Baccara Collection Band 433

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KALTER VERRAT, GLÜHENDE LUST von KIRA SINCLAIR
Milliardär Gray Lookwood sollte die hübsche Blakely hassen – nicht leidenschaftlich begehren! Denn aufgrund ihrer Aussage wurde er zu Unrecht verurteilt. Doch als er sie zwingt, ihm bei der Suche nach der Wahrheit zu helfen, gerät er ungewollt in ihren sinnlichen Bann …

BEGEHREN AUF DEN ERSTEN BLICK von BRENDA JACKSON
Ein sündhafter Blick aus Gannon Steeles grünen Augen – und Journalistin Delphine Ryland spürt erregendes Verlangen. Aber wenn sie sich nicht das Herz brechen lassen will, widersteht sie ihrem neuen Interviewpartner besser! Schließlich ist sein Ruf als Playboy legendär …

GEFÄHRLICH HEISSE KÜSSE VOM BESTEN FREUND von DEBORAH FLETCHER MELLO
Herzklopfen und sinnliches Prickeln: Insgeheim begehrt Rebecca ihren besten Freund Nathaniel Stallion seit Langem. Doch was empfindet er für sie? Obwohl er sie mit einem leidenschaftlichen Kuss überrascht, scheint es noch eine andere Frau in seinem Leben zu geben …


  • Erscheinungstag 15.06.2021
  • Bandnummer 433
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501019
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kira Sinclair, Brenda Jackson, Deborah Fletcher Mello

BACCARA COLLECTION BAND 433

KIRA SINCLAIR

Kalter Verrat, glühende Lust

Ausgerechnet Gray Lockwood! Schockiert erkennt Buchhalte- rin Blakely, wer ihr neuer Boss ist. Überzeugt, dass Gray ein Millionendieb war, hat sie einst gegen ihn ausgesagt. Doch unter ihm arbeiten zu müssen, bringt nicht nur jähe Zweifel an seiner Schuld, sondern auch ein heißes Knistern mit sich. Gegen jede Vernunft verzehrt Blakely sich nach Grays hungrigen Küssen …

BRENDA JACKSON

Begehren auf den ersten Blick

Delphine ist so schön, dass Gannon Steele vom ersten Moment an eine nie gekannte Anziehungskraft spürt. Spontan lädt er sie zu einem Roadtrip quer durch die USA nach Miami ein. Natürlich nur um sich davon zu überzeugen, dass sie nicht seine Traumfrau ist. Schließlich will er noch zehn Jahre lang sein Junggesellenleben genießen! Oder etwa nicht?

DEBORAH FLETCHER MELLO

Gefährlich heiße Küsse vom besten Freund

Nathaniel Stallion trifft sich mit seiner guten Freundin Rebecca, um Werbemaßnahmen für sein neues Restaurant zu planen. Mehr nicht! Bis ihm auffällt, wie sexy die Marketingexpertin ist. Bald kann er an nichts anderes denken, als sie zu verführen. Doch ist Rebecca bereit, alles, was sie aneinander haben, aufs Spiel zu setzen – für eine Nacht der Leidenschaft?

1. KAPITEL

Blakely Whittaker stand hinter ihrem neuen Schreibtisch und starrte auf den Bildschirm ihres Laptops, der auf eine Eingabe wartete. Sie hatte keine Ahnung, was sie als Nächstes tun sollte. Vor ihr lag ein Ordner mit Personalunterlagen, den Becky ihr nach einem Rundgang durch das Gebäude ausgehändigt hatte. Eigentlich müsste Blakely sie durchgehen. Stattdessen sah sie immer wieder von der geschlossenen Tür ihres Büros zu den großen Fenstern, die den Blick auf die Stadt freigaben.

Der Kontrast zur schäbigen Arbeitsnische, in der sie die letzten Jahre gesessen hatte, hätte kaum größer sein können. Auch die Leute hier waren anders. Jeder, den sie getroffen hatte – von Finn DeLuca, dem charismatischen Typen, der ihr den Job angeboten hatte, bis hin zur Rezeptionistin und den Angestellten in der Personalabteilung –, erschien ihr enthusiastisch, freundlich und zufrieden. Ein gewaltiger Unterschied zu der deprimierten Truppe, mit der sie bislang gearbeitet hatte.

Das war eine nette Abwechslung, die sie gut gebrauchen konnte, ebenso wie das höhere Gehalt, das sie für ihre neue Stelle als Leiterin der Buchhaltung bei Stone Surveillance bekam. Doch etwas an der Sache störte sie.

Deshalb stand Blakely, statt sich auf den zweifellos bequemen Schreibtischstuhl zu setzen. In ihrem Kopf lieferten sich zwei Stimmen, die wie ihre Eltern klangen, ein Streitgespräch. Auf einer Schulter warnte ihre Mutter, misstrauisch, praktisch und zynisch, dass, wenn etwas zu gut erschien, um wahr zu sein, es das in der Regel auch war. Auf der anderen Seite stand ihr Vater, ewig optimistisch, opportunistisch und, nicht zu vergessen, kriminell veranlagt, der ihr sagte, wenn ihr jemand die Welt schenken wolle, sei es ihre Pflicht, sie anzunehmen und das Weite zu suchen, bevor sich herausstellte, dass alles nur ein Irrtum war.

Wegen dieser gegensätzlichen Einflüsse fühlte Blakely sich oft hin- und hergerissen und vor Unentschlossenheit wie gelähmt.

Nein, die Entscheidung war bereits gefallen. Sie war hier, in ihrem neuen Büro, und es gab kein Zurück mehr.

Blakely ließ sich schließlich auf den Stuhl sinken und seufzte, als sich ihre Vermutung bestätigte. Ihr letzter Stuhl hatte gequietscht, wenn sie aufstand, und die Unterseite des Sitzkissens wurde von Klebeband zusammengehalten. Sie schlug den Ordner mit Infomaterial zu Firmenrichtlinien, Urlaubsregeln und Versicherungsleistungen auf und fing an zu lesen.

Sie war zur Hälfte durch, als die Bürotür aufging. Erst dachte sie, es sei Becky oder jemand von der IT mit den Zugangsdaten für ihren PC. Doch herein kam jemand anderes.

Blakelys Magen verkrampfte sich, und sie errötete, als sie den Mann sah, der sich, größer als ein griechischer Gott, innen an den Türrahmen lehnte.

Ungeachtet ihrer persönlichen Meinung von ihm war ihre körperliche Reaktion auf Gray Lockwood leider immer dieselbe. Sie war sich seiner sofort auf überwältigende Weise bewusst.

Heute mischte sich Überraschung unter die vertraute, unerwünschte Reaktion. Denn der letzte Mensch, den sie in ihrem neuen Büro erwartet hätte, war der Mann, den sie vor acht Jahren ins Gefängnis gebracht hatte.

„Mistkerl.“

Gray Lockwood war schon Schlimmeres genannt worden und vermutlich zu Recht. Wahrscheinlich verdiente er es, wenn auch nicht aus den Gründen, die Blakely Whittaker annahm. Sie hielt ihn wegen der Vergangenheit für einen Mistkerl, was nicht stimmte. Dagegen hatte er sie heute tatsächlich in die Ecke manövriert. Ihr war nur noch nicht klar, wie nah sie mit dem Rücken zur Wand stand. Das würde sich gleich ändern.

„Begrüßen Sie so Ihren neuen Boss?“

Auf Blakelys Gesicht spiegelten sich Ungläubigkeit, Ärger und Abneigung, bis sie zu begreifen schien.

Gray hatte sich von ihrem schockierten Anblick Genugtuung versprochen für die Farce, die ihn damals ebenso unerwartet getroffen hatte und an der sie wesentlichen Anteil gehabt hatte. Doch die erhoffte Befriedigung blieb aus.

Das kam äußerst ungelegen. Vor allem, da er nicht wusste, ob Blakely unabsichtlich an der Täuschung, die ihn ins Gefängnis brachte, mitgewirkt hatte oder ob sie eine Komplizin gewesen war.

Vor acht Jahren hatte er Blakely Whittaker nur vom Sehen gekannt. Sie arbeitete bei Lockwood Industries. Er war ihr ein paar Mal im Flur begegnet, hatte sie in Meetings gesehen. Er hatte sich ebenso flüchtig zu ihr hingezogen gefühlt, wie er die meisten schönen Dinge damals betrachtet hatte. All das hatte sich an jenem Tag geändert, als er ihr in einem Gerichtssaal gegenübersaß und zuhörte, wie sie die erdrückenden Beweise gegen ihn präsentierte.

Blakely hatte der Staatsanwaltschaft den noch rauchenden Colt geliefert, nur hatte er dessen Abzug nie gedrückt. Allerdings konnte er das nicht beweisen. Zumindest zu der Zeit nicht.

Zwar hatte er nach wie vor keine Beweise, aber er war wild entschlossen, sich zu rehabilitieren. Es kam nicht darauf an, dass er bereits für ein Verbrechen bezahlt hatte, das er nicht begangen hatte. Er wollte seinen guten Ruf und das Leben zurück, das er früher hatte.

