Julia Ärzte zum Verlieben Band 157

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NACHTSCHICHT MIT DR. KEPLER von TINA BECKETT
Der smarte Mediziner Adem Kepler lässt Carlys Herz höherschlagen. Doch eine Beziehung mit dem Frauenhelden? Das ist für die vernünftige Hebamme undenkbar – wäre da nicht das prickelnde Verlangen, einmal im Leben etwas Verrücktes zu tun. Mit dramatischen Konsequenzen …

EINE FAMILIE FÜR DEN SEXY DOC? von SUSAN CARLISLE
Amanda will Karriere machen. Nur deshalb hat sie sich um die Stelle an Dr. Lucius Wests Klinik beworben. Sich in den brillanten Arzt zu verlieben, stand nicht auf ihrer Agenda. Vor allem, weil sie weiß, dass Lucius auf keinen Fall eine eigene Familie haben will …

KINDERÄRZTINNEN KÜSSEN BESSER von SCARLET WILSON
Eigentlich hat Dr. Joshua Woodhouse als Klinikleiter und alleinerziehender Vater alle Hände voll zu tun. Trotzdem geht ihm die neue Kinderärztin Clara nicht aus dem Kopf. Er wagt an eine gemeinsame Zukunft zu denken – bis er herausfindet, dass Clara etwas verbirgt …


  • Erscheinungstag 15.10.2021
  • Bandnummer 157
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501644
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Tina Beckett, Susan Carlisle, Scarlet Wilson

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 157

TINA BECKETT

Nachtschicht mit Dr. Kepler

Adem Kepler lebt nur für seine Arbeit. Als Leiter einer renommierten Geburtsklinik in London möchte er Gutes bewirken. Dieses Ziel darf er nie aus den Augen verlieren, hat er sich geschworen. Auch nicht durch die zauberhafte Hebamme Carly, mit der er eine leidenschaftliche Nacht verbringt. Aber dann macht Carly ihm ein schockierendes Geständnis …

SUSAN CARLISLE

Eine Familie für den sexy Doc?

Dr. Lucius West hat gelernt, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Nur so kann er seiner herausfordernden Aufgabe im Krankenhaus gerecht werden. Warum fasziniert ihn die neue Schwester Amanda dann so? Lucius kann sich ihrer sinnlichen Ausstrahlung einfach nicht entziehen. Doch für ihn steht fest: Mehr als eine kurze Affäre kann es für sie nicht geben!

SCARLET WILSON

Kinderärztinnen küssen besser

Clara spürt ihre biologische Uhr ticken. Zu gerne würde sie eine Familie gründen, doch kein geeigneter Mann ist in Sicht ... mit Ausnahme des charismatischen Dr. Joshua Woodhouse! Durchtrainiert und dunkelhaarig, mit diesem hypnotischen Blick, raubt er ihr schon bei der ersten Begegnung den Atem. Allerdings ist er Claras Chef – und erst seit Kurzem verwitwet …

PROLOG

Adem Kepler vergaß diese Autofahrt nie. Das Gefühl der kratzigen Wolldecke von seinem Bett, die an seiner Wange rieb, während er versuchte, die Erschütterungen abzufangen. Verursacht von Schlaglöchern einer schmutzigen Straße, die für ihn immer zu seiner Heimat gehört hatte.

Deutlich erinnerte er sich an seinen Dad, der ihnen atemlos etwas zurief. An den Wagen, der sich in Bewegung setzte. Die blinkenden Lichter des Flugzeugs, das sie in ein fremdes Land brachte. Ein neues Zuhause. Erst Jahre später hatte er begriffen, wie krank sein jüngerer Bruder gewesen war.

Doch mit fünfzehn sah er nur die Tränen seiner Mutter, die nie zu versiegen schienen, und den verkniffenen Zug um den Mund des Vaters. Die Welt seiner Familie, wie sie sie gekannt hatten, existierte nicht mehr. Rückblickend jedoch verstand er, dass der Aufbruch ein Segen war und der nächtliche Flug Basir das Leben gerettet hatte.

Damals war ihm das alles nicht bewusst gewesen. Er fühlte nur Ohnmacht und Wut, weil er seine Freunde zurücklassen musste. Aber Hirntumore waren nicht wählerisch. Sie scherten sich nicht um Nationalität, sozialen Status, Geschlecht.

Die ersten Jahre waren hart. Er musste eine neue Sprache lernen, sich in einer anderen Kultur zurechtfinden. Doch allmählich wuchs der zornige Teenager zu einem Mann heran, dem klar wurde, welches Opfer seine Eltern gebracht hatten. Die schwere Erkrankung ihres jüngsten Sohnes hätte die Familie zusammenschweißen sollen, aber die längst brüchige Ehe hielt dem Druck nicht stand. Zu stolz, um sich von außen Hilfe zu holen, hatten sie anfangs laut gestritten, um schließlich verbittert zu verstummen. Sein Dad verkroch sich in dem Restaurant, das er eröffnet hatte, und verbrachte immer weniger Zeit zu Hause.

Viele der Entscheidungen, die Adem in seinem Leben getroffen hatte, waren von Erfahrungen aus der Kindheit beeinflusst. Nicht nur der Entschluss, Neurochirurg zu werden, sondern auch sein Herzensprojekt. Adem hatte dem Verwaltungsleiter des Londoner Queen Victoria Hospital vorgeschlagen, im ärmsten Viertel der Stadt eine medizinische Anlaufstelle für sozial Benachteiligte zu eröffnen. Als er gefragt wurde, ob er die Klinik aufbauen und leiten wollte, sagte er sofort zu.

Adem glaubte fest daran, dass er das Leben von Menschen wie Basir verbessern konnte. In der Victoria Clinic sollten all diejenigen Hilfe bekommen, die in eine Krise geraten waren, ob nun durch Krankheit, familiäre Umstände oder Schwangerschaft. Die Probleme seiner Eltern hatte er nicht lösen und die Folgen, die er zu spüren bekam, nicht verhindern können, aber vielleicht konnte er anderen helfen.

Sollte es ihm gelingen, das Leben auch nur eines Menschen zu verbessern, war es die Anstrengung wert.

Dieses Mantra trieb ihn an, schon beim Medizinstudium, dann während der Facharztausbildung und als er die Klinik aufbaute.

Nichts sollte jemals zwischen ihm und seinem Ziel stehen.

1. KAPITEL

Fünf Jahre später

Carly Eliston durchquerte die NICU, die Säuglingsintensivstation des Queen Victoria Hospital, in einer Hand den Kleiderbügel, auf dem anderen Arm vorsichtig drapiert den Rock der bodenlangen Robe.

Das nachtblaue Abendkleid mit dem paillettenbesetzten Mieder war ein Spontankauf gewesen, nachdem sie drei verschiedene Brautjungfern-Outfits getragen hatte. Ein Kleid, nur für mich, dachte sie damals. Als sie es Jahre später einer Freundin lieh, hing das Preisschild immer noch daran. Carly hatte ihr gesagt, sie bräuchte es nicht zurückzugeben, aber Esther bestand darauf. Allerdings war weit und breit keine Gelegenheit in Sicht, es zu tragen!

Esther hingegen hatte das Kleid Glück gebracht. Sie und Harry Beaumont waren heftig verliebt und würden bald heiraten.

Vielleicht ist es verzaubert. Dann sollte ich es tragen. Carly schüttelte den Kopf. Nein, sie brauchte keinen Mann in ihrem Leben, vor allem zurzeit nicht. Eine gescheiterte Beziehung reichte ihr. Gut, dass ihr Exverlobter das Krankenhaus gewechselt hatte und inzwischen nicht mehr am Queen Victoria arbeitete. Wenn sie den Gerüchten glauben konnte, war er verheiratet und wurde bald Vater. Er lebte ihren Traum … mit einer neuen Liebe.

Eine Familie, Kinder, das wünschte sie sich mehr als alles andere.

Was jedoch nicht so leicht war, wenn man wie sie nur noch einen Eierstock hatte. Kyle hatte zwar hoch und heilig versichert, dass er sich nicht deshalb von ihr getrennt hätte, aber so ganz glaubte sie ihm nicht. Vielleicht war ihm klar geworden, wie mühsam es werden könnte, mit ihr Kinder zu haben. Versucht hatten sie es. Über ein Jahr. Jede Periode bedeutete eine neue Enttäuschung, und Carly wurde von Mal zu Mal verzweifelter, bis Kyle schließlich …

Schnee von gestern, Carly. Sieh nach vorn!

Das Gefühl, das ihr Leben einen Kick, eine Veränderung brauchte, war noch nie so stark gewesen wie jetzt.

Beide Hände voll, versuchte Carly die Klinke hinunterzudrücken, als plötzlich die Tür aufschwang und Carly mit jemandem zusammenstieß.

Mit einem Mann.

Hart landete sie an seiner Brust, blickte auf. Adem Kepler. Na toll. Der leitende Arzt der Victoria Clinic, wo sie normalerweise arbeitete. Adem haftete der Ruf an, ein Frauenheld zu sein – ein Grund, ihm nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen. Wenn man dem Gerede glauben konnte, waren seine Beziehungen oberflächlich, ohne jede Substanz. Falls Carly also jemanden mit diesem Kleid verzaubern wollte, dann bestimmt nicht ihn. Auch wenn ihr Puls verrücktspielte, sobald der dunkelhaarige Mediziner in ihre Nähe kam!

Und dann sein Lächeln, das leicht spöttisch in seinem Mundwinkel zuckte. Carly war hin und weg.

„Haben Sie noch etwas vor?“, fragte er.

Rasch richtete sie sich auf und wich zurück, bis sie wieder sicher auf den Beinen stand. Immer noch kämpfte sie gegen die Wirkung an, die er mit seinem Lächeln, dem leichten Akzent in der rauen Stimme auf sie hatte. Nun ja, selbst nach zehn Jahren in England erkannte man in ihr die Amerikanerin. „Entschuldigung, ich dachte nicht, dass die Tür … Ich wollte …“ Carly holte tief Luft, um ihr pochendes Herz zu beruhigen. „Ich wollte dies nur ins Auto legen, bevor mein Dienst anfängt.“

Adem befühlte den Stoff zwischen zwei Fingern. „Hübsch. Das ist sonst gar nicht Ihr Stil, oder? Und die Spendengala fürs Krankenhaus ist erst nächstes Jahr.“

„Spenden…?“ Oh, er dachte, sie hätte sich das Kleid für eine festliche Veranstaltung geliehen. Seine Reaktion versetzte ihr einen Stich. Es war keine Schande, sich ein Outfit zu leihen. Esther hatte sich nichts dabei gedacht und Carly erst recht nicht.

Aber es störte sie, dass er ein bestimmtes Bild von ihr hatte. Nämlich das einer Frau, die sich nicht amüsierte, vor allem nicht bei festlichen Anlässen.

Womit er allerdings nicht ganz unrecht hatte. Im letzten Jahr ihrer Verlobung hatte Carly nur an Babys gedacht.

Gekauft hatte sie das Kleid auch in der Hoffnung, ihrer Beziehung mehr Schwung zu verleihen. Sie ahnte nicht, dass Kyle sie eine Woche später verlassen würde. Seitdem hing es unbeachtet im Schrank, bis Carly es Esther borgte.

