Baccara Gold Band 16

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LIEBE AUF DEN ZWEITEN BLICK? von SHARON SALA

Diesmal hat es den notorischen Herzensbrecher selbst erwischt. Tyler ist ganz verrückt nach Amber, die mit Netzstrümpfen, High Heels und hautengem Kleid seine Fantasie anheizt. Doch schon nach ein paar heißen Küssen gibt sie ihm den Laufpass. Was hat er bloß falsch gemacht?

SO BLOND - SO SEXY von DIXIE BROWNING

Blonde Locken, scharfe Kurven, hautenge Jeans: Priss ist supersexy - und in arger Not. Sie braucht dringend eine Unterkunft. Die bietet Jake ihr nur allzu gern - nicht ohne Hintergedanken. Sein Pech, dass er Priss in ihrem aufreizenden Outfit völlig falsch einschätzt …

WIE VERFÜHRE ICH DIESEN MANN? von ELIZABETH BEVARLY

Scharfe Jungs in heißen Posen zeigt die Website, die Miriam - natürlich aus Versehen - angeklickt hat, als Rory Monahan ihr Büro betritt. Den Bildschirm kann sie verbergen. Ihre Lust jedoch nicht: Zu gerne würde sie den attraktiven Professor verführen. Aber wie?


  • Erscheinungstag 29.05.2020
  • Bandnummer 16
  • ISBN / Artikelnummer 9783733726881
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sharon Sala, Dixie Browning, Elizabeth Bevarly

BACCARA GOLD BAND 16

1. KAPITEL

Die Gasse zwischen der Fourth Street und dem Beauregard Boulevard war nicht gerade der beste Ort in Tulip, Georgia, für eine Autopanne.

Tyler Savage lag unter seinem Wagen und fluchte über sein Pech und das schwache Licht. Und weil er sich so darauf konzentrierte, das Leck zu finden, aus dem das Öl tropfte, registrierte er die schnellen Schritte erst, als es fast zu spät war.

Er drehte sich auf die Seite und stellte fest, dass es sich um eine Frau handelte, die die Gasse entlanglief. Aus seiner Position konnte er sie nicht vollständig sehen, aber er bemerkte ihre außerordentlich langen Beine, die in einer grauen Jogginghose steckten, ihre schlanke Figur und ihre Brüste, die bei jedem Schritt verlockend wippten.

Tyler stieß einen anerkennenden Pfiff aus und grinste, als die Frau daraufhin stehen blieb. Doch bevor er unter dem Auto hervorkommen und sich vorstellen konnte, landete ein dicker Öltropfen auf seiner Nase und lief ihm in die Augen.

„Mist!“

Er griff nach einem Lappen und wischte sich Augen und Hände ab, während er unter dem Wagen herausrutschte, doch es war zu spät. Die Frau war verschwunden. Tyler fluchte leise und trat frustriert gegen einen Hinterreifen. Dann trottete er zu Raymond Earl Showalters Haus einige Straßen weiter. Raymond Earl führte die einzige Autowerkstatt in Tulip.

Tyler überlegte, wer die Frau gewesen sein mochte. Sie ähnelte keiner, die er kannte. Falls er sich eben nicht nur etwas eingebildet hatte, war eine neue Frau in der Stadt.

Während Tyler bei Raymond Earl Hilfe suchte, saß Amelia Beauchamp zusammengekauert auf dem Vordersitz von Raelene Stringers altem Wagen und hoffte, dass die Begegnung von vorhin keine Folgen haben würde.

Sie war kurz davor gewesen, aufzufliegen – zum ersten Mal, seit sie ihr Doppelleben führte. Doch am beängstigendsten war die Tatsache, dass es ausgerechnet Tyler Savage war, der sie beinah erwischt hätte.

Amelias Herz schlug immer noch heftig, als sie sich aufrichtete, um ihre Frisur zu richten und Make-up aufzulegen. Bei dieser Tätigkeit, die ihr inzwischen vertraut war, entspannte sie sich langsam.

Tyler Savage war der begehrteste Junggeselle von Tulip und ein großer Herzensbrecher. Dennoch hatte sie schon immer eine Schwäche für ihn gehabt. Dummerweise war sie ganz und gar nicht sein Typ. Amelia seufzte, als sie sich im Spiegel betrachtete. Nein, sie war gewiss nicht Tylers Typ, aber Amber schon. Wenn sie sich nur trauen würde, immer so wie Amber zu sein …

Mitternacht war lange vorüber, als Amelia sich ins Haus ihrer Tanten zurück schlich. Sie verschloss die Tür und seufzte vor Erleichterung.

Eine weitere Nacht voller Heimlichtuerei lag hinter ihr, und ihr blieben nur noch wenige Stunden Schlaf, bis sie wieder aufstehen musste. Als sie die Treppe hinaufging, achtete sie darauf, nicht auf die Stufe treten, die immer knarrte.

Das schöne Gesicht, das Amelia aus dem Spiegel ihrer Frisierkommode anstarrte, hätte ihre Tanten schockiert. Amelia beugte sich vor und nahm die Rubinohrringe ab. Dann bürstete sie ihr dichtes kastanienbraunes Haar und flocht es zu einem Zopf. Schließlich entfernte sie das Make-up. Die verräterischen Abschminktücher spülte sie die Toilette hinunter. In diesem Haus durfte nichts an Amber erinnern. Hier lebte Amelia.

Als sie den Jogginganzug auszog und hinten in ihren Schrank stopfte, hörte sie draußen eine Eule rufen – die einzige Zeugin ihres Doppellebens. Amelia zog ihr Nachthemd an und genoss den vertrauten Stoff auf ihrer Haut, der sich so sehr von dem roten Satin unterschied, den sie als Amber bei der Arbeit trug.

Sobald ihr Kopf das Kissen berührte, fielen ihr die Augen zu. Sie seufzte noch und schlief tief und fest, bis sie Tante Wilheminas Stimme am Morgen hörte.

„Amelia! Zeit zum Aufstehen! Du kommst zu spät zur Arbeit.“

Amelia stöhnte und rollte sich aus dem Bett. Es war ihre eigene Schuld, dass sie sich so schlecht fühlte, doch wenn ihr Plan funktionierte, war es das wert.

Als sie damals zu ihren Tanten Wilhemina und Rosemary Beauchamp gekommen war, war sie ein dünnes, zu groß geratenes neunjähriges Mädchen gewesen. Die beiden Tanten waren ihre einzigen lebenden Verwandten, nachdem ihre Eltern bei einem Erdbeben in Mexiko ums Leben gekommen waren, wo sie als Missionare gearbeitet hatten.

Amelia war daran gewöhnt gewesen, viel herumzureisen und ständig neue Sitten kennenzulernen. Deshalb war es ein Schock für sie, bei ihren altjüngferlichen Tanten zu leben – genauso wie Amelias Ankunft ein Schock für ihre Tanten war. Aber die Beauchamps waren eine zuverlässige Familie. Was notwendig war, wurde getan. Amelia hatte sonst niemanden mehr, also war klar, dass sie blieb. Und so hatten die Tanten begonnen, ihre Nichte zumindest äußerlich in eine jüngere Version ihrer selbst zu verwandeln.

Trotzdem gelang es Amelia, sich ihr offenes Wesen zu bewahren. Während ihrer Zeit auf dem College in Savannah genoss sie sogar eine gewisse Unabhängigkeit. In dieser Zeit führte sie ein relativ normales gesellschaftliches Leben und hatte sogar einen ernsthaften Verehrer, der ihr erhalten blieb, bis sie ihm ihre Tanten vorstellte.

Amelia nahm an, dass er in die Zukunft geblickt und dort nicht bloß eine Ehefrau, sondern auch zwei ältliche Verwandte gesehen hatte, um die er sich würde kümmern müssen. Daraufhin hatte er die Flucht ergriffen.

Nach dieser Enttäuschung war Amelia nach Tulip zurückgekehrt und hatte sich im Laufe der Zeit unbewusst mehr und mehr ihren Tanten angeglichen. Sie hatte angefangen, sich wie sie zu kleiden und benahm sich auch wie sie. Sogar ihre Zukunft hatte sie von ihnen planen lassen.

Die Zeit hatte ihr gebrochenes Herz geheilt. Das Einzige, was sich nicht wiederherstellen ließ, war ihre Jungfräulichkeit. Doch darüber war sie froh. Sie hätte es gehasst, nicht nur eine alte Jungfer zu werden, sondern auch tatsächlich Jungfrau zu sein.

Irgendwann war ihr klar geworden, wie ihr Leben vermutlich aussehen würde in zwanzig, dreißig, sogar in vierzig Jahren. Sie konnte sich sehen, in diesem Haus, in derselben Stadt, mit der immer gleichen unauffälligen Kleidung – und immer allein. Sie liebte ihre Tanten sehr, aber sie hatte keineswegs die Absicht, wie sie zu enden. Sie wollte Abenteuer erleben und Aufregung. Sie wollte aus Tulip wegkönnen, wann immer sie Lust dazu hatte.

Deshalb brauchte sie ein neues Auto, doch das ließ sich vom Gehalt einer Bibliothekarin nicht finanzieren. Für die Beauchamp-Schwestern war der alte blaue Chrysler ausreichend, aber mit einem dreißig Jahre alten Wagen konnte Amelia nicht das Land bereisen.

Amelia war klar, dass ihre Tante erneut rufen würde, wenn sie sich nicht beeilte, also ging sie ins Bad. In Windeseile war sie angezogen, wobei sie ignorierte, dass das beigefarbene Hemdblusenkleid nicht gerade die günstigste Wahl für sie war.

Das Gesicht der letzten Nacht, das ihr eine geheime Freude bereitet hatte, das, mit dem sie gewagt hatte, anders zu sein und zu lachen, hatte sich zusammen mit ihrer Frisur gewandelt. Nun wirkte sie brav und sittsam.

Sie steckte ihr Haar auf, verzichtete völlig auf Make-up und benutzte nur etwas Feuchtigkeitscreme und einen Hauch pinkfarbenen Lippenstift. Zum Schluss setzte sie ihre Hornbrille auf, dann ging sie die Treppe hinunter. Es war Zeit für Miss Amelia, ihren Tag in der Stadtbibliothek zu beginnen.

„Setz dich, Mädchen.“ Wilhemina stellte ihr einen Teller mit frisch gebackenen Brötchen hin.

Amelia schob ihn beiseite. „Danke, Tante Witty, aber ich habe keinen Hunger.“

Wilhemina Beauchamp hob eine Augenbraue. Das genügte. Während Amelia zu essen begann, lächelte sie ihre Tante Rosemary an, die gerade ihre zweite Tasse Kaffee trank und aus dem Fenster starrte.

„Morgen, Tante Rosie“, sagte Amelia mit vollem Mund.

Rosemary blinzelte, als sie so in ihren Tagträumen gestört wurde, dann lächelte sie.

