Julia Best of Band 217

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(K)EINE GANZ NORMALE FAMILIE
Sie fühlt sich wie in einem romantischen Film - doch Erin erlebt es wirklich! Gerade hat der attraktive Millionär Parker Hamilton sie geküsst. Ausgerechnet der Mann, der ihrer Schwester das Herz brach. Und der ihr gegen alle Vernunft so heiße Lust auf süße Liebesnächte macht …

GIB MIR MEHR VON DIESER LIEBE
Schlaf nicht zweimal mit ein und derselben Frau! Eine eiserne Regel von Kane, der feste Bindungen scheut. Die temperamentvolle Wilma Nelson ist da anderer Meinung -weil sie spürt, wie sehr er sich nach einer zweiten Nacht mit ihr sehnt. Und nach einer dritten und vierten …

LASS DICH GLÜCKLICH MACHEN
Wenn eine Frau in der Geburtstagsnacht das sagenumwobene Nachthemd trägt, sieht sie im Traum ihren zukünftigen Ehemann! Ein Märchen, glaubt Cassie. Aber als Ryan sie kurz vor ihrem Geburtstag küsst, schlüpft sie abends hinein. Wird sie von ihm träumen - oder von ihrem Verlobten Joel?


  • Erscheinungstag 30.08.2019
  • Bandnummer 0217
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712754
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susan Mallery

JULIA BEST OF BAND 217

1. KAPITEL

Die Haushälterin steckte den Kopf durch die Tür. „Besuch für Sie. Eine Dame.“

Parker Hamilton machte sich gar nicht erst die Mühe, vom Bildschirm aufzublicken. „Sagen Sie Ihrer Freundin, dass sie ihre Zeit vergeudet.“

Kiki ließ sich nicht so schnell abwimmeln. „Sie sollten den Kasten gelegentlich mal ausschalten“, riet sie ihm. „Sonst werden Sie blind oder noch schlimmer – Sie bekommen irgendwann viereckige Augen.“

Seufzend speicherte Parker seine Datei und drehte sich um. Kiki trug einen fuchsienfarbenen Jogginganzug. Sie besaß Dutzende davon in allen Farben mit den dazu passenden Turnschuhen. Erstaunlich, dachte er, dass man auch Schuhe in allen Regenbogenfarben herstellt.

„Wieso sind viereckige Augen schlimmer als Blindheit?“, wollte er wissen.

„Versuchen Sie nicht abzulenken!“, sagte Kiki streng.

„Sie haben damit angefangen“, erinnerte er sie, aber er lächelte dabei. „Ich weiß Ihre Bemühungen zu schätzen, aber mir ist nicht nach Besuch.“

Kiki schüttelte den Kopf. „Es ist wirklich eine Schande. Aber keine Angst, ich habe es aufgegeben. Die Dame ist zufällig keine Freundin von mir. Ich kenne sie gar nicht.“ Kiki machte eine kleine Pause. „Vielleicht sollten Sie doch mit ihr sprechen.“

Parker atmete tief durch und stand auf.

Er lief die Treppe hinunter und durchquerte die Eingangshalle. Das Haus war eigentlich viel zu groß für ihn, aber er wollte es trotzdem nicht aufgeben.

Die Besucherin hatte ihm den Rücken zugekehrt und blickte über den weitflächigen Rasen vor dem Haus. Das Haus stand hoch auf den Klippen am Meer.

Die Frau war schlank und hatte schulterlange dunkle Haare mit einem leichten Stich ins Rötliche. Zu ihren Jeans trug sie einen cremefarbenen Pulli und weiße Turnschuhe.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Sie drehte sich zu ihm um. Das Wiedererkennen war wie ein Schock. Sie hatte haselnussbraune, leicht mandelförmige Augen und einen sinnlichen Mund. Wenn sie lachte, bildete sich in ihrer rechten Wange ein Grübchen. Vor fünf Jahren war es gewesen, als ihr Lachen das Haus mit Leben erfüllt hatte.

Mit der Erinnerung kam die Reue – die Reue darüber, wie er sie behandelt hatte. Er hatte sich damals mehr als schäbig benommen, hatte sie skrupellos benutzt, um zu vergessen.

Die Frau sah ihn forschend an, als wäre er ein Fremder. Fünf Jahre waren eine lange Zeit, und im Grunde waren sie ja auch Fremde. Waren es immer gewesen.

„Hallo, Stacey.“

Seine Besucherin schien einen winzigen Moment zu erstarren, dann schüttelte sie den Kopf. „Ich bin Staceys Schwester Erin. Erin Ridgeway.“

„Sie sehen sich sehr ähnlich.“

„Erin war meine Zwillingsschwester. Ich muss mit Ihnen reden, Mr. Hamilton. Darf ich hereinkommen?“

„Ja, natürlich. Entschuldigen Sie.“ Er trat einen Schritt zurück.

Ihr Lächeln erreichte ihre Augen nicht. Parker starrte sie an. Ihre Augen. Sie waren anders als bei Stacey. Zwillinge … hatte Stacey ihm erzählt, dass sie eine Zwillingsschwester hatte? Sie hatte ihm so viel erzählt, aber er hatte nicht zugehört. Nie hatte er ihr zugehört. Ihre Stimme hatte den Schmerz in seinem Inneren betäubt, und das war ihm genug gewesen.

Er führte Staceys Schwester durch das Wohnzimmer und die hohen Türen ins Freie auf die Terrasse. Es war Ende Juni und angenehm warm.

Parker wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte Stacey seit fünf Jahren nicht mehr gesehen und auch keinen einzigen Gedanken an sie verschwendet.

Erin setzte sich an den kleinen Terrassentisch. Parker nahm ihr gegenüber Platz und sah sie forschend an.

Erin brach das Schweigen zuerst. „Wahrscheinlich möchten Sie gern wissen, was ich hier will.“

„Ja“, gab er zu. „Es ist schließlich schon einige Jahre her, dass Ihre Schwester hier war.“

„Ziemlich genau fünf Jahre.“ Sie biss sich auf die Unterlippe und holte tief Luft. „Mr. Hamilton …“

„Nennen Sie mich doch bitte Parker.“

Erin nickte nur. „Ich weiß nicht, wie gut Sie sich an meine Schwester erinnern.“

„Sie hat einen Sommer lang hier gewohnt.“ Bis die Umstände … nein … bis er sie vertrieben hatte. „Wir hatten …“ Er suchte nach Worten. „Es gab Missverständnisse“, sagte er schließlich.

Erin sah ihm direkt in die Augen. „Ich verstehe.“

Parker erkannte an ihrem Blick, dass sie genau wusste, was in diesem Sommer passiert war, und was er ihrer Schwester angetan hatte. Gut, er hatte sich nicht sehr anständig verhalten, aber er hatte nichts gegen Staceys Willen getan. Schließlich hatte sie sich ihm ja förmlich an den Hals geworfen, bis er endlich schwach geworden war. Und außerdem war sie kein Kind mehr gewesen, sondern eine erwachsene Frau.

Aber er wusste, dass er sich damit nur selbst beruhigen wollte. Sie war vielleicht volljährig, aber sie war ihm nicht gewachsen gewesen. Das war die unangenehme Wahrheit.

Bevor er noch etwas sagen konnte, erschien Kiki und servierte Kaffee und Gebäck auf einem altmodischen Silbertablett.

Erin lächelte. „Danke.“

„Keine Ursache. Mr. Hamilton hat leider viel zu selten Besuch.“ Die Haushälterin betrachtete Erin kopfschüttelnd. „Es ist wirklich unglaublich, wie ähnlich Sie Ihrer Schwester sehen.“ Sie schenkte den Kaffee ein. „Sie war eine ganz reizende junge Dame. Immer fröhlich und lustig. Sie hat viel Leben in dieses alte Haus gebracht. Mr. Hamilton hat ja leider nur seine Arbeit im Kopf. Greifen Sie zu“, sagte sie zu Erin und sah ihren Chef streng an. „Und Sie auch.“

Parker hielt Erin den Teller mit dem Gebäck hin. „Kiki ist eine ausgezeichnete Köchin und kann sehr ungemütlich werden, wenn man ihre Anstrengungen nicht würdigt.“

Erin nahm sich ein Stück Gebäck und legte es auf ihre Serviette. „Ich wusste nicht, dass meine Schwester hier gelebt hat.“

Parker räusperte sich verlegen. „Das war zu der Zeit ein ideales Arrangement für meine Studenten, da es abends meistens spät wurde.“

Erin rührte langsam in ihrem Kaffee, sagte aber nichts.

Parker lehnte sich zurück. „Hat Ihre Schwester Sie geschickt?“, wollte er wissen.

Erin blickte erschrocken auf. „Sie wissen es nicht? Nein, woher auch.“

„Was weiß ich nicht?“

„Meine Schwester ist vor vier Jahren gestorben.“

Parker stand auf und trat an die Terrassenbrüstung. Dann blickte er übers Meer hinaus. Stacey Ridgeway war tot. Was fühlte er? Mitleid mit ihrer Familie, Reue – und Bedauern, dass er ihr sein Verhalten nicht mehr erklären oder sich entschuldigen konnte. Aber traurig war er nicht. Er hatte sie ja kaum gekannt. Wenn ihre Zwillingsschwester nicht aufgetaucht wäre, hätte er wahrscheinlich nie wieder an sie gedacht. „Das tut mir leid. Es war sicher nicht leicht für Sie.“

„Nein“, sagte Erin. „Ich habe sonst keine näheren Verwandten.“

Misstrauen stieg in ihm hoch. Er war ein wohlhabender Mann. Vor einigen Jahren hatte er seine Software-Firma für ein paar Millionen Dollar verkauft, und heute verdiente er sehr gut mit dem Entwickeln von Computerprogrammen. Erin Ridgeway wäre nicht die erste Frau, die es auf sein Vermögen abgesehen hatte.

„Der Tod Ihrer Schwester ist sicher sehr tragisch gewesen, aber ich weiß nicht, was das mit mir zu tun haben sollte.“ Wie viel würde ihn die Sache kosten?