Ihre Wangen glühten vor Verlegenheit. „Ich weiß, wann der Krankenhausball stattfindet. Und natürlich ist dieses Kleid genau mein Stil. Schließlich habe ich es mir gekauft.“ Allerdings brauchte er nicht zu wissen, warum.

Die dunklen Brauen gingen in die Höhe. Glaubte er ihr etwa nicht?

Nein, er glaubte ihr nicht.

Auch ihr Verlobter hatte sie damit aufgezogen, dass sie außer der Arbeit praktisch kaum ein Leben hatte. Vielleicht war es mit ein Grund für die Trennung. Doch Carly fand, sie schuldete es ihrer Mutter. Die hatte sie allein großgezogen, nachdem Carlys Dad früh gestorben war, und hart gearbeitet, damit es ihrer Tochter an nichts fehlte.

Es hieß allerdings nicht, dass Carly nicht wusste, wie man Spaß hatte. Sie hob den Kopf ein Stückchen höher. Hatte sie sich nicht vorhin noch gesagt, dass sie Veränderung wollte? Vielleicht sollte sie jetzt damit anfangen? Gewohnte Pfade verlassen, etwas anders machen?

„Nur weil Sie bisher nicht das Glück hatten, mich in diesem Kleid zu sehen, heißt das nicht, dass ich es nicht getragen habe.“

Du hast es nicht getragen, Carly.

„Ich behaupte nicht, dass Sie es nicht getragen haben. Aber Sie haben recht, ich hatte bisher nicht das Vergnügen, Sie darin zu sehen.“

Großartig. Jetzt hielt er sie für eingebildet. „Vielleicht ein andermal. Wenn Sie mich entschuldigen …“

Sie wartete, doch er rührte sich nicht vom Fleck. Nicht, dass er ihr den Weg versperrte, aber da die Tür hinter ihm wieder ins Schloss gefallen war, musste Carly um ihn herumgehen.

„Haben Sie ein paar Minuten Zeit? Ich hätte Sie sowieso demnächst in der Victoria Clinic angesprochen, um mit Ihnen über das dortige Community Midwife Program zu reden. Wir werden da einiges verändern.“

Das brachte sie in Harnisch. Carly straffte die Schultern. „Diese Frauen brauchen Zugang zu …“

„Entspannen Sie sich, ich will Ihnen nichts wegnehmen. Im Gegenteil, ich bin heute ins Queen Victoria gekommen, um Zuschüsse zu dem Programm zu beantragen. Und ich habe sie bekommen. Wir haben demnächst zwei mobile Ultraschallgeräte zur Verfügung. Um sie bedienen zu können, brauchen wir allerdings entweder zusätzliche Fachkräfte oder Hebammen, die sich entsprechend fortbilden.“

Ihr Herz legte wieder einen Gang zu. Letztes Jahr hatte sie tragbare Geräte beantragt, sich aber nicht träumen lassen, dass sie sie so bald bereitgestellt bekam …

Carly holte langsam Luft. Einmal und noch einmal. Versuchte, ihre galoppierenden Gedanken im Zaum zu halten, was kaum möglich schien, wenn er so dicht vor ihr stand. Verboten gut aussehend. Mit Mühe konzentrierte sie sich. „An dieser Fortbildung würde ich gern teilnehmen.“

„Das dachte ich mir. Ich hatte gehofft, dass wir bei einer Tasse Tee darüber reden könnten. Reizt meine Anfrage Sie jetzt etwas mehr?“

Ja. Und nicht nur die Anfrage. Wie machte der Mann das? Kein Wunder, dass er einen gewissen Ruf hatte.

„Okay. Treffen wir uns in der Kantine? Ich bringe schnell mein Kleid ins Auto.“

„Gern. Bis gleich.“

Fünf Minuten später machte sie sich auf den Weg zur Kantine, in den bebenden Händen nichts außer ihrem Portemonnaie. Carly wünschte, sie wäre etwas gelassener, hätte ihre Emotionen besser im Griff. Mit Adem Kepler zusammenzustoßen, schien sie stärker erschüttert zu haben als gedacht. Denn kaum war er außer Sicht, entspannten sich Muskeln, die sie vorher nicht wahrgenommen hatte. Carly hatte so weiche Knie gehabt, dass sie sich für einen Moment an die Wand lehnen musste.

Aber mobile Ultraschallgeräte! Wie sehr hatte sie sich die gewünscht.

Jetzt mussten sie Patientinnen, die Vorbehalte hatten, nicht mehr in die Klinik bestellen. Einige trauten den Behörden nicht, mieden sogar Krankenhäuser, was leider oft eine Diagnose – und rechtzeitige Hilfe – verhinderte.

Als sie die Kantine betrat, entdeckte sie Adem an einem Tisch in der Ecke, atmete tief durch, bevor sie ihm fröhlich zuwinkte, und bestellte am Tresen einen Kaffee. Wenn sie gestresst oder nervös war, kamen ihre amerikanischen Wurzeln durch, und sie brauchte das dunkle bittere Gebräu, das ihre Mom trank. Carly streute etwas Kaffeeweißer in den Becher, rührte um und ging zu Adem.

Kaum hatte sie ihm gegenüber Platz genommen, goss er aus einem Silberkännchen etwas in eine Teetasse. Die Flüssigkeit war fast schwarz und wirkte dickflüssig. Teebeutel konnte Carly nirgends auf dem Tisch entdecken.

„Ist das Kaffee?“, fragte sie.

Er blickte auf. „Türkischer Mokka. Ich mahle die Bohnen zu Hause und brühe ihn sonst in meinem Arbeitszimmer auf. Heute muss ich mich mit einem elektrischen Wasserkocher begnügen. Wie ich sehe, trinken Sie auch keinen englischen Tee.“

Richtig beobachtet. Allerdings würde sie ihm nicht auf die Nase binden, warum. „Vermutlich kommt manchmal mein kulturelles Erbe durch.“

„Ihre Mutter unterrichtet Musik an der International University?“

„Ja. Deshalb bin ich vor Jahren nach London gekommen. Als ich mich entscheiden musste, ob ich meine Ausbildung in den Staaten oder hier fortsetze, beschloss ich, in die Nähe meiner Mom zu ziehen.“

„Bei mir war es ähnlich. Als ich auf der Highschool war, sind meine Eltern nach Hackney gezogen. Mein Vater betreibt nicht weit von der Klinik ein Restaurant.“ Adem lächelte. „Ich glaube, er wollte, dass ich es eines Tages übernehme. Zum Glück zeigte mein Bruder eine stärkere Begabung für die Gastronomie als ich.“

„Keine Schwestern?“

„Nein, nur mein Bruder und ich.“ Das klang knapp, leicht angespannt. „Und Sie?“

„Einzelkind. Genau genommen nur meine Mutter und ich.“ Sie warf ihm einen Blick zu. „Mein Vater war Archäologe. Er starb bei einer Ausgrabung, als ich zehn war.“

„Das war sicher hart.“

Sie lächelte, und ihre Nervosität legte sich endlich ein bisschen. „Ja, das war es. Aber ich habe gute Erinnerungen an ihn.“ Als Kind war sie ein Wildfang gewesen, hatte es geliebt, im Garten zu wühlen und vermeintlich alte Knochen zu finden, die sie sorgfältig mit einer gebrauchten Zahnbürste reinigte.

„Wollten Sie nicht Archäologin werden?“

„Nein. Gedacht habe ich zwar daran, doch meine Mutter hat ein Baby verloren, als ich noch klein war, und konnte infolge der Komplikationen keine Kinder mehr bekommen. Vielleicht ist deshalb mein Interesse an pränataler Gesundheit und sicheren Geburten erwacht.“ Ihr Interesse hatte einen bittersüßen Beigeschmack bekommen, als sie Schwierigkeiten hatte, selbst schwanger zu werden.

„Es tut mir leid. Das mit Ihrer Mutter, nicht Ihr Interesse an Babys.“

Babys.

Wie er das gesagt hatte … Ein Frösteln überlief sie. Aber anscheinend hatte er es nicht so gemeint, wie es bei ihr angekommen war. Woher sollte er auch von ihrem Kummer wissen? Trotzdem wollte sie eins klarstellen. „Ich interessiere mich für Babys und ihre Mütter.“

Adem trank einen Schluck Kaffee, betrachtete sie dabei mit seinen dunklen Augen über den Rand der Tasse hinweg. „Genau das meinte ich natürlich.“

Diesmal hatte das Prickeln nichts mit Kindern, sondern allein mit dem Mann ihr gegenüber zu tun. Was war nur mit ihr los?

„Natürlich“, echote sie und wechselte das Thema. „Wir bekommen also mobilen Ultraschall. Welche Bedingungen muss man für die Zertifizierung erfüllen?“

„Examinierte Krankenschwestern wie Sie müssen einen einjährigen Lehrgang besuchen. Für Hebammen ohne Krankenpflegeausbildung dauert die Fortbildung zwei Jahre. Eine andere Möglichkeit wäre, ein Gerät im Außendienst einzusetzen und die entsprechende Fachkraft zu den Terminen mitzunehmen.“

Gute Idee. „Haben wir dafür genügend Fachkräfte?“

„Wir könnten mehr gebrauchen.“

„Frieda ist Ultraschalltechnikerin hier am Queen Victoria. Wir sind gut befreundet. Sicher spendet sie ein oder zwei Stunden wöchentlich wie einige von uns, die schon in der Victoria Clinic arbeiten.“

Adem stellte seine Tasse ab, sah Carly an. „Sie spenden Arbeitszeit?“

Oh, oh. Er klang nicht gerade begeistert. „Ist das ein Problem?“

„Mir ist nur nicht ganz klar, warum Sie das tun.“

Nein, er war tatsächlich nicht glücklich darüber.

„Das Queen Victoria setzt in vielen Bereichen Freiwillige ein“, entgegnete sie. „Abgesehen davon möchte ich die Finanzierung nicht überstrapazieren. Wir hätten die tragbaren Geräte bestimmt nicht bekommen, wenn wir verlangt hätten, für jede einzelne Minute in der Klinik bezahlt zu werden. Ich weiß, dass ich ein Recht auf bezahlte Pausen habe, aber ich möchte meine Arbeitskraft stundenweise spenden, um zu helfen.“

„Verstanden, Carly.“

Wie er mit seiner tiefen heiseren Stimme ihren Namen aussprach, jagte ihr einen sinnlichen Schauer über den Rücken. Grund genug, noch mehr auf Distanz zu gehen. Ja, er war Arzt, aber auch ein Mann – ein beunruhigender Mann, der sie nicht kaltließ. Carly wollte sich nicht wieder mit einem Kollegen einlassen. Die Erfahrung mit Kyle reichte ihr. Und außerdem war Adem praktisch ihr Vorgesetzter. Von einem Mann zu träumen, war okay. Aber es war absolut nicht okay, dass er es merkte!