„Man spricht nicht mit vollem Mund“, bemerkte Wilhemina.

„Sei still, Willy!“ Rosemary tätschelte Amelia den Arm und schob ihr das Glas mit der selbst gemachten Pfirsichmarmelade hin. „Lass das Mädchen ausnahmsweise mal in Ruhe essen.“

„Ich sage dir schon seit achtzig Jahren immer wieder, dass ich nicht Willy heiße.“

Rosemary schob die Unterlippe vor. „Aber Amelia nennt dich …“

„Ich weiß. Als sie klein war, war mein Name für sie zu schwer auszusprechen, sodass ich ihr erlaubt habe, ihn abzukürzen. Und außerdem ist es deine Schuld. Sie dachte immer, du würdest mich Witty nennen, nicht Willy. Jetzt ist es zu spät, das noch zu ändern. Alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen.“

Amelia hatte genug, sowohl von den Brötchen als auch vom Streit. „Wir sehen uns heute Abend.“

Während sie zur Bibliothek fuhr, spürte sie einen Anflug von Aufregung. Sie unternahm die ersten Schritte, um ihr Leben zu verändern. Ihre Arbeit als Kellnerin in einem Nachtclub war allerdings eher ein Sprung als ein Schritt. Das Schwierigste daran war für sie, an drei Abenden in der Woche dieses knappe rote Outfit zu tragen, das nur noch wenig der Fantasie überließ. Aber das Geld, das sie auf diese Weise verdienen konnte, war Anreiz genug, um ihre Hemmungen zu überwinden.

Sie summte vor sich hin, während sie die Hauptstraße ansteuerte. Dann parkte sie zwischen zwei Magnolienbäumen, die die Stelle markierten, an der Cuspus Albert Marquiside im Bürgerkrieg eine Horde Yankees aufgehalten hatte.

Vor etwa achtzig Jahren hatten die Marquisides darauf bestanden, einen Gedenkstein aufzustellen. Der war inzwischen längst bemoost, und niemand aus der Familie lebte mehr hier. Ein Gerücht besagte, sie wären alle während der Wirtschaftskrise in den Dreißigerjahren nach Norden gezogen, aber das wollte keiner in Tulip glauben. Ein echter Südstaatler würde eher verhungern, als unter Yankees zu leben.

Tyler Savage bog von der Hauptstraße ab und steuerte auf das Postamt zu. Dank Raymond Earls Hilfe schnurrte der Motor seines Wagens wieder, und im Moment überlegte er, wie viel Dünger er kaufen sollte. Plötzlich wurde er gezwungen, scharf zu bremsen.

Effie Dettenberg war es offensichtlich egal, dass sie mitten auf einer Durchgangsstraße herumlief. Sie trat vor Tylers Wagen und sah ihn böse an. Tyler war sich vollkommen bewusst, dass er als der böse Junge dieser Stadt galt. Deshalb grinste er, zwinkerte Effie zu und fuhr weiter. Was ihm nicht bewusst war, war, dass noch jemand anders ihn beobachtete.

Amelia stapelte die Bücher auf, die sie gerade vom Rückgabetresen geholt hatte, und bemühte sich, den Mann in seinem Wagen draußen auf der Straße nicht anzustarren. Sie wusste ja, dass man so etwas nicht tat, aber Tyler Savage war mehr als einen flüchtigen Blick wert, und sie war immer noch dankbar dafür, dass sie bei ihrer überraschenden Begegnung letzte Nacht unerkannt flüchten konnte.

Tyler war über eins achtzig groß und vermutlich der begehrenswerteste Mann, den Tulip je hervorgebracht hatte. Er hatte schwarzes Haar, das immer zerzaust aussah, blaue Augen, die ständig zu strahlen schienen, selbst wenn sein sexy Mund das nicht tat. Seit Amelia alt genug war, ihn zu bemerken, träumte sie von Tyler Savage.

Nun seufzte sie. Warum mussten die gut aussehenden Männer immer solche Playboys sein? Es war niemand da, der ihr diese Frage hätte beantworten können, und außerdem spielte es sowieso keine Rolle. Männer wie er bemerkten Frauen wie sie gar nicht.

Amelia lächelte Effie Dettenberg zu, die gerade hereinkam. „Guten Morgen, Miss Effie. Sie sind ja früh unterwegs.“

Effie legte eine Hand auf ihre flache Brust, so außer sich, als wäre sie gerade der Hölle entronnen. „Haben Sie ihn gesehen?“

„Wen denn, Miss Effie?“

„Diesen Savage-Jungen! Er hätte mich fast überfahren. Leute wie er sollten nicht frei herumlaufen dürfen.“

Amelia bemühte sich, nicht zu lächeln. Dieser „Junge“ war über dreißig.

„Ich habe auch gesehen, wie er abgebremst hat.“

Effie Dettenberg schnaubte laut. „Trotzdem sollte er nicht frei herumlaufen dürfen bei dem Ruf, den er hat.“ Sie senkte die Stimme und blickte über ihre Schulter, um zu prüfen, ob auch niemand sie hörte. „Sie wissen doch, was man über die Savages sagt.“

Amelia versuchte zu ignorieren, dass ihr Herz einen kleinen Hüpfer machte, aber ohne Erfolg. Was auch immer über Tyler Savage geredet wurde, war für sie von Interesse. „Nein, Ma’am.“

„Man sagt, sie wären früher Schmuggler gewesen. Und …“ Sie atmete tief ein und rückte die Brille auf ihrer Hakennase gerade. „Und sie haben sich mit Indianern eingelassen. Daher ihr pechschwarzes Haar und die ausgeprägten Wangenknochen.“

„Aber Miss Effie, das war vor fast zweihundert Jahren. Ihre christliche Einstellung hindert Sie doch sicher daran, ihm vorzuwerfen, was seine Vorfahren möglicherweise getan haben könnten.“

Effie fummelte an ihrer Handtasche herum und starrte nach draußen auf die Straße, als würde sie erwarten, dass Tyler gleich erschien und sie in die Sümpfe schleppte. Sie war bekannt für ihre lebhafte Fantasie.

„Na ja, vielleicht“, murmelte sie. „Aber Sie können nicht leugnen, dass er ganz schön herumkommt. Denken Sie an meine Worte, Amelia Beauchamp. Halten Sie sich fern von Männern wie ihm. Die machen nur Ärger.“

„Ja, Ma’am.“ Amelia dachte niedergeschlagen, dass Tyler für sie sowieso keine Bedrohung darstellte. Leider. „Kommen Sie, Miss Effie. Ich habe gerade eins dieser Handarbeitsbücher bekommen, die Sie so mögen. Es ist ein hübscher gehäkelter Schal auf dem Umschlag.“

Die Uhr schlug sechs, während Amelia mit ihrer Gabel spielte. Sie hatte weniger als drei Stunden Zeit, um ihre Tanten ins Bett zu schicken und mit Raelene Stringer zum Nachtclub zu fahren. Nun zuckte sie zusammen, weil ihre Gabel auf dem Teller ein lautes Kratzgeräusch verursachte. Ihre Tanten würden einen Schlaganfall bekommen, wenn sie wüssten, dass Amelia nicht nur im selben Etablissement arbeitete wie die „gefallene Frau“ von Tulip, sondern auch noch mit ihr zusammen zur Arbeit fuhr.

Wilhemina verzog ihr Gesicht. „Kratz nicht auf deinem Teller herum! Ich habe dir doch wohl bessere Manieren beigebracht.“

„Ja, Ma’am“, murmelte Amelia und seufzte.

Rosemary schnitt eine Grimasse. „Willy, du ärgerst dich zu viel. Das ist nicht gut für die Verdauung. Ich habe gelesen, dass man von unangenehmen Mahlzeiten tatsächlich Magengeschwüre bekommen kann.“

Wilhemina schnappte nach Luft. „Meine Mahlzeiten sind nie unangenehm!“

„Ich habe nicht behauptet, das Essen wäre es. Ich meinte einfach, dass du manchmal …“

Amelia ging dazwischen. „Vergesst es, alle beide.“

Die Schwestern sahen sich böse an, während Amelia anfing, das Geschirr abzuräumen. „Ich wasche ab. Schaltet schon mal den Fernseher ein. Gleich kommt eure Lieblingssendung.“

Rosemary bekam vor Aufregung rote Wangen. „Oh, ich liebe das ‚Glücksrad‘. Vielleicht kann ich eines Tages mal mitmachen.“

Wilhemina schnaubte. „Mach dich nicht lächerlich! Das ist ein Glücksspiel, und wir spielen nicht. Außerdem ist Kalifornien weit weg. Wir müssten fliegen, und wir fliegen nicht.“

„Willy, ich glaube, du wirst allmählich senil. Erst neulich habe ich gelesen …“

„Ich bin nicht senil“, unterbrach Wilhemina sie. „Und du liest zu viel.“

Amelia sah auf die Uhr, während sie das Geschirr zusammenstellte.

Zwei Stunden später rutschte sie nervös auf ihrem Stuhl herum und fragte sich, ob ihre Tanten wohl jemals schlafen gehen würden. Doch dann erschien zu ihrer Erleichterung Tante Witty in ihrem blauen Bademantel oben an der Treppe. „Amelia, kommst du nicht rauf? Es ist fast halb neun.“

Die Tanten glaubten fest daran, dass man früh ins Bett gehen und früh aufstehen sollte, und sie wichen nie von dieser Routine ab. Amelia biss sich auf die Unterlippe. Sie hasste es zu lügen, aber noch mehr hasste sie es, kein eigenes Auto zu haben.

„Noch nicht, Tante Witty. Ich will erst das Buch zu Ende lesen. Ich bin gerade in einem richtig guten Teil.“

Wilhemina brauchte gar nicht erst nachzusehen, um zu wissen, dass es sich um einen Liebesroman handelte. Die las Amelia am liebsten. „Du musst aufhören, diesen Schund zu lesen. Der bringt dich nur durcheinander.“

Als Tante Wittys Tür zufiel, blickte Amelia wieder auf die Uhr. Dann legte sie das Lesezeichen in das Buch und lief zu dem Schrank im Erdgeschoss, aus dem sie eine kleine Reisetasche und ein Paar Joggingschuhe nahm. Alles, was sie für ihre Arbeit brauchte, war in der Tasche. Sie schaltete das Licht aus und schloss leise die Haustür hinter sich.

Die Straßen waren fast leer. Amelia hoffte, dass sie niemanden traf, dem sie erklären müsste, weshalb sie so seltsam gekleidet war und sich so seltsam benahm, während sie zu dem zwei Blocks entfernten Treffpunkt lief.

Der dunkelgraue Jogginganzug war in der Dunkelheit wie eine Tarnkleidung. Es war Donnerstag, und es war fast Zeit für Amber Champion, im „Old South“ außerhalb von Savannah ihre Arbeit anzutreten. Raelene wartete bereits.