Blakely würde ihm dabei helfen, auch wenn ihr nicht bewusst war, dass sie einzig aus diesem Grund von Anderson Stone als neueste Mitarbeiterin von Stone Surveillance angeheuert worden war.

Stone und Finn hatten ihn gefragt, warum er die Untersuchung fortsetzen wolle. Schließlich hatte er seine Zeit wegen der Veruntreuung abgesessen und konnte sein Leben unbehelligt weiterleben. Er hatte genug Geld, um alles zu tun, was er wollte – oder auch gar nichts.

Vor seiner Verurteilung war ihm das Familienunternehmen herzlich egal gewesen, doch es schmerzte, dass ihn seine Familie verstoßen hatte. Sein Vater hatte ihn aus der Firma geworfen und weigerte sich, mit ihm zu reden. Seine Mutter gab vor, nie einen Sohn gehabt zu haben. Gray hatte gelernt, damit zu leben.

Früher hatte es ihn nicht gekümmert, was andere über ihn dachten. Er war faul, gefühllos, verwöhnt und anmaßend gewesen. Das Gefängnis hatte ihn verändert, Stone und Finn, die er dort kennenlernte, hatten ihn verändert. Jetzt ärgerte es ihn, dass die Leute hinter seinem Rücken tuschelten. Vor allem, weil er nichts falsch gemacht hatte.

Er mochte ein Mistkerl gewesen sein, aber immerhin ein gesetzestreuer.

Blakely sprang auf. „Ich arbeite für Anderson Stone und Finn DeLuca.“

„Nein, Sie arbeiten für Stone Surveillance. Stone und Finn sind zwei der drei Eigentümer, zufällig bin ich der dritte.“

„Das hat mir niemand gesagt.“

„Weil sie angewiesen wurden, nichts zu sagen.“

Blakely presste die Lippen zu der geraden, sturen Linie zusammen, die er schon öfter gesehen hatte. Sie war zierlich, hübsch und blond, aber sie konnte auch zum Pitbull werden.

Gray kannte ihre Entschlossenheit aus eigener Erfahrung und das nicht erst seit dem Tag im Gericht, als sie den letzten Nagel in seinen Sarg geschlagen hatte. Er hatte sie in Meetings erlebt, wo sie leidenschaftlich für eine Sache eintrat, die ihr wichtig war. Wie sich ihre Haut dabei rötete und ihre Augen blitzten … Wunderschön, verführerisch und unterhaltsam. Doch sie war auch die Art Frau, die sich allem mit dieser Leidenschaft widmete. Damals war er zu bequem gewesen, um es mit einer solchen Intensität aufzunehmen. Er hatte sie nur aus der Ferne bewundert.

Blakely zog eine Schublade auf und nahm ihre Handtasche heraus. „Warum haben Sie mich eingestellt? Sie hassen mich.“

Gray schüttelte den Kopf und deutete ein Lächeln an. „Hass ist so ein starkes Wort.“

„Ich habe mitgeholfen, Sie ins Gefängnis zu bringen. Da ist Hass vermutlich das passende Wort.“

„Darauf würde ich nicht wetten.“ So gern er die Frau auch hassen wollte, es gelang ihm nicht. Sie wäre ein leichtes Ziel für seine Schuldzuweisungen. Zudem war es möglich – nein, wahrscheinlich –, dass sie in der Sache drinsteckte, die ihn zu Fall gebracht hatte. Doch ohne sie würde er nie die Wahrheit erfahren. Und sie würde ihm wohl kaum helfen, wenn sie dachte, dass er ihr die Schuld gab.

„Welches Wort würden Sie dann verwenden?“

Gray musterte sie. „Ich gebe zu, dass Sie nicht mein Lieblingsmensch sind. Trotzdem weiß ich nicht, ob Sie meinen Hass nicht ebenso wenig verdienen, wie ich es verdient hatte, ins Gefängnis zu gehen.“

Blakely schnaubte verächtlich.

Bei dem Geräusch stellten sich seine Nackenhaare auf, aber ihre Reaktion kam nicht unerwartet.

Kopfschüttelnd kam sie um den Schreibtisch herum und wollte zur Tür, doch er verstellte ihr den Weg. Abrupt blieb sie stehen. Sie zuckte zusammen und packte den Riemen ihrer Tasche fester. Kluge Frau.

Gray hatte die letzten Jahre mit Warten verbracht. Derweil war er in einem geheimen Boxring, den Stone, Finn und er aufgebaut hatten, gegen andere Häftlinge angetreten. Er hatte ein Ventil gebraucht, um Dampf abzulassen. Bei diesen Kämpfen hatte er gelernt, seine Gegner zu lesen und auf die subtilen Signale zu achten, die einen Gedanken verrieten, ehe er in die Tat umgesetzt wurde. Allerdings waren Blakelys Absichten alles andere als subtil. Sie wollte aus dem Zimmer hinaus und weg von ihm. Pech für sie. In den kommenden Wochen würden sie viel Zeit miteinander verbringen.

„Gehen Sie aus dem Weg.“

Beim Anblick des Feuers in ihren Augen entzündete sich ein darauf ansprechender Funke in seiner Magengrube. Ihr draufgängerisches Verhalten hatte etwas Verführerisches und Faszinierendes an sich, obwohl er nicht beeindruckt sein wollte.

Er verzog seine Lippen zu einem raubtierhaften Lächeln und ließ den Blick über ihren Körper schweifen. Es war schwer, nicht auf die verlockenden Kurven zu achten oder die Art, wie sich ihr Rock über ihrem Hinterteil spannte und ihre Jacke ihre schmale Taille betonte.

Erst wollte er sich weigern, Platz zu machen, um zu sehen, was sie tun würde. Würde sie ihre Hände auf ihn legen und ihn wegschieben? Würde sein Körper auf den Kontakt reagieren? Dieses Spielchen wäre jedoch nicht klug. Gray trat zur Seite. Er brauchte seinen Körper nicht, um sie aufzuhalten. „Sie können jederzeit gehen.“

Misstrauisch sah sie ihn an. „Vielen … Dank“, sagte sie langsam, als würde sie die Gefahr spüren, ohne zu wissen, worin sie bestand.

Er gestattete ihr, einen Schritt zu machen, ehe er die Falle zuschnappen ließ.

„Obwohl es ja nicht so ist, als hätten Sie eine Alternative. Ich war so frei, Ihren früheren Arbeitgeber über ein paar fragwürdige Aktivitäten zu informieren, die ich entdeckt habe.“

„Was für Aktivitäten? Ich habe nichts Fragwürdiges getan.“

„Natürlich nicht, aber die Beweise deuten auf das Gegenteil hin.“

Blakely schnappte nach Luft, dann stieß sie hervor: „Mistkerl.“

„Das haben Sie bereits gesagt. Es ist nicht schön, wenn Lügen gegen einen verwendet werden, oder? Wie dem auch sei, Sie können nicht in Ihren alten Job zurück. Und wir beide wissen, wie schwer es war, diesen hier zu finden, nachdem Sie bei Lockwood entlassen wurden.“

Blakely errötete, ihre eisblauen Augen glühten vor Zorn. Gott, war sie hinreißend, wenn sie wütend war.

„Was wollen Sie?“, fauchte sie. „Es mir heimzahlen?“

Gray verschränkte die Arme, um nichts Dummes zu tun. „Nicht ganz. Ich möchte, dass Sie mir helfen, meine Unschuld zu beweisen.“

„Das kann ich nicht.“

„Weil Sie nicht wollen?“

Frustriert gab sie zurück: „Nein, weil Sie nicht unschuldig sind.“

„Vielleicht irren Sie sich. Haben Sie daran schon mal gedacht?“

„Natürlich habe ich das“, brüllte sie entrüstet, wobei sie sich vorbeugte, um ihre Worte zu unterstreichen. „Wissen Sie, wie viele Nächte ich wach gelegen und mir diese Frage gestellt habe? Aber ich irre mich nicht. Die Zahlen und Belege lügen nicht. Ich habe mit eigenen Augen Beweise dafür gesehen, dass Sie Millionen Dollar von Lockwoods Konten veruntreut haben.“

„Sie haben gesehen, was jemand Sie sehen lassen wollte.“ Oder was sie so hinmanövriert hatte, dass jeder es sehen konnte.