„Es ist doch kein Problem, oder? Ich habe nicht jeden Abend etwas vor, und es ist ja nicht so, als würde ich hundert Stunden die Woche anbieten.“

Ein paar Freundinnen hatten sie in letzter Zeit gedrängt, sich mit Männern zu verabreden, aber wie hieß es so treffend? Gebranntes Kind scheut das Feuer … Carly hatte wirklich keine Lust auf eine neue Beziehung. Und die zusätzlichen Arbeitszeiten verschafften ihr die perfekte Ausrede.

Ich weiß, dass du schlechte Erfahrungen gemacht hast, aber man kann auch übervorsichtig sein. Hatte Frieda das nicht zu ihr gesagt?

Ja, sie hatte sich von der Beziehung mit Kyle noch nicht wieder erholt. Und falls er sie wirklich verlassen hatte, weil sie keine Kinder bekommen konnte … Carly verspürte wenig Verlangen, einem neuen Mann von ihren Problemen zu erzählen.

Ein leichtes Lächeln umspielte Adems Lippen. „Würden wir über hundert Stunden die Woche reden, könnte das wirklich ein Problem werden. Ansonsten nicht.“

„Ich möchte helfen, etwas bewirken.“

„Oh, das tun Sie. Mehr, als Sie sich vorstellen können.“ In seinem Blick lag etwas Dunkles, Intensives, das zu Beginn ihres Gesprächs noch nicht da gewesen war.

Carly stürzte den letzten Schluck Kaffee hinunter und beschloss, von hier zu verschwinden, bevor er merkte, was er mit ihr anstellte. „Dann sollte ich in die Klinik fahren und meinen Dienst antreten. Danke, dass Sie mir von den Geräten erzählt haben. Wissen Sie, wann sie geliefert werden?“

„Noch nicht. Aber Sie erfahren es als Erste. Die Voraussetzungen für Lehrgang und Zertifizierung hänge ich ans Schwarze Brett im Personalraum der Klinik.“

„Das wäre großartig. Danke.“ Mit dem Kopf deutete sie auf die kleine Silberkanne und fügte spontan hinzu: „Eines Tages möchte ich türkischen Mokka probieren.“

Er sah ihr direkt in die Augen. „Eines Tages, Carly, koche ich Ihnen einen.“

Und da passierte, was sie die ganze Zeit verhindern wollte. Ihr Körper zeigte, was er von diesem Mann hielt. Carly spürte, wie ihre Brustwarzen hart wurden und ihre Atmung schneller ging.

Lass dich nicht von seinem Charme einwickeln!

„Danke. Wir sehen uns.“

„Da bin ich ganz sicher.“

Carly schluckte und griff nach Tasse und Löffel, um sie zur Geschirrabgabe zu bringen. Am Ausgang der Kantine drückte sie die Tür auf und kam wieder in der Wirklichkeit an. In der realen Welt, in der Adem ein Arzt wie jeder andere war und nicht jemand, der bei ihr Knöpfe drückte, die sie entschlossen deaktiviert hatte. Leider schienen einige davon nicht einverstanden zu sein, in der Versenkung zu verschwinden.

Genau das konnte sie bei diesem Mann gar nicht gebrauchen.

Weder heute noch sonst wann!

Adem lehnte sich in seinem Stuhl zurück, nachdem Carly gegangen war. Wie wenig er über sie wusste … Er kannte sie als zurückhaltend, und sie mit einem solchen Kleid zu sehen, hatte ihn überrascht. So sehr, dass er spontan aussprach, was er dachte, ohne vorher darüber nachzudenken, wie es bei ihr ankommen mochte.

Die Frau hatte ein Privatleben. Jedenfalls behauptete sie das. Eins, in dem sie hinreißende Abendkleider trug und auf Partys ging, von denen er nicht die geringste Vorstellung hatte.

Dass sie verlobt gewesen und die Beziehung in die Brüche gegangen war, hatte er gehört. Da er sich für den üblichen Flurfunk im Krankenhaus jedoch nicht interessierte, kannte er die näheren Umstände nicht. Es ging ihn nichts an. Außerdem war er nicht gerade ein Experte, was feste Beziehungen anging. Anders als sein Bruder, der inzwischen verheiratet war und sich Kinder wünschte. Anscheinend trugen Adems Versuche, Basir vor den schädlichen Streitereien der Eltern zu schützen, Früchte.

Ein Bild tauchte vor seinem inneren Auge auf: Carly im dunkelblauen Abendkleid, das ihren hellen Teint und das rote Haar betonte. Verdammt.

Es war nicht so, dass erst das Kleid ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, wie attraktiv sie war.

Sie war ihm aufgefallen. Mehr als einmal.

Carly hängte ihr Kleid neben die drei Brautjungfernkleider. Wie schön, dass es für Esther genau das Richtige gewesen war. Harry und sie gaben ein wundervolles Paar ab. Carly selbst sehnte sich nicht nach einem weißen Kleid mit Tüll und Spitze. Nicht mehr. Zum Glück war es nicht dazu gekommen, dass sie sich während ihrer Verlobungszeit eins gekauft hatte. Sie war zu beschäftigt gewesen, schwanger zu werden.

Ja, Carly freute sich von Herzen für ihre Freundin, die die große Liebe gefunden hatte.

Allerdings, wenn Kyle aus ihrem Leben verschwunden war, bedeutete das, dass es für sie diesen einen besonderen Mann nicht gab? Ihr zog sich das Herz zusammen, aber nicht so, dass es richtig wehtat. Ein gutes Zeichen, nach allem, was passiert war. Vielleicht war sie mehr in die Vorstellung von Ehe und Familie verliebt gewesen als in Kyle. Im Nachhinein erkannte sie, dass es ein Fehler gewesen wäre, ihn zu heiraten.

Ihr Leben war ausgefüllt. Vielleicht war sie ihrer Mutter ähnlicher, als sie gedacht hatte. Die hatte nach dem Tod ihres Mannes nicht wieder geheiratet. Sie ging in ihrer Arbeit auf und schien damit vollkommen glücklich zu sein. Eine unabhängige Frau.

Wie ich? Wahrscheinlich. Es gefiel ihr. Carly brauchte keine ständige Gesellschaft. Zum ersten Mal seit der Trennung hatte sie das Gefühl, frei zu sein. Frei, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es wollte. Ohne dass sich jemand einmischte. Frei zu entscheiden, mit wem sie schlief und wann.

Sie betrachtete das blaue Kleid, erinnerte sich wieder an Adems erstaunten Blick. Oh, wie sehr wünschte sie sich, dass er sie einmal darin sah.

Daraus wird nichts, Carly.

Entschlossen drückte sie die Schranktür zu. Wenn für Esther alles gut ging, würde Carly ein weiteres Brautjungfernkleid ihrer Kollektion hinzufügen können. Und ihre anderen Freundinnen aus dem Studium? Die, die noch Single waren?

Izzy Nicholson hatte sie an der Internationalen Schule kennengelernt, zusammen mit Raphael Dubois, der heute einer der Geburtshelfer am Queen Victoria war. Esther McDonald und Chloe Larson kannte Carly von der Hebammen-Ausbildung an der Universität. Seitdem war das Leben für sie alle voll überraschender Wendungen gewesen. Chloe hatte inzwischen eine dreijährige Tochter. Geblieben war jedoch ihre Freundschaft, die mit den Jahren noch stärker geworden war.

Deshalb war Carly froh, dass sie sich entschieden hatte, in England zu bleiben und sich hier eine Zukunft aufzubauen.

Ihre Gedanken schwenkten zu Adem zurück. Zwei Dinge hatten sie auf jeden Fall gemeinsam. Zum einen waren sie beide wegen ihrer Eltern in diesem Land. Und beide hatten sie als Erwachsene beschlossen, hier zu leben.

Seit einem Jahr arbeitete sie in der Victoria Clinic, und Adem war seit ihrer Gründung vor fünf Jahren dabei. Er hatte ihr Bewerbungsgespräch geführt.

Carly erinnerte sich noch genau, wie aufgeregt sie gewesen war. Der attraktive schwarzhaarige Mann mit den tiefgründigen dunklen Augen hatte es ihr nicht leicht gemacht, klar zu denken. Allein, weil er atemberaubend aussah! Während er sie zu ihrer Berufserfahrung befragte und detailliert die Arbeitsanforderungen beschrieb, wippte ihr rechter Fuß, als könnte er ein Tänzchen kaum erwarten, sodass Carly die übereinandergeschlagenen Beine fest nebeneinander stellen musste, damit es aufhörte. Damals hatte sie diese Unruhe ihrem Beziehungsstress zugeschrieben.

Doch es war wieder passiert, nicht nur einmal. Und als Adem Kepler sie bis in ihre Träume verfolgte, nahm sie sich vor, ihm aus dem Weg zu gehen. Was sich jedoch als fast unmöglich erwies.

Nun, sie konnte nicht länger ihre gescheiterte Beziehung für ihre Reaktion verantwortlich machen. Als sie zusammen in der Kantine gesessen hatten, spielte ihr Puls verrückt, und nur mit Mühe hielt sie die Füße still.

Als wäre es nicht genug, dass er sie verunsicherte, gab er ihr auch noch zu verstehen, wie langweilig er sie fand. Zu langweilig, um ein sexy Kleid zu tragen!

Du meine Güte, wie albern! Sie musste die Sache entweder überwinden oder sich überlegen, was sie dagegen tun konnte. Tatenlos zu bleiben, kam nicht infrage.

Eins hatte ihr Vater sie in früher Kindheit gelehrt: Man muss sich mit den Dingen befassen, bis man sie verstanden hat. Genau das hatte sie jetzt vor!

Auf der Kommode vibrierte mit lautem Brummen ihr Handy, und Carly fuhr zusammen. Nervös griff sie danach.

Er kann es nicht sein. Er hat keinen Grund, dich zu Hause anzurufen.

Es war eine ihrer Patientinnen. Naomi Silver war im 9. Monat, die Schwangerschaft bisher normal verlaufen … in diesem Fall keine Selbstverständlichkeit. Wie Carly hatte auch Naomi Schwierigkeiten, schwanger zu werden. Bei ihr lag es an Verwachsungen in der Gebärmutter, die seit fünf Jahren eine Empfängnis verhinderten. Naomi und ihr Mann hatten sogar bereits ein Mädchen adoptiert, weil sie sich damit abgefunden hatten, dass sie keine leiblichen Kinder bekommen würden. Und dann war sie wie aus heiterem Himmel schwanger geworden!

Das Telefon summte wieder. Naomi rief sie nie privat an. Carly verspürte ein mulmiges Gefühl im Bauch.

Sie nahm das Gespräch an. „Hallo?“

Erst herrschte Stille, dann hörte sie ein leises Schniefen.

„Naomi? Alles in Ordnung bei Ihnen?“

„Ich … Ich habe solche Angst.“

Das klang alarmierend. „Was ist passiert? Wo sind Sie?“

„Zu Hause.“ Naomi schluchzte unterdrückt. „Ich habe schreckliche Kopfschmerzen. Könnte … Könnte das ein Schlaganfall sein?“

Zig mögliche Diagnosen schossen Carly durch den Sinn. Migräne. Präeklampsie. Eklampsie. Intrauteriner Fruchttod. Verwaschene Sprache konnte Carly bei Naomi nicht ausmachen, doch sie wollte kein Risiko eingehen.

