Julia Best of Band 210

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SÜßER ALS JEDE VERSUCHUNG

Schokotorte, Kekse, Kuchen: Ob sie Darius Hadley damit milde stimmen kann? Nach einem Desaster will die Maklerin Natasha eine zweite Chance, um das Landgut des sexy Bildhauers zu verkaufen. Doch Darius interessieren ihre scharfen Kurven weit mehr als ihre süßen Leckereien …

EIN SPIEL, DAS MAN LIEBE NENNT
"Bitte, begleiten Sie mich!" Einer so netten Bitte von einer so eleganten junge Dame kann sich der smarte Unternehmer Fergus Kavanagh nicht entziehen: Natürlich wird er Veronica zur Hochzeit ihrer Cousine begleiten! Aber noch lieber würde er sie küssen …

GEFÄHRLICH SEXY, DIESER MANN
Ein mutiger Fremder rettet Nyssa aus einer brenzligen Situation. Der attraktive Matt Crosby nimmt sie mit auf sein Hotelzimmer und versteht es meisterhaft, sie jegliche Angst vergessen zu lassen, aber darf Nyssa ihm trauen?


  • Erscheinungstag 15.02.2019
  • Bandnummer 0210
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712686
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Liz Fielding

JULIA BEST OF BAND 210

1. KAPITEL

„Hast du eine Ahnung, was los ist?“ Natasha Gordon goss sich einen Kaffee ein. Seit ihrem ersten Termin heute um acht war sie ununterbrochen unterwegs gewesen, und sie brauchte dringend Koffein. „Ich war gerade auf dem Weg zu der Wohnungsbesichtigung in St. Jones Wood, als Miles mir gesimst hat, dass ich auf der Stelle herkommen soll.“

Janine, die bei Morgan und Black am Empfang saß und normalerweise alles als Erste wusste, zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber es klingt, als solltest du ihn lieber nicht warten lassen.“ Dabei lächelte sie, als wüsste sie mehr.

Tash ließ ihren Kaffee stehen und rannte die Treppe hinauf. Miles Morgan, Senior-Gesellschafter des Maklerbüros für Luxusimmobilien, für das sie arbeitete, hatte in den letzten Wochen immer wieder angedeutet, dass er in Erwägung zog, sie zur Teilhaberin zu machen.

Das hatte sie sich verdient – seit drei Jahren arbeitete sie wie eine Verrückte. Und Janine, die gern durchblicken ließ, wie eng sie mit dem Chef war, hatte ihr erzählt, dass Miles das Wochenende gemeinsam mit Black, der sich schon halb aus den Geschäften zurückgezogen hatte, auf dem Land verbringen würde, um über die Zukunft der Firma zu reden.

Vor seiner Tür atmete Tash noch einmal tief durch. Morgens hatte sie noch wie eine adrette Karrierefrau ausgesehen, doch nachdem sie den gesamten Vormittag durch London gehetzt war, wirkte sie nun etwas zerzaust.

Gerade, als sie ihre Bluse zurechtzupfte, öffnete sich die Tür.

„Janine? Ist Natasha immer noch nicht da?“, rief Miles, bevor er bemerkte, dass sie vor ihm stand. „Wo zum Kuckuck warst du?“

„Zuerst hatte ich eine Hausbesichtigung in Chelsea“, antwortete Natasha, die seine aufbrausende Art gewohnt war. „Ich habe der Frau angesehen, dass sie begeistert war. Ich wette, dass sie uns noch heute ein Angebot machen werden.“

Die Aussicht auf eine Provision in fünfstelliger Höhe hätte Miles’ Laune normalerweise aufgehellt, doch heute brummte er nur, und Natashas Vorfreude verflog schlagartig. Was auch immer der Grund dafür war, dass Miles sie herbestellt hatte – ganz sicher ging es hier nicht um eine Beförderung.

„Seitdem hatte ich keine freie Minute“, fuhr sie fort – und so würde es bis zum Feierabend bleiben. „Ist es wichtig, Miles? In einer halben Stunde zeige ich Glencora Jarrett die Wohnung in St. Johns.“

„Ich habe Toby hingeschickt.“

Sie schüttelte irritiert den Kopf. Ihr Kollege war mit seiner Rugbymannschaft nach Australien geflogen und sollte erst Ende des Monats zurückkommen. Nicht weiter wichtig, aber Glencora Jarrett … „Sie hat darum gebeten, dass ich persönlich …“

„Ich weiß, aber eine Wohnungsbesichtigung ist keine private Verabredung“, unterbrach Miles sie, bevor sie ihn daran erinnern konnte, dass die Gräfin furchtbar ängstlich war und keinesfalls eine leer stehende Wohnung mit einem ihr fremden Mann betreten würde.

„Aber …“

„Vergiss die Gräfin“, sagte er und drückte ihr die neueste Ausgabe vom Country Chronicle in die Hand, „Und sieh dir das mal an.“

Die Zeitschrift war an der Stelle aufgeschlagen, an der eine ganzseitige Anzeige für Hadley Chase, ein altes Landhaus, das sie gerade ins Angebot aufgenommen hatten, abgedruckt war.

„Wow, die ist aber sehr schön geworden …“ In der goldenen Morgensonne bei leichtem Nebel aufgenommen strahlte das Haus einen Zauber aus, der über die vielen vorhandenen Mängel hinwegtäuschte. Das war es durchaus wert gewesen, dass sie an dem einzigen Tag in der Woche, an dem sie hätte ausschlafen können, in aller Herrgottsfrühe nach Berkshire rausgefahren war. „Wir werden uns vor Anrufen nicht retten können.“ Damit wollte sie Miles die Zeitschrift zurückgeben.

Doch der nahm sie nicht entgegen. „Lies.“

„Das brauche ich nicht, Miles. Ich habe die Anzeige geschrieben.“ Das einst prunkvolle Haus war ziemlich heruntergekommen, weshalb sie sich bei der Beschreibung auf die gute Lage und die Schönheit des Anwesens konzentriert hatte. „Und Sie haben mir Ihr OK gegeben.“

„Nicht hierfür.“

Tash runzelte die Stirn. Hatten sie beide einen Fehler übersehen? So etwas konnte vorkommen, aber da es sich um eine teure, ganzseitige Anzeige handelte, war sie mehrere Male darübergegangen. Überzeugt, dass alles richtig sein musste, las sie ihren mit Sorgfalt verfassten Text laut vor.

Stattliches Herrenhaus in gefragter Lage in den Berkshire Downs mit guter Verkehrsanbindung. Wermutstropfen …

Sie hielt inne.

„Weiter!“, sagte jemand klar und deutlich und in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. Doch dieser Jemand war nicht ihr Chef. Natasha wandte sich um und sah, wie sich ein Mann aus dem Ledersessel vor Miles Morgans Schreibtisch erhob und sich ihr zuwandte.

Alles an diesem Mann war dunkel. Er war dunkel gekleidet, hatte dunkles Haar und dunkle Augen. Sein faszinierendes Gesicht war sicher sehr anziehend, wenn er lächelte.

Außerdem strahlte der Mann Stärke aus. Er war kein Muskelprotz, doch unter seinem verwaschenen, schwarzen Leinensakko verbargen sich breite Schultern – und ein flacher Bauch unter dem locker sitzenden T-Shirt.

Er legte seine Hand auf die Lehne, eine schmale, sehnige Hand. Unwillkürlich stellte Natasha sich vor, wie diese Hand unaussprechliche Dinge mit ihr anstellte.

Als sie zu ihm aufsah, trafen sich ihre Blicke. Er sah sie so eindringlich an, dass sie errötete. Sein Blick ging ihr durch und durch.

„Natasha!“, polterte Miles, doch sie brauchte einen Moment, bevor sie sich wieder auf die Anzeige konzentrieren konnte.

… sind die Nassfäule, bröckelnder Putz und ein undichtes Dach. Der Vorbesitzer hätte das Haus lieber abgerissen, um das Grundstück neu zu bebauen, was jedoch nicht möglich war, da das Gebäude unter Denkmalschutz steht. Eine wunderschöne, aber wurmstichige Treppe im Tudorstil führt ins erste Geschoss. Sollten Sie auch dieses besichtigen wollen, ist in Anbetracht des fortschreitenden Verfalls ein baldiger Termin anzuraten.

Natashas Herz pochte noch wie verrückt von der heftigen Erregung, die sie beim Anblick des Mannes unerwartet gepackt hatte, darum musste sie den Text zweimal lesen, bis sie begriff, was da stand.

„Das verstehe ich nicht“, murmelte sie und fügte hinzu: „Wie konnte das passieren?“

„Das frage ich mich auch.“

Sie hatte ihre Frage an Miles gerichtet, doch die Antwort kam von dem großen, dunklen, todernsten Fremden. Wer mochte das sein?

„Hadley“, stellte er sich vor. Offenbar konnte er ihre Gedanken lesen. Oder sie hatte laut gefragt, ohne es zu merken. Sie musste sich zusammenreißen …

Natasha räusperte sich. Sie war durcheinander, und das lag nicht nur daran, dass ihr Blut aus dem Gehirn in empfindlichere Regionen abgezogen worden war. „Hadley?“ Das Haus war unbewohnt. Der Verkauf wurde über einen Nachlassverwalter abgewickelt, und da sie nie von einem lebenden Hadley gehört hatte, war sie davon ausgegangen, dass die Linie ausgestorben sei.

„Darius Hadley“, präzisierte er, als wüsste er, was ihr durch den Kopf ging.

Sie war in diesem Beruf schon allen möglichen Leuten begegnet und wusste, dass das Äußere eines Menschen täuschen konnte. Doch dieser Mann sah nicht aus wie jemand, dessen Familie seit dem siebzehnten Jahrhundert Hadley Chase bewohnte. Damals hatte der reiche Kaufmann James Hadley das Anwesen von Charles II. zum Dank dafür erhalten, dass er den König im Exil mit finanziellen Mitteln unterstützt hatte.

Mit dem goldenen Ohrring, der aus seinen schwarzen Locken hervorblitzte, dem verwaschenen Leinenjackett und der zerschlissenen Jeans sah er eher wie ein Pirat aus. Vielleicht waren die Hadleys so an Geld gekommen – indem sie die spanische Flotte in der Karibik geplündert hatten, wie Francis Drake und Konsorten. Vielleicht hatten sie auch mit Seide und Gewürzen gehandelt. Immerhin trug der Mann vor ihr den Namen dreier persischer Könige. Auf jeden Fall passte seine arrogante Ausstrahlung gut zu seinem Namen, auch wenn er sich nicht wie seine Vorfahren dafür zu entschieden haben schien, das Leben eines reichen Großgrundbesitzers auf dem Lande zu führen. Was sie ihm nicht verdenken konnte.

Denn egal, wie zauberhaft das rosenumrankte herrschaftliche Fachwerkhaus an einem nebligen Sommermorgen aussah, es würde eine Menge Zeit und sehr viel Geld kosten, das Haus zu modernisieren und in Schuss zu bringen.

Andererseits gab es selbst in klammen Zeiten immer genug Scheichs, Popstars und Oligarchen, die ein ruhiges Plätzchen auf dem Land suchten, das von London aus bequem per Hubschrauber erreichbar war. Darum ging Natasha davon aus, dass sie Hadley Chase in absehbarer Zeit an den Mann bringen würde.