„Ich gehe jetzt. Ich finde schon einen anderen Job.“

„Sicher … irgendwann. Doch werden Sie ihn hier in Charleston finden oder rechtzeitig, um die Studiengebühren ihrer Schwester zu bezahlen? Oder die Hypothekenrate für Ihre Mom? Oder die Rate für Ihr Auto? Es wird schwierig, einen Job zu kriegen, wenn Sie nicht zum Vorstellungsgespräch fahren können.“

„Mistkerl.“

„Vielleicht sollten Sie sich ein Synonymwörterbuch zulegen. Der Job hier ist echt, Blakely. Trotz allem ist mir bewusst, dass Sie eine hervorragende Buchhalterin sind. Wir möchten, dass Sie für das Unternehmen arbeiten. Sie sollen einfach nur einen anderen Auftrag übernehmen, ehe Sie mit dieser Arbeit anfangen. Und Sie werden für beides sehr gut bezahlt.“

„Wie lange?“

„Was?“

„Wie lange muss ich daran arbeiten, Ihre Unschuld zu beweisen? Denn ich glaube, das könnte zu einer unendlichen Geschichte werden.“

Gray sah sie an. Die Frage war berechtigt. Auch Finn hatte sie ihm gestellt. Wie lange wollte er dem Hauch einer Chance nachjagen? „Sechs Wochen.“

Blakely lachte humorlos und zog widerwillig die Nase kraus. Dann sagte sie: „In Ordnung“, und stürmte hinaus.

Blakely hatte keine Ahnung, wohin sie ging, nur dass sie Gray entkommen musste, ehe sie etwas Dummes tat. Etwa, ihm zu glauben. Oder schlimmer, der unsichtbaren Kraft nachzugeben, die sie zu ihm hinzog, sobald dieser Mann den Raum betrat. Die Damentoilette am Ende des Ganges bot ihr Zuflucht.

Gray Lockwood war die Sünde in Person. Schon immer. Er stand in dem Ruf, auf Vergnügungen aller Art versessen zu sein. Sex, Adrenalin, schnelle Autos und ein Leben im Jetset. Im Lexikon würde sein Bild neben dem Wort „Sünder“ erscheinen. Es war einfach nicht fair. Der Mann hatte den Jackpot geknackt, als er geboren wurde. Und nicht nur, weil er einer prominenten Südstaatenfamilie mit tonnenweise Geld angehörte. Seine Eltern hatten ihm auch tolle Gene vererbt. Er sah umwerfend aus und wusste es.

Vor acht Jahren bestand die wichtigste Entscheidung, die Gray ihres Wissens nach treffen musste, darin, auszuwählen, welche der Frauen, die sich ihm an den Hals warfen, er mit ins Bett nehmen sollte. Er war selbstbewusst, aufgeschlossen und sah aus wie ein griechischer Gott.

Wie jedes andere weibliche Wesen in seiner Nähe hatte auch sie ihn attraktiv gefunden. Doch es fiel ihr leicht, ihm zu widerstehen, weil er unbeständig, verwöhnt und anmaßend war. Der Mann hatte mit Geld um sich geworfen, als spielte er Monopoly. Es hieß, er kaufe teure Autos nur, um sie schnell zu Schrott zu fahren. Er liebte Partys und bezahlte Reisen für zwanzig Personen zu einer wilden Woche in Vegas, Monaco oder Thailand. Während des Prozesses war ans Licht gekommen, dass er Spielschulden in Millionenhöhe hatte.

Jetzt war er anders. Sein schöner Körper wirkte härter, vermutlich hatte er im Gefängnis trainiert. Außerdem war ihr die Narbe aufgefallen, die von seiner linken Augenbraue bis zu einem seiner tiefgrünen Augen hinunterlief. Irgendwie ließ ihn diese Unvollkommenheit noch anziehender wirken. Früher war Gray Lockwood zu perfekt gewesen.

Am auffälligsten war jedoch die Veränderung in seinem Auftreten. Zwar beherrschte er nach wie vor jeden Raum, den er betrat, doch jetzt war die Kraft, die er ausstrahlte, ruhiger.

War sie die nächsten sechs Wochen in der Lage, für ihn zu arbeiten, ohne ihn entweder umzubringen oder in Versuchung zu geraten, seinen muskulösen Körper zu berühren?

Konnte sie zudem an einem Projekt arbeiten, von dem sie nicht überzeugt war, nur des Geldes wegen? Sie war jetzt ebenso sicher wie damals, dass Gray Lockwood viele Geheimnisse verbarg. Eines hatte sie aufgedeckt, wodurch ihr Leben aus der Bahn katapultiert worden war. Wollte sie wirklich riskieren, mehr aufzudecken?

Stöhnend rieb Blakely sich das Gesicht. Am Waschbecken lehnend, starrte sie in ihr Spiegelbild. Ihr gesamtes Erwachsenenleben hatte sie stets das Richtige getan. Integrität war ihr wichtig. Wenn man von einem Kriminellen und Trickbetrüger großgezogen wurde, stieg man entweder in das Familiengeschäft ein oder wurde sittsamer als eine Nonne. Nachdem sie als Kind miterlebt hatte, wie ihr Vater ständig hinter Gittern landete, war ihr die Entscheidung nicht schwergefallen.

Sie verabscheute Menschen, die es sich leicht machten und Vorteile aus den Schwächen oder dem Unglück anderer zogen. Soweit es sie anging, war Gray Lockwood ein Verbrecher der schlimmsten Sorte. Weil er das Geld, das er veruntreut hatte, gar nicht brauchte. Zwar hatte er einem üblen Buchmacher ein paar Millionen geschuldet, aber sein Nettovermögen belief sich auf fast eine Milliarde.

Vieles davon war in Anlagen gebunden, doch statt sie zu veräußern, hatte er seine Finger lieber in die Familienkeksdose gesteckt. Wohl weil der verwöhnte, reiche Junge meinte, es wäre sein gutes Recht. Er hatte nie verstanden, dass der Verlust dieses Geldes die Firma finanziell in Gefahr gebracht hatte, ganz abgesehen vom Lebensunterhalt aller Angestellten von Lockwood Industries.

Konnte sie also sechs Wochen lang vorgeben, an einem Projekt zu arbeiten, an das sie nicht glaubte, um ein Gehalt zu beziehen, das sie unbedingt brauchte?

Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Sie würde Gray ja nicht belügen. Er wusste, dass sie ihm nicht glaubte. Ihm musste klar sein, dass sie nicht die motivierteste Angestellte wäre. Außerdem hatte er sie in diese Lage hineinmanövriert, worüber sie mit Anderson Stone und Finn DeLuca, diesen beiden Arschlöchern, reden musste.

Sie schuldete Gray nichts. Letztendlich war die Frage, ob sie mit ruhigem Gewissen schlafen konnte, wenn sie blieb.

Heute lautete die Antwort Ja. Ihr gefiel die Situation zwar nicht, aber sie bezweifelte nicht, dass Gray die Wahrheit gesagt hatte und sie große Schwierigkeiten haben würde, einen neuen Job zu bekommen. Er konnte sie nicht bei jeder Firma im Land anschwärzen, also würde sie irgendwann etwas finden. Das könnte jedoch bedeuten, dass sie umziehen und sich ein neues Leben aufbauen musste.

Zwar hatte sie davor keine Angst, doch im Moment war das keine Option. Nicht, wenn sie befürchtete, dass ihr Vater wieder in alte Gewohnheiten verfallen war. Wieso lief in ihrem Leben alles schief?

Mit einem tiefen Atemzug richtete Blakely sich auf. Sie würde bleiben, Grays Geld nehmen und die sechs Wochen arbeiten. Zumindest würde das zur Überbrückung reichen, bis sie etwas anderes fand.

Sie zog ein Papierhandtuch heraus, trocknete sich die Hände und öffnete die Tür. Nach zwei Schritten blieb sie stehen. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass er da war. Ihr Körper reagierte augenblicklich, Energie prickelte auf ihrer Haut. So ungelegen.

Langsam drehte sie den Kopf. Mit verschränkten Armen lehnte Gray lässig an der Wand zwischen den Waschraumtüren.

„Geht’s Ihnen besser?“

2. KAPITEL

Blakely sah Gray misstrauisch an. „Nicht wirklich.“

Achselzuckend tat er ihre Äußerung ab. Ihm war egal, wie sie sich fühlte. „Folgen Sie mir“, sagte er und ging an ihr vorbei. Ihr verführerischer Duft drang ihm in die Nase, zart und subtil.

Gray erinnerte sich daran. Das eine Mal, als er ihr nahe genug kam, um ihren verlockenden Duft einzuatmen, war bei einem Streit im Pausenraum wegen eines Milchaufschäumers gewesen, den er sich von ihr „geborgt“ hatte.

Danach hatte er Abstand gehalten. Sie war zänkisch, und er musste gegen den Drang ankämpfen, ihre Tiraden zu unterbrechen, indem er sie schwindelig küsste. Keine gute Idee.

Blakely mochte wunderschön sein, aber sie war auch kühl und reserviert. Kollegen gegenüber verhielt sie sich freundlich, jedoch nicht übermäßig offen. Sie gehörte nicht zu denen, die nach der Arbeit zu einem Mädelsabend eingeladen wurden. Jeder wusste ihr Engagement zu schätzen, doch sie versprühte nicht unbedingt Wärme.

Damals hatte er nicht nur nach Wärme gesucht, sondern nach rot glühendem Feuer. Ohne Verpflichtungen. Alles an Blakely dagegen rief nach etwas Ernsthaftem. Also war es egal gewesen, dass er seinen Blick nicht von ihr abwenden konnte, wenn sie durch die Flure ging. Oder dass ihm beim Einschlafen ihr Duft in der Nase zu kitzeln schien.