„Schaffen Sie es ins Krankenhaus?“

„In die Victoria Clinic?“

Carly überlegte. Im Notfall konnte dort ein Kaiserschnitt durchgeführt werden, aber mit einem Kernspintomografen und anderen teuren Diagnose-Geräten war die Einrichtung nicht ausgestattet. „Nein. Ins Queen Victoria.“

„Mein Mann kann mich hinfahren.“

„Gut, Naomi, wir sehen uns dort.“

Carly trennte die Verbindung, warf das Handy hin, riss sich Yogapants und Schlafshirt vom Körper und zog sich in Windeseile an. Schwarzer Rock, weiße Bluse, Schuhe mit flachen Absätzen, die sie trug, wenn sie auf dem Krankenhausgelände zu tun hatte.

Als sie fertig war, gab sie sich einen Ruck und rief den Mann an, den sie eigentlich aus ihrem Kopf verbannen wollte. Der Anruf ging direkt auf die Mailbox, und sie hinterließ eine knappe Nachricht. Ob es ihm möglich wäre, sie gleich im Queen Victoria zu treffen?

Und wenn er bei einer Frau ist?

Sie schluckte. Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf, die sie nicht gleich verscheuchen konnte.

Carly stöhnte auf. Für so etwas hatte sie jetzt keine Zeit!

Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Erst sieben Uhr. Falls er ihre Nachricht nicht abhörte, müsste ein Neurochirurg entweder im Krankenhaus sein oder zumindest Rufbereitschaft haben. Während sie sich ihre Autoschlüssel schnappte, rief sie im Queen Victoria an. Bevor jemand abnahm, summte ihr Handy.

Adem.

Sie unterbrach die Verbindung zum Krankenhaus und ging ran. „Tut mir leid, dass ich Sie stören muss, aber gleich kommt eine meiner Patientinnen ins Queen Victoria. Mit beunruhigenden Symptomen.“

„Zum Beispiel?“

Er fragte nicht erst nach, warum sie ihn, einen Neurochirurgen, verständigte, wenn es um eine Schwangere ging. Dafür war sie ihm dankbar.

„Sie klagte über starke Kopfschmerzen und ist sehr verängstigt. Ich kenne die Patientin, Naomi gerät nicht so leicht in Panik. Könnten Sie jemandem Bescheid sagen, der sich um sie kümmern kann? Ich bin bereits unterwegs.“

„Und ich habe das Krankenhaus erst vor fünf Minuten verlassen und bin gleich da. Bis dann.“

Adem hatte aufgelegt.

Und wenn es doch nur eine Migräne ist?

Sie hoffte es. Und da Adem angeboten hatte, sich die Patientin anzusehen, ohne dass Carly ihn ausdrücklich darum bat, sah es nicht so aus, als wollte er ihr nur einen Gefallen tun.

Allerdings hätte er den Fall an eine Kollegin oder einen Kollegen weitergeben können.

Es dauerte etwas länger, bis sie im Krankenhaus eintraf, da sie quer durch die Stadt fahren musste. Adem wartete schon in der Notaufnahme. Er trug Jeans und ein weißes Hemd mit Button-down-Kragen, eine heiße Mischung zwischen leger und Business, die ihr das vertraute Prickeln über die Haut jagte. Carly versuchte, die sinnliche Reaktion zu ignorieren.

„Tut mir leid, dass ich Sie hergeholt habe.“

„Haben Sie nicht.“

„Wie bitte?“, fragte sie verwirrt.

„Sie haben mich nicht darum gebeten, also entschuldigen Sie sich nicht. Es war meine Entscheidung.“

„Danke, das weiß ich zu schätzen.“

„Wollten Sie ausgehen?“

„Ausgehen?“

„Sie sind zurechtgemacht.“

Carly blickte an sich hinunter. Ach so … Sonst trug sie im Queen Victoria einen Laborkittel über Rock und Bluse, aber bei der Arbeit in der Victoria Clinic kleidete sie sich lässiger. „Nein. Wenn ich hier arbeite, ziehe ich eher einen Rock an. Es ist ein anderes Umfeld als in der Klinik.“

„Hätte ich mir denken können.“

„Wie meinen Sie das?“

Bevor er antworten konnte, entdeckte Carly ihre Patientin. Eine Hand schützend auf ihren Bauch gelegt, ging Naomi langsam auf den Eingang zu. Ihr Mann hielt sie an der anderen Hand, auf seiner Hüfte saß ihre kleine Tochter Tessa.

Carly schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Naomi wäre am Boden zerstört, wenn diesem Baby etwas zustoßen würde. „Da ist sie.“

Sie schnappte sich einen Rollstuhl und rannte zu den Türen, ohne auf Adem zu warten.

Kurz darauf hatte sie Naomi in den Rollstuhl gesetzt.

„Was ist mit ihr?“ Douglas betrachtete seine Frau voller Sorge. Obwohl sie nicht in einer der besten Gegenden von London wohnten, bemühten sie sich nach Kräften, ihrer Tochter ein gutes Leben zu ermöglichen.

Adem ging in die Hocke, eine Stablampe bereits in der Hand. „Ich bin Dr. Kepler. Man hat mir gesagt, dass Sie starke Kopfschmerzen haben.“

„Ja. Ganz schreckliche. Ich habe Douglas bei der Arbeit angerufen, damit er nach Hause kommt. Das tue ich sonst nie!“

Adem blickte zu ihrem Mann hoch und nickte, bevor er sich wieder an Naomi wandte. „Gut, dass Sie gekommen sind. Wir bringen Sie gleich rein. Können Sie dem Licht folgen?“ Er knipste es an und führte sie mit freundlichen Anweisungen durch die Prozedur.

„Ihre Pupillen sehen gut aus“, meinte er schließlich. „Wir begleiten Sie in einen Untersuchungsraum. Douglas, Sie und …“

„Tessa.“

Adem lächelte. „Sie und Tessa können gern mitkommen.“

„Vielen Dank.“

„Carly, übernehmen Sie die Formalitäten? Ich muss etwas erledigen und bin danach wieder bei Ihnen.“

Ohne ein weiteres Wort marschierte er ins Gebäude zurück. Hatte er etwas Beunruhigendes entdeckt – trotz seiner Bemerkung über die Pupillen?

Da Douglas seine Frau schieben wollte, nahm Carly Tessa auf den Arm, redete sanft mit der Kleinen, während sie sich auf den Weg zur Aufnahme machten. Dort angekommen, trat Carly an die Scheibe und erklärte die Lage.

„Nehmen Sie Untersuchungsraum 3. Zurzeit ist nicht viel los. In einer Minute kommt jemand und nimmt Personalien und alles Weitere auf. Ich werde Dr. Kepler Bescheid sagen, wo er Sie findet.“

Dann war Adem bereits zum Empfang gegangen und hatte sie angekündigt? Im Moment konnte sie ihn nirgends entdecken. Vielleicht sagte er ein Date ab. So, wie er gekleidet war, könnte er in einem Restaurant verabredet gewesen sein. Carly wurde das Herz schwer.

Na und? Hatte er sie nicht auch gefragt, warum sie sich schick gemacht hatte?

Was er heute Abend vorhatte, geht dich nichts an, Carly.

Sicher nicht, aber irgendwie tat es plötzlich gut, dass er gedacht hatte, sie wollte mit einem Mann ausgehen. Wäre er dieser Mann, könnte sie ihm ein, zwei Sachen zeigen. Vor allem nach seiner Reaktion auf ihr blaues Kleid.

Tatsächlich? Du hast einem Mann nichts gezeigt, seit … nun ja, einer Ewigkeit. Selbst ihre Beziehung zu Kyle war eher … ruhig gewesen. Sogar, wenn sie versucht hatten, ein Baby zu machen.

Vielleicht hatte Frieda recht. Vielleicht hatte sie wirklich keine Ahnung, wie man sich vergnügte.

Warum denke ich ständig daran?

Sie öffnete die Tür zum Untersuchungszimmer und bat Naomi und ihren Mann hinein. „Schaffen Sie es, sich auf die Liege zu legen? Ich würde mir gern Babys Herztöne anhören.“ Zum Glück hatte sie daran gedacht, sich ihr Stethoskop in die Rocktasche zu stecken, bevor sie hierherkam.

Carly reichte die Kleine ihrem Vater, von einem leichten Bedauern berührt, als sie sah, wie er das Kind in die Arme schloss. Sie holte das Stethoskop hervor. „Ich werde Ihre Hose etwas tiefer ziehen“, sagte sie zu Naomi.

Ihre Patientin trug ähnliche Pants mit elastischem Hosenbund wie die, die Carly vorhin so hastig abgestreift hatte. Das Baby bewegte sich, wie deutlich an der Bauchdecke zu sehen war. Ein gutes Zeichen, es lebte. Carly murmelte ein leises Danke, während sie die Membran in der Hand anwärmte, bevor sie sie behutsam auf Naomis Bauch drückte. Sie lauschte, bewegte das Stethoskop an verschiedene Stellen und fand schließlich, was sie suchte.

Da! Das Herzchen schlug kräftig und regelmäßig. Carly zählte die Schläge. Ausgezeichnet. Nicht zu schnell, nicht zu langsam. „Der Herzschlag ist gut zu hören.“ Sie richtete sich auf und blickte ihre Patientin an. „Gibt es außer Ihren Kopfschmerzen noch etwas, das Ihnen ungewöhnlich vorkam? Blutungen oder Anzeichen dafür, dass die Fruchtblase geplatzt sein könnte?“

„Nein. Ich war beim Abwaschen, als mir dieser Schmerz in den Hinterkopf schoss. So heftig, dass ich mich am Spülbecken festhalten musste, um nicht umzukippen.“

Adem betrat den Raum. „Wir können gleich zum MRT, der Patient, der gerade in der Röhre liegt, ist in ein paar Minuten fertig.“ Er kam ans Bett. „Zeigen Sie mir, wo genau der Schmerz sitzt, Naomi?“

Sie deutete auf einen Punkt direkt über der Schädelbasis.

Das war gar nicht gut. Carly versuchte, sich ihre Besorgnis nicht anmerken zu lassen. Die neuralgische Stelle befand sich am Hirnstamm, dem Teil, der autonome Funktionen wie Herzfrequenz und Atmung steuerte.

„Und wann fingen die Kopfschmerzen an?“

„Vor zwei Stunden ungefähr. Als sie nicht aufhörten, habe ich Carly angerufen.“

Adem warf ihr einen Blick zu, den sie nicht deuten konnte. Falls er vorhatte, sie zu kritisieren, weil sie ihre Telefonnummer weitergegeben hatte, sollte er sich warm anziehen. Als Hebamme musste sie für ihre Patientinnen jederzeit erreichbar sein. Babys hielten sich nicht an errechnete Termine. Wie oft hatte sie welche mitten in der Nacht auf die Welt geholt!

