Die Braut des italienischen Milliardärs

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"Heirate mich." Wie bitte? Hat Belle sich verhört? Aber Cristo Ravellis feuriger Blick erlaubt keine Zweifel: Wenn Belle ihre fünf Halbgeschwister retten will, muss sie Ja zu dem Milliardär sagen …


  • Erscheinungstag 17.01.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733739072
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Cristo Ravelli starrte seinen Anwalt ungläubig an. „Soll das ein verspäteter Aprilscherz sein?“, fragte er stirnrunzelnd.

Robert Ludlow, Seniorpartner bei Ludlow and Ludlow, verzog keine Miene. Er wusste, dass Cristo, ein steinreicher Investmentbanker, der sich auf Risikokapital spezialisiert hatte, kein Mann war, mit dem man spaßte. Zumindest hatte Robert bisher noch keinen Sinn für Humor an ihm entdecken können. Cristo nahm das Leben überaus ernst, ganz anders als sein gerade verstorbener und vermutlich nur wenig betrauerter Vater Gaetano.

„Ich fürchte, das ist kein Witz. Ihr Vater hatte fünf Kinder mit einer Frau in Irland.“

„Sie meinen, all die Jahre, in denen er zum Angeln auf seinen irischen Landsitz fuhr …?“

„Ich fürchte, ja. Soweit ich weiß, ist das älteste Kind fünfzehn Jahre alt.“

Fünfzehn? Aber das bedeutet ja …“ Cristo presste die sinnlichen Lippen zusammen, um eine abfällige Bemerkung zu unterdrücken. Seine dunklen Augen blitzten wütend auf. Warum überraschte ihn die Neuigkeit eigentlich? Er wusste doch, dass sein Vater ein notorischer Frauenheld gewesen war. Warum sollte Gaetano also keine unehelichen Kinder gehabt haben, wo er doch schon diverse wütende Ex-Frauen und drei eheliche Söhne hinterließ?

Cristo selbst würde nie das Risiko eingehen, ein uneheliches Kind zu bekommen. Es war ihm unbegreiflich, dass sein Vater das gleich fünf Mal geschafft hatte, zumal er nie auch nur das geringste Interesse an seinen legitimen Söhnen gezeigt hatte. Cristos Brüder Nik und Zarif würden bestimmt genauso entsetzt auf diese Neuigkeit reagieren wie er, aber er beschloss, ihnen vorerst nichts zu sagen und allein mit dem Problem fertigzuwerden.

Das Scheitern von Niks Ehe hatte Cristo schwer getroffen, und sein eigener Anteil daran bereitete ihm immer noch schlaflose Nächte. Auch ihr Bruder Zarif, frisch gebackener Herrscher eines Landes im mittleren Osten, konnte gerade keinen Skandal gebrauchen. Gaetanos unmoralisches Treiben musste daher dringend vor der Presse geheim gehalten werden.

„Fünfzehn Jahre alt“, wiederholte Cristo fassungslos. Das bedeutete ja, dass sein Vater Zarifs Mutter während ihrer ganzen Ehe betrogen hatte! „Ich muss mich für meine Reaktion entschuldigen, Robert, aber das Ganze ist ein ziemlicher Schock für mich. Was wissen Sie über die Mutter der Kinder?“

Robert hob eine ergraute Augenbraue. „Ich habe Daniel Petrie kontaktiert, den Grundstücksverwalter des irischen Landsitzes Ihres Vaters. Er hat erzählt, dass Mary Brophy in ihrem Dorf einen sehr schlechten Ruf hat“, erklärte er fast entschuldigend.