Sie kicherte, als Amelia einstieg. „Ich dachte schon, du kommst nicht.“ Dann schaltete sie die Scheinwerfer ein und startete. Man konnte dem Motor anhören, dass eine Reparatur überfällig war.

Als Amelia den Job bekommen hatte, war ihre Aufregung darüber schnell dahingeschwunden, weil ihr klar geworden war, dass sie ein Problem hatte, denn es fuhren nur wenige Busse zwischen Tulip und Savannah hin und her.

Raelene hatte einen Blick auf die große langbeinige Frau geworfen, die aus dem Büro des Chefs gekommen war, und hätte fast ihr Kaugummi verschluckt. Die Bibliothekarin von Tulip war der letzte Mensch, den sie an diesem Ort erwartet hätte.

Der Nachtclub war sehr beliebt. Viele Männer nahmen an, dass eine Frau, die in so einem Laden arbeitete, zu mehr bereit war, als nur Drinks zu servieren. Raelene machte das nichts aus. Sie hatte auf diese Weise schon viele Freunde gewonnen. Sie kannte Amelia aus der Bibliothek, sagte jedoch keinen Ton, als diese ihr als Amber Champion vorgestellt wurde, sondern bot ihr an, sie im Auto mitzunehmen. Daraus war eine Freundschaft entstanden, die beide noch immer überraschte.

Amelia zuckte zusammen, als der Motor etwas von sich gab, das wie ein Husten klang. Wenn Raelenes Auto auf der Hauptstraße den Geist aufgab, könnte es Komplikationen geben, überlegte sie, denn angeblich saß sie ja zu Hause und war in einen Liebesroman vertieft.

Zu ihrer Erleichterung schien sich der Motor wieder zu erholen, und es wurde Zeit, sich in Amber zu verwandeln. Sie klappte die Sonnenblende herunter, holte ihr Make-up aus der Tasche und ersetzte die Brille durch Kontaktlinsen.

Raelene warf einen neidischen Blick auf Amelias kastanienbraune Locken. „Ich habe mal versucht, diese Haarfarbe hinzukriegen, aber es ist ein Kupferton herausgekommen, der mich an das Bettgestell im Schaufenster von Murphys Möbelladen erinnert hat. Und deine Augen! Du solltest immer Kontaktlinsen tragen. Ich glaube nicht, dass ich vor dir schon mal jemanden getroffen habe, der blaugrüne Augen hatte.“

„Mein Dad hatte welche.“ Amelia machte eine kurze Pause, während Raelene über eine alte Brücke fuhr. Es war schon bei den Schlaglöchern in der Straße schwer genug, Make-up aufzulegen, auf der Brücke war es unmöglich. „Und ich trage eine Brille, weil es einfacher ist. Tante Witty sagt, ich sehe damit professionell aus.“

„Quatsch. Sie verbirgt bloß deine Augen und lässt dich zehn Jahre älter aussehen. Wenn du schon eine Brille brauchst, solltest du dir eine schicke, moderne kaufen. Ich habe ein Foto gesehen …“

Amelia ließ Raelene reden, und bald waren sie am Ziel.

Der Parkplatz füllte sich bereits, was darauf schließen ließ, dass eine Menge los war im Laden.

Amelia steckte ihre Sachen weg und lockerte ihr Haar auf. „Wir sollten uns beeilen. Tony bekommt einen Anfall, wenn wir uns verspäten.“

„Also, Tyler, was denken Sie? Wenn Sie mir Ihre nächste Erdnussernte verkaufen, schneiden Sie auf jeden Fall gut ab.“

Tyler grinste. Seth Hastings verstand sich großartig auf Warentermingeschäfte. Und die Tatsache, dass seinem Vater eine der größten Fabriken der Gegend gehörte, schadete seinem Ruf auch nicht gerade.

„Ja, Seth, ich schätze, ich könnte viel verdienen, außer ich habe eine schlechte Ernte und muss die von jemand anderem kaufen, um meinen Vertrag mit Ihnen zu erfüllen.“

„Sie wissen, dass das nicht passieren wird. Sie sind einer der besten Farmer im ganzen Staat. Sie hatten noch nie eine schlechte Ernte, seit Sie angefangen haben, Hosen mit Reißverschlüssen zu tragen.“

„Ich war zu viele Male zu verdammt nah dran, um das für selbstverständlich zu halten.“ Tyler lehnte sich zurück. „Aber ich werde das Risiko eingehen.“

„In Ordnung.“ Seth grinste. „Das schreit nach einer Feier. Und ich weiß den richtigen Ort dafür. Kennen Sie das ‚Old South‘?“

„Nein, aber ich habe den Eindruck, das wird sich bald ändern.“

Amelia, die nun Amber war, sah in dem schwachen Licht aus, als würde sie glühen. Ihr perfekter Körper steckte in rotem Satin und etwas, das dem Badeanzug der Bademeisterin von Tulips öffentlichem Schwimmbad ähnelte, nur dass Lorna kein schwarzes Netzteil daran hatte, das beim Gehen wippte. Außerdem waren ihre Beine auch nicht so lang wie Amelias, und sie trug keine schwarze Netzstrumpfhose.

Während Amelia zwischen zwei Tischen hindurchging, versuchte sie zu ignorieren, dass sich die Hand eines Mannes auf ihren Oberschenkel legte. „Ich komme gleich zu Ihnen, Sir“, sagte sie.

Er grinste. „Ich warte.“

Sie kämpfte gegen den Drang an, ihm die Drinks auf ihrem Tablett ins Gesicht zu schütten, und ging zum nächsten Tisch weiter.

Seth stieß einen leisen Pfiff aus, während er und Tyler sich an einen Tisch in einer dunklen Ecke des Clubs setzten. „Wow.“

Tyler folgte seinem Blick und grinste, als er die Frau in Rot sah, ihre langen Beine, das wippende Netzteil – und dann stockte ihm der Atem. Er beobachtete, wie sie mit einer unangenehmen Situation fertigwurde, eine Bestellung aufnahm und grapschenden Händen auswich, ohne ihr Lächeln zu verlieren.

Zu seinem Entsetzen hatte er plötzlich das Gefühl, um ihn herum würde sich alles drehen, und er hielt sich am Tisch fest, damit die Welt wieder in Ordnung kam. Es wäre schrecklich gewesen, wenn er in Ohnmacht gefallen wäre, ohne je den Namen dieser Frau erfahren zu haben. Sie erregte ihn so sehr, dass er unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her rutschen musste. So stark und so schnell hatte er nicht mehr auf eine Frau reagiert, seit an seinem sechzehnten Geburtstag Kissy Beth Syler vor seinen Augen nackt ins Wasser gesprungen war. Seitdem hatte er eine Menge für kleine Seen übrig, denn das war eine denkwürdige Art für einen Jungen gewesen, seine Unschuld zu verlieren.

„Was für ein Klasseweib“, murmelte Seth.

Tyler fand, dass dieses Wort es nicht mal annähernd traf.

Dann grinste Seth. „Großartig, sie kommt hierher. Wir sitzen an einem ihrer Tische.“

„Was hätten Sie denn gern?“

Amelia stand mit Block und Stift da und starrte auf einen Punkt links von den Männern. Sie sah den Gästen nie direkt in die Augen. Das war ihre Art, einigermaßen anonym zu bleiben. Aber sie hätte sich gar keine Mühe zu geben brauchen. Als Amber war sie von ihrem Image als brave Bibliothekarin so weit entfernt wie ein Diamant von Kohlenstoff.

Der Mann, der mit dem Rücken zur Wand saß, murmelte etwas Unverständliches und zwang Amelia auf diese Weise, ihn doch anzusehen. Sofort begann ihr Herz wild zu klopfen.

Ihre Blicke trafen sich. Tyler sah in Augen, die so grün waren, dass sie ihn an tiefe Bergseen erinnerten. Er blinzelte. Vielleicht waren sie aber auch blau. Er hätte schwören können, den Himmel in ihnen sehen zu können. Nun bemerkte er, dass die Frau unter ihrem Make-up blass geworden war. Sie öffnete den Mund ein bisschen, sodass er ihre weißen Zähne erkennen konnte, und es sah aus, als wollte sie sich auf die Unterlippe beißen.

Amelia stöhnte innerlich. Lieber Himmel, dachte sie. Ich wusste, dass das irgendwann geschehen würde. Was soll ich jetzt bloß tun? Wenn er das in Tulip herumerzählt, bin ich ruiniert!

Da war er, der Mann ihrer Träume, und sie musste gegen den Drang ankämpfen davonzulaufen. In diesem Moment begann die Band mit einer Jazznummer, die es ihr fast unmöglich machte, etwas zu verstehen. Sie beugte sich vor.

„Entschuldigen Sie, Sir, aber ich habe Ihre Bestellung nicht verstanden. Was hätten Sie gern?“

Beide Männer bekamen einen überdurchschnittlich guten Einblick in den Ausschnitt ihres trägerlosen Oberteils.

Tyler schien es, als schwankte der Raum. Er spürte das starke Bedürfnis, diese Frau auf den Tisch zu ziehen, ihr das rote Trikot abzusteifen. Und zu seinem Entsetzen sprach er das auch aus: „Was ich möchte? Sie!“

Lieber Himmel, hatte er das wirklich gesagt? „Äh, ich meinte … Entschuldigen Sie. Seth, bestellen Sie etwas. Ich muss … Wo ist …“

Amelia war erleichtert. Er hatte sie nicht erkannt. „Die erste Tür links im Flur.“

Tyler spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, obwohl es eine andere Körperstelle gab, die die Abkühlung wesentlich nötiger gehabt hätte. Dann trocknete er sich mit Papiertüchern ab.

Was zur Hölle ist da gerade mit mir passiert? fragte er sich.

Sein Spiegelbild konnte ihm auch keine Antwort geben. Er warf die Papiertücher in den Korb und ging langsam zurück.

Seth schob ihm ein großes Glas Cola hin. „Geht es Ihnen gut? Ich dachte nicht, dass Sie was Alkoholisches gebrauchen könnten. Sie haben ausgesehen, als würde Ihnen gleich schlecht werden.“

Tyler wollte nicht zugeben, wie sehr ihn diese Frau erschüttert hatte. „Ich bin okay. Ich weiß gar nicht, was …“

Aus dem Augenwinkel bemerkte er schwarze Spitze. Parfüm stieg ihm in die Nase.

Amelia stellte eine kleine Schale Erdnüsse auf den Tisch.

Als ihr Arm in Tylers Sichtfeld kam, zuckte er zusammen, als hätte jemand auf ihn geschossen.

Amelia beugte sich noch einmal vor. „Es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken“, sagte sie laut, um die Musik zu übertönen.

Tyler starrte sie an, verlor sich wieder in diesen blaugrünen Augen und der Wolke aus kastanienbraunen Locken. Wenn sie sich jetzt wieder auf die Unterlippe beißen sollte, würde er in ernsthafte Schwierigkeiten geraten.