Okay, sie könnte so etwas auch von einer Kollegin erledigen lassen, die gerade Dienst oder Rufbereitschaft hatte, aber Carly lagen ihre werdenden Mütter sehr am Herzen. So gut es ging, versuchte sie, sie während der gesamten Schwangerschaft und möglichst auch über die Geburt hinaus zu begleiten. Natürlich kam es vor, dass sie verhindert war, zum Beispiel, wenn bei zwei Patientinnen gleichzeitig die Wehen einsetzten, doch das passierte selten.

Naomi stöhnte auf und bog den Rücken durch. „Sie kommen wieder. Wie in Wellen.“

Ohne Adem zu fragen, griff Carly nach dem Blutdruckgerät, wand die Manschette um Naomis Oberarm und pumpte sie auf, beobachtete dann, wie die Nadel sank. „120 zu 60“, verkündete sie.

„Im Normbereich.“

Eine Krankenschwester kam herein und bat Douglas, sie nach draußen zu begleiten, weil sie noch einige Auskünfte bräuchte. Krankenhaus und Klinik konnten Patientendaten austauschen, sodass Naomis Akte mit ein paar Mausklicks herangeholt werden konnte.

Adem sah den Mann an. „Sollten wir nicht hier sein, wenn Sie zurückkommen, hat man uns zum MRT gerufen. Die Schwester wird Ihnen sagen, wo Sie uns finden, aber wir versuchen auch, Sie zu erwischen, bevor es losgeht.“

Gleich darauf waren Carly und Adem allein mit der Patientin und versuchten weiterhin, die Ursache für Naomis Kopfschmerzen festzustellen.

Adems Handy summte. Er warf einen Blick auf das Display, sah dann Carly an. „Sie erwarten uns.“

Adem Kepler verhielt sich gewohnt professionell. Was auch immer sie in der Kantine gespürt hatte, war verschwunden. Wahrscheinlich war es nie da gewesen, ein Produkt ihrer Fantasie wie der verrückte Traum.

Sie halfen Naomi wieder in den Rollstuhl. Glücklicherweise waren keine weiteren Symptome wie Lähmungen oder Schwäche aufgetreten. Es blieb bei den starken Kopfschmerzen, die allerdings aufgrund ihrer Lokalisation Anlass zur Sorge boten. Carly lief zu Douglas, um ihn zu informieren, und traf sich mit Adem und Naomi bei den Aufzügen. Ein Fahrstuhl öffnete sich, und Carly hoffte inständig, dass für Naomi und ihr Baby alles gut ging.

2. KAPITEL

Naomi lag auf dem Untersuchungstisch des Kernspintomografen, und Adem erklärte ihr, was sie vorhatten.

„Wir werden eine MRA, also eine Magnetresonanz-Angiografie vornehmen, mit der wir speziell die Blutgefäße im Gehirn untersuchen können. Das heißt, wir wollen herausfinden, ob es Probleme mit einem Blutgefäß gibt, die Ihre Beschwerden verursachen.“

Schützend legte sie die Hand auf ihren Bauch. „Und wenn ja?“

„Warten wir die Diagnose erst einmal ab und entscheiden dann, wie es weitergeht. Für alle Fälle haben wir unsere diensthabende Gynäkologin und Geburtshelferin verständigt. Sie ist auf dem Weg hierher.“

„Ich möchte, dass Carly das Baby auf die Welt holt.“

Carly griff nach ihrer Hand. „Lassen Sie uns einen Schritt nach dem anderen gehen, ja? Ihre und die Gesundheit Ihres Babys zu schützen, ist jetzt das Allerwichtigste. Das möchte ich auf keinen Fall gefährden, und ich weiß, dass Sie das genauso sehen.“

Adem rechnete es ihr hoch an, dass sie bereit war, ihre Patientin notfalls in andere Hände zu geben. Carly Eliston war zweifellos ein Gewinn für die Klinik.

Aber, verdammt, er erinnerte sich nur zu gut daran, wie er vorhin reagiert hatte, als ihr Name auf seinem Handybildschirm auftauchte. In ihm zog sich etwas zusammen, und er starrte so lange auf das Display, bis das Telefon aufhörte zu klingeln. Natürlich hatte er sofort zurückgerufen. Ihre Stimme klang auf eine Art atemlos, dass er gedacht hatte …

Wie sehr er sich täuschte. Dabei hätte er sich denken können, dass die kühle, beherrschte Hebamme ihn nicht aus persönlichen Gründen anrief.

Und genau deshalb sollte er sich besser auf seine Arbeit konzentrieren und nicht länger an Carly denken!

In Naomis Anamnese stand vermerkt, dass ihre Mutter während der Geburt ihres fünften Kindes an einer Hirnblutung gestorben war. Die Tatsache allein genügte, sehr sorgfältig hinzuschauen, ob sich im Kopf der jungen Frau nicht irgendwo ein Aneurysma versteckte. Manchmal spielten genetische Faktoren eine Rolle.

„Auf keinen Fall will ich, dass ihm oder ihr etwas geschieht“, antwortete Naomi. „Machen wir weiter. Sind Douglas und Tessa hier?“

„Ja, im Warteraum. Die Untersuchung wird nicht länger als zwanzig Minuten dauern. Ehe Sie sich’s versehen, sind Sie wieder bei Ihrer Familie.“

Und wenn sich sein Verdacht auf ein Aneurysma bestätigte? Dann mussten sie abwägen, ob sie zuerst das Baby per Kaiserschnitt holten und sich danach um die lebensbedrohliche Arterien-Aussackung kümmerten. Oder ob sie das Aneurysma als Erstes behandelten.

Ein intravenöser Zugang war bereits in Naomis Armvene gelegt, und man begann mit der Injektion des Kontrastmittels.

Trevor, der Röntgenassistent, hatte das Gerät startbereit gemacht und reichte der Patientin Ohrstöpsel, über die nicht nur die Kommunikation zwischen ihm und ihr stattfand, sondern auch Musik eingespielt werden konnte. „Wie fühlen Sie sich? Alles in Ordnung?“, fragte er.

„Ja. Nur ein bisschen nervös.“

„Das ist völlig normal. Sind Sie klaustrophobisch? Sie müssen nämlich völlig ruhig liegen. Lassen Sie sich von dem lauten Hämmern und Klopfen der Maschine nicht stören, das sind normale Betriebsgeräusche.“

„Ich wüsste nicht, dass ich Platzangst hätte.“

„Gut. Sollten Sie doch so etwas spüren, schließen Sie am besten die Augen. Es hilft, die Umgebung auszublenden. Wenn Sie trotzdem in Panik geraten, sagen Sie mir Bescheid.“ Er gab ihr ein kleines Gerät mit einem Schalter. „Drücken Sie im Fall der Fälle darauf. Außerdem sind in der Röhre Lautsprecher.“

„Okay.“

Er half ihr noch mit den Ohrstöpseln, dann gingen sie alle in den Beobachtungsbereich.

„Ich werde Sie nun in die Maschine fahren, Naomi. Versuchen Sie, so still wie möglich zu liegen.“

Der Untersuchungstisch glitt vorwärts, bis Naomis Kopf und Schultern in der Röhre waren. „Ich starte jetzt das Gerät und spiele Ihnen Musik ein, damit Sie entspannt bleiben.“ Der Röntgenassistent drückte einen Knopf.

Man hatte Naomi vorher gefragt, welche Musik sie gern hörte, und sie hatte geantwortet, Orchestermusik. Carly schlug daraufhin das London Symphony Orchestra vor. Trevor scrollte durch die Auswahl und fand, was er suchte.

Adem hatte sich zu ihr umgedreht. „Sie mögen das Orchester?“

„Meine Mutter spielt dort Cello. Und ja, ich habe mein Leben lang orchestrale Musik gehört. Ich sollte sie besser mögen, sonst werde ich enterbt.“

Er blickte sie einen Moment länger an, während er diese persönliche Bemerkung verarbeitete, und wandte sich schließlich wieder dem Bildschirm zu. Carly saß neben ihm, die Beine übereinandergeschlagen, ein Fuß wippte, als hätte sie Mühe, still zu sitzen. Das war ihm auch schon bei anderen Gelegenheiten aufgefallen.

Adem berührte sie am Arm. „Hey, wir finden eine Lösung.“

Kaum hatte er das gesagt, fragte er sich, warum. Weil er glaubte, dass Carly emotional stärker beteiligt war als üblich? Was im Rahmen professioneller Distanz nicht wünschenswert, jedoch in manchen Fällen unvermeidbar war. Für Hebammen wahrscheinlich noch schwieriger, da sie ihre Patientinnen über den langen Zeitraum von neun Schwangerschaftsmonaten begleiteten.

Interessant, dass er Carly seit einem Jahr kannte und sie ihm dennoch ein Rätsel war.

„Das hoffe ich“, entgegnete sie. „Naomi ist so ein netter Mensch. Obwohl sie eine schwierige Kindheit hinter sich hat, bedeutet ihre Familie ihr alles. Einmal sagte sie zu mir, dass Muttersein ihre Berufung sei. Sie gehört zum Reinigungspersonal in einem der größeren Hotel, ist allerdings jetzt im Mutterschutz.“ Carly schwieg, während ein Schatten ihre Augen verdunkelte. „Es war nicht leicht für sie, schwanger zu werden. Deshalb muss diese Situation für sie besonders beängstigend sein.“

„Ihre erste Schwangerschaft?“

„Ja. Tessa ist adoptiert.“

„Verstehe. Ich war erstaunt, dass Sie sich sofort mit ihr im Krankenhaus getroffen haben.“

Ihr Fuß hielt still. „Naomi brauchte mich.“

Und viele andere auch, den dunklen Ringen um Carlys Augen nach zu urteilen. „Ich wollte Sie nicht ermahnen.“

„Tut mir leid, ich mache mir eben Sorgen. So wie Naomis Familie ihre Berufung ist, ist Naomi meine.“ Sie unterbrach sich. „Nun, nicht nur Naomi, sondern Frauen wie sie“, fuhr sie fort. „Frauen, die Fertilitätsprobleme haben.“

Adem stutzte. Empfängnisunfähigkeit? Wegen ihrer Mutter?

Der Röntgenassistent wandte sich um. „Wir sind fast fertig. Bis jetzt habe ich … Moment, was ist das da?“

Adem stand auf und beugte sich über den Monitor, studierte die Aufnahme mit geschultem Auge. „Kahretsin!“

Der Fluch entfuhr ihm, bevor er darüber nachdenken konnte. Wenigstens in seiner türkischen Muttersprache, sodass die beiden anderen ihn nicht verstanden.

„Was ist los?“ Hinter ihm erklang Carlys besorgte Stimme.