„Als Frau mit lockeren moralischen Ansichten traf sie bestimmt genau Gaetanos Geschmack. Was für Vorkehrungen hat mein Vater für diese Kinderschar getroffen?“

„Genau darüber wollte ich mit ihnen reden.“ Robert räusperte sich verlegen. „Wie Sie wissen, hat Gaetano weder die Frau noch die Kinder in seinem Testament erwähnt.“

„Wollen Sie damit etwa sagen, dass mein Vater überhaupt keine Vorkehrungen getroffen hat?“, fragte Cristo fassungslos. „Er hatte fünf Kinder mit dieser … dieser Frau und hat ihnen kein Geld hinterlassen?“

„Keinen Penny“, bestätigte Robert bedauernd. „Ich dachte erst, er hätte vielleicht privat für sie vorgesorgt, aber offensichtlich war das nicht der Fall, da die Frau sich mit der Bitte um Begleichung der Schulgebühren an mich gewandt hat. Aber Ihr Vater hat immer in der Gegenwart und nicht in der Zukunft gelebt. Er ging vermutlich davon aus, mindestens achtzig zu werden.“

„Und stattdessen starb er mit zweiundsechzig und hat mir dieses Chaos hinterlassen“, sagte Cristo wütend. „Ich werde mich persönlich um diese Angelegenheit kümmern müssen. Ich will auf keinen Fall, dass die Presse Wind davon bekommt.“

„Verständlich“, stimmte Robert zu. „Für die Medien sind Männer mit diversen Ehefrauen und Geliebten ein gefundenes Fressen.“

Cristo biss die makellosen weißen Zähne zusammen. Seine dunklen Augen blitzten zornig. Sein Vater hatte schon zu Lebzeiten genug Schaden angerichtet. Unfassbar, dass er seiner Familie auch nach seinem Tod noch keine Ruhe ließ. „Die beste Lösung wäre, wenn die Kinder zur Adoption freigegeben werden, damit man diese ganze unappetitliche Angelegenheit unter den Teppich kehren kann.“

Robert sah Cristo für einen Moment ganz verwundert an, beherrschte sich jedoch rasch. „Glauben Sie wirklich, die Mutter wird diesem Vorschlag zustimmen?“

„Sollte sie in das übliche Beuteschema meines Vaters passen, wird eine angemessene Entschädigung sie bestimmt überzeugen.“

Robert wusste, worauf Cristo anspielte, bezweifelte jedoch, dass Cristo Erfolg haben würde. Aber so, wie Cristo aufgewachsen war, konnte er sich vermutlich nicht vorstellen, dass Eltern ihre Kinder lieben konnten. Er hatte nie den Zusammenhalt erlebt, der in anderen Familien selbstverständlich war. Plötzlich war Robert dankbar dafür, dass sein Leben ihn selbst nicht so zynisch gemacht hatte.

Cristo straffte die Schultern und griff nach seinem Handy, um seine Assistentin zu bitten, ihm einen Flug nach Dublin zu buchen. Er würde diese widerliche Angelegenheit zügig erledigen und sich dann wieder seiner Arbeit widmen.

„Ich hasse die Ravellis!“, tobte Belle, das hübsche Gesicht verzerrt vor Wut. „Ich hasse sie alle!“

„Dann müsstest du auch deine eigenen Brüder und Schwestern hassen“, rief ihre Großmutter ihr ins Gedächtnis. „Und du weißt, dass das nicht der Fall ist.“

Belle zügelte ihr Temperament mühsam und sah ihre Großmutter entschuldigend an. Isa war eine kleine geschmeidige Frau mit stahlgrauem Haar und hatte die gleichen grünen Augen wie Belle. „Dieser dämliche Anwalt hat noch nicht mal auf Mums Brief wegen der Schulgebühren reagiert. Ich hasse die ganze Familie! Warum lassen sie uns um etwas betteln, was den Kindern zusteht?“

„Ich kann nachvollziehen, wie unangenehm dir das ist“, räumte Isa Kelly ein. „Aber wir dürfen nicht vergessen, dass nur Gaetano Ravelli für diese Situation verantwortlich ist.“

„Wie könnte ich das je vergessen?“, rief ihre Enkelin frustriert und sprang auf. Man hatte sie wegen der skandalösen Beziehung ihrer Mutter mit Gaetano Ravelli und deren fünf unehelichen Kindern in ihrer Schulzeit erbarmungslos gequält. Viele Menschen hatten Anstoß daran genommen, dass Mary sich mit einem verheirateten Mann eingelassen hatte. Sie war mehr oder weniger als Hure gebrandmarkt worden, und Belle hatte man gleich mit verurteilt.