Erins Hände zitterten so sehr, dass sie ihre Tasse abstellen musste. „Sie fragen sich wahrscheinlich, warum ich jetzt erst komme. Aber dafür gibt es einen ganz einfachen Grund: Ich habe erst vor ein paar Wochen von Ihnen erfahren. Stacey hat Ihren Namen nie verraten. Sie fand es nicht fair, Ihnen Verantwortung aufzuladen. Dieser Ansicht bin ich nicht. Aber da ich bis vor Kurzem nichts von Ihnen wusste, war ich machtlos.“

Parker sah ihr an, wie schwer es ihr fiel, über ihre Schwester zu sprechen. „Ich habe Sie gehasst, weil Sie Staceys Leben zerstört haben. Und weil Christie mir einen Strich durch meine Pläne gemacht hat.“

„Wer ist Christie?“, fragte Parker verwirrt. Er wusste immer noch nicht, was er von Erins Erscheinen halten sollte.

Sie öffnete ihre Handtasche und nahm ein Foto heraus. „Ich habe meine Schwester in diesem letzten Jahr nur ein paar Tage gesehen. Nicht einmal Weihnachten haben wir zusammen gefeiert. Sie wollte nicht, dass ich etwas merkte. Bis ich aus dem Krankenhaus angerufen wurde, weil es Komplikationen gab, hatte ich keine Ahnung.“

Parkers Magen zog sich zusammen und eine Ahnung machte sich in ihm breit. „Komplikationen?“

„Meine Schwester starb kurz nach der Geburt ihres Babys. Ihrer gemeinsamen Tochter.“

Seiner Tochter?

Parker starrte Erin an. Eine Tochter … er hatte eine Tochter?

Erins Augen drückten die unterschiedlichsten Gefühle aus. Verwirrung, Mitgefühl, Angst … warum Angst?

Parker war wie gelähmt – als wäre er in einen eiskalten Fluss gesprungen, und es hätte ihm den Atem verschlagen.

Er versuchte, sich an die Nacht mit Stacey zu erinnern. Aber er sah nur ein verschwommenes Bild vor sich. Er hatte an diesem Abend viel getrunken, aber nicht so viel, dass er nicht mehr wusste, dass er mit ihr geschlafen hatte, immer wieder. Und er hatte gehofft, dass er damit die Vergangenheit auslöschen konnte. Stattdessen hatte er sich nur umso klarer daran erinnert.

Aber warum sollte das Kind von ihm sein? Vielleicht wollte Erin Ridgeway ja nur Geld für sich herausschlagen.

„Woher weiß ich, dass dieses Kind wirklich meine Tochter ist?“

Erin drückte ihm das Foto in die Hand. „Christie hat Ihre Augen, Ihren Mund … das Temperament hat sie allerdings von ihrer Mutter.“

Der Anblick traf ihn völlig unvorbereitet, und er fühlte sich, als hätte jemand ihm einen Schlag in den Magen versetzt. Das Foto zeigte ein kleines lachendes Mädchen an einem sonnigen Tag irgendwo in einem Park. Es hatte die Arme in die Luft geworfen und hüpfte fröhlich hoch. Die langen Haare waren zu Rattenschwänzen gebunden und schwangen heftig hin und her.

Das alles erfasste Parker mit einem Blick. Dann konzentrierte er sich auf das Gesicht der Kleinen. Sie hatte die Augen beim Lachen zusammengekniffen, aber es waren seine Augen. Und es war sein Mund. Auch die Art, wie sie ihren Kopf hielt, war ihm vertraut. Es bestand kein Zweifel, dass sie wirklich sein Kind war. „Wie alt ist sie?“, fragte er heiser.

„Anfang Mai ist sie vier geworden.“

Parker konnte immer nur auf das Bild starren, als wollte er sich jede kleinste Einzelheit einprägen.

„Das muss ein ganz schöner Schock für Sie sein.“

Er zwang sich zu einem Lächeln. „Das ist noch milde ausgedrückt.“ Wieder betrachtete er das Bild. „Ich hatte keine Ahnung.“

„Ich wäre früher gekommen, aber ich habe Staceys Tagebuch mit Ihrem Namen jetzt erst gefunden.“

„Wo ist Christie jetzt?“ Christie … noch hatte der Name einen ganz fremden Klang, aber er gefiel ihm.

„Ich habe sie im Motel bei meiner Freundin Joyce gelassen.“

Parker vermutete, dass sie Geld wollte – Unterhalt, einen Beitrag zum College … Natürlich war er dazu bereit. Er wollte sich nicht vor seiner Verantwortung drücken. Aber darüber konnten sie später sprechen. „Ich will sie kennenlernen.“

Darüber schien Erin sich zu freuen. Das Grübchen in ihrer Wange wurde tiefer. „Gut“, sagte sie nur. „Ich habe Christie noch nicht erzählt, warum wir hier sind, weil ich zuerst wissen wollte, wie Sie reagieren. Es hätte ja sein können, dass Sie mir nicht glauben.“

„Bei dieser Ähnlichkeit? Unwahrscheinlich.“ Parker konnte es immer noch nicht glauben, dass er wirklich ein Kind hatte. „Wann kann ich sie sehen?“

Erin sah auf die Uhr. „Es ist jetzt kurz vor elf. Passt es Ihnen, wenn wir um zwei Uhr kommen?“

In drei Stunden erst. Sie würden ihm wie eine Ewigkeit vorkommen. „Ja.“

„Schön.“ Erin stand auf, und er begleitete sie zur Vordertür. „Finden Sie den Weg in die Stadt zurück?“

„Ich habe ja auch hierher gefunden. Außerdem habe ich eine Karte.“ Sie gab ihm die Hand. „Sie werden Christie mögen.“

„Ja“, sagte er mit belegter Stimme. „Und danke. Ich kann es immer noch nicht ganz fassen.“

„Verständlich.“ Erin lachte. „Da taucht auf einmal eine wildfremde Frau auf und erzählt Ihnen, dass Sie ein Kind haben, von dem Sie nichts ahnten. Ich finde, Sie haben sich unter diesen Umständen gut gehalten.“ Sie sahen sich an. „Dann bis später.“

„Ich freue mich schon.“

Parker blickte ihr nach. Erst als er sie nicht mehr sehen konnte, fielen ihm noch all die Fragen ein, die er ihr nicht gestellt hatte – zum Beispiel die nach einem Ehemann. Er konnte sich nicht daran erinnern, ob sie einen Ehering trug. Hatte sie Christie nach Staceys Tod adoptiert? Und vor allem: Was würde sie seiner kleinen Tochter über ihn erzählen, nachdem sie ihn gesehen hatte?

Als er ein Geräusch hörte, drehte er sich um. Kiki stand in der Halle, ihre Augen funkelten.

„Und? Was wollte sie?“, fragte sie.

„Sie brauchen gar nicht so unschuldig zu tun. Ich weiß genau, dass Sie an der Tür gelauscht haben.“

Kiki kämpfte kurz mit sich, ob sie alles abstreiten und ihre Würde verteidigen sollte, aber dann drückte sie ihn nur herzlich. „Ich freue mich ja so für Sie! Jetzt kommt wieder ein bisschen Leben ins Haus, und Sie werden von ihren blöden Computern abgelenkt.“

„Immer langsam!“ Parker hob abwehrend die Hände. „Niemand hat gesagt, dass Christie zu mir ziehen wird. Ich muss sie doch erst einmal kennenlernen und …“

„Ach, Christie heißt sie? Ich habe leider nicht alles verstanden“, entschuldigte Kiki sich.

„Das nächste Mal reden wir lauter“, versprach Parker trocken.

Kiki überhörte die Spitze und machte sich unverzüglich an die Planung. „Wir brauchen Kekse, Limonade, vielleicht auch Eis … Wann kommen sie?“

„Um zwei Uhr.“

Sie ging vor ihm auf und ab, ein fuchsienfarbenes Energiebündel. „Andererseits sind zu viele Süßigkeiten nicht gut für Kinder. Ein paar belegte Brote wären vielleicht besser … Mir wird schon etwas einfallen, machen Sie sich da mal keine Sorgen.“

Parker hatte das Gefühl, als wäre ihm der Boden unter den Füßen entzogen. In einem einzigen Augenblick war sein Leben auf den Kopf gestellt worden. Zum ersten Mal seit vielen Jahren spürte er wieder etwas in sich – Neugier, vielleicht auch ein bisschen Angst.

Noch drei Stunden, dann würde er seine Tochter kennenlernen.

2. KAPITEL

„Daddy, Daddy“, sang Christie. „Fahren wir jetzt zu meinem Daddy?“

„Ja, meine Süße.“

„Warum hat er nicht gewusst, dass er mein Daddy ist?“

„Weil Stacey es ihm nicht erzählt hat.“

„Und warum hast du es ihm nicht erzählt, Mommy?“

„Weil ich nicht gewusst habe, wo er ist.“

„Hat er mich denn nicht im Bauch gesehen?“

„Stacey hat ihm ihren Bauch gar nicht gezeigt.“

„Wie bin ich denn in ihren Bauch gekommen?“

Erin umfasste das Lenkrad fester. Ausgerechnet jetzt musste Christie sich Gedanken darüber machen, woher die kleinen Kinder kamen! „Sieh mal“, sagte sie mit übertriebener Begeisterung. „Da ist schon das Meer!“

Das Ablenkungsmanöver klappte. „Es ist ganz blau. Wo hört es auf?“

„Es hört gar nicht auf.“

Christie dachte eine Weile über diese neue Information nach. Erin musterte sie verstohlen. Es war unglaublich, wie ähnlich die Kleine Stacey sah. Vor allem die Lebhaftigkeit und Wissbegierde hatte sie von ihrer Mutter geerbt. Die schnelle Auffassungsgabe hatte sie aber auch von ihrem Vater – genau wie den Mund und das Lächeln. Aber die Grübchen waren von den Ridgeways.

Parker Hamilton wohnte ziemlich abgelegen. Zuerst hatte Erin sich gewundert, dass jemand so isoliert lebte, aber seit sie das Anwesen gesehen hatte, verstand sie es besser. Das altmodische zweistöckige Holzhaus mit seinem steilen Dach und den spitzen Türmchen lag wie ein Zauberschloss inmitten von Bäumen, üppigen Blumen und weiten Rasenflächen gleich am Meer.

„Hat mein Daddy noch mehr Kinder?“, wollte Christie wissen.