„Sie hat ein Aneurysma. Arteria inferior posterior cerebelli.“

„Ich vermute, das heißt an der Kleinhirnschlagader, also in dem Bereich, wo sie die Schmerzen gespürt hat. Blutet es?“

„Noch nicht, aber es ist groß. Sollte es platzen …“ Er vollendete den Satz nicht. Brauchte er nicht. „Ich bin froh, dass sie nicht einfach gewartet hat, dass die Schmerzen wieder weggehen. Und sie hat ein Riesenglück gehabt, dass sie sie überhaupt wahrgenommen hat. Viele Aneurysmen bleiben unentdeckt, bis irgendetwas sie zum Reißen bringt.“

„Eine Entbindung, zum Beispiel, bei der unter Presswehen der Druck im Kopf ansteigt“, sagte Carly, während sie neben ihn trat. „Genau das ist ihrer Mom passiert. Was nun?“

„Ich möchte die Bilder genauer prüfen und mich mit Fachkollegen beraten, da wir auch die Schwangerschaft bedenken müssen. Wir werden als Team einen Plan festlegen. Wichtig ist, dass wir sie zumindest heute Nacht zur Beobachtung stationär aufnehmen. Sie waren ja einverstanden, dass ein Geburtshelfer die Betreuung übernimmt.“

„Selbstverständlich. Mich interessiert nur, dass es ihr und dem Kind gut geht.“ Carly sah ihn eindringlich an. „Adem, dies könnte das einzige Baby sein, das sie je haben wird.“

„Zunächst einmal steht ihr Leben auf dem Spiel. Doch ich verstehe, was Sie meinen. Lassen Sie mich ein paar Anrufe erledigen, während Naomi in einem der Zimmer untergebracht wird. Danach spreche ich mit ihr.“

Er wollte für Mutter und Kind nur das Beste, das war Carly doch sicher klar.

„Ich möchte bei ihr und ihrem Mann bleiben. Natürlich werde ich nichts andeuten, sondern nur so viel, dass Sie die Aufnahmen auswerten und bald zu ihr kommen werden.“

„Das klingt gut.“ Adem blickte auf seine Armbanduhr. „Haben Sie schon gegessen?“

„Nein, aber das macht nichts.“

Die dunklen Brauen gingen in die Höhe. „Nach einem vollen Arbeitstag in der Klinik, und nachdem Sie anschließend hierhergekommen sind? Haben Sie seit unserer Kaffeepause etwas gegessen?“

Bei der er ihr einen Mokka versprochen hatte. Ein gewaltiger Fehler, weil sich der Gedanke in seinem Kopf festgesetzt hatte und nicht mehr verschwinden wollte. Was als höfliche Bemerkung gedacht gewesen war, barg plötzlich unaussprechliche Möglichkeiten.

„Und Sie?“, konterte sie.

Eine Herausforderung, auf die er reagierte. Vielleicht, weil er nach einem langen Tag kaputt war, aber so recht glaubte er nicht daran. „Nein. Weshalb ich gehofft hatte, uns etwas zu essen spendieren zu können, sobald wir hier fertig sind.“

Ihr Lächeln, wie aus dem Nichts, erwischte ihn unvorbereitet. „Tut mir leid. Meine Mutter ist ein sehr unabhängiger Mensch, und da bin ich ihr einfach zu ähnlich. Aber ich wüsste gern, wie es für Naomi weitergeht. Vielleicht können wir beim Essen darüber reden.“

„Mein Gedanke. Sie suchen sich aus, wo, und ich werde so bald wie möglich bei Ihrer Patientin sein.“

Der Behandlungsplan stand fest. Sie saßen beim Inder, und Adem wartete, bis sie bestellt hatten, bevor er Carly die Ergebnisse der Konferenzschaltung mitteilte.

Er hatte mit Raphael Dubois, einem der Gynäkologen und Geburtshelfer am Queen Victoria, gesprochen und ihm die Situation geschildert. Obwohl Naomis Schwangerschaft weit genug fortgeschritten war, um das Kind auf die Welt zu holen, waren Raphael und er sich einig, dass das Risiko zu hoch war. Das Aneurysma könnte platzen. Besser wäre, es vor der Geburt zu behandeln. Und zwar so schnell wie möglich.

„Ich denke, wir gehen endovaskulär rein und verschließen mit Platinspiralen. Der Eingriff ist weniger invasiv als der Verschluss des Aneurysmas mittels Clipping.“

„Sodass der Schädel nicht geöffnet werden muss?“ Carly war keine Expertin für Neurochirurgie, doch sie kannte sich ein wenig aus. Beim Clipping wurde das geschwollene Blutgefäß mit einer Metallklemme abgebunden. Die Prozedur musste hirnchirurgisch durchgeführt werden, während beim Coiling über einen Katheter in der Leistenarterie ein spezieller Platindraht bis zum Aneurysma geschoben und dessen Blutversorgung unterbrochen wurde. Von der Wirkung her das Gleiche wie beim Clipping. In Naomis Fall war Carly klar, warum die Ärzte sich für die eine und gegen die andere Methode entschieden hatten.

„Richtig.“

Freudestrahlend servierte ihnen der Kellner schwungvoll das Essen, und Carly musste unwillkürlich lächeln. Könnte sie nur auch ein bisschen mehr so sein. Vielleicht wurde es wirklich Zeit, ihr Leben von einigen Spinnweben zu entstauben und wieder Licht und Luft hineinzulassen. Unbeschwertheit. Als der Kellner gegangen war, meinte sie: „Er scheint seinen Spaß zu haben.“

„Ja. Spaß haben bedeutet manchmal, den Moment genießen zu können. Sich einzulassen, gerade auf Unerwartetes.“

Er sagte es mit einem Lächeln, das ihren Puls in die Höhe jagte. Friedas Worte kamen ihr in den Sinn. Man kann auch übervorsichtig sein.

Sahen die anderen sie so? Übertrieben vorsichtig? Unfähig, sich dem Moment hinzugeben oder etwas zu tun, das man von ihr nicht erwartete?

Hatte sie sich bei dem Marathon, an dessen Ende die ersehnte Schwangerschaft stehen sollte, derart verausgabt, dass sie völlig aus dem Blick verlor, wie wichtig Spaß im Leben war? Falls ja, hatte sie nicht vor, ihr Gegenüber an dieser Erkenntnis teilhaben zu lassen.

„Ich weiß, wie man sich vergnügt. Genau wie jeder und jede andere auch.“

Adem sah sie skeptisch an, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Er glaubte ihr nicht. Der Mann wusste, wie er sie provozieren konnte. Das ironische Zucken seiner Mundwinkel verriet es deutlich.

Wie wäre es, genau jetzt etwas Überraschendes zu tun … so überraschend, dass es Adem Kepler die Sprache verschlug! Carly beschloss, sich ohne Wenn und Aber auf den Moment einzulassen.

„Nur weil Sie mich nicht in meinem blauen Kleid gesehen haben, heißt das nicht, dass ich nicht weiß, wie man es trägt. Ich kann mich amüsieren. Mehr, als Sie sich vorstellen können.“

Lasziv sollte der letzte Satz klingen, und das gelang ihr auch. So sehr, dass sie sich innerlich wand. Aber dann … nichts. Zu ihrem Entsetzen kam auf ihren angestrengten Flirtversuch keine Reaktion. Nicht die geringste!

Bis ein Muskel an seiner Wange zuckte. Erst einmal, dann noch einmal. „Bitte?“

Sie hätte auflachen, sagen können, dass es ein Scherz war und sie sich kein Vergnügen gönnte. Jedenfalls nicht die Art von Vergnügen. Doch ihr Stolz wehrte sich mit Händen und Füßen.

„Sie haben mich gehört.“

„Habe ich. Ich kann es nur nicht glauben.“

Der Mann machte etwas mit ihr. Vom ersten Augenblick an, seit sie ihm begegnet war. Und sie hatte sich vorgenommen, es zu ignorieren.

Wieso eigentlich? Warum sollte sie der Anziehung nicht nachgeben? Schließlich wollte sie nichts von ihm. Aber er hatte gesagt, dass man den Moment genießen sollte. Warum nicht diesen? Adem war atemberaubend, strahlte etwas verlockend Gefährliches aus, das ihre Sinne reizte wie die Lust auf Verbotenes. Schließlich liefen ihr Männer wie er nicht ständig über den Weg. Was würde passieren, wenn sie ihn noch ein bisschen mehr herausforderte?

Gut, sie riskierte sehr viel mehr als ihren Stolz. Was, wenn Adem sie zurückwies?

Nichts kann schlimmer sein, als vom eigenen Verlobten zurückgewiesen zu werden, dachte sie. Oder unfähig zu sein, ein Kind zu bekommen.

Vielleicht konnte sie den Schmerz über beides mit einem Schlag auslöschen?

Carly griff nach ihrem Weinglas, wunderte sich, dass ihre Hand nicht zitterte, und trank den Rotwein in seinem Zug aus. Danach leckte sie mit der Zungenspitze über den Glasrand, wie um einen letzten Tropfen aufzufangen.

Ihr Herz pochte. Was tat sie da? War sie verrückt geworden?

Er folgte ihrer Bewegung mit dunklen Augen, Röte kroch seinen Hals hoch. Adem hob den Blick, hielt ihren fest. Lange, sehr lange. „Carly …“

Da war er, der Moment der Wahrheit. Wie mutig bist du?

Adem hatte angefangen, oder? Hatte ihr zu verstehen gegeben, dass sie sich nicht amüsieren konnte, selbst wenn sie es wollte.

In einem Anfall von Wagemut, den sie bei sich nie erwartet hätte, stellte sie ihr Glas ab, beugte sich vor und sah ihm tief in die Augen. Tief genug, hoffte sie. „Ich kann mich erinnern, dass mir jemand einen türkischen Mokka versprochen hat.“

„Ja, ich. Wann passt es Ihnen?“

„Wie wäre es mit jetzt? Wetten, dass Sie nicht aufstehen und gehen, ohne Ihr Essen anzurühren, wenn ich Sie darum bitte?“

„Nein?“

Ein paar für Carly qualvolle Sekunden vergingen, in denen sie nicht wusste, ob sie gleich Farbe bekennen musste. Da holte er seine Brieftasche hervor, entnahm ihr einige Geldscheine und warf sie auf den Tisch. Im nächsten Moment war er aufgestanden, so plötzlich, dass Carly nach Luft schnappte. Adem streckte ihr die Hand hin.

Ja, es hieß definitiv, Farbe zu bekennen.

Der Kellner eilte herbei. „Entschuldigen Sie. Gibt es ein Problem, Sir?“

„Ich bin nicht sicher.“ Adem warf ihr einen Blick zu. „Gibt es eins? Oder haben Sie nicht geglaubt, dass ich das tun würde?“

Jepp. Er hatte sie durchschaut. Nun, sie hatte vor, ihm zu zeigen, wie schlecht er sie kannte.

Carly straffte die Schultern.

Oh, Hilfe, sie würde das wirklich durchziehen! Ihr hämmerte das Herz gegen die Rippen, als sie aufstand und ihre Hand in seine legte. „Kein Problem. Uns ist nur gerade eingefallen, dass wir aufbrechen müssen.“

Adem deutete mit dem Kopf auf die Banknoten. „Das dürfte mehr als genug sein.“

Die Augen des Mannes weiteten sich. „Ja … ja, natürlich. Danke, Sir.“

An den noch spärlich besetzten Tischen vorbei, zog Adem Carly mit sich Richtung Ausgang. Eine seltsam unwirkliches Gefühl der Erwartung erfasste sie. Prickelnd, wie sie es noch nie erlebt hatte. Nicht einmal bei Kyle.