Daran durfte er jetzt nicht denken, denn er wusste nicht, ob die Mauer um sie herum nicht dazu diente, ihre ruchlosen Absichten zu verbergen.

Am Ende des Ganges blieb er stehen. Als er das Klackern ihrer Absätze hinter sich vernahm, ging er nach rechts weiter.

„Wohin gehen wir?“, fragte sie.

Ohne sich umzudrehen, antwortete er: „Ich habe alle Unterlagen von meiner Verhandlung in einem anderen Büro. Ich will, dass Sie die Beweise mit mir durchgehen, die Sie gegen mich vorgebracht haben.“

„Warum? Sie waren doch im Gerichtssaal.“

Ja, war er. Er hatte jede ihrer Bewegungen verfolgt. Wie sie sich eine goldene Haarsträhne hinter das Ohr gestrichen hatte, wenn sie auf die Dokumente hinuntersah, die die Anklage gegen ihn verwendete. Oder wie die Spitze ihrer pinkfarbenen Zunge über ihre Lippen strich, wenn sie nachdachte, ehe sie antwortete. Hatte sie diese Pausen gebraucht, um ihre Gedanken zu ordnen oder um sicherzustellen, dass sie die richtigen Lügen erzählte?

Gray ging in ein Büro und wartete, bis sie eintrat, dann schloss er die Tür. „Damals wusste ich nicht, was ich jetzt weiß.“

„Und was wissen Sie jetzt?“

Auf diese Frage gab es viele Antworten, doch die einzige, die er ihr momentan geben wollte, war: „Sagen wir mal, ich habe die Zeit im Gefängnis genutzt, um meinen Horizont zu erweitern.“

Blakely schnaubte. „So einer sind Sie also.“

„Was?“

„Einer von denen, die ins Gefängnis gehen und auf Kosten der Steuerzahler eine Ausbildung machen, die sie sich sonst nicht leisten könnten.“

„Wir wissen beide, dass ich mir eine ziemlich teure Ausbildung leisten konnte und es auch getan habe, bevor ich ins Gefängnis ging.“ Er hatte in Harvard BWL studiert. Zwar hatte er es gerade so geschafft und keinen seiner Kurse ernst genommen, doch er hatte den Abschluss.

„Das hat Ihnen wenig genützt.“

Dagegen konnte er nichts einwenden. „Ja, aber da ich sieben Jahre unschuldig hinter Gittern saß, schuldete mir der Staat zumindest eine Ausbildung in jedem Fach, das mir gefiel.“

„Und welches war das?“

„Jura.“

„Natürlich.“

Anfangs wollte er sich damit selbst helfen, doch schnell wurde klar, dass das Rechtssystem nicht viel für ihn tun konnte. Seine Anwälte schöpften sämtliche Berufungsmöglichkeiten aus, aber alle wurden abgelehnt. Abgesehen von einem Anruf beim Gouverneur – unwahrscheinlich, da der Mann seinen Vater nie gemocht hatte – war aus dieser Richtung keine Hilfe zu erwarten.

Am Ende nutzte er seinen Abschluss dafür, Mitgefangenen zu helfen. Die Männer mochten schuldig sein, hatten aber kein faires Verfahren bekommen, weil sie sich keinen kompetenten Anwalt leisten konnten.

„Das war nicht alles, was ich drinnen geschafft habe.“

Blakely verschränkte die Arme und musterte ihn aus eisblauen Augen von oben bis unten. „Offensichtlich.“

Seine Lippen zuckten. Die Verachtung war ihr deutlich anzuhören. Dennoch röteten sich ihre Wangen, und ihre Brustwarzen zeichneten sich plötzlich unter ihrer Bluse ab. Er wusste, wie Frauen auf ihn reagierten. Nur hatte er aufgehört, diejenigen auszunutzen, die sich ihm an den Hals warfen. Doch das hielt ihn nicht davon ab, Blakely aufzuziehen. „Und was meinen Sie damit?“

„Das wissen Sie genau.“

„Hm“, erwiderte er gedehnt. „Nein, ich glaube nicht.“

Blakely verdrehte die Augen, presste die Lippen zusammen und schaute ihn böse an. Gray wartete schweigend und sah sie an. Dann verhielt er sich eben ein wenig unreif, wenn er es genoss, wie sie sich wand.

Schließlich antwortete sie: „Es ist offensichtlich, dass Sie oft ins Fitnessstudio gegangen sind.“

„Wie kommen Sie darauf?“

Sie wedelte mit der Hand in seine Richtung. „Sie sind riesig. Breiter, muskulöser als früher.“

„Mir war nicht klar, dass Ihnen mein Körperbau früher aufgefallen war.“

Ihre Wangen wurden noch röter. „Sie haben doch dafür gesorgt, dass jede Frau bei Lockwood Sie bemerkte. Sie haben sich in der Aufmerksamkeit jeder Frau gesuhlt, die Sie sich angeln konnten.“

„Aber nicht Sie.“

„Nein.“

„Weil Sie nicht interessiert waren, oder weil ich kein Interesse gezeigt habe?“

Blakely presste die Zähne zusammen, bis sie knirschten.

Das war zwar lustig, doch nicht sehr produktiv. Er konnte kaum von ihr erwarten, kooperativ zu sein, wenn er sie weiter ärgerte. Kopfschüttelnd trat er von der Tür weg. „Tut mir leid, das war nicht besonders professionell.“

„Nein“, stimmte Blakely zu.

„Lassen wir die Vergangenheit für den Moment ruhen, damit wir zusammenarbeiten können.“

Ihre Augen wurden schmal. Zweifellos hatte sie bemerkt, dass er vorschlug, ihre Streitigkeiten nur auszusetzen, nicht, sie zu vergessen. Dazu war er nicht bereit, solange er ihre Rolle in der Sache nicht kannte.

„Tun wir so, als wüssten wir nichts voneinander, und fangen neu an.“

Sie murmelte etwas, das verdächtig wie „nicht sehr wahrscheinlich“ klang. Gray ignorierte es. Er wies auf sieben Kartons in der Ecke und sagte: „Hier sind die Unterlagen. Ich habe die meisten Akten auch elektronisch, aber wir brauchen die Notizen der Anwälte. Warum fangen wir nicht mit Ihrer Aussage an und arbeiten uns dann vor?“

Vor drei Tagen hatten sie angefangen, die Unterlagen durchzugehen, die die Anklage als Beweismittel vorgelegt hatte.

Die von Blakely aufgedeckten Informationen zeigten ein Verhaltensmuster, das monatelange unbemerkt geblieben war. Täglich waren kleine Summen von den Geschäftskonten abgehoben und auf ein Zwischenkonto eingezahlt worden. Es waren strategische Beträge, unterschiedlich hoch und unterhalb jeder Schwelle für eine automatische Prüfung. Bei den letzten beiden Transaktionen hatte man Firmengelder an Offshore-Konten transferiert. Die erste Abhebung erregte schließlich Blakelys Aufmerksamkeit.

Die Überweisung von zwanzig Millionen Dollar an Grays Konto fiel sofort auf, da keines der notwendigen Papiere ausgefüllt worden war.

Anfangs hatte sie angenommen, dass Gray sich nur nicht an die Vorschriften gehalten hatte. Dann stieß sie auf eine zweite Transaktion. Diese Überweisung war anders. Oberflächlich schien alles legitim zu sein, doch etwas daran störte sie. Sie hatte nicht immer im Voraus Kenntnis von umfangreichen Transaktionen, aber meist wusste sie, wenn die Firma große Pauschalkäufe tätigte.

Ein anderer Buchprüfer hätte die Sache vielleicht auf sich beruhen lassen, doch sie blieb dran. Es dauerte eine Weile, bis sie die Fäden der Transaktion entwirrt hatte, um herauszufinden, was dahintersteckte – und dass die beiden Transaktionen zusammenhingen. Sie verstand nur nicht, warum Gray seine Spuren bei der einen Abhebung verwischt hatte, aber bei der anderen nicht. Vielleicht dachte er, dass niemand seine Handlungen infrage stellen würde.

Sie hielt nicht viel von seiner Arbeitsmoral und scherte sich nicht darum, wessen Sohn er war. Der Mann hatte der Firma Millionen gestohlen. Also hatte sie die Polizei informiert, ohne zu ahnen, welche Rolle sie im Prozess spielen würde.

Wegen ihres Vaters war sie schon in vielen Gerichtssälen gewesen. Es war nie besonders erfreulich, genauso wenig wie bei Grays Prozess. Sie war nervös im Zeugenstand, nicht weil sie an den Fakten zweifelte, sondern weil sie nicht gern im Mittelpunkt stand.