„Das ist schon in Ordnung, Miss …“ Seth Hastings lächelte sie an und wartete.

Sie tat ihm den Gefallen.

„Mein Name ist Amber. Möchten Sie sonst noch etwas?“

Tyler griff nach ihrem Arm. „Ja.“

Er umschloss ihr Handgelenk fester mit den Fingern. Amelia wartete und spürte Panik in sich aufsteigen. Was war, wenn er sie nun doch …

Und dann rief er ihr ins Ohr: „Bringen Sie mir ein paar Nüsse.“

Seths Grinsen wurde breiter, und das half Tyler nicht gerade, wieder zu Verstand zu kommen.

Amelia schob die Schale, die sie gerade gebracht hatte, dichter an Tyler heran.

Er starrte auf die gesalzenen Nüsse und ließ ihr Handgelenk widerstrebend los. „Danke.“

Seth verdrehte die Augen.

„Möchten Sie sonst noch etwas?“, fragte Amelia und hatte fast Angst vor der Antwort.

„Falls ja, rufen wir“, sagte Seth. „Und danke, Amber. Sie sind ein Schatz.“

Tyler griff nach seinem Glas und leerte es in einem Zug. Dabei beobachtete er, wie dieses Netzding an Ambers Kostüm aufreizend wippte, während sie wegging.

Seth grinste. „Eine alte Freundin?“

„Ich wünschte, es wäre so.“ Dann grinste Tyler zurück. „Halten Sie einfach den Mund, Seth. Ich habe den Vertrag noch nicht unterschrieben. Wenn Sie so weitermachen, tue ich es vielleicht nicht.“

Seth griff nach der Schale mit den Nüssen. „Hier, Tyler, nehmen Sie eine Erdnuss.“

2. KAPITEL

Es war fast Zeit zu schließen, und Amelia dachte, dass ihr dieser Abend endlos lang vorgekommen war. Seit sie ihr Doppelleben führte, war dies das erste Mal, dass jemand sie fast erkannt hätte.

Sie zupfte das Oberteil ihres hautengen Trikots zurecht, legte ihr Trinkgeld auf die Bar und zählte es. Zumindest ein Gutes hatte dieser ganze Stress: Bald würde sie sich einen eigenen Wagen leisten können.

Am anderen Ende des Tresens zählte Raelene ihr Trinkgeld, während die anderen Angestellten mit dem Saubermachen begannen.

Plötzlich hörte Amelia eine Stimme direkt hinter sich und zuckte zusammen. Ihr Trikot verrutschte ein bisschen, als sie herumwirbelte. Mit der einen Hand hielt sie es fest, mit der anderen umklammerte sie einige Dollarscheine.

Vor ihr stand Tyler Savage. Er beugte sich vor und schob ihr einen Dollarschein in den Ausschnitt. „Den haben Sie fallen lassen“, erklärte er.

Amelia schnappte nach Luft und zog den Schein wieder heraus. „Danke“, murmelte sie. Dann drehte sie sich um, damit Tyler ihr nicht direkt ins Gesicht sehen konnte.

„Amber …“

Ihr Herzschlag setzte für einen Moment aus. Seine Stimme war so erotisch.

„Ja?“ Sie steckte das Geld in ihre Tasche und dachte dabei, dass sie so schnell wie möglich von Tyler wegmusste.

„Würden Sie irgendwann mit mir ausgehen? Vielleicht zum Dinner oder ins Kino oder Tanzen, was immer Sie wollen.“ Tyler wartete gespannt auf ihre Antwort. Nachdem Seth gegangen war, hatte er Amber eine Stunde lang beobachtet. Aus irgendeinem Grund kam sie ihm nicht wie eine Fremde vor, obwohl er doch wusste, dass er sie vorher noch nie gesehen hatte.

Amelia geriet in Panik. Was sollte sie tun? All die Jahre hatte Tyler sie vollkommen ignoriert, und nun bemerkte er sie plötzlich. Doch dann wurde ihr klar, dass er ja nicht wirklich sie um eine Verabredung gebeten hatte, sondern Amber. Das war ernüchternd.

„Wir kennen uns doch gar nicht“, murmelte sie, während sie den Rest des Trinkgeldes einsteckte. „Ich glaube kaum, dass eine Verabredung angebracht wäre.“

Tyler konnte es nicht fassen. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit, dass Amber sich Gedanken darüber machte, was angebracht war oder nicht. Seiner Erfahrung nach taten Nachtclubkellnerinnen das nicht.

Er beugte sich so weit vor, dass er sie fast berührte. „Wir würden uns sehr viel besser kennenlernen, wenn Sie mit mir ausgehen würden.“

Amelia stöhnte. Seine Stimme war genauso verlockend wie er selbst. Aber wenn sie mit ihm ausging, würde er womöglich Verdacht schöpfen, und dann war sie erledigt. „Vielen Dank, aber ich halte das für keine gute Idee.“

Tyler spürte ihren Atem, und es gelang ihm nicht, sich auf ihre Worte zu konzentrieren. Dann wandte sie sich ab.

„Heißt das Nein?“

Sie musste lächeln. „Es bedeutet, was ich gerade gesagt habe. Es ist keine gute Idee.“

„Mein Name ist Tyler Savage. Und ich bin richtig gut darin, Leute zu überreden, ihre Meinung zu ändern.“

Er streckte eine Hand aus und strich Amelia sanft eine Locke aus dem Gesicht.

Amelia hielt den Atem an, als seine Finger ihre Schläfe berührten. Sie hatte Angst, er würde es nicht dabei belassen, und gleichzeitig hatte sie Angst, sie würde nicht den Mut aufbringen, noch einmal Nein zu sagen.

Tyler hätte sie zu gern umarmt. Dieser verlorene Blick, mit dem sie ihn hin und wieder streifte, war zu viel für ihn. So selbstsicher Amber auch wirkte, er spürte doch, dass Unsicherheit und Angst die wahren Gründe für ihr Verhalten waren.

„Okay, Sie haben gewonnen. Diesmal. Aber ich komme wieder, und dann will ich eine bessere Entschuldigung hören.“

Amelia seufzte, als er wegging.

„Warum hast du ihn denn abgewiesen?“, fragte Raelene. „Du weißt doch, was man über ihn sagt, oder?“

„Wen?“ Amelia wollte so tun, als wäre sie Tyler gerade zum ersten Mal begegnet. Sie konnte unmöglich zugeben, dass sie seit ungefähr acht Jahren von ihm träumte.

Raelene dachte, dass sie diese Frau nie verstehen würde. Schließlich wusste sie sehr gut, wer Amber war und dass sie Tyler kannte. Er hatte schließlich sein ganzes Leben in Tulip verbracht.

„Tyler Savage. Er ist ein toller Kerl, und falls die Geschichten über ihn stimmen, auch ein fantastischer Liebhaber.“

Amelia wünschte sich, sie wäre fähig, sich selbst in den Hintern zu treten. „Oh, das habe ich alles gehört, aber selbst wenn es stimmt, was soll’s? Er wäre nicht an mir interessiert.“ Sie sah Raelene an. „Nicht an meinem wirklichen Ich jedenfalls.“

Raelene grinste. „An deinem wirklichen Ich ist mehr dran, als du zuzugeben bereit bist.“ Sie zog vielsagend ihre Augenbrauen hoch und wiegte sich dabei lasziv in den Hüften.

Amelia lachte und ärgerte sich über sich selbst, weil sie nicht genauso ehrlich wie ihre Freundin sein konnte. Eigentlich wäre sie furchtbar gern mit Tyler ausgegangen trotz der Gefahr, dass er sie erkennen könnte. Außerdem wusste sie, dass sie nicht deswegen abgelehnt hatte. In Wirklichkeit hatte sie Angst. Er war der Typ Mann, der einer Frau im Handumdrehen das Herz stahl.

Raelene tätschelte ihren Arm. „Komm. Machen wir für heute Schluss.“

Kurze Zeit später waren sie in Tulip, und Raelene hielt zwei Blocks vom Beauchamp-Haus entfernt.

„Danke fürs Mitnehmen“, sagte Amelia. „Wir sehen uns morgen.“

Raelene gähnte. „Schatz, es ist bereits morgen.“

„Das ist wahr.“ Amelia stieg aus und ging durch die dunklen Gassen nach Hause.

Sie seufzte vor Erleichterung, als sie die Tür hinter sich abschloss. Doch ihr Gewissen ließ nicht zu, dass sie zur Ruhe kam. Einen Moment lang hatte sie geglaubt, es wäre vorbei mit ihrer Heimlichtuerei. Dank ihrer Verkleidung hatte der Mann, von dem sie seit Jahren träumte, sie um ein Rendezvous gebeten, und sie hatte abgelehnt.

Er hat nicht wirklich mich gefragt, dachte Amelia resigniert. Er hat diese verdammte Amber gefragt.

Es kam ihr gar nicht in den Sinn, wie absurd es war, auf sich selbst eifersüchtig zu sein. Dazu war sie zu frustriert und zu müde. Außerdem befürchtete sie, sie könnte krank werden, denn es nagte so ein seltsamer Schmerz in ihr.

Tyler zog ein paar Erdnusspflanzen aus dem Boden und untersuchte die Unterseite der Blätter. Dann blickte er zum Himmel auf und hielt nach Anzeichen für den angekündigten Regen Ausschau.

Er ging die Reihen ab, ohne darauf zu achten, dass er dabei von der automatischen Bewässerung durchnässt wurde. Zum ersten Mal in seinem Leben empfand er keine Befriedigung bei dem Gedanken, dass das, was da wuchs, ihm gutes Geld einbringen würde. Er konnte nur an das „Old South“ denken und an die Frau namens Amber.

„Hey, Boss“, rief ein Mann. „Wollen Sie, dass wir die Sprinkleranlage abschalten?“

Tyler blickte überrascht auf. Einen Moment lang hatte er tatsächlich vergessen, wo er war. „Das können Sie ebenso gut tun“, sagte er, nachdem er die Gewitterwolken am Himmel bemerkt hatte.

„Sie sind der Boss“, sagte Elmer und schaltete ab.

„Schöner Boss“, murmelte Tyler. „Ich bin ja kaum bei Verstand.“

„Was haben Sie gesagt?“, fragte Elmer.

Tyler lachte. „Achten Sie nicht drauf. Ich rede bloß mit mir selbst.“

Elmer lachte ebenfalls. „Ja, das kommt bei Farmern vor. Aber ich sage Ihnen, was Ihnen fehlt. Sie brauchen eine Frau.“

Als Tyler grinste, hob Elmer die Hände. „Nicht diese Art. Eine, die sie mit nach Hause nehmen. Sie sind jetzt über dreißig und immer noch allein. Verdammt, Mann, Sie müssen aus dem Verkehr gezogen werden. Ich habe eine Tochter, die jedes Mal hysterisch kichert, wenn Sie vorbeifahren. Und ich würde Ihnen ungern den Hintern versohlen müssen, wenn meine Tochter einundzwanzig wird. Sie brauchen endlich eine feste Beziehung.“

Unwillkürlich sah Tyler eine große, gut gebaute Frau in einem engen roten Kostüm vor sich. An Elmer Tollivers mondgesichtiger Tochter war er mit Sicherheit nicht interessiert. Er wusste schon, wen er wollte. Er musste bloß noch einen Weg finden, Amber umzustimmen.