Als Miles sich vernehmlich räusperte, streckte sie endlich die Hand aus. „Natasha Gordon. Freut mich, Sie kennenzulernen.“

Er ergriff ihre Hand nicht. „Ich bin ehrlich gesagt eher verärgert als erfreut.“

Mit Recht. Und wie wütend sie erst war! Wer auch immer den sorgfältig verfassten Text verpfuscht hatte – er würde etwas erleben, sobald sie herausgefunden hatte, wer es war. Doch das musste warten. Zunächst musste sie ihren übererregten Körper besänftigen und den Kunden davon überzeugen, dass die Situation nicht ganz so katastrophal war, wie sie auf den ersten Blick schien. „Ich weiß nicht, wie das passieren konnte, Mr. Hadley, aber ich kann Ihnen versprechen, dass das keine nennenswerten Schwierigkeiten verursachen wird.“

„Keine nennenswerten Schwierigkeiten?“ Er funkelte sie an, und Tash spürte, wie sie wieder errötete. Er konnte sie mit einem bloßen Blick zum Erröten bringen … das war unerhört.

Sie atmete tief durch. „Seriösen Interessenten ist klar, welche Probleme ein Objekt wie dieses mit sich bringen kann, Mr. Hadley.“

„Aber sie werden sicher erwarten, ins erste Stockwerk zu gelangen, ohne dabei ihr Leben aufs Spiel zu setzen“, erwiderte er ruhig. Seine beherrschte Art ließ die Wutanfälle von Miles wie das Geschrei eines Kleinkinds erscheinen.

„Natasha“, brachte sich ihr Chef in Erinnerung. „Was hast du dazu zu sagen?“

„Was?“ Sie riss den Blick von Darius Hadleys appetitlicher Unterlippe los und heftete ihn auf seinen Adamsapfel, was sie nur noch mehr durcheinanderbrachte, weil sie dadurch an andere hervorspringende Körperteile denken musste.

Nicht an ihm runtersehen!

„Äh … ja …“ Sie versuchte, sich auf das zu besinnen, was sie über das Haus wusste, und starrte zuerst seine abgewetzten Arbeitsschuhe und dann die Jeans an, die seine muskulösen Schenkel verbargen und mit etwas beschmiert waren, das wie Lehm aussah. Offenbar war er auf der Stelle hergekommen, als er die Anzeige gesehen hatte – womit auch immer er gerade beschäftigt gewesen war. Ob er auf einer Baustelle zu tun hatte? „Es ist ja nicht so, dass es in dem Haus nur eine einzige Treppe gäbe, also ist das kein Problem.“

„Ist das wirklich alles, was Sie dazu zu sagen haben?“

„Abgesehen davon, dass ich mich nicht erinnere, dass es an der Haupttreppe irgendetwas auszusetzen gibt, was nicht mit einem Staubsauger behoben werden könnte.“ Komm schon, Tash, das kannst du. „Ich habe dem Nachlassverwalter geraten, das Gebäude einmal gründlich reinigen zu lassen.“

„Und? Was hat er dazu gesagt?“

„Er hat gesagt, dass er jemanden hinschicken wird, der sich darum kümmert.“

„Also muss sich der potenzielle Käufer lediglich wegen des Befalls mit Holzwurm, der Nassfäule und des undichten Dachs Sorgen machen?“ Darius Hadley sah sie durchdringend an.

Sie musste sich sehr zusammenreißen, um dem Konflikt, der in ihr tobte, standzuhalten. Ihr Verstand sagte ihr, dass sie einen Schritt zurück machen sollte, und jeder andere Teil ihres Körpers flehte sie an, Darius Hadley zu berühren.

„Laut Unterlagen wurde der Holzwurm vor Jahren erfolgreich bekämpft.“ Wenn er sich nur im Entferntesten für das Haus interessierte, müsste er das eigentlich wissen. „Und erfahrungsgemäß nehmen die Frauen eher Reißaus, wenn sie Spinnenweben …“

Miles schnitt ihr das Wort ab. „Ich denke, Mr. Hadley will keine Ausflüchte hören, sondern eine Erklärung und eine Entschuldigung.“

Tash war davon ausgegangen, dass Miles das schon geklärt hatte und sie nur zu sich bestellt hatte, um über das weitere Vorgehen zu reden.

„Machen Sie sich keine Mühe, ich habe genug gehört“, sagte Hadley, bevor sie etwas erwidern konnte. „Sie hören von meinem Anwalt, Morgan.“

„Von Ihrem Anwalt?“ Was sollte jetzt ein Anwalt nutzen? „Aber …“

Darius Hadley sah sie so finster an, dass sie mitten im Satz innehielt. Dieser tödliche Blick, diese arrogante Nase und dieser herrliche Mund …

Offenbar befriedigte es ihn, dass er sie zum Schweigen gebracht hatte, denn nun wurde der Blick seiner schwarzen Augen etwas sanfter. Schließlich nickte er Miles zu und verließ den Raum.

Plötzlich fühlte Tash sich ganz schwach. Sie griff nach der Lehne des Sessels, auf dem er gesessen hatte. Das Leder war noch warm von seiner Hand, und es fühlte sich an, als würde diese Wärme ihren Arm hinaufsteigen, sich in ihrem ganzen Körper ausbreiten und ihn an allen möglichen empfindlichen Stellen zum Kribbeln bringen.

Puh.

„Er ist ein wenig angespannt“, bemerkte sie. Wie ein Raubtier, dem man sich lieber vorsichtig näherte. Aber wenn man erst einmal sein Vertrauen gewonnen hätte …

Vergiss es! Das war kein Mann fürs Leben. Mit Glück könnte man vielleicht einen Moment lang seine Aufmerksamkeit gewinnen. Aber …

„Dazu hatte er auch allen Grund“, unterbrach Miles ihre Gedanken, die ohnehin zu nichts führten. Diese stillen, grüblerischen Typen waren eigentlich gar nicht ihr Fall. Viel zu kompliziert.

Als auf der Straße ein Hupkonzert ertönte, sah sie hinaus und beobachtete, wie Darius Hadley über die Straße lief und schnellen Schrittes Richtung Sloane Square ging. Mehrere Leute blieben stehen und sahen ihm hinterher – die meisten waren Frauen.

Also war sie nicht die Einzige.

Da blieb er unvermittelt stehen, drehte sich um und sah zu dem Fenster hinauf, an dem sie stand. Als wüsste er, dass sie ihn ansah. Und sie vergaß zu atmen.

„Natasha!“

Sie schreckte auf und blinzelte. Als sie wieder hinsah, war er verschwunden. Einen Moment fürchtete sie, er könnte zurückkommen. Hoffte sie, er würde zurückkommen. Doch dann sah sie ihn wieder und wandte sich rasch ab, da sie fürchtete, er könnte ihren Blick spüren, sich umdrehen und sie dabei erwischen, wie sie ihm hinterhersah.

„Hast du mit dem Verlag gesprochen?“, fragte sie ihren Chef.

„Das Erste, was ich getan habe, nachdem mich der Nachlassverwalter von Mr. Hadley heute Morgen kontaktiert hat, war, beim Anzeigenleiter vom Chronicle anzurufen.“ Miles zog eine Seite aus einem Stapel Unterlagen und reichte ihn ihr. „Das hier hat er mir geschickt. Hadley hat es noch nicht gesehen, aber früher oder später wird sein Anwalt Kontakt zum Verlag aufnehmen.“

Es war die Kopie eines Korrekturabzugs der Anzeige – mit dem Text, den sie eben vorgelesen hatte, einem Kreuzchen neben dem ‚Freigegeben‘ und ihrer Unterschrift darunter.

„Nein, Miles.“ Sie sah jetzt zu ihm auf. „Das habe ich nicht unterzeichnet.“

„Aber du hast den Text geschrieben.“

„Ein oder zwei Sätze kommen mir vage bekannt vor“, gestand sie. Manchmal verfasste sie Beschreibungen von Immobilien, in denen sie die Objekte so schlecht wie möglich darstellte, wenn sie das Gefühl hatte, dass es dem Verkäufer half, seine Immobilie aus der Perspektive eines potenziellen Käufers zu betrachten. Den schmuddeligen Teppich im Flur, die verschmierten Türen, die fade Küche. Alles Sachen, die leicht zu beheben waren, aber bei einer Kaufentscheidung ausschlaggebend sein konnten.

„Komm schon, Tash. Es klingt genau wie eine von deinen Spezialbeschreibungen.“

„Meine Spezialbeschreibungen sind aber inhaltlich richtig. Und hilfreich.“

„Dann hättest du das undichte Dach erwähnt?“

„Auf jeden Fall – nicht gerade schön, wenn es reinregnet“, sagte sie und ärgerte sich über ihren defensiven Ton – immerhin hatte sie nichts falsch gemacht.

„Und die Treppe?“

„Ich nehme an, dass sie ganz hübsch wäre, wenn man sie denn vor lauter Staub und Laub sehen könnte. Ein Fenster ist kaputt, dadurch ist Laub hereingeweht.“ Das Haus stand leer, seit der letzte Bewohner vor ein paar Jahren in ein Altersheim gebracht worden war, nachdem er durch seine Alzheimererkrankung zu einer Gefahr für sich selbst geworden war. „Ich habe ein Stück Pappe vor das Loch geklebt, aber das ist keine Dauerlösung.“ Miles antwortete nicht. „Komm schon, Miles. Du weißt, dass ich das nicht an den Chronicle geschickt habe.“

„Bist du dir da sicher? Wir wissen alle, dass du in letzter Zeit sehr viele Überstunden gemacht hast. Wann hattest du heute Morgen die erste Besichtigung?“

„Um acht, aber …“

„Und wann hast du gestern Feierabend gemacht?“ Statt auf ihre Antwort zu warten, nahm er sich einen Ausdruck ihres Terminkalenders vor. „Dein letzter Besichtigungstermin war um halb zehn. Also warst du wann zu Hause? Um elf? Halb zwölf?“

Es war nach Mitternacht gewesen. Nicht alle Käufer konnten einen Termin zwischen neun und siebzehn Uhr wahrnehmen. Und Miles beklagte sich nicht darüber, dass Tash Überstunden machte – so wie alle hier, bis auf Toby, dem sein Rugbytraining heilig war und der sich alles erlauben konnte, weil seine Großtante mit Peter Black verheiratet war.

„Sie sind extra aus den Staaten gekommen, um die Wohnung zu besichtigen. Ich hätte ihnen kaum sagen können, dass ich um halb sechs Feierabend mache.“ Die Interessenten hatten alles genau ansehen wollen, und Natasha hatte sie nicht hetzen wollen.

„So viel Arbeit hält kein Mensch lange durch, ohne schlappzumachen“, antwortete er. „Ich kann mir gut vorstellen, dass du das falsche Dokument angehängt hast, als du deinen Text an den Chronicle gemailt hast.“

„Nein.“

„Es ist meine Schuld.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich habe zu viel von dir verlangt. Ich hätte so etwas kommen sehen sollen.“

Was kommen sehen?