„Aber Gaetano lebt nicht mehr“, erinnerte Isa sie überflüssigerweise. „Und deine Mutter leider auch nicht.“

Isas letzte Worte versetzten Belle einen schmerzhaften Stich. Ihre Mutter war erst vor einem Monat an einem Herzinfarkt gestorben. Belle war immer noch nicht über den Schock hinweg. Mary, eine lebenslustige Frau Anfang vierzig, war kaum jemals krank gewesen, hatte jedoch ein schwaches Herz gehabt, und ihre letzte Schwangerschaft war für sie vermutlich einfach zu viel gewesen. Doch Mary Brophy hatte nie auf die Stimme der Vernunft gehört. Sie war immer ihren eigenen Weg gegangen, egal welchen Preis sie dafür bezahlen musste.

Aber was auch immer man Mary Brophy anlasten konnte – und es hatte viele Menschen im Ort gegeben, die sie wegen ihrer Langzeitaffäre mit Gaetano verurteilt hatten – war sie doch eine hart arbeitende Frau gewesen, die nie ein schlechtes Wort über jemanden verloren hatte und immer hilfsbereit gewesen war. Im Laufe der Jahre waren daher sogar aus manchen ihrer erbittertsten Kritiker Freunde geworden.

Trotzdem hatte Belle nie verstanden, warum Mary einem Mann zuliebe so viele Opfer gebracht hatte. Belle hatte Gaetano Ravelli für seine Lügen, seine Selbstsüchtigkeit und sein manipulatives Verhalten verabscheut. Erschöpft strich sie sich eine rote Locke aus dem Gesicht. Sie müsste dringend zum Friseur, hatte dafür aber keine Zeit – und kein Geld.

Gut, dass ihr wenigstens das Pförtnerhaus am Fuß der gewundenen Auffahrt zu Mayhill House gehörte, dem Landsitz Gaetanos. Wahrscheinlich würden sie es verkaufen und sich etwas Billigeres suchen müssen. Gaetano hatte es vor Jahren ihrer Mutter überschrieben. Aber was nützte ihnen ein Dach über dem Kopf, wenn sie die Rechnungen nicht bezahlen konnten? Obwohl Obdachlosigkeit natürlich ein noch schlimmeres Los wäre.

„Ich kümmere mich gern um die Kinder“, sagte Isa mit fester Stimme. „Mary war meine Tochter und ich will nicht, dass du den Preis für ihre Fehler bezahlst.“

„Die Kinder würden dich doch völlig überfordern“, protestierte Belle. Ihre Großmutter mochte fit wie ein Turnschuh sein, aber sie war schon siebzig. Belle hatte kein gutes Gefühl dabei, ihr eine solche Last aufzubürden.

„Du bist extra auf eine Universität gegangen, die weit weg von hier liegt, um eurer Situation zu entfliehen, und du wolltest sofort nach deinem Abschluss nach London ziehen“, erinnerte Isa sie.

„Es kommt eben nicht immer so, wie man sich das vorstellt. Die Kinder haben innerhalb von zwei Monaten beide Eltern verloren. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen können, ist, dass ich auch noch weggehe.“

„Bruno und Donetta gehen beide aufs Internat, also sind sie während der Schulzeit versorgt“, widersprach die ältere Frau. „Die Zwillinge sind auf der Grundschule. Nur Franco ist zu Hause, aber da er schon zwei ist, kommt er bald in den Kindergarten.“

Kurz nach dem Tod ihrer Mutter hatte Belle das noch genauso gesehen. Sie war ihrer Großmutter sehr dankbar für das großzügige Angebot gewesen, sich um die Kinder zu kümmern, hatte jedoch auch ein schlechtes Gewissen deswegen gehabt. Nachdem sie sich selbst davon überzeugt hatte, wie viel Arbeit auch nur drei Kinder machten, konnte sie das Isa auf keinen Fall zumuten. Sie selbst war erst dreiundzwanzig und fühlte sich trotzdem manchmal völlig überfordert.