„Danach habe ich ihn nicht gefragt.“

Immerhin wusste sie, dass Parker nicht verheiratet war, denn nachdem sie Staceys Tagebuch gefunden hatte, hatte sie Erkundigungen über ihn eingezogen. Offenbar hatte er einen großen Namen in der Computerwelt, seine Firma hatte zu den Branchenführern gehört. Vor einiger Zeit hatte er sie verkauft, arbeitete aber weiter im Softwarebereich. Von seinem Privatleben war nur wenig an die Öffentlichkeit gedrungen. Man wusste nur, dass er Witwer war, von Kindern war nirgends die Rede gewesen.

Erin bog in die gepflasterte Zufahrt ein und atmete tief durch. Die Luft war salzig und herrlich frisch.

„Kannst du das Meer riechen?“, fragte sie Christie.

Christie kräuselte ihre kleine Nase. „Ja. Nach was riecht es?“

„Nach Salz und Sonne.“

„Sonne kann man doch gar nicht riechen.“

„Doch, manchmal schon.“

Christie sah ihre Mommy skeptisch an, widersprach aber nicht. „Das ist aber ein schöner Garten“, sagte sie dann. „Ich finde, Daddy wohnt ganz schön weit weg.“

„Da hast du recht.“

Erin fürchtete sich davor, dass Christie sie fragen könnte, wie es jetzt weitergehen sollte. Aber darüber machte eine Vierjährige sich vielleicht gar keine Gedanken. Sie selbst war immerhin siebenundzwanzig Jahre alt und wusste auch nicht genau, wie sie mit dieser schwierigen Situation umgehen sollte. Natürlich hatte sie sich einen Plan zurechtgelegt, der ihr ziemlich logisch erschien, aber aus Erfahrung wusste sie, dass scheinbar logische Pläne nicht immer auch die besten waren.

Zu beiden Seiten der gewundenen Auffahrt wuchsen üppige Büsche und hohe Bäume, hinter denen unvermittelt das Haus auftauchte.

„Das ist aber ein großes Haus, Mommy“, stellte Christie ehrfürchtig fest.

„Ja, nicht? Und es ist so hübsch. Die Fenster sehen in der Sonne wie richtige Edelsteine aus, findest du nicht?“

„Ja.“

Erin hatte das merkwürdige Gefühl, als sei sie an dem Ort angekommen, den sie ihr Leben lang gesucht hatte. Kein Wunder, dass Stacey sich in das Haus und seinen Besitzer verliebt hatte. Sie war zwar im Vergleich zu ihrer Schwester eher ein nüchterner Mensch, aber selbst sie konnte sich der Atmosphäre nicht ganz entziehen.

Sie parkte den Wagen, und sie stiegen aus. Hier oben war der Meeresduft noch intensiver. Von unten klang das Rauschen und Plätschern der Wellen herauf.

Christie hüpfte aufgeregt auf und ab. „Wohnt mein Daddy in dem schönen Haus? Gehört es ihm ganz allein? Darf ich alle Zimmer ansehen?“

Erin lachte. „Eines nach dem anderen. Ja, dein Daddy wohnt hier, und das Haus gehört ihm ganz allein. Und wenn du ihn fragst, zeigt er dir bestimmt alle Zimmer.“

Bevor sie noch mehr sagen konnte, ging die Tür auf, und Parker Hamilton stand vor ihnen.

„Ist das mein Daddy?“, flüsterte Christie und tastete unwillkürlich nach Erins Hand.

„Ja.“

Sie betrachtete Parker mit der ganzen Ernsthaftigkeit ihrer vier Jahre und schaute dann zu Erin auf. „Ich glaube, er ist nett.“ Sie hatte darauf bestanden, für diesen Besuch ihre lindgrünen Lieblingsshorts und das T-Shirt mit dem Fisch darauf anzuziehen. Dazu trug sie grüne Schleifen im Haar.

Erin drückte ihre Schulter. „Komm.“

Parker hatte nur Augen für seine kleine Tochter.

Was mochte jetzt in ihm vorgehen? Erin versuchte sich vorzustellen, was sie in seiner Lage denken würde. Aber sie konnte keinen vernünftigen Gedanken fassen. Parker mochte mit seinem dunklen Haar und den dunklen Augen ganz gut aussehen, aber überwältigend attraktiv war er nun auch wieder nicht. Und doch … irgendetwas an ihm ließ ihr den Atem stocken.

Die oberen zwei Knöpfe seines weißen Hemdes standen offen, die Ärmel hatte er hochgerollt. Die engen, abgetragenen Jeans betonten seine schmalen Hüften und die langen Beine. Die Turnschuhe hatten schon bessere Tage gesehen. Seinen Reichtum sah man ihm nicht an.

Jetzt machte er eine Bewegung auf sie zu und zögerte dann.

Christie sah ihn ernst an. „Bist du wirklich mein Daddy?“

Parker nickte und ging vor ihr in die Hocke. „Ja, Christie. Ich heiße Parker Hamilton.“

„Soll ich nicht Daddy zu dir sagen?“

Parker sah zu Erin auf, als suchte er Rat bei ihr.

Sie lächelte. „Ich denke doch.“

Eine Reihe von Gefühlen wechselte sich in Parkers Gesichtsausdruck ab – Verwirrung, Unbehagen, ungläubige Freude.

Erin konnte sich nur zu gut vorstellen, was in ihm vorging. Ihr war es ja nicht viel anders ergangen, als sie von Christie erfahren hatte. Nur war ihre Nichte damals noch ein winziges Baby gewesen.

„Hast du gar nicht gewusst, dass ich auf der Welt bin, Daddy?“

Parker schüttelte den Kopf. „Nein. Das habe ich erst heute erfahren.“ Er streckte vorsichtig die Hand aus und berührte ihre Wange.

„Freust du dich, dass ich da bin?“ Wie immer kam sie sofort zum Kern der Sache.

„Und wie!“

„Ich auch.“ Christie schenkte ihm ihr verführerischstes Lächeln. Erin war inzwischen immun dagegen, aber auf Parker wirkte es Wunder.

Er breitete die Arme aus und zog seine kleine Tochter an sich.

Christie schlang die Arme um seinen Hals und drückte sich an ihn. Parkers dunkles Haar bildete einen Kontrast zu dem helleren Haar seiner Tochter, das denselben rötlichen Schimmer hatte wie das von Erin und Stacey.

Erin war zwar auf diesen Augenblick vorbereitet gewesen, aber jetzt spürte sie doch, wie ihre Kehle eng wurde.

Christie löste sich von ihrem neu gefundenen Vater und strahlte ihn an. „Du riechst ganz anders als Mommy.“

Vom Haus kam ein Geräusch, und Erin entdeckte die Haushälterin unter der Tür.

Parker stand auf. „Kiki, das ist meine Tochter Christie.“

Christie betrachtete Kiki eine Weile. „Bist du die Mommy von meinem Daddy?“

Kiki lächelte und beugte sich zu Christie hinunter. „Nein, ich bin seine Haushälterin. Ich koche für ihn und passe auf ihn auf. Magst du Kekse?“ Christie nickte heftig. „Ich habe gerade welche gebacken. Hilfst du mir, sie auf die Terrasse zu bringen?“

Christie hüpfte neben Kiki davon.

Parker blickte den beiden nach, dann schüttelte er den Kopf, als müsste er wieder zu sich kommen.

„Alles in Ordnung?“, fragte Erin besorgt.

„Ja.“ Er sah sie an. „Sie ist sehr süß.“

„Wenn sie will“, meinte Erin trocken. „Sie müssen aufpassen, dass sie Sie nicht um den kleinen Finger wickelt.“

Parker erinnerte sich wieder an seine guten Manieren. „Kommen Sie doch herein“, lud er sie ein und trat einen Schritt beiseite. Er führte sie zur Terrasse, und dabei ruhte seine Hand leicht auf ihrer Hüfte. Die Berührung ging Erin durch und durch. Aber sie war entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen.

Der Tisch auf der Terrasse war mit einem weißen Tischtuch und Kaffeegeschirr gedeckt.

„Kiki hat mindestens drei Stunden in der Küche gewütet. Als käme eine ganze Kompanie auf Besuch!“

Seine dunklen Augen schienen sie zu hypnotisieren. Sie konnte den Blick nicht abwenden. Ich benehme mich völlig idiotisch, dachte Erin. Sie zwang sich, aufs Meer hinaus zu schauen. Kleine Wellen glitzerten in der Sonne, der Himmel darüber war tiefblau.

„Wir leben in Palmdale“, erzählte sie. „Das liegt ungefähr hundertfünfzig Kilometer nördlich von Los Angeles. Im Winter ist es kalt und windig, und im Sommer heiß und windig.“

„Ich erinnere mich flüchtig daran, dass Stacey davon erzählt hat.“

„Stacey hat in Stanford studiert.“ Erin unterdrückte einen Seufzer. Es war nicht genug Geld da gewesen, als dass sie beide eine so teure Universität hätten besuchen können, und so hatten sie einen Kompromiss geschlossen. Stacey war nach Stanford gegangen, und sie selbst hatte ein staatliches College im Ort besucht. Nach dem Abschluss hatte Erin sich dann für ein Stipendium bewerben wollen, aber so weit war es nicht mehr gekommen. Stacey war gestorben und hatte ihr Christie hinterlassen. Da war keine Zeit mehr für ein Zusatzstudium gewesen.

„Christie nennt Sie Mommy.“

„Ja. Aber sie weiß, dass ihre richtige Mutter tot ist – soweit eine Vierjährige das begreifen kann. Und für mich ist sie meine Tochter.“

Christie tauchte an der Terrassentür auf. Im vollen Bewusstsein ihrer Verantwortung trug sie ein Tablett mit Gebäck vor sich her.

Parker schüttelte wie benommen den Kopf. „Vor fünf Stunden habe ich nicht einmal geahnt, dass ich ein Kind habe.“

Erin hatte nicht erwartet, dass er über seine unverhoffte Vaterschaft besonders begeistert war. Aber Christie hatte das Recht, ihren Vater kennenzulernen, und Parker musste erfahren, dass er eine Tochter hatte.

Christie brachte ihr Tablett heil bis zum Tisch, hinter ihr folgte Kiki mit einem Krug Limonade.

„Die Schokoladenkekse schmecken ganz toll.“

Erin lächelte. „Das sehe ich.“ Sie wischte ihr den Mund ab. „Wie viele hast du denn schon gegessen?“

„Nur einen“, sagte Kiki, als sie die Limonade ausschenkte. Sie zwinkerte Erin zu. „Sie wollte mir einreden, dass sie schon halb verhungert ist.“

„Wir haben doch gerade erst gegessen“, meinte Erin.