„Ich habe nichts Falsches angehängt“, erwiderte sie empört. Ihr Puls raste vor Wut. Wie hatte jemand ihre sorgfältig getextete Anzeige so sehr verpfuschen können? „Und selbst wenn – meinst du nicht, dass ich den Fehler spätestens bemerkt hätte, als ich den Korrekturabzug bekommen habe?“

„Wenn du Zeit gehabt hättest, einen Blick darauf zu werfen, ja.“

„Ich habe mir die Zeit dafür genommen“, erwiderte sie. „Ich habe den Text Wort für Wort überprüft. Und was zum Kuckuck haben sich die Leute vom Chronicle dabei gedacht? Warum haben sie nicht noch mal nachgefragt?“

„Haben sie. Sie haben am 20. hier im Büro angerufen und sich extra eine Notiz zu dem Gespräch gemacht.“

„Aha. Und mit welchem Vollidioten haben sie gesprochen?“

Er reichte ihr eine Kopie. „Mit einem Vollidioten namens Natasha Gordon.“

„Nein.“

„Laut dem Anzeigenleiter hast du ihnen versichert, das sei der neueste Trend, der auf einen berühmten Makler von vor fünfzig Jahren zurückgeht. Er war berühmt für seine ehrlichen Objektbeschreibungen“, erklärte Miles ruhig. Natasha sträubten sich die Nackenhaare. Das hier war einfach nur gruselig.

„Glaub mir, wenn ich versucht hätte, den legendären Roy Brooks nachzuäffen, hätte ich das besser hinbekommen“, entgegnete sie. „Da hätte es einiges gegeben, was ich hätte verwenden können. Mit mir hat niemand vom Chronicle geredet.“

„Das heißt was? Dass der Anzeigenleiter bei denen lügt? Oder dass jemand vorgibt, du zu sein? Komm schon, Tash, wer würde so etwas tun? Und wozu?“

Sie schluckte. So betrachtet klang es in der Tat verrückt.

„In einem Punkt hast du allerdings recht“, fuhr er fort. „Wir können uns wirklich nicht retten vor Anrufen.“ Sie seufzte erleichtert auf – allerdings einen Moment zu früh. „Allerdings nicht von Interessenten, sondern von Klatschreportern und Immobilienanzeigern, die wissen wollen, was da los ist.“

Natasha runzelte die Stirn. „Jetzt schon? Das Magazin ist seit nicht einmal zwei Stunden erhältlich.“

„Du weißt ja, was man über schlechte Nachrichten sagt.“ Er nahm ihr die Seite ab und legte sie auf seinen Schreibtisch. „Ich nehme an, ein Mitarbeiter vom Chronicle hat seinen Kollegen in anderen Redaktionen den heißen Tipp gegeben.“

„Gut möglich. Wie hat Darius Hadley davon erfahren?“

„Ich kann mir vorstellen, dass der Nachlassverwalter ebenfalls einen Anruf bekommen hat.“

Kopfschüttelnd schob sie die Frage, wie das alles hatte passieren können, erst einmal beiseite und überlegte stattdessen, was zu tun war. „Ich weiß nur, dass es keine schlechte Werbung gibt. Das, was ich zu Mr. Hadley gesagt habe, meinte ich ernst. Wenn wir richtig damit umgehen …“

„Um Himmels willen, Tash, du hast die Firma und Mr. Hadley zum Gespött gemacht. Damit kann man nicht richtig umgehen. Er hat das Verkaufsangebot zurückgezogen, und abgesehen von den beträchtlichen Kosten, die das Projekt bereits verschlungen hat, müssen wir nicht nur mit einer Klage auf Schadensersatz von Hadley rechnen, sondern auch damit, dass diese Geschichte dem Ruf unserer Firma nachhaltig schadet.“

„Was alles halb so wild ist, wenn wir schnell einen Käufer finden“, entgegnete sie. „Und immerhin werden alle Immobilienzeitungen darüber berichten.“

„Ich bin froh, dass du dir über das Ausmaß des Debakels im Klaren bist.“

„Nein …“ Als der Verkauf von Hadley Chase an sie übertragen worden war, hatte sie das Anwesen und die Familie gegoogelt – nichts. Nicht das kleinste Skandälchen, mit dem man es in die Klatschspalten geschafft hätte. Leider waren die Hadleys entweder unglaublich diskret oder unvorstellbar langweilig gewesen. Sie hatte angenommen, dass es Letzteres war. Wäre James Hadley ein interessanter Mensch gewesen, hätte der König ihn nicht mit einem kleinen Landsitz abgespeist, sondern ihm einen Titel verliehen und ihm bei Hof untergebracht.

Doch Darius Hadley hatte diese Theorie ad absurdum geführt – mit seinen dunklen Locken und seiner abenteuerlichen Ausstrahlung hätte er perfekt dorthin gepasst.

Bei der Vorstellung, ihn zu berühren, juckte es ihr in den Fingern. Doch sie schob den Gedanken beiseite. Hier ging es nicht um Darius Hadley, hier ging es um sein Haus.

„Komm schon, Miles. So viel Werbung ist unbezahlbar. Das Grundstück liegt ausgezeichnet, und Käufer, die sich das Objekt leisten können, lassen sich nicht von Mängeln abhalten, die bei so alten Häuern ganz normal sind. Ich werde mit ein paar Leuten reden.“ Keine Reaktion. Sie rang die Hände. „Verdammt, dann fahre ich eben hin und schwinge selbst den Besen!“

„Du wirst mit niemandem reden und nirgendwo hinfahren.“

„Aber ich werde ganz schnell einen Käufer finden …“

„Es reicht“, unterbrach er sie. „Ich sage dir jetzt, was du tust. Ich habe dir einen Platz in der Fairview-Klinik besorgt …“

„Was?“ In dieser Klinik kümmerte man sich um Promis mit Alkohol- und Drogenproblemen.

„Wir werden eine Stellungnahme herausgeben, die bestätigt, dass du unter Stress leidest und ein oder zwei Wochen ärztlich betreut wirst.“

„Nein.“ Als Kind hatte sie genügend Krankenhäuser von innen gesehen, und ohne einen vernünftigen Grund würden keine zehn Pferde sie in eine solche Einrichtung bekommen.

„Die Firma kommt für die Kosten auf.“ Offenbar wollte er sie beruhigen.

„Nein, Miles.“

„Während du dich erholst, kannst du dir Gedanken über deine Zukunft machen.“

„Über meine Zukunft?“ Sie würde Teilhaberin werden – und sich nicht wie irgendein B-Promi mit Alkoholproblemen verstecken lassen, bis sich der Wirbel gelegt hatte. „Das meinst du doch nicht ernst, Miles. Da hat sich irgendjemand einen Scherz mit mir erlaubt. Und der sollte …“

„Und du solltest …“, er betonte jedes einzelne Wort, „… dich kooperativ zeigen.“

Scheinbar hörte er ihr nicht zu. Oder er wollte nicht verstehen, was sie ihm sagte. Es interessierte Miles nicht, wie all das hatte passieren können. Ihn interessierte nur der gute Ruf seiner Firma. Er brauchte einen Sündenbock, ein Bauernopfer. Und auf dem Korrekturabzug prangte ihre Unterschrift.

Sie hatte ein Problem.

„Ich habe mit Peter Black gesprochen und er hat die Sache mit unseren Anwälten geregelt. Wir sind uns alle einig, dass das die beste Lösung ist“, fuhr Miles fort, als wäre es eine ausgemachte Sache.

„Und wenn … mit einer solchen Lüge wird man bei keinem Anwalt durchkommen.“

„Was für eine Lüge? Selbst die Besten machen irgendwann schlapp.“

Natasha kochte. Wahrscheinlich war die Stellungnahme schon fertig. Man würde sie darin als fähige Mitarbeiterin beschreiben, die wegen starker beruflicher Belastung bedauerlicherweise einen Zusammenbruch erlitten hatte … bla, bla, bla. Und ihr baldige Genesung wünschen. Miles konnte es sicher gar nicht abwarten, dass sie in der Fairview-Klinik vorstellig wurde, damit er mit der Stellungnahme so schnell wie möglich an die Öffentlichkeit gehen konnte. Die Klinik war berühmt dafür, dass man dort Klatschreporter von den Patienten fernhielt.

„Das kannst du nicht machen“, protestierte sie, obwohl ihr klar war, dass die Entscheidung bereits getroffen worden war und sie nichts mehr daran ändern konnte. „Ich war das nicht.“

„Ich versuche alles, um den Schaden zu begrenzen, den du angerichtet hast“, erwiderte er. „Du solltest in deinem eigenen Interesse kooperieren.“

„Nein. Niemand wird mich mehr einstellen. Außer ich werde hier nach meiner Auszeit wieder mit offenen Armen empfangen.“

„Ich muss an die Firma denken“, erwiderte er. „Bitte mach uns deswegen keinen Ärger.“

„Und wenn doch?“

„Tash … bitte. Warum kannst du nicht einfach zugeben, dass du einen Fehler gemacht hast? Dass du nicht unfehlbar bist … krank bist. Alle werden Mitleid mit dir und uns haben, vielleicht sogar Mr. Hadley.“

Er gab es sogar zu!

„Ich war das nicht!“, wiederholte sie, fand aber selbst mittlerweile, dass sie unglaubwürdig klang.

„Es tut mir leid, Natasha, aber wenn du dich nicht kooperativ zeigst, müssen wir dir fristlos kündigen, weil du die Firma in Misskredit gebracht hast. Solltest du uns dazu zwingen, müssten wir ein Verfahren wegen böswilliger Verleumdung gegen dich einleiten.“

„Ich bin nicht krank“, antwortete sie und kämpfte gegen den Drang an, laut zu schreien. „Und was das Verfahren betrifft – ich denke nicht, dass ihr oder Mr. Hadley besonders weit damit kommt. Denn auch wenn die Anzeige nicht die ist, die er in Auftrag gegeben hat – es stimmt, was drinsteht.“

„Abgesehen vom Holzwurm und der Treppe“, wandte er eisig ein.

„Wie kannst du dir da so sicher sein? Wer weiß, was sich unter dem ganzen Dreck verbirgt?“

Sie wartete seine Antwort nicht ab. Wenn man von seinem Chef vor die Wahl zwischen der Klapsmühle und einem Verfahren gestellt wurde, durfte man nicht mehr auf eine ernsthafte Unterhaltung hoffen.

2. KAPITEL

Wie konnte er es wagen, auch nur anzudeuten, dass sie einen Zusammenbruch gehabt hatte? Miles musste doch merken, dass die Sache zum Himmel stank!

Bebend verließ Tash sein Büro und ging auf die Toilette. Bevor sie Janine begegnete, die sicher genau gewusst hatte, was sie in Miles’ Büro erwartet hatte, musste sie erst einmal zu sich kommen.

Sie ordnete ihr Haar, trug eine dicke Schicht Lippenstift auf und atmete tief durch, bevor sie es wagte, die Treppe hinunterzugehen, die sie wenige Minuten vorher voller Vorfreude hinaufgelaufen war.