Raelene gab Amelia einen Stoß in die Rippen. „Sieh dir das an! Du musst den Mann von seinem Elend erlösen. Das wievielte Mal ist er jetzt da? Das vierte oder fünfte?“

Amelia versuchte zu ignorieren, wie sehr ihr Herzschlag sich beschleunigte, immer wenn sie an Tyler dachte.

„Das sechste“, murmelte sie. „Und wieder sitzt er an einem meiner Tische.“

Raelene lachte. „Was glaubst du, warum er herkommt? Er sitzt den ganzen Abend allein da und beobachtet dich. Jetzt geh hin und gib ihm etwas, an das er sich später erinnern kann.“

Amelia versuchte, ihre Hüften nicht zu sehr zu schwingen, als sie hinüberging, um Tylers Bestellung aufzunehmen. „Was soll es denn sein?“

„Sie wissen, was ich will“, antwortete er leise. „Aber in der Zwischenzeit können Sie mir eine Cola bringen.“

„Cola bekommen Sie an jeder Ecke.“

„Aber da ist die Bedienung nicht annähernd so hübsch. Ich habe etwas übrig für dieses hautenge, glänzend rote …“

Amelia steuerte bereits auf die Bar zu.

Es tat ihr weh, wie Tyler mit ihr flirtete. Sein Ton bewirkte, dass sich etwas in ihr rührte, das sie seit Jahren zu verdrängen versuchte. Seine Blicke riefen Reaktionen ihres Körpers hervor, die ihr peinlich waren. Sie fand allmählich nicht mehr die Kraft, ihm zu widerstehen, und das wussten sie beide.

Sie knallte ihr Tablett auf den Tresen und brüllte fast, als sie ihre Bestellung aufgab. Der Barkeeper holte eilig das Gewünschte. Amelia stützte ihren Kopf in die Hände und schloss die Augen.

„Tut mir leid“, sagte sie, als ihr Kollege die Drinks auf ihr Tablett stellte. „Es war eine lange Woche.“

Er nickte und lächelte.

Amelia nahm ihr Tablett, dann drehte sie sich um und starrte durch den schwach beleuchteten Raum zu Tylers Tisch hinüber. „Das reicht jetzt! Er macht mich verrückt. Ich werde dem ein Ende setzen – sofort.“

Mit hocherhobenem Tablett durchquerte sie den Raum, wich grapschenden Händen aus, servierte Drinks und wartete mit Tylers Drink bis zuletzt.

„Hier ist Ihre Cola“, erklärte sie. „Und Sie haben gewonnen.“

Ihm stockte der Atem. „Ich habe gewonnen?“

Amelia sah ihn böse an. „Sie wissen, was ich meine. Tun Sie nicht so.“ Sie beugte sich vor.

Er schob sein Glas beiseite und stand auf. Ihre Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt.

„Wann?“

Amelia verdrehte die Augen und hielt das Tablett unbewusst wie einen Schild vor ihre Brüste. „Je eher, desto besser. Vielleicht kommen Sie dann endlich darüber hinweg.“ Sie dachte, dass vermutlich eher sie hinterher Probleme damit haben würde, darüber hinwegzukommen.

„Wie wäre es mit morgen Abend?“

Amelia dachte einen Moment nach und nickte dann. Sie wollte weggehen, doch Tyler hielt sie zurück.

„Amber?“

Sie drehte sich wieder um.

„Ich habe ein kleines Problem.“

Sie wartete.

„Ich weiß Ihren Nachnamen nicht – und auch nicht, wo Sie wohnen.“

Lieber Himmel, dachte sie. „Äh … Champion“, improvisierte sie. „Und machen Sie sich nicht die Mühe, mich abzuholen. Wir treffen uns hier gegen neun.“

„So spät?“ Tyler hatte sich mehr erhofft.

„Das oder gar nichts. Ich habe zwei Jobs und kann unmöglich früher kommen.“

„Einverstanden“, sagte er leise. „Ich will Sie, wo und wann auch immer.“

„Na gut. Und jetzt muss ich arbeiten.“

Er griff nach ihren Schultern, ließ die Hände einen Moment lang dort und strich dann sanft an ihren Armen entlang. „Es wird Ihnen nicht leidtun, Amber.“

Das tut es bereits, dachte Amelia, doch dann lächelte sie. Ihr ganzes Leben hatte ihr immer etwas leidgetan. Was war los mit ihr? Sie wollte ihr Leben doch ändern. Und eine Verabredung mit Tyler Savage war ein guter Anfang. Sie beruhigte sich mit dem Gedanken, dass er sie, wenn er sie bis jetzt nicht erkannt hatte, wohl auch weiterhin nicht erkennen würde.

Tyler wunderte sich über das seltsame kleine Lächeln auf Ambers Lippen. Sein Puls beschleunigte sich, als er beobachtete, wie sie wegging. Er hatte das Gefühl, dass morgen der beste Abend seines Lebens werden würde.

„Amelia!“

Amelia lief die Treppe hinunter und ins Esszimmer. „Ja, Tante Witty?“

„Renn nicht. Brüll nicht. Das Frühstück ist fertig. Du bist spät dran.“

Wilhemina schob ihr einen erwärmten Teller hin. Sie verzog das Gesicht, als sie Amelias hellrosa Bluse bemerkte. Durch diese Farbe wurden die roten Wangen ihrer Nichte noch betont. Eine Frau durfte nicht auffallen. Das war nicht damenhaft.

Rosemary setzte sich neben Amelia. „Du siehst aber heute hübsch aus, Liebes. Du erinnerst mich an mich selbst, als ich noch ein junges Mädchen war. Ich hatte eine Menge Verehrer. Ich weiß noch …“

„Ruhig, Rosemary“, unterbrach Wilhemina sie scharf. „Du setzt dem Mädchen noch Flausen in den Kopf.“

Amelia unterdrückte ein Lächeln. Sie war neunundzwanzig Jahre alt, nicht neun. Und was Flausen anging – die hatte Tyler Savage ihr bereits reichlich in den Kopf gesetzt.

„Ich wette, ihr hattet beide einige Verehrer“, sagte sie diplomatisch.

Es überraschte sie, als Tante Witty rot wurde. Und noch überraschender war es, dass sie lächelte.

Rosemary kicherte. „Oh, Willy, erinnerst du dich an Homer Ledbetter? Er war total in dich verknallt, als du …“

Wilheminas Lächeln erlosch. „Ich erinnere mich gut an Homer. Er ist mit Sissy Manion zum Schulpicknick gegangen statt mit mir. Das habe ich ihm nie verziehen. Immerhin hatte er es mir versprochen.“ Sie verzog ihren Mund. „Lass dir das eine Lehre sein, Amelia. Du kannst Männern nicht vertrauen.“

Rosemary ließ sich nicht beirren. „Homer Ledbetter war noch nicht mal annähernd ein Mann. Außerdem weiß jeder, warum er mit Sissy hingegangen ist. Sie hat die Jungen immer …“

„Rosemary!“

Amelia grinste, während sie den Rest von ihrem Rührei aß.

„Ich muss gehen. Ich wünsche euch einen schönen Tag. Wir sehen uns abends.“

„Jedenfalls …“, fuhr Rosemary fort, als wäre sie nie unterbrochen worden, „… hätte er dich wieder gefragt, wenn du dich nicht so aufgeführt hättest.“

„Vielleicht wollte ich nicht, dass er noch mal fragt“, erklärte Wilhemina.

Das war das Letzte, was Amelia hörte, als sie zum Auto lief. Der alte Chrysler gab Geräusche von sich, die wie das Husten eines Schwerkranken klangen, bevor er schließlich ansprang. Dann fuhr Amelia rückwärts aus der Einfahrt. Sie konnte es kaum erwarten, ihren eigenen Wagen zu haben. Einen, der immer sofort ansprang und mit dem sie weiter fahren konnte als bloß bis zur Bibliothek.

Tyler bremste ab, als er die Stelle erreichte, an der früher das Schild mit der Geschwindigkeitsbegrenzung gestanden hatte. Es war beim letzten Hurrikan vor mehr als fünfzehn Jahren davongeweht worden, aber der Pfosten war noch da, und es verstand sich von selbst, dass man ab hier nicht mehr als fünfunddreißig Meilen pro Stunde fuhr.

Der Wind blies durch die offenen Wagenfenster herein und trocknete Tylers verschwitztes Hemd. Der Regen in der vergangenen Nacht war eine willkommene Abwechslung gewesen, aber tagsüber war die Hitze fast unerträglich. Tyler sah auf die Uhr. Es war fast Mittag, und er war immer noch nicht auf den Feldern gewesen. Eine Reifenpanne an einem Traktor hatte ihn aufgehalten.

Jetzt steuerte er auf die Tankstelle zu. Es würde eine Weile dauern, bis sie dort den platten Reifen in Ordnung gebracht hatten. Da konnte er inzwischen bei „Sherry’s Steak and Soup“ essen. Das war nicht gerade Gourmetkost, aber wesentlich besser als das, was er selbst kochte.

Amelia nahm den Telefonhörer ans andere Ohr, während sie sich über den Tresen beugte und das Schild an der Tür umdrehte, auf dem „Geschlossen“ stand.

„Nein, Tante Witty, es ist meine Schuld, nicht deine. Ich habe vergessen, meinen Lunch mitzunehmen. Und ich weiß, dass ihr beide heute zum Gartenclub müsst. Ich habe bereits beschlossen, im ‚Sherry’s Steak and Soup‘ einen Salat zu essen.“ Sie verdrehte die Augen, während ihre Tante ihr einen Vortrag über die Gefahren von Fast Food und Fett hielt. „Wie ich schon sagte, werde ich einen Salat essen. Und ja, ich achte auf meine Taille.“

Jenny Michaels schob sich einen Stift hinters Ohr. „Hey, Tyler Savage, dich habe ich ja ewig nicht gesehen. Such dir einen Platz. Ich komme sofort.“

„Bring mir einfach das Brathuhn mit allem, was dazugehört.“

Amelia kam zur Seitentür herein und setzte sich auf einen Barhocker. Jenny nahm den Stift vom Ohr.