Als es an der Hintertür klopfte, zuckten die beiden Frauen erschrocken zusammen. Stirnrunzelnd öffnete Belle die Tür und sah zu ihrer Erleichterung einen guten Freund auf den Stufen stehen. Mark Petrie und Belle waren zusammen zur Schule gegangen.

„Komm rein“, forderte sie den schlanken dunkelhaarigen Mann auf. „Setz dich. Kaffee?“

„Danke, gern.“

„Wie geht es Ihnen, Mark?“, fragte Isa lächelnd.

„Gut. Ich mache mir eher Sorgen um Belle.“ Mark warf Isas Enkelin einen Blick voll unverhüllter männlicher Bewunderung zu. „Hör mal, ich komme direkt zur Sache. Ich habe heute meinen Vater am Telefon gehört. Er muss mit jemandem aus Gaetano Ravellis Familie geredet haben, mit dem ältesten Sohn, glaube ich, Cristo.“

Belle verkrampfte sich beim Klang dieses Namens. Sie stellte Mark einen Becher Kaffee hin. „Wie kommst du darauf?“

„Cristo ist Gaetanos Nachlassverwalter. Er hat meinen Vater über deine Mutter ausgefragt, aber er weiß noch nicht, dass Mary tot ist. Mein Vater ist ja gerade erst von seiner Australienreise zurückgekommen und es hat sich noch niemand die Mühe gemacht, ihn darüber zu informieren“

„Na ja, dein Vater und meine Mutter waren nicht gerade Busenfreunde“, bemerkte Belle trocken. Es hatte im Laufe der Jahre viel böses Blut gegeben zwischen dem Grundstücksverwalter Daniel Petrie und Mary, die als Haushälterin auf Mayhill House gearbeitet hatte. „Warum sollte ihm also jemand davon erzählen?“

Cristo Ravelli, dachte Belle voller Abscheu. Der steife Banker und unglaublich gut aussehende älteste Sohn Gaetanos, den wohl noch niemand je hatte lächeln sehen … Im Laufe der Jahre hatte sie sich oft im Internet über Gaetanos kompliziertes Liebesleben informiert, anfänglich aus Neugier und später, um Antworten auf die Fragen zu bekommen, die ihre arme vertrauensselige Mutter sich nie zu fragen getraut hatte. Sie wusste daher über die Ehefrauen, die Söhne und die skandalösen Affären Bescheid.

Gaetano Ravelli hatte einen enormen Frauenverschleiß gehabt und jede Menge Herzen gebrochen. Geheiratet hatte er jedoch nur reiche Frauen. Belles arme Mutter hatte daher nie eine Chance auf einen Ehering gehabt.

„Anscheinend wollen die Ravellis, dass Gaetanos uneheliche Kinder mit Mary zur Adoption freigegeben werden.“

„Adoption?“, fragte Belle fassungslos.

„Offensichtlich will die Familie damit die ganze Affäre unter den Teppich kehren.“ Mark verzog bedauernd das Gesicht. „Eine Adoption würde peinliche Spuren verwischen.“

„Aber hier geht es um Kinder, die eine Familie und ein Zuhause haben!“, protestierte Belle entsetzt. „Sie gehören zusammen, verdammt noch mal!“

Mark räusperte sich verlegen. „Bist du eigentlich der gesetzliche Vormund der Kinder?“

„Klar. Wer sonst?“

„Aber das hast du nicht schriftlich, oder? Du solltest dir vielleicht einen Anwalt suchen, bevor sich womöglich herausstellt, dass die Gaetanos mehr Entscheidungsbefugnis haben als du.“

„Aber das wäre absolut lächerlich!“, wandte Belle ein. „Gaetano hatte nie etwas mit den Kindern zu tun.“

„Er hat aber zumindest die Schulgebühren der älteren Kinder bezahlt und deiner Mutter das Pförtnerhaus überschrieben“, rief Mark ihr ins Gedächtnis. „Er war vielleicht ein mieser Vater, aber materiell hat er für das Notwendigste gesorgt. Was Gaetanos Söhnen ein größeres Mitspracherecht gewähren könnte als dir, was die Zukunft der Kinder angeht.“

„Aber Gaetano hat keins der Kinder in seinem Testament erwähnt“, wandte Belle ein und hob herausfordernd das Kinn.