Beim Durchgehen der Akten kamen diese Gefühle nun wieder hoch. Seit Tagen war sie ruhelos. Vielleicht lag es auch daran, dass sie mit Gray in einem Büro eingesperrt war. Eigentlich war das Büro geräumig, doch wenn ein heißer, eins neunzig großer Mann mit darin saß, verwandelte es sich in einen Kleiderschrank, aus dem die Luft herausgesaugt worden war.

Frustriert schleuderte Gray eine Aussagemitschrift in einen Karton. Der Papierstapel traf auf die Kante und fiel zu Boden. „Ich brauche eine Pause.“

„Okay.“ Blakely hoffte, dass er eine Weile verschwinden würde. Den Rest des Nachmittags. Oder der Woche. Er stand auf und streckte sich. Sie versuchte, nicht hinzusehen und sich auf den Bericht vor sich zu konzentrieren. Doch jedes Mal, wenn Gray hinter ihr entlangging, nahm ihre Anspannung zu. Ihre Schultern krampften sich schmerzhaft zusammen.

Ohne nachzudenken, legte sie sich die Hände in den Nacken und massierte ihre verspannten Muskeln. Die Knoten lösten sich, bis … Gray ihre Hände wegschob und weitermachte. Abrupt setzte sie sich auf.

„Langsam“, murmelte er. „Ist das okay?“

Wärme drang in ihre Haut. Ihr Körper kribbelte, wo er sie berührte.

Sie sollte Nein sagen, doch sie ertappte sich dabei, wie sie nickte. Gray drückte seine Fingerspitzen tief in ihre Muskeln. Erst tat es weh, bis sie sich allmählich entspannte. Danach fühlte es sich wundervoll an. Unwillkürlich schmolz Blakely unter Grays Berührung dahin. Köstliche Wärme verteilte sich von seinen Fingern über ihre Schultern bis in ihren Bauch. Seufzend sackte sie gegen die Stuhllehne.

„Meine Güte, sind Sie verspannt.“

„Ruinieren Sie das nicht“, beschwerte sie sich.

„Geben Sie es zu. Sie wüssten nicht, was Entspannung ist, wenn Ihnen jemand ein Ablaufdiagramm zeigen würde.“

„Und Sie wissen nichts, außer wie Sie sich entspannen können.“

Gray lachte ungläubig, wobei sein Griff an ihren Schultern kurz fester wurde. „Sie wissen nichts über mich.“ Dann nahm er die Hände weg.

Mit Mühe hielt Blakely ihren Protest zurück. Sie würde ihn nicht anbetteln.

Er ging zur Tür. „Ich hole mir etwas zu essen. Soll ich Ihnen was mitbringen?“

Die Mittagspause war längst vorbei, aber sie war so in einen der Berichte vertieft gewesen, dass sie es nicht gemerkt hatte. Bei Grays Frage knurrte ihr Magen so laut, dass sie es beide hörten.

Er lächelte verschmitzt. „Das heißt wohl Ja.“

Er war zur Tür hinaus, ehe Blakely ablehnen konnte. Achselzuckend ließ sie ihn gehen und war dankbar für die Atempause.

Gray hatte unbedingt rausgemusst. Noch nie war er so steif geworden, bloß weil er die Schultern einer Frau massiert hatte.

Seine Reaktion hatte weniger damit zu tun, dass er Blakelys Haut berührt hatte, als mit der Art und Weise, wie sie sich entspannte und ihren Kopf gegen seinen Bauch lehnte. Der leise Seufzer der Wonne, den sie ausstieß. Wie ihre Augen zufielen, als würde sie genießen, was er tat.

Wenn er nicht gegangen wäre, hätte das peinlich werden können. Essen war eine praktische Entschuldigung.

Er war zwei Schritte an Stones Büro vorbei, als sein Freund ihn zurückrief: „Gray.“

Er wandte sich um.

„Wie geht es voran?“

Es war klar, wonach Stone fragte. Gray arbeitete nur an seinem eigenen Fall. „Gar nicht.“

„Tut mir leid. Kooperiert sie?“

„Ja.“ Anfangs schien Blakely nur durch die Papiere zu blättern, doch bald begann sie, ernsthaft nachzuforschen. Sie konnte eine Aufgabe nicht ignorieren, die ihr gestellt worden war.

„Was hast du vor, falls ihr nichts findet?“

„Keine Ahnung. Es ist wahrscheinlich, dass die Akten nichts hergeben, aber ich muss es versuchen.“

„Das kann ich dir nicht verdenken.“

„Joker probiert es auch. Vielleicht findet er was.“ Ihr freiberuflicher Hacker war einer der Besten. Gray hatte ihn über einen der Männer kennengelernt, gegen die er im Gefängnis geboxt hatte. Er vermied es, zu fragen, woran Joker sonst noch arbeitete. Der Typ stand im Ruf, wählerisch zu sein, was seine Projekte anging, und schwer zu finden.

„Sag Bescheid, wenn Finn oder ich etwas tun können.“

Stones Angebot war unnötig, da er bereits wusste, dass die beiden alles für ihn tun würden. Trotzdem war es schön zu hören. Vor allem, da sonst niemand in seiner Ecke stand.

„Danke“, erwiderte er und wollte das Büro verlassen.

„Ein kleiner Rat?“

Gray hielt inne und sah seinen Freund an.

„Sei kein Idiot“, sagte Stone.

„Was?“ Gray zog die Augenbrauen hoch.

„Sie sieht toll aus, und ich kann praktisch von hier aus die Funken zwischen euch sehen. Du hast zu lange gebraucht, sie herzukriegen, um es jetzt zu vermasseln, nur weil du noch nicht flachgelegt wurdest, seit du draußen bist.“

„Ich wurde flachgelegt.“ Okay, das stimmte nicht. Doch das würde er Stone gegenüber nie zugeben, der ihn bloß aufziehen würde. Sex stand gerade nicht weit oben auf seiner Dringlichkeitsliste. Er konnte nicht ruhig weiterleben, bis er herausfand, wer ihn reingelegt hatte. Und warum. Denn bis dahin wusste er nicht, wann oder ob es wieder passieren würde.

„Nicht annähernd genug.“

„Mir war nicht klar, dass ich eine Orgasmusquote zu erfüllen habe. Vielleicht solltest du das in meinen persönlichen Entwicklungsplan schreiben.“

„Arschloch“, erwiderte Stone flapsig.

Plötzlich ertönte Lärm im Flur.

„Sie können dort nicht hineingehen“, rief ihre Rezeptionistin Amanda laut über den Gang.

Beide eilten sie zur Tür. Gray erreichte sie als Erster, mit geballten Fäusten und kampfbereit. Stone war direkt hinter ihm. Angestellte kamen in den Gang gelaufen, doch er und Stone forderten sie auf, in ihre Büros zurückzugehen und die Türen zu verschließen. In ihrer Branche zahlte es sich aus, vorsichtig zu sein. Es war noch nicht lange her, seit Stones Frau Piper entführt worden war. Im Gang lief Amanda hinter einem Mann her.

„Ich suche meine Tochter. Ich weiß, dass sie hier ist.“

„Wenn Sie mir sagen, wer sie ist, hole ich sie gern für Sie.“

Der Fremde winkte ab. „Dafür habe ich keine Zeit. Sie sind direkt hinter mir.“

Er wirkte zerzaust. Ihm hing das Hemd aus der Hose, sodass der Saum unter der Jacke hervorschaute. Seine Hosenränder waren mit Schlamm bespritzt. Früher am Tag hatte es geregnet, aber es hatte vor Stunden aufgehört. Der Mann sah aus, als wäre er durch Schlammpfützen und über Äcker gestapft.

Schnell war Gray bei Amanda. „Ich kümmere mich darum. Sir, wer ist direkt hinter Ihnen?“, fragte er, wobei seine tiefe Stimme laut von den Wänden widerhallte. Der Mann sah über die Schulter, schüttelte aber bloß den Kopf, ohne zu antworten. „Wen suchen Sie?“

„Das habe ich doch gesagt, meine Tochter.“

Da öffnete sich die Tür des Büros, das er und Blakely nutzten. Sie trat dem Fremden direkt in den Weg. Lautlos fluchte Gray und eilte zu ihnen. Er glaubte nicht, dass der Mann gefährlich war, er schien unbewaffnet zu sein. Darauf wollte er jedoch nicht Blakelys Sicherheit verwetten.

„Gehen Sie wieder rein“, rief er im selben Moment, als Blakely sagte: „Dad?“

3. KAPITEL

Was machte ihr Vater hier? Am liebsten hätte Blakely geschrien oder geflucht oder beides.

„Dad?“

Grays dunkle, rauchige Stimme drang zu ihr, und sie kniff die Augen zu und betete um Stärke. Sie wünschte, ihr Gesicht würde nicht in Flammen stehen. Natürlich musste er auftauchen, um ihren Vater in seinem schlimmsten Zustand zu erleben.