Janine wartete bereits mit einem Karton vor Natashas Schreibtisch auf sie

„Es ist alles drin“, erklärte sie ohne den leisesten Anflug von Verlegenheit. Im Gegenteil, sie lächelte. Freunde waren sie nie gewesen, aber während Tash außerhalb des Büros keinen Gedanken an Janine verschwendet hatte, war es durchaus möglich, dass Janine ihr – unter Außerachtlassung von Natashas Überstunden und ihrer nicht existenten Freizeit – die Bonuszahlungen nicht gegönnt hatte. „Das meiste ist Müll.“

Darauf antwortete Tash nicht. Es war nicht zu übersehen, dass der Inhalt ihrer Schubladen sorglos in den Karton gekippt worden war. Abgesehen von einer Ersatzstrumpfhose, einer Federtasche und der Tasse, in der sie ihre Stifte aufbewahrte, war das meiste wirklich Müll. Sie nahm die Kiste und ging zur Tür.

„Warte! Miles hat gesagt …“

Ihrer Meinung nach hatte Miles mehr als genug gesagt. Trotzdem drehte sich Natasha mit teilnahmsloser Miene um und wartete.

„Er hat mich gebeten, dir die Schlüssel abzunehmen.“

Natasha stellte die Kiste ab, zog ihren Schlüsselbund hervor, löste den Büroschlüssel und reichte ihn Janine.

„Und die Autoschlüssel.“

Das BMW-Cabriolet hatte Miles dem Mitarbeiter versprochen, der ein bestimmtes Jahresverkaufsziel erreichte, das er für unerreichbar gehalten hatte. Natasha hatte es noch vor Jahresablauf erreicht, und sie liebte den Wagen so sehr, wie die anderen sie um ihn beneideten. War es möglich, dass ihr das nur passiert war, weil jemand …

Sicher würde Miles auch ihre spektakulären Verkaufserfolge heranziehen, um seine Anschuldigungen zu untermauern, dass sie sich total überarbeitet hatte, um zu beweisen, dass sie besser war als alle anderen. Wie rührend!

Stolz, dass ihre Finger im Gegensatz zu ihrem restlichen Körper nicht zitterten, löste sie den silbernen Schlüsselring, den Toby ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, von den Autoschlüsseln und steckte ihn ein, behielt die Schlüssel jedoch in der Hand. „Ich muss noch meine Sachen rausholen“, erklärte sie.

„Ich komme mit“, antwortete Janine und folgte ihr zur Tür. „Ich muss sichergehen, dass der Wagen vernünftig abgeschlossen wird.“

Traute man ihr nicht einmal mehr zu, ein Auto abzuschließen? Oder glaubte diese armselige Person, dass sie einfach davonbrausen würde?

„Du wirst sogar ein wenig mehr zu tun haben. Ich stehe auf einem Kurzzeitparkplatz. Der Wagen muss weggefahren werden, bevor … Oh, zu spät.“

Tash verblüffte die Politesse mit einem Lächeln, öffnete den Wagen und warf Janine die Schlüssel zu, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie würde sich nicht anmerken lassen, wie geknickt sie war. Es war nur ein Auto. Und sie würde es bald wiederhaben. Sobald Miles wieder klar denken könnte.

In aller Ruhe leerte sie das Handschuhfach, holte ihre Gummistiefel, ihre alte Wachsjacke und ihren Regenschirm aus dem Kofferraum und legte alles mit in die Kiste. Anschließend griff sie nach ihrer Laptoptasche.

„Die nehme ich.“

„Meinen Laptop?“ Tash wandte sich Janine zu. „Hat Miles gesagt, dass du ihn mir abnehmen sollst?“

„Er hat jede Menge Ärger“, antwortete Janine und warf den Kopf zurück. Also nein.

„Das stimmt, und wenn ich herausgefunden habe, wer für dieses Schlamassel verantwortlich ist, wird er damit nicht mehr allein sein. Falls er bis dahin danach fragen sollte …“, sie hängte sich die Tasche um, „… kannst du ihm sagen, dass ich es von der Bonuszahlung von Januar bezahlt habe.“

Janine, die sich offenbar ertappt fühlte, errötete, aber es war ein kurzer Triumph für Tash.

„Dein Taxi wartet. Es bringt dich zur Fairview-Klinik“, verkündete Janine und verschwand wieder im Büro.

Tash sah das Taxi an. Obwohl sie viel zu tragen hatte, wäre sie am liebsten demonstrativ zur nächsten U-Bahn-Station gegangen. Doch da niemand außer der Politesse diese Geste bemerkt hätte, stieg sie in das Taxi und nannte dem Fahrer ihre Adresse.

Der Fahrer wandte sich um. „Ich sollte sie zur Fairview-Klinik bringen.“

„Ich muss erst nach Hause“, antwortete sie ohne eine Miene zu verziehen. „Ich brauche ein Nachthemd und eine Zahnbürste.“

Darius ging schnellen Schrittes die Kings Road hinunter Richtung U-Bahn. Er war wütend, und er musste Abstand von Natasha Gordon gewinnen.

Keine nennenswerten Schwierigkeiten? Ein Haus, das sie unverkaufbar gemacht hatte, und eine Steuerforderung in sechsstelliger Höhe für ein Gebäude, in dem er nicht leben konnte. Was waren denn in ihren Augen nennenswerte Schwierigkeiten?

In ihren kornblumenblauen Augen. Und dazu dieses blonde, etwas zerzauste Haar und die weibliche Figur! Sie war höllisch sexy.

Sobald er im Zug saß, zog er seinen Skizzenblock hervor und tat das, was er immer tat, wenn er alles um sich herum vergessen wollte: Er zeichnete. Nicht das Innere des Zuges, die Frau, die ihm gegenübersaß, sondern das, was ihm gerade durch den Kopf ging.

Das Haus, das er nie wieder hatte betreten wollen, hatte düstere Erinnerungen in ihm geweckt, doch auf dem Papier erschien etwas anderes. Er zeichnete Natasha Gordon. Ihre großen blauen Augen. Ihr Haar, das sich aus einer antiken silbernen Spange gelöst hatte, und das Grübchen in ihrer Wange, das sich gezeigt hatte, als sie ihm zur Begrüßung lächelnd die Hand gegeben hatte. Es war, als hätte sich ihr Bild in sein Gehirn eingebrannt. Ihr Erröten, die Kette, die sie um den Hals trug und die zwischen ihren verlockend großen Brüsten verschwand. Ihre langen Beine.

Er zeichnete wie ein Besessener weiter, als könnte er sie aus seinem Kopf verbannen, indem er sie aufs Papier brachte, als könnte er vergessen, was in dem Moment passiert war, als er aufgestanden war und sie angesehen hatte. Als er sich auf der Straße noch einmal umgewandt hatte und sie im Fenster hatte stehen sehen. Und sich gewünscht hatte, dass er sie mitgenommen hätte, als er gegangen war. Und einen Moment überlegt hatte, noch einmal zurückzugehen.

Wie Morgan sich gefreut hätte!

Er hörte auf zu zeichnen und überlegte, wie er sie malen oder in Stein meißeln würde. Und als er schließlich aufsah, war er an seiner Haltestelle vorbeigefahren.

Tash lehnte sich zurück, als der Taxifahrer losfuhr, einen U-Turn machte und sich in den Stau auf der Kings Road einfädelte.

Es hatte gerade einmal zwanzig Minuten gedauert, um von einer erfolgreichen Angestellten eines der angesehensten Maklerbüros der Stadt zu einer Person zu werden, die niemand mehr einstellen würde.

„Das Haus ist schön, Darius.“ Patsy hatte Tee gekocht und den Chronicle im Mülleimer gefunden, als sie die Teebeutel weggeworfen hatte. „Und so groß. Du könntest dir dort ein Atelier einrichten.“ Sie legte den Kopf schief und betrachtete die ölverschmierte Wand der ehemaligen Autowerkstatt. „Warum ziehst du nicht einfach ein? Wenn du mich ganz lieb fragst, würde ich sogar mitkommen und den Haushalt für dich erledigen.“

„Du und wer noch?“ Er warf einen Blick auf die Aufnahme. Der Fotograf hatte ganze Arbeit geleistet. Das Gebäude war von der bestmöglichen Stelle aus fotografiert worden. Das Fachwerk kam gut zur Geltung, ein üppiger Rosenbusch täuschte über eine unansehnliche Stelle hinweg, und die Zeder, die einst zu Ehren der Krönung Queen Victorias gepflanzt worden war, rundete die Szenerie ab.

Und die Aufnahme war zur perfekten Tageszeit gemacht worden: Der golden leuchtende Morgennebel, der sich aus dem Fluss erhob, verlieh dem Anwesen etwas Magisches, das die Erinnerung an frühmorgendliche Angeltouren mit seinem Großvater in den Schulferien in ihm weckte. Erinnerungen daran, wie zauberhaft die Welt ihm als Kind erschienen war.

„Es hat mindestens zwanzig Zimmer“, fuhr er fort und wandte sich der Skulptur zu, an der er gerade arbeitete – einem über einen Zaun springenden Rennpferd. „Und zwar ohne Küche, Spülküche, Speisekammern und Mansarden.“ Sowie ein halbes Dutzend Gesindehäuser, in denen momentan frühere Angestellte wohnten, die sich nicht vertreiben ließen, und ein ziemlich heruntergekommenes Bootshaus.

Patsy legte das Magazin auf seinen Arbeitstisch, öffnete eine Packung Kekse und aß einen davon, nachdem Darius dankend den Kopf geschüttelt hatte. „Und, was hast du nun vor?“

„Der dummen Gans den Hals umdrehen?“, sagte er und versuchte, nicht an ihren Hals zu denken. Nicht an ihren Vanilleduft zu denken. Sich nicht auszumalen, wie sie sich wohl anfühlte. „Nächstes Thema.“ Er nahm den Chronicle und warf ihn zurück in den Müll.

„Ich habe gelesen, dass sie eine Art Nervenzusammenbruch hatte“, wandte Patsy ein.

Sie war Witwe und half in verschiedenen Firmen auf freiberuflicher Basis aus – so konnte sie ihr Berufsleben auf die Bedürfnisse ihres zehnjährigen Sohnes abstimmen. Sie erledigte den Papierkram für Darius und half ihm im Haushalt. Ihr einziger Nachteil war ihre Geschwätzigkeit. Darius war sicher, dass Hadley Chase in dieser Woche ein wesentlicher Bestandteil ihrer Geschichten war und dass ihr Publikum schon sehnsüchtig auf Neuigkeiten wartete.

„Bitte sag mir, dass du nicht alles glaubst, was in der Zeitung steht“, bat er und ließ, da er sich eh nicht konzentrieren konnte, von seinem Pferd ab.

„Natürlich nicht“, antwortete sie, „aber es heißt dort auch, dass sie labil sei. So etwas erfindet man doch nicht einfach.“

„Nein? Sie wirkte alles andere als labil, als ich sie gesehen habe“, erwiderte er. „Ich vermute, dass die Firma diesen Nervenzusammenbruch erfunden hat, um ihr die Schuld zuzuschieben und davon abzulenken, dass irgendetwas in dem Laden falsch gelaufen ist.“ Schadensbegrenzung eben.

„Das wäre scheußlich. Sie sollte dagegen vorgehen!“

„Dementiert hat sie es offenbar nicht“, bemerkte er.

