Zufahrt hinunterstapfte, verrieten, wie ärgerlich er war. Melissa beschloss, sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Von Arbeitseifer getrieben, eilte sie die Stufen zu ihrer Hütte hinauf. Sie musste sich sofort Notizen machen.

„Womit bist du Anthony gestern Abend eigentlich so auf die Nerven gegangen?“

Stephanies Stimme ließ Jared aus seinen Gedanken schrecken, als er am nächsten Vormittag vor ihrem Haus stand und Tangos Sattelgurt festzurrte. Das Meeting war erst am späten Abend zu Ende gewesen, und er hatte lieber hier übernachtet, als in der Dunkelheit die zehn Meilen zum Hauptgebäude zu reiten.

Wieder betrachtete er nachdenklich Melissa, die in einem Schuppen auf der anderen Seite des Wegs Reitzubehör putzte. Die Frau brauchte wirklich unverhältnismäßig lange für diese Routinearbeit …

Energisch schloss er die Gurtschnalle und drehte sich zu seiner Schwester um. Stephanie trug Dressurkleidung und war offenbar bereit für einen weiteren Tag Training mit Rosie-Jo.

„Ich habe ihm gesagt, dass er nicht mit der Hilfskraft flirten soll.“

„Welche Hilfskraft?“

„Melissa.“ Er zog den rechten Steigbügel in die richtige Position. „Ich weiß nicht, warum du diese Frau eingestellt hast. Sie ist vollkommen nutzlos.“

„Sie brauchte einen Job“, sagte Stephanie.

„Wir sind keine Wohltätigkeitsorganisation.“

Stephanie stemmte eine Hand in die Hüfte. „Und ob wir das sind!“

Jared verdrehte die Augen und rüttelte am Sattelhorn, um zu prüfen, ob es richtig saß. „Dann kann sie sich über den Genevieve-Fonds bewerben.“

„Sei doch nicht so stur.“

„Ich bin nur realistisch.“ Er deutete mit einer Kopfbewegung auf Melissa. „Seit einer halben Stunde bearbeitet sie nun dieses Zaumzeug. Schwesterherz, lass es dir gesagt sein: Sie wird Unruhe unter den Cowboys stiften.“

„Es sind erwachsene Männer.“

„Ganz genau.“

„Und selbst für ihr Verhalten verantwortlich.“

Er warf seiner Schwester einen vielsagenden Blick zu. Männer waren Männer. Und kokette Frauen bedeuteten Ärger. „Wie ich schon sagte, ich bin nur realistisch.“

Stephanie hängte ihren Helm an den letzten Pfosten der Pferdestange und nahm ihr kastanienbraunes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. „Ich werde Melissa nicht feuern.“

„Gut, aber ich übernehme keine Verantwortung für die Konsequenzen“, meinte Jared verärgert.

„Wer sagt denn, dass du dafür verantwortlich bist? Reitest du heute nicht sowieso wieder zurück zur Rinderfarm?“

Sanft schob Jared das Mundstück in Tangos Maul. „Ich wollte eigentlich ein paar Tage bei dir bleiben.“

Einen Moment lang herrschte Schweigen. Jareds Muskeln spannten sich an.

„Mir geht es ausgezeichnet, großer Bruder“, erklärte Stephanie scharf.

„Das weiß ich“, gab er versöhnlich zurück.

„Es ist ein Jahrestag wie alle anderen auch.“

Das stimmte, doch sie hatten gerade ihren Großvater verloren, und Stephanie litt darunter. Egal, wie sehr sie versuchte, es zu leugnen, das Jahrestreffen und der Besuch am Familiengrab würden ihr dieses Jahr sehr schwerfallen.

„Wann kommt Royce?“, erkundigte sich Jared, um das Thema zu wechseln.

„Samstag. Du solltest besser hinuntergehen und McQuestin helfen.“ Stephanie meinte den Manager der Rinderfarm, der allmählich in die Jahre kam.

„McQuestin will meine Hilfe nicht.“

Störrisch verzog sie den Mund. „Und ich brauche keinen Babysitter.“

Mit vor der Brust verschränkten Armen fixierte Jared seine Schwester eindringlich. „Aber vielleicht brauche ich dich.“

Sofort wurde der Ausdruck in ihren hellblauen Augen sanfter. „Wirklich?“

Er nickte. Es war nicht einmal gelogen. Jared wollte sie jetzt in seiner Nähe wissen. Nur so konnte er sicher sein, dass es ihr gut ging.

Stephanie machte einen Schritt auf ihn zu, legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm. „Ich weiß, dass du Grandpa vermisst. Fehlen dir Mom und Dad auch?“

Wieder nickte Jared, doch jetzt log er. Er vermisste seine Eltern nicht. Er ärgerte sich über sie. Er war sogar wütend. Doch diese Last, das Geheimnis, das sein Großvater an ihn weitergegeben hatte, musste er allein tragen. Für seine Geschwister musste er das Andenken der Eltern bewahren.

Die Augen seiner Schwester glitzerten verräterisch. „Dann bleib hier.“

Sanft legte Jared seine Hand auf ihre. „Danke.“

„Willst du mir beim Springen zusehen?“

„Klar. Ich kontrolliere nur noch das Weideland beim Buttercup-Teich.“

„Okay.“ Stephanie nickte. Dann wischte sie sich mit dem Handrücken über die Wange und machte sich auf den Weg zum Reitplatz.