„Das spielt keine Rolle. Gesetz ist Gesetz“, erklärte Mark, ganz eifriger Jurastudent.

„Adoption!“ Schockiert ließ Belle sich zurück auf ihren Stuhl sinken. „Das ist ja völlig absurd.“

„Wenn Mary nur lange genug gelebt hätte, um sich darum zu kümmern, dass die Kinder abgesichert sind.“ Isa seufzte niedergeschlagen. „Habe ich als Großmutter der Kinder vielleicht etwas zu sagen?“

„Das bezweifle ich“, wandte Mark ein. „Sie sind ja erst nach Marys Tod in das Pförtnerhaus gezogen, um mit den Kindern zusammenzuleben.“

„Ich könnte ja so tun, als sei ich ihre Mutter“, schlug Belle aus einer plötzlichen Eingebung heraus vor.

„Wie bitte?“ Isa starrte ihre Enkelin verdutzt an. „Mach dich nicht lächerlich, Belle!“

„Wieso lächerlich? Cristo Ravelli hat keine Ahnung von Mums Tod. Solange er glaubt, dass sie noch am Leben ist, wird er sich bestimmt nicht in unsere Lebensverhältnisse einmischen.“ Belle sah ihre Großmutter triumphierend an.

„Niemals kannst du eine Frau in den Vierzigern spielen!“, protestierte Mark.

Belle überlegte fieberhaft. „Ich brauche vielleicht nicht ganz so alt auszusehen. Nur alt genug, um einen fünfzehnjährigen Sohn zu haben. Ich könnte locker Anfang dreißig sein.“

„Ein solcher Betrugsversuch ist viel zu riskant“, wandte Isa ein. „Cristo Ravelli würde die Wahrheit bestimmt irgendwann herausfinden.“

„Wie denn? Als ein Ravelli wird er bestimmt nicht im Dorf herumlaufen und neugierige Fragen stellen. Er hätte keinen Grund, meine Identität in Frage zu stellen. Ich stecke mir einfach das Haar hoch und benutze viel Make-up. Dann klappt das bestimmt.“

„Belle, ich weiß ja, dass du zu jedem Schabernack aufgelegt bist, aber das wäre schwerwiegender Betrug. Ich würde mir das an deiner Stelle gut überlegen“, wandte Mark ein.

Die Küchentür ging auf, und ein am Daumen lutschender kleiner Junge mit schwarzen Locken kam herein. Er kletterte seiner ältesten Schwester auf den Schoß. „Müde“, sagte er. „Arm.“

Belle drückte ihren jüngsten Halbbruder zärtlich an sich. „Ich bringe ihn nach oben und lege ihn ins Bett“, flüsterte sie, hob ihn hoch und stand mühsam auf. Der Kleine war ganz schön schwer.

Oben legte Belle den kleinen Franco in das neben ihrem Bett stehende Gitterbettchen und blieb für einen Moment vor dem Fenster stehen, von dem aus man einen malerischen Blick auf das georgianische Herrenhaus und den weitläufigen Park Mayhills hatte.

Belle war erst acht Jahre alt gewesen, als die frisch verwitwete Mary bei Gaetano Ravelli als Haushälterin angefangen hatte.