Sie verließen das Restaurant, und Adem blickte über die Schulter. „Hattest du Hunger?“

Ein bisschen spät, die Frage, oder? „Habe ich noch“, antwortete sie mit einem heiseren Unterton, der keinen Zweifel aufkommen ließ, worauf sie wirklich Hunger hatte.

„Gut. Ich auch.“

Er brauchte sich keine Mühe zu geben, sexy zu klingen. Seine tiefe raue Stimme hörte sich an, als käme er nach einer leidenschaftlichen Liebesnacht geradewegs aus dem Bett.

Carly erbebte unwillkürlich. Würde er auch so klingen, nachdem sie mit ihm geschlafen hatte …?

Sie erreichten seinen Wagen. „Soll ich dich zum Krankenhaus fahren, damit du dein Auto holen kannst?“

„Können wir das später machen? Nach … dem Kaffee?“

Der Seitenblick, den er ihr zuwarf, schürte die Glut, die in ihr schwelte. „Falls es dir nichts ausmacht, dass es sehr viel später wird. Und den Kaffee heben wir uns für ein andermal auf.“

Sie biss sich in die Unterlippe. „Eigentlich wollte ich keinen Kaffee.“

„Das hatte ich gehofft.“

Wahrscheinlich erwartete ihn eine herbe Enttäuschung. Carly war nicht die Frau, die sie zu sein vorgab. Eine, die wusste, wie sie einen Mann in Ekstase trieb. Aber wenn sie wollte, lernte sie schnell.

Und sie wollte lernen. Mit ihm, von ihm. Selbst wenn sie ihre Kenntnisse nie wieder im Leben anwenden würde.

Sex mit Kyle war sogar für ihre Verhältnisse immer ein bisschen zu zahm gewesen. Langweilig fast, zumal sie ständig darauf konzentriert waren, ein Kind zu zeugen. Keine Spontanität, kein verzweifeltes Verlangen nacheinander.

Ganz anders fühlte sie sich jetzt.

Adem öffnete ihr die Wagentür, und sie glitt auf den Beifahrersitz. Als sie nach dem Sicherheitsgurt griff, beugte Adem sich vor und küsste sie.

Dieser Kuss …

Die warmen festen Lippen auf ihre gepresst, eine Hand in ihrem Haar, deutete er Dinge an, von denen sie bisher nur geträumt hatte. Carly klammerte sich an den Gurt.

Oh … Der Mann mochte vieles sein, aber bestimmt nicht zahm!

Gleich darauf ließ er sie los, schloss die Tür und ging ums Auto herum zur Fahrerseite.

Carly schaffte es irgendwie, den Sicherheitsgurt einrasten zu lassen. Ihre Hände zitterten.

Kaum saß er hinterm Lenkrad, wandte er sich ihr zu, sah sie intensiv an. „Bist du sicher?“

Wobei? Ob es klug war, mit ihm zu schlafen? Oder ob sie mit ihm schlafen wollte? Letzteres, oh ja! Ersteres … Nun, damit würde sie sich später befassen.

„Ja.“

Adem küsste sie nicht noch einmal, aber seine Fahrweise sprach Bände. Er hatte es eilig.

„Fahren wir zu dir?“

„Ja. Ist näher. Fünf Minuten höchstens.“

Sie lehnte sich zurück. Der Anblick seiner schlanken männlichen Finger am Schaltknüppel machte etwas mit ihr. Vor allem, wenn er mit dem Daumen darüber strich, kitzelte er ihre Fantasie, bis sie die sinnlichen Berührungen auf der Haut zu spüren glaubte.

Noch nie waren ihr fünf Minuten so lang vorgekommen. Oder so kurz. Fünf Minuten, bis ihre Welt sich für immer verändern würde.

Nun, vielleicht nicht verändern. Aber heftig erschüttern auf jeden Fall.

Carly schüttelte den Kopf. Nein. Es war keine große Sache. Nur Sex. Ein Mann und eine Frau, die eine gemeinsame Stunde genossen. Nichts Weltbewegendes.

Wirklich? Warum hatte sie da ihre Zweifel?

Vielleicht, weil sie noch nie diese … zitternde Erwartung erlebt hatte. Das Gefühl, überrollt zu werden, zu versinken.

Bei Kyle war sie vorsichtig gewesen. Jedes Mal. Und mit jedem gescheiterten Versuch, schwanger zu werden, wurde sie zurückhaltender. Die wenigen letzten Male, als sie miteinander schliefen, fühlten sich überhaupt nicht … besonders an.

Dieser Mann hatte für sie sein Abendessen stehen lassen. Das machte sie doch zu etwas Besonderem, oder?

Carly erschauerte. Es war ja nicht so, dass er sich ihretwegen mit jemandem duelliert hätte.

Es sei denn, man zählte seinen knurrenden Magen als Gegner.

Adem bog in eine Straße ein, die von gepflegten Altbauten mit Balkonen und Blick auf die Themse gesäumt war. Beeindruckt betrachtete Carly die schicken Apartments. Sie war wesentlich schlichtere Unterkünfte gewohnt. Zwar reagierten Mitschülerinnen und Mitschüler mit bewundernden Ahs und Ohs, wenn sie erfuhren, dass ihre Mutter an der Uni lehrte und dem Ensemble des London Symphony Orchestra angehörte. Aber weder die eine noch die andere Tätigkeit zählte zu den hochdotierten Jobs. Nicht dass es jemals eine Rolle gespielt hätte.

Er fuhr in die Tiefgarage, parkte und stellte den Motor ab. „Alles okay? Du bist still geworden.“

Sie blickte zu ihm hinüber, und sofort war das sinnliche Prickeln wieder da. Wahrscheinlich würde sie im Leben nie wieder so eine Nacht verbringen. Carly spürte, dass sie wirklich große Lust hatte, übermütig zu sein! Dieses eine Mal wenigstens. „Oh ja, alles okay.“

Seite an Seite gingen sie zum Fahrstuhl, betraten die Kabine, und Adem drückte den Knopf für den vierten Stock. Sobald die Türen sich schlossen, wandte er sich ihr zu, berührte ihr Kinn, sodass sie ihn ansehen musste. Schweigend betrachtete er sie einen Moment, strich mit den Fingern über ihre Schläfe, die Wange, am Kinn entlang. „Verdammt, ich will dich küssen. Wenn mein Portier nicht zusehen würde, könnte ich dir zeigen, wie sehr!“

Sein Portier? Sie machte große Augen, und ihr Blick glitt zu einer Ecke des Aufzugs, wo eine Kamera direkt auf sie gerichtet schien. Carly lachte nervös auf. „Also keine Sondervorstellung?“

„Hört sich aufregend an.“ Adem warf ihr einen intensiven Blick zu und beugte sich vor. „Das merke ich mir für später“, flüsterte er an ihrem Ohr.

Oh …! Sie hatte keine Ahnung, was für eine Vorstellung er im Sinn hatte, aber ihr schwebten ein paar Szenen vor. Was sie daran erinnerte, dass sie drauf und dran war, sich in ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang zu stürzen.

Und es gefiel ihr!

Auf der sicheren Seite zu bleiben, war immer ihr Credo gewesen. Dass sie sich jetzt weit aus ihrer Komfortzone wagte, sandte ihr einen erregenden Schauer über die Haut. Carly ließ die Finger zu seinem Nacken gleiten, zog seinen Kopf zu sich herunter und biss ihm sanft ins Ohrläppchen. „Ich werde dich beim Wort nehmen.“

„Ich kann es kaum erwarten, dich in meinem Bett zu nehmen. Und an vielen anderen Orten. Auch am Fenster.“

Carly atmete scharf ein, und Adem lachte leise und sah auf. „Keine Sorge, Honey. Niemand kann dich dabei sehen. Außer mir.“

Sorgen machte sie sich nicht. Im Gegenteil, sie zitterte vor Lust und konnte es kaum erwarten. „Es sei denn, die Scheibe platzt, und wir fallen raus.“

„Das Glas ist sehr, sehr dick. Und sehr fest.“ Er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und sah mit dunklen Augen auf sie hinunter. „Wir können daran fast alles machen.“

Sie schluckte. Ihre Bemerkung war eher ein Scherz gewesen, aber seine Antwort klang, als wollte er wissen, was sie sich traute.

Nun, wenn dies eine historische Nacht werden sollte, konnte sie auch dafür sorgen, dass sie sich für den Rest ihres Lebens daran erinnerte. „Klingt zu gut, um wahr zu sein.“

Sein Lächeln ließ einen ganzen Schwarm Schmetterlinge in ihrem Bauch aufflattern. „Ich werde dich hinterher fragen, wie dir die Tour gefallen hat.“

„Tour?“ Rau klang das Wort auch in ihren eigenen Ohren, verriet ein Verlangen, das sie nicht mehr verbergen konnte.

„Carly, ich habe vor, mir mit dir ein Zimmer nach dem anderen vorzunehmen. Eine Oberfläche nach der anderen. Bis keiner von uns auch nur einen Funken Kraft übrighat.“

Die Lifttüren öffneten sich so abrupt, dass sie erschrak, und sie brauchte einen Moment, um sich zu fangen. Adem legte ihr den Arm um die Taille und führte sie ins Foyer, von dem drei Türen abgingen. Wie schallsicher waren diese Wohnungen?

Sie ahnte, dass sie es mit Adem austesten würde.

Er drehte sie in seinen Armen und drängte sie rückwärts zum Apartment zu ihrer Rechten. „Keine einzige Kamera hier oben.“

Im Rücken spürte sie das kühle Metall der Tür, als Adem sie hemmungslos küsste. Seine Hände glitten zu ihrem Po, pressten Carly fest an seinen harten Körper. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm die Arme um den Hals zu schlingen und sich an ihn zu klammern.

Ein kläglicher Rest ihrer Vorsicht hoffte, dass die Nachbarwohnungen keine Türspione hatten. Doch der war schnell überstimmt. Es war ihr egal. Schließlich würde sie schon bald in seinem Apartment sein, an die Fensterscheibe gepresst, nackt, bebend vor Lust.

Er drängte sich an sie, ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er genauso erregt war wie sie. Wenn er nicht aufpasste, kam sie, bevor sie es in die Wohnung schafften.

„Du hast keine Ahnung, was du mit mir gemacht hast, vorhin im Restaurant.“ Adem strich mit der Hand über ihren Oberschenkel, fasste an die Kniekehle. „Ich könnte einfach …“ Sein Griff verstärkte sich, ihr Schenkel glitt über sein Bein, als ihr Fuß den Boden verließ, ihr Rock höherrutschte.

Wollte er es gleich hier tun? Er brauchte nur seinen Reißverschluss aufzuziehen und ihren Slip beiseitezuschieben.

Carly schloss die Augen. Sie hatte nichts dagegen, sie wollte ihn, brauchte ihn.

Da ließ er sie los, und ihr Fuß kam mit einem dumpfen Laut auf dem Boden auf. „Ich muss rein. Jetzt.“

Die rau hervorgestoßenen Worte passten für sie nicht dazu, dass er sie losgelassen hatte. Wenn er „rein“ musste, warum hatte er dann …?