„Schatz, ich habe nicht viel Zeit.“

Ihr Vater schien die Leute nicht zu bemerken, die im Gang standen und das Spektakel verfolgten. Wahrscheinlich war es ihm egal. Blakely warf Gray einen Blick zu, der mit geballten Fäusten und einem finsteren Ausdruck auf seinem schönen Gesicht stehen geblieben war. Er hatte etwas Anziehendes an sich, als wäre er angestürmt gekommen, um sie zu retten. Dann entdeckte sie Stone, der hinter ihm stand. Sie hatte keine Zeit für Erklärungen, solange ihr Vater unverständliches Zeug redete.

„Zeit wofür?“, fragte sie.

„Ehe ich verhaftet werde.“

Es war schlimmer, als sie gedacht hatte. „Dad.“

„Ich war’s nicht.“

„Wofür wirst du diesmal verhaftet?“

„Wegen Verabredung zum Mord.“

Blakely verschlug es die Sprache. „Wie bitte?“

Ihr Vater war vieles, ein Trickbetrüger, ein Idiot, ein Träumer und ein Dieb. Aber bestimmt kein Mörder.

„Jemand will mir die Sache anhängen. Ich habe jetzt nicht genug Zeit, um es zu erklären. Du musst Ryan für mich anrufen und ihm sagen, dass er herkommen und es in Ordnung bringen soll.“

Blakely unterdrückte ein Stöhnen. Wenn sie diesen Namen jemals wieder hörte, wäre es immer noch zu früh. Seit dem Tag ihrer Geburt war Ryan O’Sullivan Teil ihres Lebens gewesen – und ein Stachel in ihrem Fleisch.

„Dad, du hast es versprochen.“ Der zerknirschte Gesichtsausdruck ihres Vaters vertrieb ihre Anspannung nicht. Sie hatte es satt, sich wie die Erwachsene zu fühlen, während er sie ansah wie ein schuldbewusster kleiner Junge.

„Er ist mein bester Freund. Was hätte ich tun sollen?“

„Dich von dem Mann fernhalten, der dich schon mehrfach ins Gefängnis gebracht hat.“ Wie es schien, würde der Kerl trotz all ihrer Bemühungen ihren Vater wieder dorthin zurückschicken. „Wir hatten doch vereinbart, dass du alle Verbindungen zu Ryan O’Sullivan abbrichst.“

„Ich hab’s versucht.“

Blakely kannte Martin Whittakers dickköpfigen Gesichtsausdruck nur zu gut. Sie wollte schreien. Und weinen. Doch keines von beidem würde im Moment weiterhelfen. „Nicht genug, und jetzt sieh dir an, was dabei herausgekommen ist.“ Sie breitete die Hände aus und deutete auf die Büroräume. Mehr Leute steckten inzwischen die Köpfe in den Gang hinaus, um etwas vom Klatsch mitzubekommen. Wunderbar. Sie mochte zwar nur widerwillig hier arbeiten, aber das hieß nicht, dass sie die schmutzige Wäsche ihrer Familie vor aller Augen ausbreiten wollte. „Ich arbeite hier, Dad.“

Martin seufzte und trat näher, wobei sein bockiger Ausdruck ehrlichem Bedauern wich. So kriegte er sie immer. Falls es nur einen winzigen Hoffnungsschimmer gab, konnte Blakely sich nicht von ihm abwenden. Ihre Mutter und ihre Schwester nannten sie eine Idiotin. Doch als Martin die Arme nach ihr ausstreckte, schaffte sie es nicht, ihn zurückweisen. Sie erwiderte die Umarmung jedoch nicht.

„Ich war es nicht“, murmelte er. „Ich schwöre es. Bitte ruf Ryan an. Er wird sich um alles kümmern.“

Sie würde den Mann nicht anrufen, selbst wenn er der einzige Überlebende der Apokalypse wäre. Stattdessen ging sie im Kopf die Namen von guten Anwälten durch. Sie kannte nicht viele. Ihr Vater hatte sich nie einen Anwalt leisten können und immer den genommen, den das Gericht ihm zuwies. Doch dieses Mal, dank Gray und seines kleinen Manövers, hatte sie die Mittel, um jemanden zu bezahlen, der tatsächlich helfen konnte. Obwohl sie das Gefühl nicht loswurde, dass es keinen großen Unterschied machen würde.

Ihr Vater mochte sich für unschuldig halten, aber das hieß nicht, dass er es auch war. Vor allem bei einer Anklage wie Verabredung zum Mord. Wen sollte er versucht haben zu töten? Blakely schüttelte den Kopf. Ein Problem nach dem anderen.

Ehe sie ihn fragen konnte, kamen zwei Polizisten auf sie zu. Mit lauter, strenger Stimme forderte einer der Beamten: „Mr. Whittaker, nehmen Sie die Hände hoch.“

Langsam hob ihr Vater die Arme. Er starrte sie an, in seinen sanften blauen Augen erkannte sie Reue. Es schnürte ihr die Kehle zu. Vor Angst, Trauer und Frustration wurde ihr ganz kalt. Einer der Polizisten kam auf sie zu, doch ehe er ihren Vater erreicht hatte, trat Gray dazwischen.

„Was wird Mr. Whittaker zur Last gelegt?“

Misstrauisch sah der Polizist Gray an, was ihn nicht zu beunruhigen schien. Er wirkte entspannt.

„Verabredung zum Mord.“

Die Worte von ihrem Vater zu hören hatte sie schon schockiert, aus dem Mund eines Polizisten waren sie Furcht einflößend. Martin Whittaker war nicht bekannt dafür, besonders clever oder kooperativ zu sein.

„Gehen Sie bitte aus dem Weg.“

Gray blieb reglos stehen. Im Flur herrschte Stille. Blakelys Vater hatte Verbindungen zu einer der berüchtigtsten Gangsterfamilien in Charleston. Jeder kannte Ryan O’Sullivan, vor allem weil er jemand war, dem man möglichst aus dem Weg ging. Zumindest als gesetzestreuer Bürger. Früher hätte er jegliche Verbindung zu dem Mann vermieden. Doch jetzt …

O’Sullivan jagte ihm keine Angst ein. Er mochte Beziehungen haben, aber die hatte er auch. Zwar hatte er nie mit ihm zu tun gehabt, doch sobald sie hier fertig wären, würde er ein paar Anrufe tätigen. Gray war sich sicher, dass einer seiner Kontaktleute O’Sullivan kannte.

Vielleicht wäre es interessant, mehr über Martin Whittaker zu erfahren, aber vor allem wollte er wissen, wie eng Blakelys Verbindungen zur O’Sullivan-Familie waren. Offenbar kannte sie den Mann gut. Und O’Sullivan verfügte über genügend Beziehungen, um die Art von Diebstahl und Vertuschung abzuziehen, die ihn ins Gefängnis gebracht hatte. Insbesondere, wenn er Hilfe von einem Insider hatte. Oder einer Insiderin. Zwanzig Millionen waren ein großer Anreiz, noch dazu mit dem perfekten Sündenbock.

Gray verschränkte die Arme und musterte die Beamten. Er könnte ihnen weiter den Weg versperren, doch das würde nicht verhindern, dass Martin verhaftet wurde, und könnte auch ihn wieder hinter Gitter bringen. Allerdings konnte er sich Informationen und etwas Wohlwollen verschaffen. Laut fragte er: „Martin, gehen Sie friedlich mit den netten Beamten mit?“

„Ja.“

Gray hob einen Finger, um sich kurz Zeit zu erbitten. Dann drehte er den Polizisten den Rücken zu und wandte sich an Blakely und ihren Vater. Prüfend sah er Blakely an, um herauszufinden, wie sie die Sache aufnahm, doch in ihrem Gesicht zeigte sich nur eine Mischung aus Furcht, Ärger und Entschlossenheit. Das sagte ihm nicht mehr, als dass sie eine gute Tochter war, die ihren Vater liebte.

„Martin, ich werde den Beamten folgen und treffe Sie auf dem Revier. Beherzigen Sie meinen Rat, und sagen Sie nichts, bis der Anwalt eintrifft, den ich gleich anrufe.“

Blakely gab einen erstickten Laut von sich und öffnete den Mund. Gray hielt eine Hand hoch, um sie zum Schweigen zu bringen. Dann winkte er die Polizisten vor und ging aus dem Weg. Er sah nicht zu, wie sie ihrem Vater Handschellen anlegten, sondern beobachtete Blakely. Beim Zuschnappen der Handschellen zuckte sie zusammen. Ihr Mund wurde vor Trauer zu einer schmalen Linie, als sie innen auf ihre Wange biss.

Sie wollte den Polizisten folgen, aber einer von ihnen rief: „Bleiben Sie, wo Sie sind, Ma’am.“

Alle sahen zu und scharrten verlegen mit den Füßen. Sobald Martin außer Sichtweite war, wandten sich alle Augen schlagartig Blakely zu. Sie wurde scharlachrot. Doch das musste er ihr lassen, sie ließ sich von der Verlegenheit oder den neugierigen Blicken nicht unterkriegen. Stattdessen schaute sie langsam den Gang hinauf und hinunter und sah jeden Einzelnen direkt an. Verdammt, er wollte nicht von ihrem Rückgrat beeindruckt sein.