„Vielleicht hat ihr Anwalt ihr davon abgeraten. Wie ist sie denn so? Du hast gar nicht erzählt, dass du sie kennengelernt hast.“

„Das liegt daran, dass ich es am liebsten vergessen würde.“ Vergessen, wie heftig er auf sie reagiert hatte. Wie sehr er sich zu diesem Körper hingezogen fühlte, der für die Liebe gemacht zu sein schien. Wie gern er ihren sinnlichen Mund vergessen würde. Und das Gefühl, die Kontrolle über sich zu verlieren. Doch es gelang ihm nicht. Im Gegenteil – er dachte ununterbrochen daran, dass er sie unbedingt zeichnen wollte.

Da war es nicht das Schlechteste, dass sie unerreichbar in der Fairview-Klinik untergebracht war. Denn seine Anwälte fänden es bestimmt nicht komisch, wenn er sie bäte, ihm Modell zu stehen.

„Ob sie wohl magersüchtig war?“, spekulierte Patsy und nahm sich noch einen Keks.

„Auf keinen Fall.“ Er schüttelte den Kopf und dachte daran, wie der oberste Knopf von Natashas Bluse aufgesprungen war, als sie ihm die Hand geschüttelt hatte, und er Einblick in ein Dekolleté erhalten hatte, das jeden Mann kirre gemacht hätte. „Natasha Gordon hat die üppigen Reize eines Milchmädchens. Sie hat große blaue Augen, üppiges blondes Haar und Haut wie Rosen“, erklärte er. „Glaub mir, das ist keine Frau, die sich von Salat ernährt.“

„Aha … und hat dein Milchmädchen einen Knicks gemacht, als sie sich entschuldigt hat?“

„Offenbar hat sie das Drehbuch nicht gelesen.“ Sie hatte ihn nicht um Verzeihung gebeten. „Sie hat gesagt, dass es keine nennenswerten Schwierigkeiten geben würde.“

„Was? Und du bist dir ganz sicher, dass alles in Ordnung ist mit ihr?“

„Ziemlich.“ Bei sich selbst war er sich da allerdings weniger sicher.

Milchmädchen. Rosen.

Sie ins Büro zu zitieren, damit sie sich entschuldigte! Fast war Darius geneigt zu glauben, dass sie bei Morgan und Black auf ihren Charme und ihre aufspringenden Knöpfe setzten, um ihn daran zu hindern, rechtliche Schritte einzuleiten.

Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, was sie tun könnte, um ihn zu überzeugen. Und wie bereitwillig er sie gewähren lassen würde.

„Dad macht sich wirklich Sorgen um dich, Tash. Du hast so hart gearbeitet, und dann der ganze Stress und … na ja …“ Ihre Mutter sprach nie aus, was sie dachte. „Er möchte, dass du eine Weile zu uns kommst, damit wir uns um dich kümmern können.“

Tash seufzte. Was immer sie auch sagte – ihre Eltern würden denken, dass an dem, was in den Zeitungen stand, etwas Wahres dran war und sie die ganze Zeit über recht gehabt hätten. Dass sie bei ihnen zu Hause sicherer wäre.

„Mum, es geht mir gut.“

„Tom meint, dass dir eine Pause guttun würde. Wir haben das Haus in Cornwall gemietet.“ Etwas in der Art hatte sie erwartet. Ihr Vater machte sich Sorgen, ihr Bruder, der Arzt war, verordnete eine Woche Urlaub am Meer, und ihre Mutter versuchte, es allen recht zu machen. „Du warst immer so gern dort, und du hast die Kleinen seit Ewigkeiten nicht gesehen!“

Urlaub mit den Eltern? Mit Mitte zwanzig? Tagsüber mit den Nichten Sandburgen bauen und abends Scrabble oder Monopoly spielen? Nicht besonders verlockend.

„Ich habe sie erst Ostern gesehen“, antwortete Tash. „Schickt mir eine Karte.“

„Schatz …“

„Es geht mir gut.“

„Ganz sicher? Nimmst du die Vitamine, die ich dir schicke?“

„Klar“, antwortete Tash und verdrehte die Augen.

„Isst du vernünftig?“

„Ja. Und abwechslungsreich.“

Nachdem das Taxi sie vor ihrer Tür abgeliefert hatte, war sie direkt zum Eisfach gegangen und hatte sich über ihr Strawberry-Cheesecake-Eis hergemacht. Dann hatte sie ihren Laptop eingeschaltet und die Datei mit der Anzeige geöffnet. Sie wollte sie ausdrucken, damit sie im Falle eines Falles beweisen konnte, was sie wirklich gemacht hatte. Doch auf dem Bildschirm erschien Wort für Wort der Text, den sie heute im Chronicle gesehen hatte. Das war nicht zu verstehen.

Der Korrekturabzug, den sie freigegeben und unterschrieben hatte, war der gewesen, den sie geschrieben hatte – nicht der, den man abgedruckt hatte.

Entweder sie wurde wirklich verrückt, oder aber jemand hatte keine Mühen gescheut, um ihr das hier anzutun. Und nicht nur den ursprünglichen Text vermurkst, einen gefälschten Korrekturabzug weitergegeben und den Anruf vom Chronicle abgefangen, sondern obendrein die Originaldatei in ihrem Laptop geändert, sodass sie nicht mehr in der Lage war zu beweisen, dass sie etwas anderes geschrieben hatte.

Sicher war es irgendwie möglich, den Originaltext wiederherzustellen. Aber damit konnte sie nicht beweisen, dass sie ihn nicht selbst geändert hatte. Denn wer immer den Text geändert hatte – er musste ihr Passwort kennen.

Was bedeutete, dass nur eine einzige Person infrage kam.

Der Kollege, der ihr nicht Bescheid gesagt hatte, dass er eine Woche früher als geplant von seiner Rugbytour zurückgekommen war. Der nicht mit Pizza, Chianti und Schokolade zu ihr gekommen war, sobald er die schlechten Neuigkeiten gehört hatte. Der sich nicht einmal erkundigt hatte, wie es ihr ging. Der jetzt in dem Büro in der Chefetage saß, in dem sie eigentlich sitzen sollte. Der Kollege, mit dem sie hin und wieder abstürzte: Toby Denton.

Sie hätte nie gedacht, dass Toby, der nie ein Geheimnis daraus gemacht hatte, dass er Arbeit nur als lästige Unterbrechung seines Privatlebens ansah, und der eigentlich nur darauf aus war, professionell Rugby zu spielen, clever genug war, einen so durchtriebenen Plan auszuhecken, um sie zu ruinieren. Immer wenn er irgendetwas nicht hinbekommen hatte, war sie diejenige gewesen, die ihm aus der Patsche geholfen hatte. Beispielsweise indem sie ihm ihr Passwort gegeben hatte, damit er im Terminkalender nachsehen konnte, wann und wo am nächsten Morgen sein erster Termin war, was er regelmäßig vergaß.

Dass er zum Teilhaber ernannt worden war, hatte sie am Tag, nachdem man sie mit einem Pappkarton vor die Tür gejagt hatte, auf der Webseite der Firma gesehen.

„Tash?“, fragte ihre Mutter besorgt. „Backst du?“

„Ob ich backe? Nein. Aber ich muss aufhören. Ich erwarte einen Anruf. Viel Spaß in Cornwall.“

Einen Anruf? Schön wär’s … Sie betrachtete den Zitronenkuchen und den Karottenkuchen, die neben der Sachertorte standen, die noch auf die Schokoladencreme wartete, die Tash gerade zubereitete.

Sie hatte gebacken wie eine Irre – um sich abzulenken. Während andere stundenlang am Computer spielten, joggten oder bügelten, um den Kopf freizukriegen, buk sie.

Dummerweise dachte sie gar nicht daran, dass sie ihren Job los war und ihre Karriere vergessen konnte. Sie dachte an Darius Hadley. Daran, wie er sich in Miles Morgans Büro umgedreht und sie so durchdringend angesehen hatte. An seine Hände. An seine dunklen Locken. Und an seinen etwas erdigen Geruch.

Sie dachte daran, wie er auf der Straße stehen geblieben war und sich umgesehen hatte und sie auf ein bloßes Handzeichen zu ihm gegangen wäre. Schlimmer noch, sie hätte ihm am liebsten selbst ein Zeichen gegeben.

Wenn sie nur an seinen Blick dachte, begann ihre Haut zu glühen. Und nicht nur ihre Haut.

Es war verrückt.

Nein – niemand würde sie anrufen. Miles nicht, und auch keines der Maklerbüros, die versucht hatten, sie abzuwerben. Letzte Woche noch hatte jeder sie in seinem Team haben wollen, jetzt war sie nicht mehr zu gebrauchen.

Wenn sie ihre Karriere retten wollte, würde sie allen zeigen müssen, dass sie immer noch die Beste war.

Und dazu musste sie einen Käufer für Hadley Chase finden.

Vor einer Woche wäre das zwar kein Kinderspiel gewesen, aber sie hatte Kontakte, Leute, die ihr zuhörten, weil sie ihr vertrauten. Ihr vertraut hatten.

Denn nun hieß es, dass sie durchgedreht war. Sie war allein und musste sich ganz auf ihr Köpfchen, ihr Wissen über den Immobilienmarkt und ihren Ehrgeiz verlassen – und Darius Hadley überzeugen, ihr eine Chance zu geben.

Sie würde sich mit ihm treffen müssen, mit diesem Mann, der sie mit einem einfachen Blick in ein errötendes Etwas mit weichen Knien verwandelte.

Normalerweise hätte sie das nicht weiter nervös gemacht. Doch der Nachlassverwalter hatte ihr gesagt, dass der Verkäufer nichts mit dem Verkauf zu tun haben wollte.

Sie hatte sie sich keine Gedanken darüber gemacht, warum Darius Hadley nichts mit dem Verkauf seines Hauses zu tun haben wollte, weil sie viel zu beschäftigt damit gewesen war, nicht unter seinem Blick dahinzuschmelzen. Doch je länger sie darüber nachdachte, umso mehr verstand sie, wie schmerzhaft es sein musste, derjenige zu sein, dem nichts anderes übrig blieb, als das Haus der Vorfahren zu verkaufen. Vierhundert Jahre Familiengeschichte aufzugeben.

Wenn er nur das Anwesen, aber kein Geld geerbt hatte, blieb ihm keine Wahl – eine Erbschaft zog Steuern nach sich. Es war kein Wunder, dass er wütend auf sie alle war – er war gezwungen worden, sich mit dem Verkauf zu beschäftigen. Aber jetzt, nachdem er ein wenig Zeit gehabt hatte, um sich zu beruhigen, wäre er vielleicht froh, wenn ihm jemand Hilfe anbot.

Ein Landhaus zu verkaufen, war eine kostspielige Angelegenheit. Und in klammen Zeiten wie diesen rissen sich die Makler nicht darum, ein Haus an den Mann zu bringen, das öffentlich zum Fass ohne Boden erklärt worden war.

Also bestand Hoffnung, dass sie die Einzige war, die ihm helfen wollte. Und er war wohl ihre einzige Chance.

Zum Glück hatte sie alle Einzelheiten über Hadley Chase auf ihrem Rechner. Was sie allerdings nicht hatte, waren die Kontaktdaten von Darius Hadley. Wenn es irgendetwas Berichtenswertes über ihn geben würde, hätte es eigentlich auftauchen müssen, als sie neulich Hadley Chase gegoogelt hatte. Trotzdem tippte sie seinen Namen nun in die Suchzeile ein.