„Aber ich habe echt noch ganz viel Hunger“, behauptete Christie.

„Wenn hier jemand Hunger hat, dann ich“, erklärte Parker und steckte sich mehrere Kekse auf einmal in den Mund. „Ich habe nämlich nichts zum Mittagessen bekommen.“

„Oje.“ Kiki schlug die Hand vor den Mund. „Das war wohl die Aufregung.“

„Kein Problem. Aber vielleicht könnten Sie mir schnell ein belegtes Brot machen.“

„Ja, natürlich.“ Auf dem Weg zur Küche drehte Kiki sich noch einmal um. „Für Sie auch, Erin?“

„Nein, danke.“

Christie kletterte auf einen Stuhl zwischen Parker und Erin, nahm mit beiden Händen ihr Glas und trank hastig. Die Limonade lief ihr über das Kinn. Dann stellte sie ihr Glas ab. „Jetzt habe ich eine Mommy und einen Daddy“, verkündete sie zufrieden.

Erin schob ihr ein paar vorwitzige Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Und das nutzt du weidlich aus, hm?“

Christie zeigte auf den Limonadenkrug. „Ich will noch mal Limonade.“

„Bitte“, sagte Erin automatisch.

„Und Kekse.“

„Aber nur noch einen.“

„Ich will aber zwei.“

„Ich habe gesagt, einen, und dabei bleibt es.“

Christie schob schmollend die Unterlippe vor.

„Willst du deinem Daddy nicht erzählen, wie es dir in der Vorschule gefällt?“

„Bist du schon so groß, dass du in die Schule gehst?“, fragte Parker beeindruckt.

„Ja, jeden Tag“, berichtete Christie stolz. „Ich weiß schon ganz viel. Nur Mommy ist noch klüger.“ Sie betrachtete ihren Vater nachdenklich. „Weißt du mehr als Mommy?“

Parker verschluckte sich fast. Er trank einen Schluck Limonade und atmete tief durch.

„Überlegen Sie sich Ihre Antwort gut“, riet Erin und biss genüsslich in ihren Keks.

„Sagen wir so: Ich weiß bestimmt mehr über Computer als deine Mommy“, begann Parker vorsichtig. „Aber von den anderen Sachen weiß sie sicher mehr.“

„Gut aus der Affäre gezogen“, lobte Erin, und er lachte sie an.

Sie wusste nicht, wie ihr geschah. Der Mann sah ganz gut aus, zugegeben. Er war lieb zu Christie und hatte offenbar auch Humor. Aber das reichte als Erklärung für diese Wärme, die sich jetzt in ihrem Körper ausbreitete, unmöglich aus. Es musste die Meeresluft sein, die diese seltsame Wirkung auf sie hatte. Vielleicht lag es auch an der Sonne oder den Keksen. Oder daran, dass sie in den letzten vier Jahren mit keinem Mann mehr ausgegangen war, weil sie so damit beschäftigt gewesen war, ihr Pädagogikstudium abzuschließen, eine Arbeit zu suchen und vor allem, Christie zu versorgen. Jetzt erwachte offenbar wieder etwas zum Leben, was sie längst vergangen geglaubt hatte. Das war alles.

Christie kaute geräuschvoll. „Hast du einen Hund?“, wollte sie von ihrem Vater wissen.

„Nein, tut mir leid“, bedauerte Parker.

„Aber Hunde sind ganz süß!“

„Davon bin ich überzeugt.“ Er wirkte etwas verwirrt. „Hast du denn einen?“

Christie seufzte. „Nein. Aber vielleicht kriege ich einen, wenn ich größer bin.“ Sie trank einen Schluck. „Hast du noch mehr Kinder, von denen du nichts weißt?“

Parker bekam einen Erstickungsanfall. Es dauerte eine Weile, bis er sich davon erholt hatte.

„Das scheint chronisch zu sein“, meinte Erin mitfühlend und schenkte ihm Limonade nach.

„Es hat erst vor Kurzem angefangen.“ Er hustete. „Nein, Christie, ich habe sonst keine Kinder.“

„Dann bin ich dein allereinzigstes Kind?“

„Ja.“

Christie kräuselte ihre kleine Nase und legte den Kopf schief. „Und mit wem soll ich spielen?“

„Ich weiß nicht, ob hier in der Nähe andere Kinder wohnen. Aber ich kann Kiki fragen.“

„Oder ich könnte mit einem Hund spielen.“

„Kein Hund“, erklärte Erin fest.

„Er kann auch klitzeklein sein.“

„Christie!“

„Ist gut, Mommy.“ Christie schenkte Parker einen hinreißenden Augenaufschlag. „Es ist nicht immer leicht mit mir.“

„Das kann ich mir lebhaft vorstellen.“ Vater und Tochter lächelten sich an.

Seit Erin Staceys Tagebuch gefunden hatte, hatte sie mehrere schlaflose Nächte verbracht, weil sie nicht wusste, ob es gut war, was sie tat. Aber als sie Vater und Tochter jetzt zusammen sah, wusste sie, dass sie richtig gehandelt hatte.

3. KAPITEL

Parker fühlte sich wie in Trance. Nichts war mehr so wie früher. Er hatte eine Tochter … Nicht dass Christie ihm nicht gefiel, aber er war nicht zum Vater geboren. Kinder waren unbekannte Wesen für ihn.

„Möchte noch jemand Kekse oder Limonade?“, erkundigte Kiki sich, als sie mit Parkers Sandwich wieder auf der Terrasse erschien.

„Danke, nicht für Christie und mich“, sagte Erin.

Parker aß mit sichtlichem Genuss. „Wunderbar“, sagte er.

Kiki ging neben Christie in die Hocke. „Ich wette, du hast ein eigenes Zimmer zu Hause“, sagte sie.

Christie nickte eifrig. „Ja. Mit einem großen Bett und ganz vielen Büchern.“

Kiki stand auf. „Christie und Erin würden sich bestimmt gern den Garten anschauen und zum Strand hinunter gehen“, sagte sie zu Parker.

„Na, was meinst du?“, fragte er seine Tochter.

„Ich möchte an den Strand“, erklärte sie ihm ernsthaft.

Parker führte seine beiden Besucherinnen durch den Salon auf die andere Seite des Hauses. „Von der Terrasse gibt es leider keinen Weg zum Strand hinunter“, erklärte er, als er ein kleines schmiedeeisernes Tor öffnete.

„Wunderschön ist es hier“, sagte Erin und sah sich um. „Ich hätte gar nicht gedacht, dass hier direkt an der Küste so viel wächst.“

„Ich habe einen sehr engagierten Gärtner.“ Parker versuchte sich zu erinnern, wann er den Garten das letzte Mal bewusst wahrgenommen hatte. In den letzten Jahren hatte er nur noch seine Arbeit im Kopf gehabt.

Vor ihnen lag der Pazifik in seiner ganzen Weite, nur begrenzt vom dunstverhangenen Horizont. Zu ihrer Linken erhob sich das Haus, nach rechts erstreckte sich die wild-raue Küste North Carolinas.

„Bis wo geht das Meer?“, wollte Christie wissen.

„Rund um die Erde“, sagte Parker.

Christie hüpfte an Erin hoch. „Mommy, ich will mit dem Boot rund um die Erde fahren!“

„Lieber nicht“, wehrte Erin ab. „Ich werde leider ziemlich schnell seekrank.“

„Ich auch“, sagte Parker. „Nur bei Kreuzfahrtschiffen habe ich keine Schwierigkeiten.“

„Ich habe noch nie eine Kreuzfahrt gemacht.“

Offenbar hatte er den Verstand verloren, denn er hatte das mehr als merkwürdige Verlangen, auf der Stelle eine Kreuzfahrt zu buchen – für sich, Erin und Christie.

Er ging vor seiner Tochter in die Hocke. „Hast du Lust, Huckepack zu reiten?“

Christie klatschte aufgeregt in die Hände. „Oh, ja!“

Sie schlang die Arme um seinen Hals, und er stand mit ihr auf.

„Mommy, sieh mal!“, rief sie.

„Ja, toll.“

Erin bildete die Vorhut auf der steilen Treppe zum Strand. Christie klammerte sich wie ein kleines Äffchen an Parker. Sie roch nach Schokolade und Limonade, und er spürte, wie ihm die Brust eng wurde.

Es war Ebbe. Der Sand war noch feucht und fest. Parker setzte Christie ab, und sie rannte mit ausgebreiteten Armen zum Wasser und wieder zurück.

„Was für ein Energiebündel!“

„Heute ist sie natürlich besonders aufgedreht“, meinte Erin. „Ich bin ganz froh, wenn sie sich müde läuft. Dann schläft sie heute Abend wenigstens bald ein.“

„Sie sind mit einer Freundin unterwegs, haben Sie gesagt?“

„Ja. Joyces Verlobter musste beruflich nach San Francisco, und sie trifft ihn dort.“ Als sie zu ihm aufsah, fielen ihm ihre dichten dunklen Wimpern auf.

„Was sagt denn Ihre Freundin zu der ganzen Geschichte?“

„Sie fand es gar nicht gut, dass ich Sie einfach so aus heiterem Himmel überfalle. Aber ich wollte Ihnen eine Chance geben.“

Christie winkte ihnen strahlend zu, und sie winkten zurück.

„Darüber freue ich mich sehr.“ Parker wusste noch immer nichts von Erin Ridgeway. Natürlich konnte sie es auf sein Geld abgesehen haben. Und wenn schon. Er hatte eine Tochter, und alles andere war unwichtig.

Christie kam auf sie zugerannt. „Der Daddy von meiner Freundin Angela ist Polizist“, teilte sie Parker mit. „Und was arbeitest du?“

„Ich entwerfe Computerprogramme.“

„Computer sind toll“, erklärte Christie. „Aber Hunde mag ich lieber.“

Erin musste lachen. Sie zog ihre Tochter in die Arme. „Ich werde dich so lange kitzeln, bis du mit dem Hund aufhörst.“

„Ich höre ja schon auf!“ Christie schlang die Arme um ihre Mutter.

Parker betrachtete die beiden neidisch. In seiner Familie war es nie so liebevoll zugegangen.