Gray ging zu ihr und umfasste ihren Arm. Sie spannte sich an und wollte sich losreißen. So leise, dass nur sie es hören konnte, flüsterte er: „Sie wollen sicher keine größere Szene machen.“

Es hätte ihn kaltlassen sollen, dass sie tief Luft holte. Oder wie ihr Körper dabei gegen seinen rieb. Aber das tat es nicht.

„Glauben Sie etwa, das macht mir etwas aus?“, zischte sie.

„Ja.“ Er konnte hören, wie sie mit den Zähnen knirschte. Doch sie widersprach ihm nicht. „Jetzt seien Sie ein braves Mädchen, und kommen Sie mit. Dann bringe ich Sie zu Ihrem Vater.“

Sie gab ein leises, frustriertes Knurren von sich. „Ich kann Sie nicht leiden.“

Gray lachte. „Ganz meinerseits.“

Er schob sie den Gang entlang und ignorierte Stones vielsagenden Blick. Zweifellos würde er sich einiges anhören können, wenn er das nächste Mal mit seinem Freund allein war. Also würde er Stone eben eine Weile aus dem Weg gehen.

Schweigend marschierten er und Blakely ins Parkhaus. Bei der ersten Gelegenheit beschleunigte sie ihre Schritte und löste sich aus seinem Griff. Sollte ihm recht sein. Und nein, seine Hand kribbelte nicht, weil er ihre Haut berührt hatte.

Sie ging auf ihr Auto zu. Er beschloss abzuwarten, bis sie von allein merkte, dass sie weder ihre Handtasche noch ihre Schlüssel dabeihatte. Sie war schon halb da, als sie stehen blieb und den Kopf in den Nacken legte. Er musste sie nicht ansehen, um zu wissen, dass sie die Augen zukniff und vermutlich eine höhere Macht anflehte, ihr Kraft zu geben. Nicht, dass sie sie nötig hätte.

Trotz all ihrer Fehler war sie eine der stärksten Frauen, die er je getroffen hatte. Natürlich würde er ihr das nie sagen. Kurz darauf drehte sie sich um und marschierte wieder auf das Gebäude zu.

„Ich fahre Sie hin.“

„Nein, danke.“

Ihre Worte waren höflich, aber ohne Dankbarkeit. Es war ihm egal. Er würde sie nicht fahren lassen. Nicht, weil er sich Sorgen um sie machte – er wollte unbedingt die Fliege an der Wand sein. „Sie können wertvolle Zeit verschwenden, indem Sie wieder reingehen, oder Sie können mit mir aufs Revier fahren. Ich fahre auf jeden Fall hin, und wenn Sie nicht mitkommen, bin ich als Erster da. Und etwas sagt mir, dass es Ihnen lieber wäre, wenn ich nicht ohne Sie mit Ihrem Vater rede.“

„Warum tun Sie das?“

„Was? Nett sein?“

„Mich nerven.“

„Mir war nicht klar, dass es Sie nervt, wenn ich Ihrem Vater helfe.“

Blakelys Augen wurden schmal, und sie bedachte ihn mit einem Schwall von Kraftausdrücken. Er war beeindruckt, dabei war ihm als verurteiltem Verbrecher schon so einiges zu Ohren gekommen. Erhobenen Hauptes marschierte sie an ihm vorbei zu seinem Auto. Offenbar wusste sie, welches ihm gehörte. Hatte sie sich nur gut informiert, oder steckte mehr dahinter?

Sie stand neben der Beifahrertür und sah ihn wütend an. Dabei tappte sie vor Ärger und Ungeduld mit dem Fuß. Wenn es keinen Grund zur Eile gegeben hätte, wäre Gray rein aus Prinzip langsamer gegangen, doch er wollte ebenso schnell zu ihrem Vater wie sie.

Die Fahrt zum Revier verlief schweigend. In der Luft lagen Spannung und der vertraute Duft ihres Parfüms. Süß und exotisch. Blumig, jedoch irgendwie würzig. Seit Tagen reizte es ihn. Das Büro war nicht gerade klein, aber wenn dieser Duft den Raum erfüllte …

In seinem Bugatti war es noch schlimmer. Das Auto war die eine frivole, übertriebene Sache, die er sich seit seiner Entlassung erlaubt hatte. Mit Blakely neben sich fühlte es sich an wie die Zelle, in der er gesessen hatte. Unwillkürlich fragte er sich, ob ihr Duft stärker wäre, wenn er sein Gesicht zwischen ihre Schenkel schmiegte.

Gray zwang sich, nicht daran zu denken. Er war nicht so naiv, dass er glaubte, er müsse jemanden mögen, um sich körperlich angezogen zu fühlen. Doch er war schlau genug, um zu wissen, dass die Sache mit Blakely auch ohne hemmungslosen Sex reichlich kompliziert war. Denn mehr könnte es zwischen ihnen nicht geben.

Die fünfzehnminütige Fahrt erschien wie eine Ewigkeit. Sobald er in eine Parklücke vor dem Revier fuhr, schoss Blakely aus dem Wagen. Sie hatte den Parkplatz schon halb überquert, ehe er die Zündung ausgeschaltet hatte. Nicht, dass ihre Eile etwas änderte. Sie würde drinnen nicht viel erreichen. Lässig schob Gray die Hände in die Taschen und schlenderte hinter ihr her. Als er das Revier betrat, hörte er gleich ihre erhobene Stimme.

„Ich muss nur eine Minute mit ihm reden. Das ist alles.“

„Ihr Vater wird gerade erkennungsdienstlich erfasst. Sie können nicht zu ihm.“

Gray ging an ihr vorbei zu einem anderen Beamten am Ende des Schalters. „Entschuldigen Sie“, sagte er. „Ich bin Gray Lockwood und möchte meinen Mandanten sehen, Martin Whittaker. Er wurde eben hergebracht.“

Der Sergeant sah flüchtig auf. „Sie sind sein Anwalt?“

„Ja.“

„Ich sage Bescheid, dass Sie hier sind. Setzen Sie sich bitte. Jemand holt Sie gleich.“

„Sehr schön.“ Gray lächelte den Mann höflich an und ging zu der Stuhlreihe an der Wand gegenüber.

Mit einem wütenden Schnauben setzte sich Blakely neben ihn. „Sie lassen mich nicht zu ihm.“

„Welche Überraschung.“

Sie verzog nur das Gesicht. „Warum sind wir sonst hergekommen?“

„Ich weiß nicht, wieso Sie Ihrem Vater gefolgt sind. Ich habe jedenfalls die Absicht, ihn zu sehen.“

„Tatsächlich?“

„Ja.“

„Oh.“

Gray wusste genau, welche falschen Schlüsse Blakely gerade gezogen hatte. Doch er würde ihren Irrtum erst aufklären, wenn es seinen Zwecken diente. Minuten vergingen. Ihm machte es nichts aus zu warten. Damit hatte er Erfahrung. Schnell hatte er gelernt, dass er nur Energie verschwendete, wenn er sich wünschte, dass die Dinge anders wären. Er war sehr gut darin geworden, Situationen so zu akzeptieren, wie sie waren. Das ersparte einem Leid und Enttäuschungen.

Blakely dagegen war ein Nervenbündel. Unruhig rutschte sie auf dem Stuhl hin und her, schlug die Beine übereinander und setzte sie wieder ab, knackte mit den Fingerknöcheln. Als er es nicht mehr aushielt, legte er ihr eine Hand aufs Knie. Sofort hielt sie inne. Sie erstarrte und hielt sogar den Atem an. Ihre Wärme drang ihm unter die Haut und ließ seinen Arm vor unerwarteter Energie summen.

„Mr. Lockwood, folgen Sie mir.“

Gray sah zu dem Polizisten hinüber, der am anderen Ende des Ganges stand. Er war schon halb bei ihm, als er merkte, dass Blakely ihm folgte. Das würde spaßig werden. Er lächelte den Beamten freundlich an, als er an ihm vorbeiging.

„Ma’am, tut mir leid, aber Sie dürfen hier nicht rein.“

Gray blieb stehen und sah, wie Blakely auf ihn zeigte.

„Ich gehöre zu ihm.“

„Gehören Sie zum Anwaltsteam von Mr. Whittaker?“

„Nein, ich bin seine Tochter.“

Der Polizist schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Mr. Whittaker wird gerade verhört. Nur sein Rechtsbeistand darf den Raum betreten.“

„Warum darf er dann hin?“

„Weil er Anwalt ist.“

Blakely starrte ihn an. Gray zuckte die Achseln. „Ich habe doch gesagt, dass ich Jura studiert habe.“

„Sie praktizieren nicht.“

„Nein, ich nehme nur die Fälle an, die ich möchte. Ich übernehme den Ihres Vaters.“ Zumindest für kurze Zeit. Er hatte vor, jemanden zu finden, der Martins Fall übernahm. Zwar könnte er es selbst tun, aber im Moment hatte er andere Sorgen und wollte sich nicht ablenken lassen. Doch zuerst würde er sich von Martin alles über Blakely und ihre Verbindungen zum O’Sullivan-Clan anhören. Vielleicht erfuhr er so, ob sie daran mitgewirkt hatte, ihm die Veruntreuung in die Schuhe zu schieben.