Es gab jede Menge Ergebnisse, auch Bilder, und sie klickte auf das einzige, das ihn zeigte. Ironischerweise war das Foto auf einem Empfang aufgenommen worden, über den der Country Chronicle berichtet hatte. Die Bildunterschrift lautete: Der preisgekrönte Bildhauer Darius Hadley in der Serpentine Gallery.

Bildhauer? Das erklärte die Arbeiterstiefel und die dreckverschmierten Jeans. Dann kam dieser erdige Geruch vom Ton …

Sein Kragen war offen, und sein Schlips saß locker. Offenbar hatte er nicht bemerkt, dass er fotografiert wurde – er lachte über irgendjemanden oder irgendetwas außerhalb des Bildes. Wie sie es sich gedacht hatte – wenn er lachte, sah er richtig gut aus. Atemberaubend gut.

3. KAPITEL

Das Kopfsteinpflastergässchen war ein einziges Gewimmel von Häusern. Tash wusste nur den Straßennamen, aber sie hatte angenommen, dass das Atelier eines preisgekrönten Bildhauers leicht zu finden sein müsste.

Da hatte sie sich geirrt.

Sie war am Ende der Sackgasse angelangt, ohne auch nur das leiseste Anzeichen dafür zu finden, dass hinter irgendeiner der vielen Türen Kunst entstand. Doch als sie kehrtmachte, erblickte sie eine Frau, die sie mit zusammengekniffenen Augen beobachtete.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte die Frau.

„Ich hoffe … Ich bin auf der Suche nach Darius Hadley. Sein Atelier soll hier irgendwo sein.“

Die Frau musterte sie nachdenklich. Tash hatte ihr graues Kostüm angezogen, das normalerweise für Termine mit Immobilienmanagern von Milliardären reserviert war. Sie hatte gehofft, dass sie damit das Knistern reduzieren konnte, das in Miles Büro zwischen ihr und Hadley geherrscht hatte. Und das sie selbst dann noch gespürt hatte, als er von der Straße zu ihr hinaufgesehen hatte.

Vielleicht hätte sie lieber dezente Schuhe mit flachen Absätzen und eine Hornbrille tragen sollen, um noch seriöser zu wirken. Natürlich, es war ihr ernst wie nie zuvor – immerhin stand ihre Karriere auf dem Spiel –, aber man musste es ja nicht übertreiben. Ihre roten High Heels brauchte sie, um ein paar Zentimeter größer zu sein, nachdem man sie so zusammengestaucht hatte. Und auf eine Brille mit Fensterglas würde Darius Hadley nicht hereinfallen. Sie hatte schließlich schon Bekanntschaft mit seinem Blick gemacht, dem nichts entging, der jedes Spielchen durchschauen würde. Ihr war klar, dass sie ihm gegenüber absolut aufrichtig sein musste.

Was kein Problem war. Sie war grundehrlich und wusste sich zu geben. Wusste, was sie sagen würde. Sie würde absolut professionell sein. Aber zuerst einmal musste sie ihn finden. Allmählich fragte sie sich, ob die Adresse, die man ihr genannt hatte, falsch war.

Endlich antwortete die Frau: „Sind Sie mit Darius verabredet?“

„Er wird mich sehen wollen“, antwortete Tash. „Kennen Sie ihn?“

„Natürlich“, antwortete die Frau grinsend. „Ich kenne jeden. Sogar Sie, Natasha Gordon.“

Tash folgte der Frau die Straße hinunter, bis sie an ein verrostetes Werkstatttor kamen – mit einem Schild, das verkündete, dass irgendein Mike einem hier im Handumdrehen das Auto reparierte.

Die Frau zog einen dicken Schlüsselbund hervor und schloss den Personaleingang auf. „Darius?“, rief sie und ließ die Tür offen. Tash packte die Gelegenheit beim Schopf und schlüpfte hinter ihr hinein. „Wie denkst du heute über das Milchmädchen?“

Irgendwo über ihrem Kopf ertönte ein missmutiges Brummen. „Nicht jetzt, Patsy.“

Sie sah auf. Darius Hadley stand mit dem Rücken zu ihnen auf einer Klappleiter und arbeitete an einer im Sprung befindlichen Pferdeskulptur.

„Willst du ihr immer noch den Hals umdrehen?“, hakte Patsy nach.

„Seit letzter Woche hat sich nichts geändert“, antwortete er und lehnte sich ein wenig zurück, um sein Werk zu betrachten. „Aber ich kann dich beruhigen – das blöde Haus hat mir schon genug Ärger eingebracht, da muss nicht auch noch schwere Körperverletzung dazukommen.“

„Das heißt, es wäre ungefährlich, sie reinzulassen?“

Das ließ ihn aufhorchen. „Sie reinzulassen?“ Er wandte sich um. Tashs Herz machte einen Satz. „Ist sie hier?“

„Sie hat keinen Melkschemel dabei und auch keine Eimer, aber ansonsten trifft deine Beschreibung zu“, sagte Patsy. „Dass du sie in den letzten Tagen ständig gezeichnet hast, hat es mir noch leichter gemacht, sie zu erkennen.“

„Patsy …“

„Sie ist die Straße rauf und runter gegangen und hat dein Atelier gesucht. Es wäre wirklich hilfreich, wenn du mal ein Namensschild anbringen würdest.“

„Dann würden ständig irgendwelche Leute hereinkommen und mich bei der Arbeit stören“, entgegnete er und sah über Patsys Kopf in Richtung Türrahmen, wo Tash stand.

Sein durchdringender Blick ließ ihre Knie weich werden.

Aber es waren nicht nur seine Augen, die sie dahinschmelzen ließen. Alles an ihm war sexy: die verwaschene, tonbeschmierte Jeans, das halblange lockige schwarze Haar, die sehnigen Unterarme. Und diese Hände …

Tash versuchte, sich einzureden, dass sie sich dieses Knistern nur einbildete.

Bei Miles im Büro war der Überraschungseffekt hinzugekommen, aber nun dachte sie schon seit Tagen an ihn – und das nicht nur, weil er ihre einzige Chance war, um in ihren Beruf zurückzukommen.

Sie hatte an seine Hände gedacht. Hatte sich überlegt, wie sie sich wohl auf ihrem Körper anfühlen würden.

„Ich weiß, dass ich die Letzte bin, mit der Sie sprechen wollen“, sagte sie, „Aber ich würde Sie bitten, mir zehn Minuten zuzuhören. Ich möchte Ihnen ein Angebot machen.“

„Ein Angebot?“ Darius sah auf Natasha Gordon hinunter. Im Gegenlicht kam ihre weibliche Silhouette deutlich zur Geltung.

Angebot konnte vieles heißen. Aber Morgan würde doch nicht versuchen, ihn zu bestechen, indem er seine Mitarbeiterin vorbeischickte. Andererseits … vielleicht war es ihre Idee gewesen.

„Hätten Sie zehn Minuten?“ Von hier oben konnte er direkt in den Ausschnitt ihrer Bluse sehen. „Vielleicht könnten wir uns kurz zusammensetzen“, schlug sie vor und hielt eine weiße Kuchenschachtel hoch. „Ich habe Kuchen gebacken und könnte einen Tee dazu kochen.“

Er wischte sich die Hände mit einem feuchten Tuch ab und wartete einen Moment, bis das tobende Verlangen in ihm sich ein wenig gelegt hatte. Natürlich sollte er sie wegschicken, aber es kam nicht jeden Tag vor, dass einem eine schöne Frau mit einem Kuchen ein ‚Angebot‘ machte. Und wenn sie nun schon einmal da war, könnte er endlich diesen Anblick einfangen, der ihm immer wieder entglitt, und sie endgültig vergessen.

„Ich hoffe, Sie können backen“, sagte er schließlich, worauf Patsy zufrieden nickte und verschwand.

„Glauben Sie, dass ich mit einem Kuchen ankommen würde, der nicht perfekt ist?“, fragte sie.

Natürlich nicht – diese Frau zog alle Register. „Wie haben Sie mich gefunden?“ Kaum jemand wusste, wo er arbeitete. Es dürfte nicht leicht gewesen sein, die Adresse herauszufinden.

„Wollen Sie das wirklich wissen?“, fragte sie zurück.

„Ich bin ganz Ohr“, sagte er, stieg die Leiter einen Schritt hinunter und sah, wie sie sich zusammenreißen musste, um nicht selbst einen Schritt rückwärts zu machen. Sie war lange nicht so cool, wie sie tat. Also war er nicht allein damit.

„Ich habe das gemacht, was jeder getan hätte – ich habe im Internet nachgesehen. Und den preisgekrönten Bildhauer gefunden, der gerade an der Bronzestatue eines der berühmtesten Rennpferde aller Zeiten arbeitet.“ So viele Informationen, dass er die Frage darüber vergessen würde – den Trick kannte er. „Es war ein Foto dabei“, fügte sie hinzu.

„Von mir?“ Er stieg noch eine Stufe hinunter.

„Nein, von dem Pferd. In der Racing Times. Von Ihnen gibt es kaum Fotos. Sie haben ja nicht einmal eine Webseite.“ Es klang wie ein Vorwurf.

„Ich komme auch ohne klar.“

„Ja …“

Tash wandte sich ab und betrachtete die an die Wand gepinnten Bilder, die das Pferd von allen Seiten zeigte, bevor sie sich seiner Interpretation des Tieres widmete.

„Hätte ich gewusst, wer Sie sind, hätte ich Ihren Namen verwenden können, um das Interesse der einschlägigen Presse zu wecken.“

„Sie haben es ja auch ohne meine Hilfe geschafft, das Thema in die Klatschspalten zu bringen“, entgegnete er. „Aber Sie haben mir immer noch nicht gesagt, woher Sie meine Adresse haben.“

Ein reuiges Lächeln umspielte ihre vollen Lippen. „Das war gar nicht so einfach. Und selbst mit der Adresse hätte ich Sie nicht gefunden, wenn Patsy mich nicht angesprochen hätte.“

„Also?“, hakte er nach.

„Mehr darf ich Ihnen nicht verraten.“

„Ein Journalist?“ Nein – was man über sie geschrieben hatte, war nicht gerade nett gewesen. Von Journalisten hatte sie sicher fürs Erste genug. „Ein Kunsthändler?“ Wer würde sich wohl von diesen blauen Kulleraugen und dieser Oberweite erweichen lassen? Nein, eher: Wer war vor kurzer Zeit umgezogen? „Freddy Glover hat kürzlich eine Einweihungsparty gegeben …“, sagte er.

Da sie weder zustimmte noch verneinte, ließ er zufrieden von dem Thema ab.

„Falls Sie gekommen sind, um sich zu entschuldigen …“

„Ich nehme an, dass Miles das schon getan hat, aber wenn Sie wollen, kann ich es natürlich gern noch mal tun“, antwortete sie und unterstrich ihre Antwort mit einer Handbewegung, die sich in ihrem Körper fortsetzte und Darius durch und durch ging.

Sie hielt einen Moment im Reden inne, doch er war nicht in der Lage zu antworten. Ihre Bewegung hatte ihn aus der Fassung gebracht.