Er lehnte die Stirn an ihre, schien ihre Gedanken zu erahnen. „Rein in meine Wohnung. Damit ich in dir sein kann.“

Dass er das betonen musste! Sie lachte auf. „Oh! Ich dachte, wir würden hier …“

„Ja. Ich auch.“

Adem fischte eine Schlüsselkarte aus der Tasche und zog sie durch den Kartenleser neben dem Wohnungsbriefkasten. Die Verriegelung löste sich mit einem hörbaren Klick, und die Tür schwang auf. Sobald sie hineingegangen waren, schob Adem sie mit dem Fuß hinter sich zu, nahm Carly bei der Hand und zog sie mit sich durchs Wohnzimmer. Flüchtig nahm sie schwarze Ledermöbel auf weiß lasierten Holzdielen wahr. Er muss eine Haushälterin haben, dachte sie. Irgendwie konnte sie sich Adem nicht mit Staubtuch und Wischeimer vorstellen.

Bei dem Gedanken daran musste sie leise lachen.

Unerwartet blieb Adem stehen, sodass sie fast gegen ihn prallte, wandte sich zu ihr um und sah sie an. „Findest du irgendetwas witzig?“

„Nein, ich …“ Sie schluckte. „Nein.“

Er drehte sie so, dass sie auf ein großes Panoramafenster blickte, hinter dem sich einer der Balkone erstreckte, die sie vorhin von unten gesehen hatte.

Sofort wusste sie, dass sie genau das wollte. Und alles andere, was er ihr anbot. Vielleicht bereute sie es morgen früh, doch darüber würde sie sich Gedanken machen, wenn es so weit war.

Adem schob sie sanft vorwärts, seine warmen Lippen berührten ihren Nacken, und das sinnliche Kribbeln auf ihrer Haut ließ sie erbeben. Ihre Lider flatterten, sie wollte die Augen schließen, um das Gefühl auszukosten, und gleichzeitig wollte sie sehen, wohin sie ging.

Nur nebenbei nahm sie die spektakuläre Aussicht wahr, alle Sinne waren auf den Mann gerichtet, der mit einer Hand ihr Haar beiseiteschob, um ihren Hals mit zarten Küssen zu bedecken. Am Rücken spürte sie seinen starken Körper.

Carly sah zur Seite, vergewisserte sich, dass ihnen aus der Nachbarschaft niemand zuschauen konnte.

„Uns kann keiner sehen“, murmelte er. „Versprochen.“

Woher wusste er das? Hatte er das schon einmal getan?

Hör auf. Denk nicht an so etwas. Genieß einfach den Moment.

Adem drehte sie in seinen Armen um und küsste sie wieder. Carly ergab sich den lustvollen Gefühlen, konnte nicht genug bekommen von seinem Mund. Willig ließ sie es zu, als er mit geschickten Fingern erst einen, dann langsam alle weiteren Knöpfe ihrer Bluse öffnete. Kühle Luft traf auf ihre erhitzte Haut.

Gleich darauf streifte er ihr die Bluse ab, sodass sie nur noch BH, Rock und Höschen trug. Adem hörte auf, sie zu küssen, strich mit beiden Händen über ihre Schultern, weiter hinunter über die Arme und ihre Hüften. Er schob ihr den Rock hoch, bis er ihre nackten Schenkel berührte, verweilte nur kurz, um ihr den Spitzenslip abzustreifen.

„Steig heraus“, sagte er, als der hauchzarte Stoff sich um ihre Knöchel wand.

Sie tat, was er wollte, und der Slip landete bei der Bluse. Zu Carlys Überraschung zog er ihr den Rock wieder über die Hüften.

„Bist du bereit, Carly?“ Er zog seine Brieftasche aus der Hose und entnahm ihr ein Folienpäckchen.

Sie war schon im Restaurant bereit gewesen. „Ja.“

Adem drehte sie, bis sie wieder mit dem Gesicht zum Fenster stand. „Dann willkommen an der ersten Station unserer Tour.“

Er wollte sie am Fenster nehmen, so sehr, dass er kaum noch klar denken konnte. Adem hatte vorgehabt, diesen Punkt ans Ende ihres Trips zu setzen, aber er musste jederzeit damit rechnen, dass vom Krankenhaus jemand anrief, weil er gebraucht wurde. Außerdem war es ihm schon vor seiner Wohnungstür schwergefallen, sich zu beherrschen. Er begehrte Carly heftig. Aber anders als an diesem Fenster hätte jederzeit jemand aus dem Fahrstuhl oder einer seiner Nachbarn aus seinem Apartment kommen können.

In Carlys Nähe war auf seinen Verstand kaum mehr Verlass. Schon als er damals versprach, ihr einen Mokka zu kochen, gingen seine Gedanken in eine einzige Richtung.

Ihr Kopf sank nach hinten, gegen seine Brust, als Adem sie sanft in den Hals biss. Verdammt, diese Frau war anders als alle anderen, die er kannte. Während der Arbeit korrekt und zurückhaltend, ja, nahezu zugeknöpft. Und jetzt wand sie sich lasziv in seinen Armen, bereit, mit ihm ein exhibitionistisches Spielchen zu spielen. Adem hatte nicht vor, sie nackt auszuziehen, auch wenn er schwer versucht war zu sehen, wie weit sie gehen würde. Nein, er wusste es bereits: Sie würde sich splitternackt an die Scheibe pressen, wenn er sie darum bat.

Er schmiegte die Wange an ihre. „Seni çok istiyorum … Ich will dich so sehr.“ In seiner türkischen Muttersprache strömten die Worte aus ihm heraus, beschrieben in allen Einzelheiten, was er mit ihr machen wollte.

Mit beiden Händen griff sie hinter sich, krallte die Finger in seine Schenkel, ließ sie höher gleiten, dorthin, wo er unter dem Stoff hart und heiß war. „Ja, ja, ja …“, flüsterte sie, als könnte sie genau wie er nicht länger warten.

Jetzt oder nie, denn wenn ihre Finger fanden, was sie suchten, konnte alles schneller vorbei sein, als ihnen beiden lieb war. Adem packte ihre Handgelenke, hob ihre Arme und presste die Hände flach auf die Fensterscheibe.

„Lass sie dort. Du kannst später damit spielen. An mir.“ Er lächelte. „An dir.“ Oh ja, er sah ihr gern dabei zu!

Adem griff um sie herum, umfasste eine ihrer Brüste, die, von hauchdünner Spitze bedeckt, sich erregend in seine Hand schmiegte, während er Carly gegen das Glas presste. Mit sanften, rhythmischen Bewegungen rieb er die Brustspitze zwischen den Fingern, und als Carly aufstöhnte, durchzuckte es ihn heiß. Wie sehr er sie wollte! Er war kurz davor, den Reißverschluss aufzuziehen, um in sie einzudringen. Ja, bald, sehr bald würde er genau das tun. Breitbeinig stand er hinter ihr, spürte ihren Po an seiner Erektion, wäre fast gekommen.

Er wich zurück, schob ihr den Rock hoch und entblößte ihre festen Pobacken.

„Adem …“

Heiser stieß sie seinen Namen hervor, und er konnte nicht länger warten, öffnete seine Hose, erlaubte sich kurze, lustvolle Sekunden, ihre weiche, samtige Haut an seiner zu fühlen, bevor er das Päckchen aufriss und das Kondom überstreifte. Adem strich mit der Hand über ihre Hüfte, zwischen ihre Beine. Carly war feucht und warm, bereit für ihn. Heiße Lust explodierte in ihm, und dabei hatte er sie kaum berührt.

„Carly …“ Diese Frau brachte ihn fast um den Verstand!

Adem kämpfte um die Kontrolle über sich, während er ihren empfindlichsten Punkt reizte wie zuvor ihre Brüste. Er streichelte, rieb und verharrte wenige atemberaubende Momente, bevor er in sie stieß, tief hinein, bis Carly ihn ganz in sich aufgenommen hatte. Dann hielt er still, bewegte nur die Finger und genoss die Erregung, in ihr zu sein.

Als hielte sie es nicht länger aus, drängte sich Carly an seine liebkosende Hand. Ihre Heftigkeit nahm ihm den Atem. Er erhöhte das Tempo, strich auch mit dem Daumen über die geschwollene Stelle. Carly keuchte stöhnend auf, bewegte sich schneller.

Die Welt draußen vor dem Fenster verengte sich auf einen einzigen sexy Ausblick: Carly gegen die Scheibe gepresst, wie sie sich wand, sich an seiner Hand rieb, während ihre Brüste bei jeder Bewegung über das Glas rutschten.

Mit einem scharfen Aufschrei kam sie, pulsierend, zuckend, und nahm ihm den letzten Funken Selbstbeherrschung. Wieder und wieder drang er in sie ein, ließ sich mitreißen von dem Strom purer Lust, von dem er hoffte, dass er nie enden würde. Auf dem Weg zum Höhepunkt flüsterte er ihr zu, wie froh er war, dass sie hier war. Wie sehr er noch mehr mit ihr machen, dass er es wieder und wieder mit ihr tun wollte. Er achtete nicht darauf, als, alarmiert von den intensiven Gefühlen, die ihn neben der Lust erfüllten, im hintersten Winkel seines Bewusstseins eine rote Warnlampe aufleuchtete.

Adem ignorierte sie einfach. Vorerst.

Er zog sich zurück, drehte Carly in seinen Armen um und küsste sie. „Okay?“, fragte er.

Sie öffnete die hellen grünen Augen und betrachtete ihn. Lächelte schließlich. „Mmm … Kann nicht sprechen. Will nicht sprechen. Bin aber froh, dass das Glas gehalten hat.“

Tief in ihm brodelte ein Lachen, brach sich Bahn und fegte hinweg, was immer an nagenden Gedanken in seinem Hinterkopf aufgetaucht war. Adem schlang die Arme um sie. „Ich auch. Allerdings habe ich noch mehr, dessen Stabilität wir testen können. Mein Bett … den Esszimmertisch … meinen Bürostuhl …“

Ihre Augen weiteten sich, doch sie zögerte keine Sekunde. „Ich bin bereit für die nächste Station.“

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Adem schwang sie auf die Arme und trug sie in sein Schlafzimmer.

3. KAPITEL

Als er aufwachte, war er allein. Auf dem Nachttisch lag ein Zettel.

Adem blickte auf die Kuhle im Kissen, wo Carlys Kopf gelegen hatte, und streckte die Hand aus. Während er den Stoff berührte, erfasste ihn ein seltsames Gefühl. Ähnlich dem, das ihn gestern Abend durchzuckt hatte.

Statt mit den Fingern über den Abdruck zu streichen, packte er das Kissen, schüttelte es auf und legte es an Ort und Stelle. Jetzt sah es aus, als wäre nie jemand hier gewesen.

Autor

Susan Carlisle
Als Susan Carlisle in der 6. Klasse war, sprachen ihre Eltern ein Fernsehverbot aus, denn sie hatte eine schlechte Note in Mathe bekommen und sollte sich verbessern. Um sich die Zeit zu vertreiben, begann sie damals damit zu lesen – das war der Anfang ihrer Liebesbeziehung zur Welt der Bücher....
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