Belles Vater war ein Trinker gewesen, der unter Alkoholeinfluss gewalttätig geworden war. Eines Tages war er in betrunkenem Zustand vor ein Auto gelaufen. Nur wenige Menschen hatten um ihn getrauert, zuallerletzt Belle, die in ständiger Angst vor den Wutanfällen und den Fäusten ihres Vaters gelebt hatte. Mutter und Tochter hatten auf ein neues und schönes Leben gehofft, als Mary Haushälterin geworden war. Doch leider hatte Mary sich unsterblich in ihren neuen Chef verliebt – und sich ihren Ruf spätestens mit der Geburt von Belles erstem Halbbruder Bruno hoffnungslos ruiniert.

Jemand wie Cristo Ravelli hatte bestimmt keine Ahnung, unter welchen Umständen die weniger Privilegierten lebten. Er sah fantastisch aus, war hochintelligent und schon fast obszön erfolgreich. Als Sohn einer sehr reichen italienischen Prinzessin war er praktisch mit dem Silberlöffel im Mund geboren worden. Sein Stiefvater war ein ungarischer Bankier, sein Zuhause ein venezianischer Palast, und er war nur auf die besten Schulen gegangen.

Kein Wunder, dass ihm der Erfolg nur so aus den Poren strömte. Schließlich hatte er keine Ahnung, wie es war, ständig gedemütigt, ignoriert oder gehänselt zu werden. Belle konnte wetten, dass er sich nie für seine Abstammung hatte entschuldigen müssen.

Das Einzige, was er auszustehen gehabt hatte, mochte sein Vater Gaetano gewesen sein, der pädagogisch eine Katastrophe gewesen war. Bruno zum Beispiel war erst dreizehn gewesen, als Gaetano ihn beschuldigt hatte, schwul zu sein. Bruno hatte ihm erzählt, Maler werden zu wollen, und für Gaetano waren alle Künstler homosexuell. Belles kleiner Bruder hatte so darunter gelitten, dass er versucht hatte, sich das Leben zu nehmen.

Belle lief noch jetzt ein Schauer bei der Vorstellung über den Rücken, ihn um ein Haar für immer verloren zu haben. Vor allem Bruno brauchte die Unterstützung seiner Familie. Belle würde alles dafür tun, dass ihre Geschwister zusammenbleiben konnten.

Mark brach gerade auf, als sie wieder nach unten kam. „Du hast das doch nicht ernst gemeint, dass du dich als Mary ausgeben willst, oder?“, fragte er, als Belle ihn zur Tür brachte.

Sie straffte entschlossen die Schultern. „Doch, wenn das die einzige Möglichkeit ist, die Familie zusammenzuhalten!“

Der Abend dämmerte bereits, als Cristo seinen Wagen in die lange Zufahrt von Mayhill House lenkte. Er war bisher noch nie in Gaetanos irischem Schlupfwinkel gewesen.

Als er vor dem Haus bremste, sah er eine junge Frau mit einem Hund über den weitläufigen Rasen gehen. Cristo runzelte missbilligend die Stirn. Er mochte keine unbefugten Eindringlinge. Doch den Bruchteil einer Sekunde später ertappte er sich dabei, ihre rote Lockenmähne und ihr hübsches herzförmiges Gesicht fasziniert anzustarren. Ihr loses Oberteil umspielte üppige Brüste, und ihre hautenge Jeansshorts betonte ihre langen schönen Beine und ihren knackigen Po. Der Anblick der schönen Unbekannten verschlug ihm förmlich den Atem. Zu seiner Bestürzung spürte er, wie seine Lenden sich regten.

Er biss die Zähne zusammen. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal mit einer Frau geschlafen hatte. Seine Arbeit war ihm wichtiger als Sex, denn sie gab ihm Energie, während Sex für ihn nur ein Mittel zum Stressabbau war.

Irritiert schloss Cristo die schwere Eingangstür auf und stieg über einen Stapel unberührter Post in die große, mit schwarz-weißen Fliesen im Schachbrettmuster bedeckte Eingangshalle. Eine dünne Staubschicht lag auf den Möbeln, was darauf schließen ließ, dass das Haus nicht bewohnt war. Cristo war überrascht. Irgendwie hatte er damit gerechnet, dass Mary Brophy sich mit ihren fünf Kindern bereits hier eingenistet hatte.