Jared löste Tangos Zügel und schwang sich in den Sattel. Seine Behauptung, am Teich nach dem Rechten sehen zu wollen, verschaffte ihm ein paar unbeobachtete Stunden.

Tatsächlich hatte er auf der anderen Seite des Windy River etwas zu erledigen. Seit der Enthüllung, die sein Großvater auf dem Sterbebett gemacht hatte, ging ihm die Hütte seines Ururgroßvaters nicht mehr aus dem Sinn.

Der Fußmarsch zur Hütte der Ururgroßeltern Ryder dauerte länger, als Melissa erwartet hatte. Nach einer Flussbiegung kamen endlich zwei Hütten in Sicht. Eine bestand aus Baumstämmen und wirkte so altersschwach, dass sie beinahe zusammenbrach.

Die andere Hütte war offensichtlich neuer. Sie war groß und aus Holz gezimmert, die Glasfenster schienen unbeschädigt. Nur die weiße Farbe begann an einigen Stellen abzublättern.

Das einzige Stockwerk war L-förmig und trug ein Spitzdach mit grünen Schindeln. Die drei Stufen, die zur Veranda hinaufführten, machten einen stabilen Eindruck.

Das kleine Haus lag inmitten einer Wildblumenwiese, die sich an steile Felsen schmiegte und bis in den kristallblauen Himmel zu reichen schien. Das klare türkisfarbene Wasser floss hier viel ruhiger als an den Stromschnellen flussaufwärts.

Melissa schoss ein paar Fotos mit ihrem Handy. Vorsichtig stieg sie die drei Stufen zur Veranda hinauf und drückte gegen die Eingangstür. Die öffnete sich quietschend.

Durch die fleckigen Fenster fiel Sonnenlicht in einen staubigen Raum. Darin befanden sich ein offener Kamin, ein alter Esstisch mitsamt Stühlen und etwas, das einmal ein Sofa gewesen war.

Die Holzdielen knarrten bei jedem Schritt. Hinter einem Türrahmen lag eine kleine Küche, die mit vergilbtem Linoleum ausgelegt war. Vor zwei Fenstern hingen zerfetzte Gardinen.

Melissa stellte sich die Familie vor, die hier vor langer Zeit gelebt hatte. Jareds Ururgroßvater musste hier aufgewachsen sein. War er ein Einzelkind gewesen? Oder hatte er Brüder und Schwestern gehabt? Gab es noch Verwandte von Jared in der Gegend?

Viele Fragen … und hoffentlich bald ein paar Antworten.

Von der anderen Seite des Wohnzimmers führte ein schmaler Flur zum Hintereingang. Mit jedem Schritt wirbelte Melissa Staub auf, und sie legte eine Hand auf Mund und Nase, um den Hustenreiz zu unterdrücken.

Vom Flur aus gingen zwei Schlafzimmer ab. Eines war sehr schlicht gehalten, mit Schlafkojen aus Sperrholz an den Wänden und einer Vertiefung, die als Wandschrank diente.

Der zweite Raum jedoch entpuppte sich als Überraschung. Unbeschädigte gelbe Vorhänge hingen vor den Fenstern. Das Bett war neuer als die Möbel in den anderen Zimmern, und über das Fußende lag eine bunte Tagesdecke gebreitet.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Die tiefe Stimme erschreckte Melissa fast zu Tode. Eine Hand auf die Brust gepresst, fuhr sie herum.

Im Türrahmen stand Jared.

„Sie haben mich zu Tode erschreckt!“, fauchte Melissa anklagend.

„Sollten Sie nicht bei der Arbeit sein?“

„Ich habe Mittagspause. Und Sie habe ich für ein Gespenst gehalten.“ Noch immer raste ihr Herz wie wild, und sie zitterte am ganzen Körper.

Sie wirken jedenfalls sehr lebendig“, erwiderte er vorwurfsvoll. „Was haben Sie überhaupt hier zu suchen?“

„Ich war einfach nur neugierig.“

Schweigend wartete er, dass sie weitersprach.

„Gestern Abend haben Sie Ihre Ururgroßeltern erwähnt und, na ja, ich mag alte Häuser.“

„Und deshalb laufen Sie drei Kilometer?“

„Ja.“

„In Ihrer Mittagspause?“

„Ich wollte mich im Hellen umsehen.“

Verärgert schüttelte er den Kopf.

„Sie verhalten sich wirklich sehr merkwürdig, wissen Sie das? Anstatt zu essen, marschieren Sie los, um sich eine verfallene Hütte anzuschauen. Wie wollen Sie den Nachmittag überstehen?“

Autor

Barbara Dunlop
Barbara Dunlop hat sich mit ihren humorvollen Romances einen großen Namen gemacht. Schon als kleines Mädchen dachte sie sich liebend gern Geschichten aus, doch wegen mangelnder Nachfrage blieb es stets bei einer Auflage von einem Exemplar. Das änderte sich, als sie ihr erstes Manuskript verkaufte: Mittlerweile haben die Romane von...
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