„Hallo, Amelia. Was hättest du denn gern?“

„Einen Chefsalat“, antwortete Amelia. „Und vergiss nicht …“

Jenny grinste. „Ich weiß. Das gekochte Ei in Viertel geschnitten, kein Schinken. Nur Huhn. Und fettfreies Dressing an der Seite.“

Amelia schnitt eine Grimasse. „Bin ich so ein Gewohnheitsmensch?“

„Ich weiß nicht.“ Jenny zwinkerte. „Bist du das?“

„Bring mir einfach den Salat“, erwiderte Amelia trocken. „Spar dir die Amateurpsychologie für jemanden, der dringender auf die Couch muss als ich.“

Jenny beugte sich vor. „Da wir gerade davon sprechen – da ist jemand, den ich gern mal auf eine Couch ziehen würde.“

Amelia drehte sich um, folgte Jennys Blick und wäre fast vom Barhocker gefallen. Tyler Savage starrte sie beide von der anderen Seite des Raumes her an. Lieber Himmel, dachte Amelia. Was, wenn er … „Reg dich nicht so auf“, sagte sie leise zu sich selbst. „Er weiß gar nichts.“

Jenny verstand das falsch. Sie hob die Augenbrauen. „Da habe ich was anderes gehört. Er weiß eine Menge. Und wenn es nach mir ginge, könnte er mir einiges davon beibringen.“

Tyler rutschte unbehaglich auf seinem Sitz herum. Es war ganz eindeutig, dass die beiden über ihn redeten. Er kannte Jenny, aber wer die Frau auf dem Hocker war, wusste er nicht. Sie kam ihm vertraut vor, doch sie war nicht gerade sein Typ. Ihr Haar war fest hochgesteckt, ihre Brille war völlig unmodern, und Make-up trug sie gar nicht. Und dieses Kleid – so etwas hatte Tylers Mutter immer getragen.

Jenny versetzte Amelia einen Stoß mit dem Ellbogen. „Ich glaube, er hat gemerkt, dass wir über ihn reden.“

„Er müsste blind sein, um das nicht zu merken. Du hast ja sogar auf ihn gezeigt.“

Jenny zuckte mit den Schultern. „Es hat keinen Sinn, zurückhaltend zu sein, glaub mir.“

Amelia senkte den Blick, und hoffte, dass diese Mahlzeit ohne Schwierigkeiten ablaufen würde.

Tyler grinste der Kellnerin zu, als sie ihm das Essen brachte. Es duftete verlockend, und ebenso verlockend war der Gedanke an seine Verabredung am Abend. Tyler konnte es kaum erwarten, Amber abzuholen.

„Brauchen Sie sonst noch etwas?“ Jenny zwinkerte Tyler zu. „Irgendwas?“

Tyler grinste noch breiter. Jennys Art, mit ihm zu flirten, war ganz und gar nicht bedrohlich. Auf so etwas verstand er sich gut. „Wenn ja, werde ich mich bestimmt melden.“

Jenny lächelte und ging weg.

Tyler aß mit großem Appetit. Jenny war nett. Aber sie hatte eindeutig nicht das, was Amber Champion hatte. Dazu gehörten lange Beine, ein enges rotes Trikot und die grünsten Augen, die er je gesehen hatte. Oder waren sie blau? Er versuchte sich zu erinnern, aber es spielte eigentlich keine Rolle, denn nach diesem Abend würde er eine Menge mehr über Amber Champion wissen als nur ihre Augenfarbe.

3. KAPITEL

Es war nicht leicht gewesen, ein Kleid für die Verabredung mit Tyler auszusuchen. Die Verkäuferin hatte Amelia ständig angestarrte, wenn sie eins anprobiert hatte, denn es waren nicht die Hemdblusenkleider, die Amelia gewöhnlich trug.

Amelia betrachtete sich jetzt im Spiegel in ihrem Zimmer. Das Kleid sah sogar noch besser aus als im Laden. Zugegeben, es hatte Ärmel bis zu den Ellbogen, einen Ausschnitt, der nicht viel zeigte, und eine durchschnittliche Länge, aber es war rot. Und eng. Und es war etwas, das Amelia Beauchamp nie tragen würde. Doch sie hatte es ja auch für Amber und deren Verabredung mit Tyler Savage gekauft.

Es würde schwierig sein, so angezogen aus dem Haus zu kommen, aber sie hatte einen Plan. Um Haar und Make-up konnte sie sich in Raelenes Auto kümmern, so, wie sie das immer auf dem Weg zur Arbeit tat. Und sie würde den Regenmantel über das Kleid ziehen.

Im Raum unter ihr quietschte das Bettgestell, und auf der anderen Seite des Flurs ächzte ein Dielenbrett. Amelia seufzte vor Erleichterung. Ihre Tanten waren bereits in ihren Zimmern und würden auch dort bleiben. Routine hatte doch etwas für sich.

Sie betrachtete sich noch mal im Spiegel und bebte fast vor Vorfreude. Jetzt brauchte sie nur noch einen Hauch Parfüm, und dann würde hoffentlich alles so laufen, wie sie es sich erträumt hatte.

Als sie den Regenmantel anzog, stellte sie fest, dass der nicht so viel verhüllte, wie sie gedacht hatte. Ein breiter Streifen des Kleides schaute darunter hervor.

Na ja, wenn sie Glück hatte, würde niemand sie sehen. Sie schnappte sich ihre Schuhe und stieg auf Strümpfen die Treppe hinunter. Erst als sie draußen war und hinter sich abgeschlossen hatte, schlüpfte sie in die schwarzen Pumps mit den hohen Absätzen, die noch aus ihrer College-Zeit stammten.

Effie Dettenberg stand auf der Hintertreppe ihres Hauses und spähte nervös in den Schatten unter den Bäumen. Maurice war noch nicht zu Hause, und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Wenn sie die Polizei anrief, würden die sich ärgern, so wie beim letzten Mal. Aber eine Frau hatte doch Rechte. Sie zahlte Steuern. Wenn sie Hilfe brauchte, musste die Polizei kommen und ihr helfen.

Allerdings hielt die Polizeitruppe von Tulip nicht viel davon, hinter Miss Effies schwarzem Kater herzulaufen. Die Männer hatten ihr Bestes getan, um Miss Effie zu erklären, dass es zu dieser Jahreszeit in der Natur eines Katers lag, sich herumzutreiben. Und es war eine bekannte Tatsache, dass es jedes Jahr eine Menge neugeborene Kätzchen gab, die Maurice sehr ähnlich sahen.

Effie ging in den Garten hinunter und suchte unter den Büschen. „Miez, miez, miez, miez.“

Und dann versagte ihre Stimme, denn sie bemerkte gegenüber Amelia Beauchamp, die gerade aus dem Haus geschlüpft war und nun ihre Schuhe anzog. Effies Herz schlug schneller. Amelia benahm sich wirklich seltsam. Nun sah sie sich nervös um und lief dann in die Gasse neben dem Beauchamp-Grundstück.

Effie schnappte nach Luft und kehrte ins Haus zurück.

Amelia war nicht bewusst, dass jemand sie gesehen hatte. Sie eilte durch die Gasse, um zu Raelene zu gelangen. Zwar wusste sie nicht, was der Abend bringen würde, aber dies war bestimmt besser als die Liebesromane, die sie las. Immerhin erlebte sie jetzt ihre eigene Geschichte.

Während Amelia träumte, stellte Effie ihr Fernglas ein und richtete es auf die Gasse. Dann stieß sie vor Schreck mit dem Kopf gegen den Fensterrahmen.

Amelia Beauchamp trug ein rotes Kleid, und es war so eng, dass sie kaum richtig darin laufen konnte. Effie kaute frustriert auf ihrer Unterlippe herum, als sie nichts mehr erkennen konnte, weil die Magnolienbäume im Garten der Williams ihr die Sicht versperrten.

„Na, so was.“ Sie drehte erregt am Fernglas. „Du meine Güte“, quietschte sie dann und lehnte sich so weit aus dem Fenster, dass ihr das Fernglas aus der Hand rutschte und in die Vogeltränke fiel. Sie starrte in die Tränke und rieb sich die verletzte Stelle am Kopf. „Das hätte ich nie geglaubt, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte.“

An Maurice dachte sie nicht mehr, als sie jetzt auf die Bettkante sank und darüber nachdachte, weshalb Amelia Beauchamp ein enges rotes Kleid trug und einen Mantel, obwohl es doch überhaupt nicht kalt war. Und was noch schlimmer war, Amelia war zu dieser Schlampe Raelene Stringer ins Auto gestiegen.

Da konnte man auf viele Ideen kommen, aber Effie beschloss, vorerst den Mund zu halten über das, was sie gesehen hatte. Immerhin kannte sie Amelia schon, seit sie nach Tulip gekommen war. Sie war ein braves Mädchen und hatte ihren Tanten niemals Sorgen bereitet. Und sie war eine wunderbare Bibliothekarin, die für sie immer die besten Handarbeitsbücher aufhob.

Effie richtete ihr Haar und ging nach draußen, um das Fernglas zu untersuchen. Während sie es aus der Vogeltränke zog, erinnerte sie sich daran, dass Amelia, bevor sie zu Wilhemina und Rosemary gekommen war, in fremden Ländern, wo ganz andere Sitten herrschten, aufgewachsen war. Wer konnte schon wissen, was für schreckliche Dinge das in ihrer Seele angerichtet hatte? Effie schloss die Tür hinter sich ab und kümmerte sich ausnahmsweise mal gar nicht um Maurice, sodass dieser in Ruhe seiner Pflicht als Kater nachkommen konnte.

Tyler blickte noch einmal in den Rückspiegel. So nervös war er bisher nie vor einer Verabredung gewesen. Er schnitt eine Grimasse und glättete sein Haar, während Raelene Stringers Auto hinter seinem hielt.

Sie war da! Die Tür ging auf, und Amber stieg aus dem alten grauen Chevy. Und sie trug das engste Kleid, das Tyler je an einer Frau gesehen hatte. Er wusste nicht, ob er sie einsperren sollte, damit kein anderer Mann sie so sah, oder ob er sie auf seine Motorhaube setzen sollte, wie eine Trophäe. Stolz und Eifersucht kämpften in ihm, und er kam gerade rechtzeitig genug zu Verstand, um Amber entgegenzugehen.

Raelene lächelte, als sie die verklärten Blicke der beiden sah. Sie fand das besser als jede Seifenoper. „Hey, Amber, du weißt, um welche Zeit ich abfahre. Wenn ich dich mitnehmen soll, komm nicht zu spät.“ Dann verschwand sie im Club.

Tyler konnte nicht aufhören, Amber anzustarren. „Sie sind sehr schön.“

Amelia fand ihn ebenfalls sehr attraktiv. „Danke“, war jedoch alles, was sie sagte.

Er sah ganz anders aus als mittags, als er in seiner verschwitzten Arbeitskleidung im „Sherry’s Steak and Soup“ gegessen hatte. Jetzt trug er eine graue Hose und ein weißes Hemd. Das schwarze Haar betonte seine ausgeprägten Gesichtszüge. Amelia hätte am liebsten seine gebräunten Unterarme berührt, um festzustellen, ob sein Körper genauso heiß war, wie er wirkte.