„Was meinen Sie?“, erkundigte Erin sich lächelnd. „Sollen wir sie ins Meer zu den anderen Seemonstern werfen?“

„Die werfen sie nur wieder zurück.“

„Ist ja gar nicht wahr!“, krähte Christie. „Sie würden mich zu ihrer Prinzessin machen, und ich würde ein Wasserschloss kriegen, und ihr wärt ganz, ganz traurig, weil ich weg bin.“

„Das könnte allerdings sein.“ Erin gab ihr einen Kuss aufs Haar. „Ich glaube, wir sollten uns langsam wieder auf den Rückweg machen. Ich habe noch einige Dinge mit deinem Vater zu besprechen.“

Wie das klang: mit deinem Vater

Christie rannte zur Treppe, und die beiden Erwachsenen folgten ihr. Oben atmete Erin tief durch. „Puh! Meine Kondition ist wirklich erbärmlich. Ich sollte mehr Sport treiben.“

Parker bog einen dünnen Ast für sie beiseite. „Sind Sie berufstätig?“

Erin lachte. „Ja, natürlich. Was denken Sie denn? Ich bin Grundschullehrerin.“

„Es hätte ja sein können, dass Sie Geld von einer Lebensversicherung bekommen haben.“

Erin schüttelte den Kopf. Ihre Augen wurden dunkel. „Nein. Ich habe ein bisschen Geld von Stacey geerbt. Im ersten Sommer bin ich bei Christie zu Hause geblieben. Es war doch ein ziemlicher Schock, als ich so plötzlich zu einem Kind kam.“

„Wem sagen Sie das.“

Erin lächelte, und dabei bildete sich ein Grübchen in ihrer Wange. „Ich weiß. Aber mir ist keine schonende Methode eingefallen, Ihnen Ihre Tochter zu präsentieren.“

„Ich finde, Sie haben das sehr charmant gemacht.“ Er legte ihr die Hand auf den Rücken, und sie fuhr unwillkürlich zusammen. Deshalb ließ er die Hand wieder sinken. „Wollten Sie immer schon Lehrerin werden?“

„Nein. Aber mit einem Kind schien mir das am vernünftigsten. Man ist nur halbtags in der Schule und hat den ganzen Sommer frei. Also habe ich das Lehrerexamen gemacht und fing an zu arbeiten, als Christie ein Jahr alt war.“

Parker öffnete das Tor. Christie rannte los, drehte sich ein paar Mal im Kreis und ließ sich schließlich atemlos auf den Rasen fallen. Im nächsten Augenblick war sie schon wieder auf den Beinen und hüpfte wie ein Gummiball auf und ab. Parker bedauerte aufrichtig, dass er die ersten vier Jahre ihres Lebens nicht hatte miterleben dürfen.

Kiki wartete in der Halle auf sie. „Na, war es schön am Strand?“, fragte sie Christie.

Christie nickte begeistert. „Ganz toll. Es waren ganz viele Vögel da, und Daddy hat mich Huckepack getragen. Beinahe hätte ich einen Krebs gefangen, aber dann hat er sich einfach eingegraben und war weg.“

Kiki strich ihr über die Haare. „Beim nächsten Mal musst du eben schneller sein.“ Sie sah zu Parker auf. „Wie wäre es mit einer Führung durchs Haus?“

„Wenn Sie Lust haben?“ Parker schaute Erin fragend an.

Sie standen im Wohnzimmer. „Das Haus ist größtenteils noch im selben Zustand wie für achtzig Jahren, als es gebaut wurde.“ Die Decke musste gut sechs Meter hoch sein. Sie war von dunklen Balken durchzogen. Hohe Glastüren gingen auf die Terrasse und das dahinter liegende Meer hinaus, kleinere Fenster an der gegenüberliegenden Wand zum Garten. Die Sitzgarnitur war aus dunkelblauem Leder. An den Wänden hingen moderne und alte Bilder einträchtig nebeneinander.

Das Esszimmer hatte kleinere Fenster, aber die Aussicht war ähnlich spektakulär.

Zu Parkers Lieblingsräumen gehörte die Bibliothek. Bücherregale zogen sich an drei Wänden entlang und ließen nur eine Aussparung für den Kamin. Die vierte Wand beherbergte eine eindrucksvolle Musik- und Fernsehanlage.

Christie betrachtete den gewaltigen Fernsehschirm geradezu ehrfürchtig.

„Leider habe ich keine Kinderfilme da“, meinte Parker. „Aber wenn du mir sagst, was du dir gern ansiehst, werde ich das ändern.“

Christies Augen wurden groß. „Echt?“

Erin berührte sie an der Schulter. „Darüber denken wir später nach“, meinte sie. „Aber du kannst dich schon mal bei deinem Daddy für alles bedanken.“

„Danke.“ Christie bebte vor Aufregung. Ihr Blick fiel auf ein gerahmtes Porträt. „Ist das eine Prinzessin?“

Parker musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass sie Robin meinte. Er nahm seine Tochter an die Hand. „Nein. Das ist meine Frau Robin.“

Christie runzelte die Stirn. „Wenn du eine Frau hast, kannst du doch gar nicht mein Daddy sein.“

„Robin ist schon lange im Himmel.“

„Wie meine andere Mommy.“ Christie berührte vorsichtig den Bilderrahmen. „Sie hat schöne Haare.“ Sie griff nach ihren Rattenschwänzen. „Viel schöner als meine.“

„Aber ich finde dich auch sehr hübsch“, sagte Parker, und Christie strahlte ihn an.

Robin trug auf dem Foto ein weißes knöchellanges Kleid im Stil der zwanziger Jahre und einen breitkrempigen Hut. Den Kopf hatte sie leicht abgewandt. Auf dem Schwarz-Weiß-Bild konnte man das wundervolle Rot ihrer Haare nicht sehen. Der Hut beschattete ihre Sommersprossen. Sie sah fast überirdisch schön darauf aus, aber sie war ihm gleichzeitig fremd.

„Ich hatte ganz vergessen, wie schön sie war“, sagte Erin fast unhörbar. Als Parker sie ansah, errötete sie. „Ich kenne ihr Bild aus Zeitschriften. Es tut mir leid, dass sie tot ist.“

Was hatte Erin noch über ihn gelesen? Und was wollte sie wirklich von ihm?

„Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir uns unterhalten.“ Er wies einladend auf das braune Ledersofa an der hinteren Wand.

„Das ist ein ganz langweiliges Gespräch unter großen Leuten“, sagte Kiki zu Christie. „Komm, wir gehen nach oben. Da gibt es ein Geheimzimmer.“

„Echt?“

Parker wartete, bis die beiden verschwunden waren. Dann setzte er sich in seinen Lehnsessel. „Die Einleitung kann ich mir sparen. Christie ist meine Tochter, daran habe ich keinen Zweifel. Ich nehme an, Sie wollen die Unterhaltsfrage klären.“

Erin sah ihn eine Weile sprachlos an. Dann beugte sie sich vor. „Offenbar hat Reichtum auch seine Schattenseiten. Kommen viele Leute nur deshalb zu Ihnen, weil sie Ihr Geld wollen?“

„Mehr, als Sie sich vorstellen können.“

„Das ist sicher nicht angenehm für Sie. Aber ich kann Sie beruhigen: Christie und ich brauchen keine finanzielle Unterstützung. Wir kommen sehr gut zurecht.“

Sie hatte lange, schmale Finger. Jetzt schob sie die Ärmel ihres Pullis hoch, sodass die einfache Uhr an ihrem Handgelenk sichtbar wurde. Parker ließ den Blick über ihre verführerischen Rundungen gleiten und spürte, wie in ihm etwas leise anklang, das schon lange nicht mehr da gewesen war. Wenn sie wirklich nicht an seinem Geld interessiert war, dann war sie völlig anders als alle Frauen, denen er nach Robins Tod begegnet war.

„Ehrlich gesagt, geht es mir mehr um die emotionale Seite.“

„Und wie soll das aussehen?“

„Christie braucht einen Vater, und zwar einen, der sich regelmäßig um sie kümmert. Wenn Sie das nicht wollen, sagen Sie es lieber gleich, um Christie später die Enttäuschung zu ersparen.“

„Ich würde ihr nie wehtun“, sagte Parker ruhig und wusste gleichzeitig, dass es eine Lüge war. Bisher hatte er noch allen Menschen wehgetan, denen er etwas bedeutete. „Ich habe das Gefühl, dass Sie bereits ziemlich feste Vorstellungen von meiner Vaterrolle haben.“

Erin nickte. „Ja“, gab sie zu. „Die Entfernung ist natürlich ein Problem. Aber ich kann Christie nicht aus ihrer gewohnten Umgebung herausreißen, nur weil das für Sie bequemer wäre. Deshalb schlage ich vor, dass Sie sie regelmäßig besuchen, sagen wir jedes dritte Wochenende. Es ist leichter, wenn Sie kommen, als umgekehrt. Sie ist noch zu klein, um allein zu fliegen, und ich kann unmöglich jedes Mal übers Wochenende herfahren.“

„Einverstanden“, sagte Parker, obwohl ihm etwas mulmig war. Worauf ließ er sich da ein? Er sollte jedes dritte Wochenende mit einem vierjährigen Kind verbringen, das er praktisch nicht kannte?

„In den Sommerferien könnte Christie dann für vier Wochen zu Ihnen kommen, und die Woche nach Weihnachten auch.“

Ihm schwirrte der Kopf. „Sie haben das ja alles schon bis ins Detail ausgeklügelt.“

„Ich dachte, das würde es leichter machen. Wenn Sie einverstanden sind, bleibe ich mit Christie zwei Wochen in der Stadt, dann können Sie sie besser kennenlernen.“ Erin lächelte. „Es ist nicht einfach, von einem auf den anderen Tag ohne Vorwarnung die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen.“

Parker wusste nicht, was er sagen sollte. Das klang alles sehr vernünftig, aber was war denn, wenn er mehr Zeit mit seiner Tochter verbringen wollte, als Erin vorgesehen hatte?

Doch bevor er seine Bedenken anmelden konnte, stürmte Christie mit einem Blumenstrauß hinein, gefolgt von Kiki.

„Die sind aber schön“, sagte Erin.

„Kiki hat gesagt, dass ich sie pflücken darf.“ Christie legte ihr die Blumen in den Schoß. „Riech mal!“

„Danke schön.“ Erins Lächeln schloss Kiki mit ein.