Langsam schlenderte er durch die verlassenen Räume und landete schließlich in der Küche, wo sein Blick auf den offen stehenden leeren Kühlschrank fiel. Missbilligend verzog er das Gesicht. Einer der Knöpfe des Wandtelefons war mit dem Etikett „Haushälterin“ versehen. Er nahm den Hörer ab und presste ihn mit unnötiger Heftigkeit.

„Ja?“, hörte er nach einer Weile eine weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung, als er die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, jemanden zu erreichen.

„Hier ist Cristo Ravelli. Ich bin im Haus. Warum wurde hier nichts für meine Ankunft vorbereitet?“, fragte er barsch.

Belle am anderen Ende der Leitung stellten sich beim Klang seiner ungeduldigen Stimme sämtliche Nackenhaare auf. Ihre grünen Augen blitzten wütend auf. „Vielleicht liegt das ja daran, dass die Haushälterin seit Mr Ravellis Absturz mit dem Hubschrauber kein Gehalt mehr bekommen hat.“

Cristo war nicht an freche Antworten gewöhnt und presste gereizt die Lippen zusammen. „Ich habe diese Anordnung nicht erteilt.“

„Tja, das macht keinen Unterschied. Niemand arbeitet gern umsonst“, gab Belle zurück.

Cristo unterdrückte einen Fluch. Er war hungrig und müde und nicht in der Stimmung für eine Auseinandersetzung. „Ich nehme an, Sie sind die Haushälterin?“

Jetzt kam der Moment der Wahrheit. Belle zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, aber nur, bis sie ihre Geschwister vor ihrem inneren Auge in einem Waisenhaus sah. „Äh … ja“, antwortete sie nervös.

„Dann machen Sie, dass Sie herkommen und Ihren Job erledigen. Ich verspreche Ihnen, dass ich Sie gut bezahlen werde. Ich brauche etwas zu essen, ein Bett …“

„Es gibt mehrere Läden im Dorf. Sie müssten auf dem Weg zum Haus an einigen vorbeigekommen sein“, protestierte Belle.

„Diese Aufgaben übertrage ich gerne Ihnen“, erklärte Cristo glatt, bevor er den Hörer auflegte. Ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, die dummdreiste Haushälterin an ihre Pflichten zu erinnern? Aber da er nur zwei Tage bleiben wollte, bevor er das Haus zum Verkauf anbot, brauchte er sich über sie nicht den Kopf zerbrechen.

Belle hingegen war nach dem Telefonat weitaus weniger gelassen als Cristo. Jetzt oder nie. Sie konnte sich nicht als Marys Tochter ausgeben und dann plötzlich ihre Meinung ändern. Entweder sie zog das jetzt durch, oder sie erzählte Cristo Ravelli, dass die Haushälterin und heimliche Geliebte seines Vaters tot war.

Doch als ihr wieder einfiel, welchen Einfluss sie auf das Leben der Kinder haben konnte, wenn sie sich als deren Mutter ausgab, fielen die Zweifel von ihr ab. Hastig ging Belle nach oben, um sich etwas anzuziehen, das sie optisch älter machte.

Sie durchwühlte ihre Garderobe und entschied sich für ihren einzigen Rock, ein langärmeliges T-Shirt und High Heels. Ihre Mutter hatte nie flache Absätze oder Jeans getragen. Nachdem sie sich umgezogen hatte, ging sie ins Badezimmer, kämmte sich das Haar aus dem Gesicht und zog eine Grimasse, als sie ihr blasses Gesicht sah, das sie jünger aussehen ließ, als sie war. Ob sie wirklich älter wirken würde, wenn sie sich das Haar hochsteckte und viel Make-up auftrug? Ihr fielen die Smokey Eyes ein, zu denen eine Freundin sie mal überredet hatte, und holte die Utensilien aus ihrer Make-up-Tasche.

Autor

Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem...
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