Also fuhr sie fort: „Es tut mir wirklich leid, was passiert ist, aber das ist nicht der Grund für mein Kommen.“

„Sondern?“ Er hasste es, wenn Frauen ihn derart aus der Fassung brachten. Doch er brachte es nicht über sich, sie wegzuschicken. „Nun kommen Sie schon rein und machen Sie die Tür hinter sich zu. Ich fresse Sie schon nicht auf …“

Zwar sah sie nicht ganz überzeugt aus, doch sie schloss die Tür, atmete tief durch und ging langsam und mit betörendem Hüftschwung auf ihn zu – einem Hüftschwung, der genau wie ihre sehr weibliche Figur vor etwa fünfzig Jahren aus der Mode gekommen war.

Jetzt, wo sie näher gekommen war, bemerkte er, dass sie versucht hatte, ihre üppigen Formen unter dem grauen Kostüm zu verbergen. Oder auch nicht – der Rock war ziemlich eng, so kurz, dass er gerade noch als adrett durchging. Er erlaubte den Blick auf jede Menge Bein – wenn man es schaffte, sich vom Ausschnitt ihres Hemds loszureißen, das ziemlich knapp war.

Ihr Haar hatte sie zu einem Knoten gesteckt. Es juckte Darius in den Fingern, die Haarnadeln herauszuziehen und ihr Haar über ihre Schultern fallen zu sehen.

Eine Armeslänge vor der Leiter blieb sie stehen und sah zu ihm auf. Sie war nah genug, um den honigsüßen Duft ihrer Haut zu riechen, in dem zitronige, würzige, schokoladige Noten mitschwangen, aber etwas zu weit weg, um sie zu berühren. Vielleicht ahnte sie, dass er sich kaum zurückhalten konnte, sie an sich zu ziehen und spüren zu lassen, wie sehr sie ihn erregte.

Sie hatte Kuchen dabei? Schön. Aber viel lieber noch wollte er sie vernaschen.

„Also?“, fragte er gereizt. Es ärgerte ihn, dass sie ihn störte. Dass er gestört werden wollte. Normalerweise durfte man ihn nicht bei der Arbeit stören.

Tash überlegte, wie sie ihr Angebot möglichst professionell vermitteln könnte. Sie war den Umgang mit einflussreichen Persönlichkeiten gewohnt, aber jetzt konnte sie sich kaum noch auf den Grund für ihr Herkommen konzentrieren. Obwohl es hier drinnen kühler war als draußen, war ihr ganz heiß, und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als ihr Jackett auszuziehen, ihr Haar zu lösen und Darius Hadleys Schenkel zu streicheln.

„Was wollen Sie von mir, Natasha Gordon?“

Als sie zu ihm aufsah, erkannte sie, dass er genauso empfand wie sie. Einen Moment lang war alles möglich.

Eine Taube, die auf dem Oberlicht landete und sie beide erschrocken aufsehen ließ, rettete Tash.

„Ich will nichts von Ihnen, Mr. Hadley“, antwortete sie. Warum musste das alles so kompliziert sein? Es war schon schlimm genug, dass er dachte, sie hätte den Verkauf seines Hauses sabotiert. Da musste sie sich nicht auch noch wie eine ausgehungerte Nymphomanin benehmen. „Ganz im Gegenteil – ich möchte Ihnen einen Gefallen tun. Ich werde Ihr Haus verkaufen.“

„Ich nehme an, ich habe keine andere Wahl, als mir Ihr Angebot anzuhören.“

Puh. Geschafft. „Da liegen Sie richtig.“ Sie stellte ihre Laptoptasche ab und platzierte den Kuchen auf dem Arbeitstisch – neben dem fein säuberlich aufgereiht liegenden Material. Tash griff nach einem Rippenknochen und sah zu der Skulptur über sich – im Brustkorb des Pferdes war das Herz zu sehen. Nach dem, was sie im Netz von ihm gesehen hatte, schienen Eingeweide ein Stilelement von ihm zu sein.

„Ein schönes Bild malen kann jeder.“ Er nahm ihr den Knochen ab und legte ihn auf den Tisch zurück. „Ich möchte zeigen, was hinter der Kraft, hinter der Bewegung steckt. Knochen, Sehnen, ein Herz.“

„Also ist Ihnen der Motor wichtiger als die Karosserie.“ Um ihn nicht ansehen zu müssen, ging sie um die Skulptur herum und betrachtete sie, bevor sie von der sicheren anderen Seite aus den Blick wieder auf Darius Hadley richtete. „Geht es Ihnen darum, uns das Innenleben der Dinge zu zeigen?“

„Das ist ja das Wesentliche an ihnen.“

„Ich habe Ihre Installation vor der Tate Modern gesehen. Das Haus. Das ist auch nackt bis auf die Knochen.“

„Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht“, sagte er.

„Ich bin einfach daran vorbeigekommen. Bis ich mich im Internet über Sie informiert habe, wusste ich nicht, dass die Installation von Ihnen ist. Ich fand sie etwas trostlos.“

„Jeder darf Kritik üben.“

„Ich fand sie schön. Es waren aber keine Leute darin, und ein Haus ohne Menschen ist einfach nur ein Rahmen.“

„Vielleicht ging es mir ja genau darum“, erwiderte er.

Tash sah zu dem Pferd auf. „Es ist riesig.“

„Ich werde noch eine kleinere Version in limitierter Auflage anfertigen.“

„Super für den Kaminsims“, erwiderte sie ohne nachzudenken und wünschte, sie hätte den Mund gehalten. Dafür waren seine Arbeiten zu anspruchsvoll. „Tut mir leid, das war dumm. Ich bin ein wenig nervös.“

„Das wundert mich nicht. Glaubt Miles Morgan wirklich, dass er mich mit einem Stück Kuchen und dem Anblick Ihres Dekolletés bestechen kann?“

„Wie bitte?“ Sie spähte zu ihrem obersten Hemdknopf hinunter, doch er war zu. Noch. Sie hatte ihr weitestes Hemd angezogen, aber bei den langen Arbeitstagen blieb kaum Zeit für Sport oder eine durchdachte Diät. Und in der vergangenen Woche hatte sie mehr gegessen und sich weniger bewegt als gesund war. Sie musste dringend wieder anfangen zu arbeiten … „Miles hat mich nicht hergeschickt. Und was das Dekolleté betrifft …“ Sie zuckte mit den Schultern, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie völlig entspannt war. Wenn man Häuser verkaufen wollte, musste man ein Image kreieren, für einen positiven ersten Eindruck sorgen. Jetzt wollte sie sich selbst verkaufen. „Ich habe exzessiv gebacken und ein bisschen viel von den Resultaten verspeist.“

„Und jetzt wollen Sie den Kuchen lieber teilen.“

„Ich dachte, etwas Süßes könnte dabei helfen, das Eis zwischen uns zu brechen.“

Eis?

Von wegen. Als sie sich vorbeugte, um die Kuchenschachtel zu öffnen, wurde Darius ganz heiß.

In der vergangenen Woche hatte er sie immer wieder gezeichnet, um nicht mehr an sie denken zu müssen, und auch wenn er sie gut getroffen hatte, fehlten seinen Zeichnungen doch die Wärme und die Ausstrahlung des Originals.

Gerade wollte er nichts anderes als sie ausziehen und ihre weiblichen Kurven im Spiel von Licht und Schatten sehen.

Er wollte sie von allen Seiten zeichnen und sie Schicht für Schicht ausziehen, bis er zu ihrem innersten Wesen vorgedrungen wäre. Bis er erkennen könnte, was sie dachte und fühlte und ein dreidimensionales Bild anfertigen könnte, das das Herz dieser Frau abbildete.

Und er wollte eine Menge mehr tun.

„Was gibt es denn?“, fragte er.

„Weil ich keine Ahnung hatte, was Sie mögen, habe ich unterschiedliche Sorten mitgebracht.“ Sie sah ihn an. Die Luft zwischen ihnen knisterte. Rasch sah sie wieder auf die Kuchenschachtel hinunter, die Augen hinter dichten Wimpern verborgen. „Es gibt Zitronen-, Schokoladen-, Kaffee-, Ingwer- und Möhrenkuchen.“

Der betörende Vanilleduft, der aus dem Karton stieg, beschwor Kindheitserinnerungen in ihm herauf. Er dachte daran, wie herrlich es gewesen war, in den noch warmen Kuchen zu beißen. Doch er war kein kleiner Junge mehr, widerstand der Versuchung und blickte auf – und sah sich der Verlockung ihrer warmen Brüste gegenüber, die zum Greifen nah waren.

War es das gewesen, was sein Vater empfunden hatte? Der übermächtige Drang, eine Frau zu besitzen, der jeden anderen Gedanken auslöschte?

Konzentrier dich auf den Kuchen.

„Als Sie gesagt haben, dass Sie exzessiv gebacken hätten, war das also ernst gemeint, Miss Gordon?“, fragte er und nahm sich ein Stück, einfach nur, damit seine Finger etwas zu tun hatten. „Hat man Ihnen das in der Fairview-Klinik als Beschäftigungstherapie empfohlen?“

„Nennen Sie mich doch bitte Tash. Alle nennen mich so.“

„Mir gefällt Natasha besser“, entgegnete er und lutschte sich den Zuckerguss vom Finger, worauf sie errötete.

„Niemand nennt mich so. Nur meine Mutter, wenn ich etwas getan habe, das sie ärgert.“

„Dann wären wir ja schon zu zweit, deine Mutter und ich.“

„Verstehe.“ Sie lächelte verlegen. „Ich wäre auch sauer auf mich, wenn ich Sie wäre. Ehrlich gesagt ärgere ich mich über mich selbst. Es war nicht gerade spaßig, meine Eltern anzurufen und sie zu warnen, dass alle Welt in der Zeitung lesen würde, dass ich einen Nervenzusammenbruch hatte.“

„Dazu sage ich nichts.“

Sie lächelte. „Ich war übrigens nie in der Fairview-Klinik. Und, nur dass das klar ist: Miles Morgan und ich haben nichts mehr miteinander zu tun. Ich habe das Büro fünfzehn Minuten nach Ihnen verlassen und ihn seitdem weder gesprochen noch gesehen.“

„Er hat dich gefeuert?“, fragte Darius. Ich hätte warten sollen. Umkehren. Meinem Instinkt folgen und sie mit mir nehmen … „Von Arbeitsrecht habe ich kaum Ahnung, aber ich bin ziemlich sicher, dass es nicht möglich ist, jemanden rauszuschmeißen, der krankgeschrieben ist.“

„Da haben Sie wahrscheinlich recht“, antwortete sie, „aber ich habe mich geweigert, mich als Verrückte hinstellen zu lassen, um den Ruf der Firma zu retten.“

„Du hast es nicht dementiert.“

„Als hätte das irgendetwas geändert. Ich bin nicht verrückt. Ich war das nicht. Ich wurde reingelegt. Und da man mir mit einer Klage wegen böswilliger Verleumdung gedroht hat …“ Ihre Stimme war belegt, ihre Pupillen waren geweitet. Was würde ich tun, wenn er meine Hand nehmen und an seinen Reißverschluss führen würde, was, wenn er mich küssen würde? „… habe ich lieber nichts gesagt.“

Er ging zum Wasserkocher und sah nach, ob noch Wasser drin war, bevor er ihn einschaltete. Hauptsache, er bekam irgendwie diese Gedanken aus seinem Kopf. Dieselben Gedanken, die ihn schon aus Morgans Büro vertrieben hatten, nur noch wesentlich heftiger.