„Weißt du, was noch?“ Christie hüpfte aufgeregt von einem Fuß auf den anderen.

„Nein. Was denn?“

„Du hast gesagt, dass wir in der Stadt bleiben, damit ich mit Daddy was machen kann.“ Christie setzte ihr verführerischstes Lächeln auf, mit dem sie meistens erreichte, was sie wollte – wenn auch nicht immer bei Erin. „Wir können doch bei Daddy wohnen.“

4. KAPITEL

Erin war nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte. Aber ein Blick in Parkers entgeisterte Miene war Bestätigung genug. Christie wollte hier bei ihrem Vater bleiben, ganz einfach.

Das war natürlich ausgeschlossen. Außerdem hatte Erin das Gefühl, dass sie Abstand von Parker brauchte. Aus Gründen, die ihr vollkommen unverständlich waren, spielten ihre Hormone verrückt, wenn er in ihrer Nähe war, und ihre Brust wurde eng.

„Das Kinderzimmer ist ganz oben“, erzählte Christie aufgeregt. Von der Spannung, die plötzlich zwischen den Erwachsenen herrschte, bekam sie nichts mit. „Aus dem Fenster kann man das Meer und den Himmel sehen. Und ein Schaukelpferd ist da und ein Spielhaus und ein ganz großes Bett nur für mich allein.“ Ihr Lächeln war unwiderstehlich. „Und auf der anderen Seite das Zimmer ist für dich, mit einer Bank am Fenster. Und mit einem kleinen Korb neben dem Bett. Für einen kleinen Hund.“ Christies Lächeln wurde breiter.

Erin stöhnte innerlich auf. Sie hatte das Gefühl, dass die Situation ihr völlig entglitten war.

„Kiki“, sagte Parker streng. „Haben Sie etwas damit zu tun?“

„Ich?“, fragte Kiki voller Unschuld zurück. „Christie hat mir nur erzählt, dass sie mit ihrer Mutter zwei Wochen in der Stadt bleiben will. Das Haus ist groß genug. Es wäre doch rausgeschmissenes Geld, wenn die beiden im Hotel wohnen würden.“

„Dann haben Sie der Kleinen den Floh ins Ohr gesetzt?“

„Möglicherweise habe ich eine Bemerkung in diese Richtung gemacht“, gab die Haushälterin zu. „Aber Sie müssen zugeben, dass etwas dran ist.“

Parker warf Erin einen Blick zu und schüttelte dann seufzend den Kopf. „Kiki ist schon so lange bei mir, dass sie praktisch unkündbar ist. Aber manchmal stellt sie meine Geduld sehr auf die Probe.“

„Sie brauchen gar nicht so zu tun, als wäre ich Luft“, beschwerte Kiki sich.

„Soll ich vielleicht lieber sagen, was ich wirklich denke?“

„Das muss nun auch nicht sein.“

Offenbar war diese Unterhaltung nicht ganz ernst gemeint. Wenigstens hat er Humor, dachte Erin. Wie sollte es jetzt weitergehen? Kiki und Christie wechselten hoffnungsvolle Blicke. „Ich glaube nicht …“, begann sie zögernd.

„Wenn Christie hier wohnt, ist das für Parker die beste Möglichkeit, sie kennenzulernen“, unterbrach Kiki sie.

Erin atmete tief durch.

„Ich weiß Ihre Bemühungen zu schätzen, Kiki, aber ich brauche keine Unterstützung“, sagte Parker.

Christie baute sich vor ihrem Vater auf und legte ihm die Hände auf die Knie. „Daddy, freust du dich, wenn Mommy und ich hier wohnen?“

Erin stand auf. „Es reicht, Christie. Du kannst deinen Daddy nicht so überfallen. Heute Morgen hat er noch gar nichts von uns gewusst, und jetzt willst du schon bei ihm einziehen. Das kommt nicht infrage.“

„Aber alle Kinder wohnen bei ihrem Daddy und ihrer Mommy.“

Erin ging neben Christie in die Hocke und nahm ihre kleinen Hände. „Nicht alle, Christie. Es ist besser, wenn wir im Hotel bleiben.“ Wenigstens für die Erwachsenen dachte sie.

Sie blickte zu Parker auf. „Es tut mir leid, dass wir Sie so strapazieren“, entschuldigte sie sich. „Am besten fahren wir jetzt zurück und sehen morgen weiter.“

Parker wandte sich unschlüssig an seine Tochter. „Möchtest du gern hierbleiben?“

Christie nickte so heftig, dass ihre Rattenschwänze in heftige Bewegung gerieten.

Er beugte sich vor, und sein Gesicht kam Erin so nah, dass sie die Schattierungen seiner Iris sah: diese Mischung aus Braun, Dunkelblau, grünen und goldenen Pünktchen.

„Ich finde die Idee gar nicht so schlecht“, meinte er schließlich. „Wir haben wirklich genug Platz hier. Kiki hat recht. Ich fände es schön, wenn Sie und Christie blieben.“

„Bitte, Mommy“, bettelte Christie.

„Sagen Sie Ja“, bat auch Kiki.

Erin atmete tief durch und gab sich einen Ruck. „Gut.“

„Juhu!“ Christie warf sich in ihre Arme. „Du bist die beste Mommy von der Welt!“

Erin strich ihr über den Kopf. „Ich werde dich daran erinnern, wenn du mal wieder nicht ins Bett gehen willst.“

Christie kicherte und drehte sich dann zu ihrem Vater um. „Kann ich in dem Kinderzimmer wohnen? Mit dem Schaukelpferd und dem Spielhaus?“

„Ja, natürlich.“ Parker stand auf. Er war bestimmt zwanzig Zentimeter größer als Erin, und sie war schon mit ihren einssiebzig nicht gerade klein. „Kiki wird Ihnen das Zimmer gegenüber herrichten, Erin. Dann sind Sie in Christies Nähe. Mein Zimmer liegt im ersten Stock.“

Damit wollte er ihr vermutlich andeuten, dass sie vor ihm in Sicherheit war.

„Das Motelzimmer ist bis morgen bezahlt“, sagte Erin. „Wir sollten deshalb heute noch dort übernachten. Morgen früh reist meine Freundin ab. Anschließend komme ich mit Christie her, voraussichtlich zwischen zehn und elf Uhr.“

„Na, dann wäre das auch geregelt“, meinte Kiki und ging mit Christie an der Hand zur Tür. „Du musst mir noch erzählen, was du gern isst. Soll ich für morgen einen Kuchen backen?“

Erin hörte Christies Antwort nicht mehr. Parker erschien ihr viel entspannter, nachdem die Entscheidung gefallen war. „Noch können Sie es sich überlegen.“

„Auf keinen Fall.“ Parker lächelte endlich. „Aber ich gebe zu, dass ich ein bisschen das Gefühl habe, als wäre eine Dampfwalze über mich hinweggerollt.“

„Nur ein bisschen?“, fragte Erin trocken.

„Nein, sehr“, gestand er mit einem etwas schiefen Lächeln. „Aber es geht um Christie, und ich werde versuchen, ihr ein möglichst guter Vater zu sein.“

„Darüber bin ich sehr froh. Christie verdient einen Vater, der sie liebt und sich um sie kümmert.“

„Kommen Sie, gehen wir zu ihr.“ Parker legte ihr die Hand auf den Rücken und führte sie zur Tür.

Und wieder schienen ihre Hormone durchzudrehen. Sie konnte nur hoffen, dass er nichts merkte.

„Ich verstehe dich nicht“, sagte Joyce am nächsten Morgen. „Du musst doch nicht gleich zu Christies Vater ziehen!“

„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen“, meine Erin. „Parker Hamilton hat sich wirklich gefreut, dass er plötzlich eine Tochter hat.“

„So viel zu Christie. Und was ist mit dir?“

„Mir geht es wunderbar.“

„Du bist siebenundzwanzig und lebst wie eine Nonne.“

„Irgendwann wird es sich ändern.“

„Es wird sich nie ändern, wenn du nicht selbst dafür sorgst. Aber jetzt muss ich wirklich fahren. Die Telefonnummer vom Hotel hast du?“

„Ja.“ Erin hob feierlich die Hand. „Und ich verspreche hoch und heilig, dass ich dich sofort anrufe, wenn es Probleme gibt.“

„Hoffentlich.“ Ihre Freundin winkte ihr noch einmal zu und war dann verschwunden.

Du lebst wie eine Nonne … Joyce hatte ja recht. Aber sie hatte noch keinen Mann kennengelernt, der ihr Herz schneller schlagen ließ. Meistens fehlte ihr auch nichts … Parker war der erste gut aussehende alleinstehende Mann, dem sie seit dem College begegnet war. Natürlich reagierte sie da auf ihn. Es hatte nichts weiter zu bedeuten.

Erin nahm das Foto ihrer Schwester aus dem Tagebuch im Koffer. Sie hatten schon früh die Eltern verloren und waren dann von einem Verwandten zum anderen weitergereicht worden. Daher kam wahrscheinlich Staceys Sehnsucht. Sie hatte auf den Traumprinzen gewartet, der sie erlöste, und Parker hatte diese Rolle in ihren Augen perfekt erfüllt.

„Ach, Stacey“, murmelte Erin. Sie steckte das Foto zurück, und dabei fiel der Brief aus dem Tagebuch. Erin faltete ihn auseinander.

Lieber Parker,

ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, deswegen sollst du nur wissen, dass es mir leidtut. Ich schäme mich so. Jetzt weiß ich, dass du mit allem recht hattest. Ich weiß wirklich nicht, was Liebe ist, aber ich hoffe, dass ich sie eines Tages finden werde, so wie du mit Robin.

Ich muss dir etwas mitteilen: Ich bekomme ein Kind von dir, und ich werde es behalten. Du wirst sicher wütend darüber sein. Vielleicht erzähle ich es dir auch erst nach der Geburt. Dann kannst du entscheiden, wie du dazu stehen willst.

Erin faltete den Brief wieder zusammen. Stacey hatte nicht lange genug gelebt, um Parker von Christie zu erzählen. Jetzt konnte sie selbst nur hoffen, dass sie das tat, was Stacey gewollt hätte.

5. KAPITEL

„Ganz schön anstrengend“, stellte Erin fest und blieb auf dem Treppenabsatz stehen.