Nachtschmetterlinge flatterten auf dem Parkplatz herum. Eine sanfte Brise zerzauste Amelias Haar. Das Zirpen der Grillen war zu hören.

Tylers Hände zitterten, als er Amelia eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich.

„Wohin bringen Sie mich?“, fragte Amelia.

In mein Bett, dachte er unwillkürlich. „Das wird eine Überraschung.“

„Ich liebe Überraschungen.“

„Dann kommen Sie mit, hübsche Dame. Ihre Kutsche wartet schon.“

Amelia lächelte. „Für mich sieht das mehr nach einem Pick-up aus.“

„Das Aussehen kann täuschen.“ Er zwinkerte.

Ihr Lächeln erlosch, als sie sich ins Auto setzte. Ach Tyler, dachte sie, du hast ja keine Ahnung, wie sehr.

Tyler fragte sich, was er getan hatte, um dieses Lächeln erlöschen zu lassen. Aber als er neben ihr Platz nahm, war das Lächeln wieder da, und er vergaß den Vorfall. Der Abend würde für sie beide eventuell ein bisschen unbehaglich sein. Er wusste ja gar nichts über Amber, abgesehen von ihrem Namen und wo sie arbeitete. Alles zu seiner Zeit, dachte er, während er losfuhr.

Bald darauf waren sie am Ziel. Als er Amber an die Hand nahm und mit ihr zum Fluss hinunterging, lächelte sie.

Er verschränkte seine Finger mit ihren. „Vorsicht. Der Boden ist uneben.“

Solange Tyler ihre Hand hielt, hätte es Amelia auch nichts ausgemacht, wenn der Boden aus glühenden Kohlen bestanden hätte. Und dann blickte sie auf.

„Tyler!“

Der Schaufelraddampfer „Savannah River Queen“ lag vor ihnen am Steg, mit Lichterketten behängt.

„Wenn Sie lieber woanders hingehen möchten …“

„Ich war noch nie auf einem Schaufelraddampfer!“ Das klang fast ehrfürchtig, und Tyler musste lächeln.

Ein Pfiff ertönte, was darauf hinwies, dass sie sich beeilen sollten. Rasch gingen sie an Bord und stellten sich zu den anderen Passagieren an die Reling, während der Dampfer langsam ablegte.

Tyler stand hinter Amelia und stützte sich mit beiden Händen rechts und links von ihr auf der Reling ab. Amelia erschauerte, als sie Tylers Körper an ihrem Rücken spürte.

„Ist Ihnen kalt?“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Ihr war überhaupt nicht kalt. Sie spürte eher Hitze in sich aufsteigen. Amelia schüttelte den Kopf. In diesem Moment konnte sie unmöglich sprechen.

Die anderen Fahrgäste zogen sich von der Reling zurück und ließen Amelia und Tyler allein im Dunkeln zurück.

Tyler wollte sich nicht von der Stelle rühren. Soweit es ihn anging, waren die Schatten und die Einsamkeit perfekt.

Das große Schaufelrad neben ihnen war beleuchtet. Die Geräusche der Stadt wurden von denen des Motors und des Wassers übertönt.

Amelia fühlte sich wie verzaubert. Impulsiv drehte sie sich in Tylers Armen um, um ihn auf einen Delfin aufmerksam zu machen, der gerade von einer Schiffslampe angestrahlt wurde. Doch dann sah sie Tylers Gesichtsausdruck und vergaß alles andere.

Sein Blick war sehr intensiv, und seine Augen glänzten. Dann seufzte er, strich über Amelias Arme und ihren Nacken und schob schließlich seine Finger in ihr Haar. Der Dampfer schwankte leicht, während sie an einem anderen Schiff vorbeikamen. Amelia geriet aus dem Gleichgewicht, und dann lag sie in Tylers Armen.

Sie hörte ein Aufstöhnen. Ihr war nicht klar, ob es von ihm oder von ihr selbst kam. Sie beugte sich vor, und dann war es zu spät für Bedenken. Tyler küsste sie, direkt auf den Mund.

Obwohl Amelia den Kuss fast gierig erwiderte, war sie es, die ihn beendete. Sie lehnte ihre Stirn gegen Tylers Schulter, atmete seinen Duft ein und spürte, wie sein Körper auf sie reagierte. Aufgeregt und verlegen zugleich erstarrte sie.

Tyler war hochgradig erregt, und an Ambers Reaktion erkannte er, dass sie es wusste.

„Ich werde mich nicht dafür entschuldigen.“ Er trat widerstrebend einen Schritt zurück.

Amelia sah ihn an. Ihre Augen wirkten dunkler als sonst, und sie atmete schneller, während sie sich bemühte, wieder klar zu denken. Dann brachte sie ein Lächeln zustande.

„Das solltest du auch nicht.“ Sie lachte nervös. „Also, was kommt als Nächstes? Muss ich mich jetzt in das dunkle Wasser stürzen, oder hast du etwas Trockeneres im Sinn?“

Tyler lachte. „Wunderbar, du bist nicht nur hübsch, sondern auch witzig. Wie soll ich bloß gegen das ankämpfen, was ich für dich empfinde, geliebte Amber?“

Geliebte! Amelia erschauerte. „Aber Mr. Savage, dagegen kämpft man doch nicht an. Man genießt es.“

Er lächelte und schob sie in die Lounge, wo Menschen waren und etwas zu trinken, von dem er hoffte, dass es das Feuer in seinem Inneren löschen würde.

Tyler starrte auf das blinkende Namensschild des „Old South“. Er wollte Amber noch nicht gehen lassen. „Lass mich dich nach Hause bringen“, bat er.

Sie sah ihn voller Panik an. „Nein! Ich habe dir schon gesagt, dass das unmöglich ist. Außerdem habe ich Raelene versprochen, mit ihr zu fahren.“

Tyler umklammerte das Lenkrad. „Wenn du mir die Wahrheit gesagt hast und wirklich Single bist, warum darf ich dann nicht erfahren, wo du wohnst?“

„Was glaubst du denn von mir? Ich würde niemals jemanden betrügen, der mir etwas bedeutet“, erklärte sie ärgerlich, obwohl sie zugeben musste, dass er Grund hatte, ihr zu misstrauen. „Ich sage das noch einmal und dann nie wieder: Ich bin nicht verheiratet und war es auch nie.“

Das erleichterte Tyler. „Verdammt, Amber, es ist einfach so, dass ich diesen Abend noch nicht beenden will, und wenn ich dich nach Hause bringen würde, könnten wir länger zusammen sein.“

„Ich bin morgen wieder hier.“ Dann seufzte sie und sah auf die Uhr. „Ich sollte wohl sagen, später am heutigen Tag.“

Tyler erkannte, dass sie müde war. Bis eben hatte sie noch gelächelt, doch nun war dieses Lächeln verschwunden, und das war seine Schuld. Amber hatte Geheimnisse vor ihm, leider, das war offensichtlich. Aber dies war ihre erste Verabredung, hoffentlich die erste von vielen, und vielleicht würde sie irgendwann bereit sein, sich ihm mehr zu öffnen. „Da kommt deine Mitfahrgelegenheit.“

Raelene kam zur Hintertür des Clubs heraus und winkte ihnen zu.

Amelia legte ihre Hand auf Tylers Knie, weil sie sich nach einer letzten Berührung sehnte. „Ich sollte besser gehen.“

Er drückte ihre Hand. „Es tut mir leid.“

„Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen. Ich bin diejenige, die im Unrecht ist.“ Mehr, als er je erfahren würde.

„Der Abend war wundervoll. Danke, dass du endlich nachgegeben hast.“

Ihr Herzschlag setzte für einen Moment aus. „Ich konnte nicht anders. Du bist sehr hartnäckig. Außerdem …“, Amelia stieg aus, bevor er wieder protestieren konnte, „… bist du äußerst sexy, Tyler Savage. Was soll eine Frau da machen?“

Tyler sah ihr verblüfft nach.

Da er über die Ereignisse des Abends nachdachte, brauchte er doppelt so lange wie sonst für den Heimweg. Selbst jetzt noch, Meilen von Amber entfernt, glaubte er ihr Parfüm zu riechen, ihr Lachen zu hören und das seidenweiche rote Kleid unter seinen Händen zu spüren.

Er war immer noch erregt, als er aus dem Wagen stieg und in sein Haus ging.

Maurice kam genau zu der Zeit nach Hause, als Amelia aus Raelenes Wagen stieg. Effie hörte das vertraute Husten des Motors und versuchte, es sich im Bett wieder gemütlich zu machen. Das wurde in ihrem Alter allmählich schwerer.

Dann ertönte ein jämmerlicher Schrei, und Effie lief so schnell die Treppe hinunter, wie sie konnte. Zwei Häuser weiter bellte ein Hund. Das war ein weiteres Zeichen für die Ankunft von Effies geliebtem Maurice.

Sie öffnete die Tür und nahm den alten Kater auf den Arm. Er schnurrte, als sie ihre Nase in seinem Fell vergrub. „Maurice, du böser Junge, wo bist du bloß gewesen?“

Und dann bemerkte sie Amelia, die gerade barfuß durch die Gasse gelaufen kam. Effie entging nicht die kleinste Kleinigkeit. „Und wo magst du wohl gewesen sein, junges Fräulein? Als ob ich das nicht wüsste! Du solltest dich schämen.“

Maurice schnurrte und schob seine Krallen in ihr Nachthemd. Dann schloss sie die Tür wieder ab und ging nach oben zurück. „Ja, ihr solltet euch beide schämen.“

Im Haus gegenüber ging Amelia ins Bett. Es war ein hektischer, beängstigender Abend gewesen … doch die Aufregung war jede Minute wert. Es war der Stoff, aus dem Träume bestanden.

Die alte Wunde – von einem jungen Mann verursacht, der sie nicht zur Kenntnis genommen hatte – war endlich geheilt, als derselbe Mann sie berührt hatte. Und sie wusste, dass er sie lieben würde, wenn sie es zuließ.

Allerdings erschienen ihr die Schwierigkeiten, die daraus entstehen würden, fast unüberwindbar.

„Amelia!“, rief Wilhemina schockiert und erschreckte damit Rosemary so sehr, dass sie ihren Kaffee verschüttete.

„Willy, was soll das?“

Amelia setzte etwas auf, von dem sie hoffte, dass es ein unschuldiges Lächeln war.

„Du siehst aber heute wirklich …“ Rosemary seufzte und schob Amelia die Butter hin. „Mir fehlen die Worte.“

„Das ist das erste Mal“, murmelte Wilhemina.