Normalerweise hatte er kein Problem damit, wenn er eine Frau anziehend fand. Das hier hingegen war vertrackt …

„Das ist ein bisschen, als würde man jetzt dementieren, dass Hadley Chase von Holzwürmern zerfressen ist“, antwortete er, um das Gespräch auf das Haus zurückzubringen, und bestückte zwei Tassen mit Teebeuteln. „Wenn etwas erst einmal in der Zeitung steht, nimmt einem niemand mehr das Gegenteil ab.“

„Genau. Was nicht heißen soll, dass es von Holzwürmern zerfressen ist.“ Der Themenwechsel kam Tash sehr gelegen. „In den letzten Jahren hat sich zwar niemand um das Haus gekümmert und es muss etwas am Dach gemacht werden, aber ansonsten ist alles recht gut in Schuss. Und durch die Anzeige ist Hadley Chase in aller Munde“, fügte sie hinzu, als wäre das etwas Erfreuliches. „Meine Aufnahme ist in allen Immobilienbeilagen abgedruckt worden.“

„Deine Aufnahme?“ Er bedeutete ihr, sich auf das alte Sofa zu setzen, auf dem er manchmal schlief, wenn er lange arbeitete und zu müde war, um nach Hause zu gehen. „Lässt Morgan die Fotos nicht von einem Profi machen?“

„Doch, doch, und die Innenaufnahmen sind auch ziemlich gut geworden, aber an dem Tag, als der Fotograf da war, hat es geregnet. Die Außenaufnahmen waren nicht zu gebrauchen. Und weil uns die Zeit davongerannt ist und das Wetter zum Wochenende hin umschlagen sollte, bin ich am Sonntagmorgen noch einmal hingefahren und habe selbst ein paar Aufnahmen gemacht.“

„Du hast ein gutes Auge.“

„Na ja … ich habe Hunderte von Bildern gemacht. Das hat mir ganz gut gefallen.“

Es ist mehr als das, dachte er, während er die Milch aus dem Kühlschrank holte. Sie war extra noch einmal hinausgefahren – in ihrer Freizeit. Sie hatte alles gegeben. „Schade, dass die Presse sich nicht darauf beschränkt hat, über das Bild zu schreiben.“

„Völlig undenkbar. Auf so eine gute Story verzichtet niemand. Und es war eigentlich die perfekte Werbung. Wenn Miles nicht so eine Panik bekommen hätte …“ Sie hielt inne.

„Was dann?“

„Dann hätte ich erst einmal auf Firmenkosten ein Reinigungsunternehmen engagiert. Anschließend hätte ich die Redakteure der Immobilienblätter ins Hadley Arms zum Mittagessen eingeladen, und nachdem ich ihnen mit dem idyllischen Dorf den Mund wässrig gemacht hätte, wäre ich mit ihnen zum Anwesen rausgefahren. Schön langsam, damit sie die schöne Gegend bewundern können …“

„Und dann?“

„Dann hätte ich spätestens nach einer Woche mindestens ein Angebot für das Haus bekommen.“

Ihr strahlendes Lächeln wirkte aufgesetzt. Darius wollte ihr echtes Lachen sehen.

„Trotz der kaputten Treppe und des lecken Dachs?“, wollte er wissen.

„Es hat seit einer Woche nicht geregnet.“

„Es bleibt nicht ewig so schön.“

„Genau darum müssen wir in die Gänge kommen. In Hadley Chase steckt jede Menge Potenzial“, versicherte sie ihm. „Bis ich selbst vor Ort war, war mir nicht klar, was noch alles an Wirtschaftsgebäuden dabei ist, die Stallungen und die Molkerei … und wie viele Häuser haben heutzutage noch eine eigene Brauerei? Die Gebäude lassen sich gut als Werkstätten, Ferienunterkünfte oder Büros nutzen. Normalerweise ist Miles nicht so langsam …“ Sie runzelte die Stirn. „Mein Fehler.“

„Sicher, dass es nicht eher sein Fehler war?“

„So einfach ist das alles nicht.“ Sie stützte den Ellenbogen auf die Sofalehne und das Kinn auf die Hand – wodurch sich ihm ein verlockender Einblick darbot. Um sich abzulenken, griff er nach der Kuchenschachtel und hielt sie Natasha hin.

„Wollen Sie das Haus noch verkaufen?“, fragte sie und nahm sich ein Stück Kuchen.

„Ich hatte angenommen, dass Morgan dich geschickt hat, um mich davon abzubringen, auf Schadensersatz zu klagen“, erwiderte er und genehmigte sich noch einen zweiten Blick in ihren Ausschnitt. Sie trug einen aufregenden Spitzen-BH.

Als er nichts weiter sagte, sah sie zu ihm auf. „Denken Sie das immer noch?“

Denken? Ich denke überhaupt nicht mehr … Darius schüttelte den Kopf. „Nein. Dir geht es nur ums Geschäft.“

„Nein, es geht mir nicht ums Geschäft. Meine Hilfe wird Sie keinen Penny kosten.“ Sie zuckte mit den Schultern und überkreuzte ihre Beine. Ihre langen, schönen Beine. „Aber wenn Sie lieber ein oder zwei Jahre warten wollen, bis der Wirbel sich gelegt hat …“ Sie biss in ein Stück Zitronenkuchen. Diese weißen Zähne, diese rosafarbenen Lippen …

Ihr innerstes Wesen? Egal – er wollte sie nackt zeichnen, wollte ihren sinnlichen Körper aus Ton formen, ihre Kurven mit den Händen erkunden und dann nachbilden. Er wollte ihre Zungenspitze schmecken, mit der sie sich gerade einen Krümel von der Lippe leckte.

„Sie könnten Glück haben“, fuhr sie ungerührt fort – offenbar war ihr nicht klar, welche Wirkung sie auf ihn hatte und was für ein Sturm in ihm tobte. „Vielleicht gibt es genügend neue Nachrichten in der Immobilienwelt, dass die Geschichte schon nächste Woche aus den Zeitungen verschwunden ist.“ Sie aß ihr Kuchenstück auf und lutschte sich den Zuckerguss vom Finger. Das war Absicht, aber es störte ihn nicht. Solange sie nicht damit aufhörte. „Ich überlasse es Ihnen, sich zu überlegen, wie wahrscheinlich das ist.“

„Du scheinst zu vergessen, dass ich schon meine Erfahrungen mit deiner Kompetenz gemacht habe, Natasha.“

„Sie haben Erfahrungen damit gemacht, wie ein Kollege mich übers Ohr gehauen hat, um den Posten zu bekommen, den man mir versprochen hatte, Mr. Hadley.“ Über ihrer Oberlippe glänzte ein feiner Streifen Zuckerguss.

„Darius“, sagte er und merkte, wie ihm ganz heiß wurde. Was sie auch tat, es funktionierte.

„Es tut mir leid, Darius.“ Sie sah ihn eindringlich an. „Die verpfuschte Anzeige war kein Versehen. Aber das eigentliche Opfer bin ich, nicht du.“

4. KAPITEL.

„Willst du damit sagen, dass das irgendwelche firmeninterne Machtspielchen waren? Dass es Absicht war?“, fragte Darius ungläubig.

„Es tut mir wirklich leid“, wiederholte sie.

„Nicht halb so leid wie mir.“ Oder Miles Morgan – falls das wahr war. „Und, hat er ihn bekommen? Den Posten, meine ich.“

„Er hat meinen Posten und meinen Dienstwagen, und als Sahnehäubchen ist auch noch mein Ruf ruiniert. Das Wasser hat schon gekocht. Soll ich den Tee zubereiten?“

„Gern.“ Auch wenn Darius gerade wahrlich andere Dinge im Kopf hatte als Tee, war er doch froh über die kurze Atempause. Außerdem wollte er sehen, wie sie sich bewegte. „Warum wollte er deinen Ruf ruinieren?“, fragte er, nahm Zeichenblock und Bleistift zur Hand und fing an, Natasha zu zeichnen. Ihren Hals und ihre Schultern, als sie den Wasserkocher wieder einschaltete, ihren Rücken und ihre Beine, als sie sich bückte, um den Kühlschrank zu öffnen. „Hat ihm die Beförderung nicht gereicht?“

„Um ganz sicherzugehen, blieb ihm nichts anderes übrig, als dafür zu sorgen, dass mich keiner mehr haben will“, antwortete sie und öffnete die Milchverpackung. „Ich mache meine Arbeit sehr gut.“

Nach dem Patzer am Anfang, als sie ihn angesehen hatte, als wollte sie ihm die Kleider vom Leibe reißen, leistete Natasha Gordon auch jetzt ganze Arbeit, indem sie sich ihm als eine Frau präsentierte, die ihre Gefühle hundertprozentig unter Kontrolle hatte – doch ihre Augen verrieten sie. Er sah eine Ader an ihrem Hals pulsieren und wusste, dass er ihr Herz wie verrückt klopfen spüren würde, wenn er jetzt eine Hand in den einladenden Ausschnitt ihres Hemds schieben würde.

Sein Bleistift brach ab.

„Und? Willst du dich rächen?“

„Ich weiß nicht …“, antwortete sie, verlor die Geduld mit der Milchpackung und stach mit dem Ende eines Löffels in das Frischesiegel. Milch schoss heraus und landete auf dem Ärmel ihres Jacketts. Natasha lachte verlegen. „Miles Morgan hatte so eine Panik, dass er übereilt gehandelt hat. Und wahrscheinlich stecken mehrere Leute dahinter …“ Sie hielt inne, zog das Jackett aus und tupfte den Ärmel mit etwas Küchenpapier ab.

„Und zwar?“, hakte er nach, obwohl es ihn gerade nicht interessierte, wer das getan hatte und warum – er wollte einfach nur, dass sie weiter aussah wie gerade jetzt. Sein Bleistift huschte über das Papier, als sie den Kopf schüttelte und ihr eine Strähne ins Gesicht fiel.

„Ich bin mir nicht ganz sicher. Das alles ging so schnell …“

„Kannst du Namen nennen? Ich nehme an, dass mein Anwalt das nicht uninteressant findet.“

„Sicher. Aber ich bin nicht hergekommen, um dir dabei zu helfen, sie fertigzumachen“, erwiderte sie.

„Dann willst du also deinen Job zurück?“

„Ich denke nicht, dass ich wieder dort anfangen werde.“

„Du willst nicht für einen arbeiten, der dir den Job weggenommen hat?“

Sie zuckte mit den Schultern und lächelte schief. „Sag niemals nie. Wer weiß, wie sehr ich auf einen Arbeitsplatz angewiesen sein werde … Wie trinkst du deinen Tee?“, fragte sie und sah zu ihm. „Eher stark oder eher …“, sie hielt inne. „Zeichnest du mich?“

„Ja. Hast du was dagegen?“

Autor

Liz Fielding

In einer absolut malerischen Gegend voller Burgen und Schlösser, die von Geschichten durchdrungen sind, lebt Liz Fielding – in Wales

Sie ist seit fast 30 Jahren glücklich mit ihrem Mann John verheiratet. Kennengelernt hatten die beiden sich in Afrika, wo sie beide eine Zeitlang arbeiteten. Sie bekamen zwei Kinder, die...

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