Parker war direkt hinter ihr. Er stellte die Koffer ab. „Im ersten Stock sind genügend Zimmer. Wenn Sie lieber unten schlafen wollen …“

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein. Christie ist vom Kinderzimmer begeistert, und ich möchte in ihrer Nähe sein.“

Als Parker und Robin hier eingezogen waren, hatten sie sich oft ausgemalt, wie ihre Kinder einmal hier oben spielen würden.

Christie warf sich in seine Arme. „Daddy, das ist das allerschönste Zimmer von der ganzen Welt!“

Parker hielt sie ganz fest. „Fein, dass es dir gefällt“, sagte er mit belegter Stimme.

„Das Zimmer ist ein Traum“, sagte Erin. Christie ließ Parker los, lief zu ihrer Mutter und zog sie in die Spielecke. „Mommy, sieh mal!“ Sie zeigte aufgeregt auf das Schaukelpferd und das Spielhaus. „Und da kann ich alle meine Spielsachen einräumen.“ Sie zappelte vor Aufregung.

„Das Haus war schon zwanzig Jahre unbewohnt, als wir es kauften. Aber die Möbel waren alle sehr sorgfältig abgedeckt. Unter jeder Abdeckung fanden wir einen neuen Schatz. Es war wie Weihnachten.“

Erin legte den Kopf zur Seite, wie er es schon bei Christie beobachtet hatte. „Wir?“, fragte sie verwirrt.

„Ich …“ Der vertraute Schmerz stieg in ihm hoch. „Meine verstorbene Frau und ich.“

„Ja, natürlich. Entschuldigen Sie.“ Sie ging zur Tür zurück. „Ich finde es sehr schön, dass Sie Christie und mich hier wohnen lassen. Vielen Dank.“

Christie hatte ihren Koffer geöffnet, zog ihre Kleider heraus und häufte sie auf dem Bett auf. Daneben setzte sie eine Puppe. „Das ist Millie“, stellte sie vor. „Bücher habe ich auch dabei.“

Parker setzte sich auf die Bettkante. „Wir haben auch ein Zimmer mit ganz vielen Büchern hier. Ich weiß nicht, ob Bücher für Kinder dabei sind, aber ich glaube schon.“

„Sollen wir mal gucken?“, schlug seine Tochter hoffnungsvoll vor.

Er lachte. „Die laufen uns ja nicht davon. Ich finde, du solltest zuerst fertig auspacken.“ Jetzt erst fiel ihm auf, dass Erin nicht mehr da war.

Nach kurzem Zögern machte sie sich wieder an die Arbeit. Ein Nachthemd flog aufs Bett, weitere Puppen und Brettspiele folgten. „Wo ist die Kommode?“, wollte sie dann wissen.

„Da drüben.“

„Ich räume die Schubladen ein, und du kannst meine Kleider aufhängen“, bestimmte sie.

Parker gehorchte, auch wenn er sich ziemlich ungeschickt anstellte. Als er fertig war, strich er Christie übers Haar. „Ich werde mal nachsehen, wo deine Mommy ist.“

„Ist gut.“ Christie kletterte aufs Bett, machte es sich inmitten von Kleider- und Spielzeugbergen gemütlich und schlug ein Buch auf. In nicht einmal zehn Minuten hatte sie es geschafft, ein absolutes Chaos zu veranstalten.

Parker hätte nicht glücklicher sein können. Er klopfte an die offene Tür des gegenüberliegenden Zimmers. Es war größer als das von Christie und hatte einen Blick auf das Meer. Den Mittelpunkt bildete ein Doppelbett. Auch hier schien die Einrichtung noch im Originalzustand erhalten zu sein. Die Wände waren weiß, kleine Cameo-Porträts unterbrachen die hellen Flächen. In einer Fensternische stand eine kleine Polsterbank.

Erin kam aus dem Badezimmer. „Das Zimmer gefällt mir“, sagte sie. „Und die Aussicht ist grandios.“

„Haben Sie alles, was Sie brauchen?“

„Ja, danke. Kiki hat wirklich an alles gedacht.“

Er lächelte. „Ich habe manchmal den Verdacht, dass sie in ihrem früheren Leben ein General war.“

Erin erwiderte sein Lächeln. Das Sonnenlicht ließ ihr Haar flammend rot leuchten. Sie trug einen roten Pullover zu verwaschenen Jeans, die ihre Rundungen mehr als nur ahnen ließen. Etwas in Parkers Innerem rührte sich, aber er blockte sofort ab. Seit Robins Tod hatte er jedes Interesse an Frauen unterdrückt.

„Hat Christie schon ausgepackt?“

„Sagen wir so: Der Koffer ist leer“, gab Parker trocken zurück.

„Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie es in ihrem Zimmer aussieht. Ich kümmere mich gleich darum.“

„Hoffentlich genießen Sie Ihre Ferien. Hier in der Gegend kann man ziemlich viel unternehmen: wandern, Rad fahren … in der Stadt gibt es auch ein Kino. Wenn Sie ausgehen wollen, passe ich gern allein auf Christie auf.“

Erin bedachte ihn mit einem rätselhaften Blick. „Sie müssen sich nicht für meine Zerstreuung verantwortlich fühlen.“

Er beobachtete sie, als sie zwischen Koffer und Schrank hin- und herging. Sie hatte sehr anmutige Bewegungen, und vor allem ihr Hüftschwung hatte es ihm angetan. Was war nur mit ihm los? Hatte es damit zu tun, dass er seit fünf Jahren allein lebte und Erin gerade zufällig hier war?

Die Sonne war noch nicht ganz untergegangen. In Christies Zimmer waren die Vorhänge zugezogen.

Sie lag im Bett. „Ich bin aber noch gar nicht müde“, behauptete sie schmollend.

Erin hatte Parker schon darauf vorbereitet, dass Christie mit allerlei Tricks versuchen würde, die Schlafenszeit so weit wie möglich hinauszuschieben. Er setzte sich zu ihr aufs Bett.

„Aber ich bin müde“, sagte er. „Schließlich habe ich einen aufregenden Tag hinter mir, der mir ein kleines Mädchen beschert hat.“ Er strich ihr über die Haare. „Und Millie schläft auch schon.“

„Puppen können gar nicht schlafen“, gab Christie mit der ganzen Überlegenheit ihrer vier Jahre zurück.

„Natürlich können sie das. Genau wie Blumen auch.“

Christie drehte sich auf den Rücken. „Blumen können schlafen?“, wiederholte sie ungläubig.

„Ja, natürlich. Und du solltest das jetzt auch tun, damit du morgen wieder fit bist.“

Christie gähnte ausgiebig. „Gute Nacht, Daddy.“ Die Augen fielen ihr schon zu.

„Gute Nacht.“ Er beugte sich über sie und küsste sie auf die Wange. Ihm wurde eng ums Herz.

Er hätte ewig hier sitzen und seiner Tochter beim Schlafen zusehen können. Aber Erin wartete draußen auf ihn. Leise stand er auf und verließ das Zimmer.

„Sie schläft schon.“

„Das dachte ich mir. Sie macht jedes Mal ein Theater und ist dann innerhalb von Sekunden eingeschlafen.“

Sie gingen nebeneinander die Treppe hinunter. „In dem großen Bett sieht sie so winzig aus.“

Erin lachte. „Da haben Sie recht. Tagsüber kommt sie mir manchmal schon wie ein richtig großes Mädchen vor, und abends scheint sie dann zu schrumpfen.“

Sie lachten immer noch, als sie unten angelangt waren. Kiki kam gerade aus dem Esszimmer. Ihren Jogginganzug hatte sie gegen ein Rüschenkleid getauscht, die Sportschuhe gegen hochhackige Sandaletten.

„Na, wieder in Sachen Romantik unterwegs?“, erkundigte Parker sich.

Kiki kümmerte sich gar nicht um ihn, sondern winkte nur und verschwand durch die Vordertür. Kurz darauf hörten sie einen Wagen davonfahren.

Parker wies auf die Terrasse. „Lust auf den Sonnenuntergang?“

„Gern.“

Sie machte einen etwas nervösen Eindruck. „Ein Glas Wein?“

„Ja, danke.“ Ihre braunen Augen waren groß und dunkel.

Parker ging in die Küche und holte eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank.

Erin hatte sich zum Abendessen umgezogen und trug eine weiße Bluse zu hellbraunen Stoffhosen. Ein Gürtel betonte ihre schmale Taille.

Parker stieß mit ihr an. „Auf Christie.“

„Auf Christie“, wiederholte Erin.

„Haben Sie sich schon eingerichtet?“

„Ja.“

Über dem Horizont schwebte noch eine schmale goldene Sonnensichel. „Sie sind nervös“, stellte Parker fest.

„Mir ist einfach immer noch nicht ganz klar, worauf ich mich einlasse.“

„Ich möchte, dass Sie sich hier wohlfühlen, Erin. Lassen Sie uns Freunde sein.“

Sie sah ihm in die Augen. „Ja, das wäre schön“, sagte sie leise.

Ein letzter Sonnenstrahl fiel auf ihr Gesicht. Wunderschön ist sie, dachte er.

Sie setzte ihr Glas ab und faltete die Hände im Schoß. „Sie möchten sicher mehr über Christie erfahren.“

Vor allem wollte er wissen, ob es in Erins Leben einen Mann gab. Aber was hatte er davon, wenn er es wusste?„Wer hat Christies Namen ausgesucht?“

„Stacey.“

„Sie …“ Parker zögerte. „Dafür hatte sie noch Zeit?“

Erin nickte. „Als der Anruf aus dem Krankenhaus kam, hatte ich gerade eine letzte Prüfung hinter mir und wollte nach Hause fahren. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Ich hatte ja nicht einmal gewusst, dass Stacey überhaupt schwanger war.“ Sie holte tief Luft. „Als ich kam, lag sie schon im Sterben. Es hatte Komplikationen gegeben und …“ Parker sah sie wie gebannt an. „Stacey konnte mir noch sagen, dass ihr Töchterchen Christie heißen sollte. Sie …“

Erin schluckte. „Sie sagte, es täte ihr so leid für mich, dass sie mich mit dem Baby belasten müsste. Ich fragte sie, wer der Vater ist, aber sie wollte es mir nicht sagen.“ Erin machte eine kleine Pause. „Es war nicht Ihre Schuld. Niemand hatte Schuld. Es ist einfach passiert.“

Parker stand auf und ging zur Terrassenbrüstung. „Wie können Sie da so sicher sein? Sie waren in dem besagten Sommer nicht hier.“

Erin ging zu ihm und gab ihm einen zusammengefalteten Bogen Papier. „Das ist ein Brief, den Stacey Ihnen geschrieben hat. Sie kam nicht mehr dazu, ihn abzuschicken.“

Er starrte lange auf den Brief, bevor er ihn endlich las. Ihm war, als hörte er dabei Staceys Stimme. Er wollte, er könnte sich für alles entschuldigen, was er an jenem Morgen zu ihr gesagt hatte. Dann hätte er ihr erklären können, dass sein Ärger in Wirklichkeit nicht gegen sie, sondern gegen ihn selbst gerichtet war.