Sie wusste, was Rosemary zu sagen versucht hatte. Amelia glühte geradezu. Und Wilhemina war der Meinung, dass so etwas gar nicht damenhaft war. „Amelia, was hast du mit dir angestellt?“

Amelia zog den Kopf ein. „Oh, ich habe neulich gelesen, dass Frauen manchmal Kopfschmerzen von Haarnadeln bekommen, also dachte ich, ich trage mein Haar mal einen oder zwei Tage offen und warte ab, was geschieht.“

Wilhemina runzelte ihre Stirn. Rosemary wunderte sich ebenfalls über die Verwandlung ihrer Nichte. „Sprich weiter, Liebes“, drängte sie.

Amelia tat so, als wäre ihr gar nicht bewusst, welchen Aufruhr ihre Erscheinung verursachte. Dabei hatte sie eine Viertelstunde gebraucht, bis sie den Mut gefunden hatte, so herunterzukommen.

„Ihr wisst ja, wie oft ich Kopfschmerzen habe. Und ihr wollt nicht, dass ich mir das Haar abschneiden lasse, also …“

„Du liest zu viele Schundromane. Daran liegt das“, beschuldigte Wilhemina sie.

Amelia ignorierte das. „Ich habe es mir fest nach hinten gesteckt. Deshalb glaube ich nicht, dass es mir im Weg sein wird. Außerdem kann ich auf diese Weise mal die hübsche Spange tragen, die du mir zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hast. Erinnerst du dich, Tante Witty? Sie hat früher deiner Mutter gehört.“

Damit hatte Amelia einen Punkt gemacht. Also nahm Wilhemina etwas Neues in Angriff. „Was ich wissen will, ist, wo du dieses Kleid herhast.“

Amelia tat so, als würde sie überrascht an sich hinabblicken. „Ach das? Du hast mir doch neulich gesagt, ich müsste mir neue kaufen. Dieses war im Ausverkauf. Ich habe zwanzig Dollar gespart.“

Wilhemina verzog ihr Gesicht. Gegen Sparsamkeit konnte sie nichts vorbringen.

„Ich liebe die Farbe“, schwärmte Rosemary. „Meinst du, sie haben auch eins in meiner Größe?“

„Du trägst doch keine Muster“, widersprach Wilhemina. „Du trägst immer Pastelltöne.“

„Nur weil du meine Sachen aussuchst.“ Rosemary hob die Stimme eine volle Oktave. Dann deutete sie auf Amelia. „Das gefällt mir. Ich habe Paisley immer gemocht. Mir gefällt Amelias Kleid besser als dieses alte pinkfarbene.“ Sie zog einen Schmollmund.

Amelia seufzte. Sie hatte gewusst, dass es Probleme geben würde, wenn sie mit dem Kleid in kräftigen Herbstfarben nach Hause kam. Allerdings hatte sie nicht erwartet, dass sich daraus ein Streit zwischen den Schwestern entwickeln würde.

„Ich sehe in der Mittagspause mal nach, Tante Rosie. Aber ich glaube, es wäre zu dunkel für deine zarte Gesichtsfarbe. Vielleicht wäre etwas Helleres besser für dich.“

Rosemary strahlte. „Momma hat immer gesagt, ich wäre zart.“

„Puh!“, machte Wilhemina. „Du warst nie zart. Faul vielleicht, aber nicht zart.“

Amelia ging dazwischen. „Ich kümmere mich um das Kleid, Tante Rosie. Und ich freue mich, dass ich endlich die Spange deiner Mutter tragen kann, Tante Witty.“

Sie gab beiden Tanten einen Kuss auf die Wange und lief zur Tür hinaus. Gleich darauf saß sie in dem alten blauen Chrysler.

4. KAPITEL

„Beeilt euch“, rief Amelia. „Wir kommen zu spät zum Gottesdienst.“

Ihre Tanten kamen die Treppe herunter, nach Lavendel duftend, die Bibel an die Brust gedrückt, perfekt frisiert.

Wilhemina musterte Amelia und war zufrieden. „Hast du deine Bibel?“

„Ja, Ma’am.“ Amelia deutete auf den Tisch in der Diele, wo Bibel und Tasche lagen. „Komm, Tante Rosie. Ich will nicht wieder zu spät kommen so wie letzten Sonntag. Alle haben schon gesungen.“

„Ich kann meinen Hut nicht finden. Neulich hatte ich ihn noch. Ich frage mich …“

„Er liegt im Esszimmer auf der Anrichte.“ Wilhemina seufzte. „Ich habe ihn gestern auf der Schaukel gefunden. Also wirklich, Schwester …“

Amelia holte den Hut und setzte ihn ihrer Tante auf. In den letzten Jahren war Rosemary immer vergesslicher geworden. Amelia wollte nicht darüber nachdenken, was das bedeuten könnte.

„Ich warte im Auto.“ Wilhemina ging mit so forschem Schritt hinaus, als würde sie in den Krieg ziehen.

„Ich denke, ich werde fahren“, murmelte Rosemary, während sie eine Locke unter ihren Hut steckte. Sie ignorierte die Tatsache, dass sie schon seit fünfzehn Jahren nicht mehr Auto gefahren war.

Amelia verbarg ihr Entsetzen. „Warum lässt du mich nicht lieber fahren? Wir haben es ein bisschen eilig heute.“

„Ich schätze, du hast recht, Liebes.“

Zu Amelias Erleichterung nahm sie auf dem Rücksitz Platz.

Als sie auf dem Parkplatz ankamen, setzte gerade die Orgelmusik ein, und es klang, als wäre Effie Dettenberg großartig in Form. Effie mochte ja die Klatschbase der Stadt sein, aber sie war auch Organistin, und die alten Hymnen lagen ihr besonders.

Amelia half beiden Tanten, die Vortreppe hinaufzusteigen. Sie hatten die Tür schon fast erreicht, als Rosemary sich umdrehte und wieder hinunterstieg.

„Ich habe meine Bibel vergessen. Es dauert nur eine Minute.“

„Warte, Tante Rosie. Ich hole sie dir.“ Als Amelia ihre Tante zurückhielt, stieß sie direkt gegen eine nur zu vertraute Wand aus Muskeln. Starke Hände hielten sie im Gleichgewicht. Sie murmelte ein unverständliches Danke, während sie sich bemühte, nicht in Panik zu geraten.

Es war Tyler! Er kam in die Kirche.

Tyler lächelte, als er sah, wie die Frau rot wurde. Diese Beauchamp-Nichte war wirklich eine seltsame Lady.

„Guten Morgen, Tyler!“ Rosemary griff nach seinem Arm. „Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich dich zuletzt gesehen habe. Wie geht es deinen Eltern in Florida? Ich denke daran, selbst dort hinzuziehen. Die Winter hier bekommen mir nicht mehr so gut wie früher.“

Amelia hörte Tylers Antwort nicht, weil sie schon mit gesenktem Kopf zum Wagen zurücklief, um Rosemarys Bibel zu holen.

Es war ein Reflex, der Tyler dazu bewegt hatte, die Frau festzuhalten, die gegen seine Brust geprallt war, aber es war Neugier, die ihn nun dazu trieb, ihr nachzusehen.

Ein weißer Faltenrock verbarg fast ihre außerordentlich langen Beine. Und die weite Bluse, die im Bund des Rockes steckte, kaschierte ihren üppigen Busen auch nur unvollkommen. Er fragte sich, wieso er die Beauchamp-Nichte bisher eigentlich nie richtig zur Kenntnis genommen hatte.

Als Amelia die Treppe wieder hinaufstieg, geschah das nicht annähernd so schnell, wie sie eben hinuntergelaufen war. Das lag dran, dass Tyler Savage zwischen ihren Tanten stand und sie beobachtete, wobei ihm nichts zu entgehen schien.

„Miss Beauchamp“, sagte er höflich und lächelte, als Amelia den Kopf einzog, während sie an ihm vorbeiging. Er fragte sich, warum sie ihr Haar so streng aufsteckte. Und dann überlegte er, warum er sich damit überhaupt beschäftigte.

„Mr. Savage“, antwortete Amelia. Zu ihrem Glück hatte es Tante Witty jetzt noch eiliger, in die Kirche zu kommen, als sie selbst.

Wilhemina wollte nicht bei einem Gespräch mit dem Schürzenjäger der Stadt gesehen werden. Immerhin musste sie an ihren Ruf denken.

Gleich darauf nahmen Amelia und ihre Tanten ihre Plätze ein, und Amelia war dankbar, dass Tyler sie nicht erkannt hatte.

Aber sie brauchte nicht lange, um zu merken, dass er immer wieder zu ihr herüberschaute. Einmal riss er sogar die Augen weit auf, als wäre ihm etwas Schockierendes in den Sinn gekommen. Amelia schloss die Augen und betete so inbrünstig wie nie zuvor in ihrem Leben. Als sie wieder aufblickte, wandte Tyler sich gerade ab.

„Danke“, flüsterte sie und sank auf ihren Sitz zurück, als die Gemeinde mit einem Lied fertig war.

„Das ist nett.“ Rosemary tätschelte Amelias Knie.

„Was ist nett, Tante Rosie?“, fragte Amelia.

„Dass du dem Herrn dankst.“ Rosemarys Lächeln erlosch, als Wilhemina ihr einen Stoß in die Rippen gab.

„Autsch!“ Sie sah ihre Schwester böse an.

„Pscht!“, zischte Wilhemina.

Sie gehorchten.

Von dem Platz aus, auf dem Tyler saß, hatte er einen guten Blick auf die Beauchamp-Nichte, und es verwirrte ihn, dass er geradezu zwanghaft dauernd zu ihr hinübersehen musste. Da war etwas Vertrautes …

Du lieber Himmel! Sie erinnerte ihn an Amber.

Er begann zu schwitzen, schloss die Augen und atmete tief ein, um sich zu beruhigen. Die Kirche war sicher nicht der richtige Ort, um an diese Frau zu denken. Jetzt war er anscheinend verrückt geworden. Wie konnte er nur glauben, dass diese altjüngferliche Nichte seiner Amber ähnelte? Die beiden Frauen hätten unterschiedlicher nicht sein können.

Nur noch einmal blickte er hinüber, und da hatte er wieder dieses seltsame Gefühl. Er schüttelte es ab, griff nach dem Gesangbuch und sang mit.

Seit der Beinahe-Katastrophe in der Kirche war Amelia in schrecklicher Stimmung. Den Tanten war das sehr bewusst, aber sie hatten keine Ahnung, was dazu geführt hatte. Rosemary sorgte für alle möglichen Leckerbissen, und Wilhemina machte sich genügend Sorgen, um gelegentlich auch mal zu lächeln. Aber das half nichts.

Autor

Dixie Browning

Dixie Browning, Tochter eines bekannten Baseballspielers und Enkelin eines Kapitäns zur See, ist eine gefeierte Malerin, eine mit Auszeichnungen bedachte Schriftstellerin und Mitbesitzerin einer Kunstgalerie in North Carolina. Bis jetzt hat die vielbeschäftigte Autorin 80 Romances geschrieben – und dabei wird es nicht bleiben - sowie einige historische Liebesromane zusammen...

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