Er wollte Erin den Brief zurückgeben, aber sie schüttelte den Kopf. „Es ist Ihrer. Stacey und ich haben uns immer ausgemalt, in welchem Haus wir am liebsten leben wollen. Stacey wünschte sich so ein Haus wie Ihres.“

„Woher wissen Sie das?“

„Aus ihrem Tagebuch. Da habe ich auch Ihren Namen gefunden. Das war allerdings erst vor ein paar Monaten.“

Was hatte Erin noch in dem Tagebuch gefunden? Parker wagte nicht zu fragen.

Die Sonne war untergegangen, und der Himmel war in ein geheimnisvolles Zwielicht getaucht. Die ersten Sterne waren am Himmel aufgegangen.

Erin berührte ihn am Arm. „Stacey wollte etwas in Ihnen sehen, was Sie nicht waren. Sie träumte sich eine Wirklichkeit zusammen, die so nicht existierte.“

Parker sah sie an. Ihr Gesicht lag im Schatten, aber er konnte die Wärme spüren, die von ihr ausging, roch ihr zartes Parfüm. „Warum verteidigen Sie mich?“, wollte er wissen. „Sie waren nicht hier und wissen nicht, was passiert ist.“

„Ich habe Staceys Tagebuch gelesen. Außerdem kannte ich meine Schwester. Ich sage ja nicht, dass Sie völlig unschuldig sind. Aber es gehören immer zwei dazu.“ Sie ließ die Hand sinken. „Es ist an der Zeit, die Vergangenheit endlich ruhen zu lassen. Stacey wollte eine Beziehung mit Ihnen und ließ sich durch nichts davon abhalten – auch nicht durch die Wirklichkeit.“

Parker hätte ihr gern geglaubt, und vielleicht würde er es eines Tages auch können. Heute war er noch nicht so weit. „Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich noch ein bisschen arbeite. Wenn Sie wollen, können Sie fernsehen oder sich in der Bibliothek ein Buch aussuchen.“

„Machen Sie sich keine Gedanken. Ich kann mich schon beschäftigen“, sagte sie lächelnd.

„Sagen Sie Bescheid, wenn Sie etwas brauchen.“ Er setzte sich in Bewegung, drehte sich aber noch einmal zu ihr um. „Ich bin froh darüber, dass Sie mit Christie gekommen sind.“ Er beugte sich vor, um sie auf die Wange zu küssen. Aber dann überlegte er es sich anders und strich mit den Lippen leicht über ihren Mund.

Erin fuhr zusammen, aber sie wich nicht zurück. So wenig wie er. Auf einmal konnte er nicht mehr klar denken. Leidenschaft hatte ihn erfasst. Leidenschaft, Lust und Sehnsucht – Gefühle, die er längst für tot gehalten hatte.

In der Dunkelheit konnte Parker Erins Gesicht nicht erkennen. Er wusste nicht, was sie dachte. Und er wollte es auch nicht wissen! Er wollte nur ungeschehen machen, was gerade passiert war.

6. KAPITEL

Gegen halb sechs Uhr morgens gab Erin die Hoffnung auf Schlaf auf. Seit Mitternacht lag sie wach, aufgeschreckt durch einen Traum, an den sie sich nicht mehr erinnern konnte. Und seitdem musste sie an Parker und den vergangenen Abend denken.

Ihr war, als wäre sie mitten in einen romantischen Film geraten. Sie verzog das Gesicht, als sie aufstand und sich reckte. Dieser verdammte Kuss. Parker hatte so getan, als wäre es ganz normal, sie zu küssen. War es normal? Oder hatte es mehr zu bedeuten?

Es bedeutete vor allem, dass sie offenbar den Verstand verlor!

Erin ging ins Bad und schüttete sich kaltes Wasser ins Gesicht. Draußen war es noch immer dunkel. Sie schlüpfte in Jeans und Pulli.

Christie schlief tief und fest, ihren schäbigen, geliebten Teddybären fest im Arm. Erin verließ ihr Zimmer auf Zehenspitzen und schlich den Gang entlang und die Treppe hinunter. Sie versuchte, nicht an Parker zu denken. Aber es half nichts. Sein Bild tauchte vor ihr auf, ob sie wollte oder nicht. Parker im Bett, nur wenige Meter von ihr entfernt …

Von der Terrassenbeleuchtung fiel Licht ins Wohnzimmer und wies ihr den Weg in die Küche.

Parker war nicht an ihr interessiert, das hatte er deutlich genug gezeigt. Dieser Kuss war einfach nur ein Dankeschön gewesen, mehr nicht.

Sie fand die Kaffeemaschine und stellte sie an. Die Küche war hell und fröhlich und großzügig mit Fenstern ausgestattet. Im Gegensatz zu den anderen Räumen im Haus war sie umfassend modernisiert worden.

Der Kaffee tat Erin gut. Sie lehnte sich an die Küchentheke. Was war nur mit ihr los? Sonst war sie immer so ruhig und gelassen.

Die Küchentür ging auf, und Kiki kam herein. Sie hatte das Kleid von gestern Abend über dem Arm und trug einen pinkfarbenen Jogginganzug. Ihre Wangen waren hochrot. Von draußen waren die Geräusche eines sich entfernenden Autos zu hören.

„Mmh. Kaffee.“

„Bedienen Sie sich. Es ist genug da.“

Kiki holte sich eine Tasse aus dem Schrank.

„Sind Sie gerade erst nach Hause gekommen?“

„Ja.“ Kiki trank einen Schluck Kaffee und lächelte dann. „Gucken Sie doch nicht so schockiert.“

Erin setzte sich auf einen Barhocker. „Entschuldigen Sie, das war nicht meine Absicht. Ich finde es sehr schön, dass Sie – ein eigenes Leben führen.“

Kiki zwinkerte ihr zu. „Sie meinen, dass ich einen Freund habe. Es heißt ja immer, dass das Leben erst mit vierzig anfängt. Aber mit fünfzig ist es noch besser.“

„Und wie heißt Ihr Freund?“

Um Kikis Augen bildeten sich Lachfältchen. „Welcher?“

„Wie viele haben Sie denn?“

„Drei.“

„Gleichzeitig?“

„Jetzt sind Sie wieder schockiert. Ihr jungen Leute seid alle so konservativ. Statt euer Leben zu genießen und euch ein bisschen in der Welt umzuschauen!“

Erin dachte darüber nach. „Wissen die drei voneinander?“

„Ja, natürlich.“ Kiki lächelte. „Dans Frau ist vor zwei Jahren gestorben. Er lebt gern allein und will nicht wieder heiraten. Aber natürlich hat er gewisse Bedürfnisse. Roger ist geschieden und hat erst mal genug von Beziehungen. Und dann habe ich noch Skip, meinen jugendlichen Liebhaber, wenn Sie so wollen.“

Erin verschluckte sich prustend, und Kiki klopfte ihr kräftig auf den Rücken. „Besser?“, fragte sie, als Erin endlich wieder Luft bekam.

„Ja“, krächzte Erin. „Erzählen Sie weiter.“

„Skip ist unter vierzig und auch geschieden. Er ist noch nicht reif für eine richtige Beziehung. Aber als Mann hat er natürlich …“

„Gewisse Bedürfnisse, ja. Das habe ich mittlerweile begriffen.“

Kiki senkte die Stimme und fügte verschwörerisch hinzu: „Junge Männer haben einfach größere Regenerierungskräfte, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Erin stieg die Röte ins Gesicht und sie räusperte sich. „Und mit wem waren Sie gestern aus?“

Kiki seufzte entzückt. „Mit Skip. Nach ein paar Stunden mit ihm fühle ich mich immer wie neugeboren.“

„Und keinem von Ihren Männern macht es etwas aus, dass er Sie teilen muss?“

„Nein. Alle bekommen, was sie wollen, ohne von mir befürchten zu müssen, dass ich mehr will. Was sollte es ihnen also ausmachen?“

„Ich habe noch nie eine Frau wie Sie getroffen“, sagte Erin fast bewundernd.

„Ach, ich bin gar nicht so anders als die anderen.“ Kiki stand auf. „Ich wollte eine Zimtrolle zum Frühstück machen. Was halten Sie davon?“

Erin bekam schlagartig Appetit. „Sehr viel! Und vor allem Christie wird begeistert sein.“

„Sie macht Ihnen sicher viel Freude“, sagte Kiki nach einer Weile und machte dann eine kleine Pause. „Ich hatte auch ein Kind. Einen Sohn. Er starb mit zwölf bei einem Autounfall.“

„Das tut mir sehr leid.“ Mehr brachte Erin nicht heraus.

„Es ist lange her.“ Kiki fing an, die Zutaten für ihre Zimtrolle abzuwiegen. „Darüber ging meine Ehe in die Brüche, und ich hatte drei Jahre lang schwere Depressionen. Am schlimmsten war, dass ich immer dachte: Jetzt wäre mein Junge da, jetzt würde er das tun … Aber man darf nicht nur in der Vergangenheit leben. Das Leben geht weiter.“ Einen Augenblick lang sah sie alt und müde aus.

„Kiki“, sagte Erin hilflos vor Mitleid. „Ich …“

„Lassen Sie nur. Es geht mir inzwischen wieder gut. Als ich damals aus der Klinik entlassen wurde, habe ich mir vorgenommen, nie wieder zurückzublicken.“ Sie lächelte. „Ich lebe so, wie ich will, und das können nicht sehr viele Menschen von sich sagen.“

Autor

Susan Mallery

Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren Frauenromanen voll großer Gefühle und tiefgründigem Humor. Mallery lebt mit ihrem Ehemann und ihrem kleinen, aber unerschrockenen Zwergpudel in Seattle.

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