„Sagen Sie ihm, dass ich zu Ihnen gehöre“, forderte Blakely ihn auf und zeigte auf den Polizisten.

„Aber das tun Sie nicht.“

4. KAPITEL

Blakely wollte schreien. Oder Gray etwas an den Kopf werfen. Keine gute Idee, da mindestens sechs Leute in der Nähe standen, die sie wegen tätlichen Angriffs verhaften würden. Gray Lockwood war ebenso frustrierend wie sexy.

Dieses wissende Lächeln auf seinen hinreißenden Lippen … Wie konnte es sein, dass sie ihn küssen und ihn gleichzeitig am liebsten erwürgen wollte? Wütend schaute sie ihm nach. Dann setzte sie sich wieder auf den harten Stuhl und starrte auf die Tür. Und wartete.

Verabredung zum Mord. Ihr Vater würde lange ins Gefängnis wandern. Zwar hatte er schon mehrfach gesessen, aber nur für kleinere Delikte. Zehn Monate hier, zwei Jahre da. Diesmal wäre es anders. Sie wollte ihm glauben, dass er unschuldig war, doch sie konnte den leisen Zweifel nicht unterdrücken. Ihr Vater verdrehte gewohnheitsmäßig die Wahrheit.

Und Gray … Ihm traute sie nicht über den Weg. Wie jeder Kriminelle, den sie je getroffen hatte – und das waren nicht wenige –, behauptete er, unschuldig zu sein. Nur war ihr noch keiner begegnet, bei dem das zutraf. Das galt ganz besonders für ihren Vater. Trotzdem konnte sie nicht glauben, dass er für etwas wie Mord verantwortlich sein sollte. Martin Whittaker war ein Betrüger und ein Dieb, aber er war nicht gewalttätig.

Gray dagegen war extrem gefährlich. Nur benötigte er dafür keine Waffe, wie das Summen in ihren Adern bewies. Sie mochte ihn nicht einmal, doch er schaffte es, dass ihr Körper auf ihn reagierte.

Blakely brauchte keine Details, um zu wissen, dass er einiges durchgemacht hatte. Die Narbe an seiner Augenbraue und die steinharten Muskeln, die er inzwischen zur Schau stellte, hatte er sich nicht mit Bankdrücken und Rumpfbeugen geholt. Doch an ihm war mehr als seine einschüchternde körperliche Präsenz. Er war still und aufmerksam. Gray sah zu viel.

In den letzten Tagen hatte sie ihn beobachtet, nicht nur sein Verhalten ihr gegenüber, sondern auch gegenüber anderen im Büro. Er beobachtete und katalogisierte. Fast schien es, als sammle er Informationen über alle, die seinen Weg kreuzten, selbst wenn sie sein Leben nur auf beiläufige Weise streiften. So war er früher nicht gewesen.

Es war klar, dass er ein wertvoller Partner für Stone Surveillance war. Mehrfach hatten ihn Stone und Finn nach seiner Meinung zu einem Fall gefragt. Dennoch wollte Blakely nichts Gutes in ihm sehen. Sie wollte nicht glauben, dass er ihrem Vater half. Sie wollte in ihm nur den Verbrecher sehen, der er war. Ohne diese Vergangenheit wäre es unmöglich, Distanz zu wahren und so zu tun, als hätte sie seine Menschlichkeit und Ehre nicht bemerkt.

Auf keinen Fall wollte sie ihn mögen. Denn gerade fiel es ihr verdammt schwer, nicht ständig an ihn zu denken. Zuzusehen, wie er ohne sie zum Verhörraum ging, holte sie wieder auf den Boden zurück. Nachher würde er sich was anhören können. Selbstsüchtiger Mistkerl.

Gray betrat den Raum und wurde sofort von Bildern aus seiner Vergangenheit eingeholt. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, doch er verdrängte das Unbehagen. Er war nicht zum Verhör hier. In dem kleinen, kalt wirkenden Zimmer war es jedoch schwer, böse Erinnerungen zu unterdrücken. Die endlosen Fragen, die er weder verstanden hatte noch beantworten konnte. Das Gefühl, überrumpelt zu werden. Ohne Netz in die Tiefe zu stürzen. Die ersten Stunden des Verhörs waren verwirrend gewesen, weil er keine Ahnung hatte, wovon die Ermittler redeten. Da er unschuldig war, hatte er auf einen Anwalt verzichtet. Sein erster Fehler.

Der Detective, der Martin gegenübersaß, blickte auf, als Gray eintrat, sagte aber nichts.

Martin sah ihn verwirrt an. „Was machen Sie hier?“

Grays erster Eindruck von Martin war nicht besonders vorteilhaft. Er war das genaue Gegenteil von Blakely – zerstreut, laut und unausstehlich. Allerdings schien er zu wissen, wer er war, was nicht verwunderlich war angesichts von Blakelys Rolle in dem Prozess, der sein Leben auf den Kopf gestellt hatte. „Ich gehöre zu Ihrem Anwaltsteam.“

Martin zog eine Augenbraue hoch, stellte aber keine Fragen. Eine kluge Entscheidung im Beisein des Polizisten. Gray wandte sich an den Officer. „Ich hätte gern ein paar Minuten mit meinem Mandanten.“

Stirnrunzelnd sah der Detective ihn an. Dann stand er wortlos auf und ging. Martin öffnete den Mund, doch ehe er etwas sagen konnte, schüttelte Gray den Kopf. Er nahm an, dass sie überwacht wurden, und wollte entsprechend auftreten. Er setzte sich. „Der Rest Ihres Anwaltsteams wird bald hier sein.“

„Warum tun Sie das?“

Die Frage war zu erwarten gewesen, er war jedoch nicht bereit, sie zu beantworten. Zumindest nicht hier. Und nicht völlig aufrichtig. „Blakely arbeitet für meine Firma, und wir kümmern uns um unsere Angestellten.“

Martin schnaubte verächtlich. „Blakely mag mich für leichtgläubig halten, aber ich bin nicht von gestern, mein Junge.“

Vielleicht nicht, doch etwas sagte Gray, dass Martin Whittaker auch nicht unbedingt clever war. Jedenfalls hatte Blakely diesen Eindruck vermittelt.

„Sagen wir, ich habe ein begründetes Interesse daran, dass sich Ihre Tochter weiter auf ein Projekt konzentriert, an dem sie für mich arbeitet. Wenn sie sich Ihretwegen sorgt, leidet ihre Aufmerksamkeit darunter. Geld ist mir nicht wichtig, aber ihre Hilfe derzeit schon. Wenn ich ihr Seelenfrieden kaufen kann, indem ich Ihnen einen Rechtsbeistand stelle, ist das für mich eine kluge Strategie, um zu bekommen, was ich will.“

Martin nickte langsam. „Das hätten Sie auch haben können, ohne die Officer zu belügen und herzukommen, um mit mir zu reden.“

„Mag sein, aber ich kenne Sie nicht.“

„Stimmt.“

„Ich wusste nicht, ob Sie schlau genug wären, das Richtige zu sagen, bis die Anwälte hier sind, die ich beauftragt habe. Außerdem habe ich nicht gelogen. Ich bin tatsächlich Anwalt.“

„Aber meinen Fall übernehmen Sie nicht.“

„Nein, auch ich kann mir derzeit keine Ablenkung erlauben.“

„Hm“, erwiderte Martin. „Das erklärt immer noch nicht, warum Sie den weiten Weg auf sich genommen haben.“

Martin Whittaker mochte leichtgläubig sein, aber auf den Kopf gefallen war er nicht.

„Ich habe ein paar Fragen an Sie.“

„Wegen der Anklage?“

„Nein.“

Martin zog an seinen Handschellen. „Weswegen dann?“

„Erzählen Sie mir von Ihrer Beziehung zu O’Sullivan. Wie lange kennen Sie ihn?“

Nachdenklich legte Martin den Kopf auf die Seite, ehe er bedächtig antwortete: „Ryan und ich sind in derselben Gegend aufgewachsen. Ich kenne ihn seit fast fünfzig Jahren.“

Interessant. Angesichts dessen war Gray überrascht, dass er Martins Namen noch nie gehört hatte. „Wie gut kennt Blakely ihn?“

„Nicht sehr gut.“

Martins Antwort kam ein wenig zu schnell. Vielleicht hatte er die falsche Frage gestellt. „Wie gut kennt Ryan ihre Tochter?“

Martin lächelte vielsagend, sodass Gray sich fragte, ob dessen zerstreute Art nicht nur Theater war.

„Ryan kennt Blakely von Geburt an. Obwohl es meiner Tochter lieber wäre, wenn dem nicht so wäre. Er ist ihr Pate und hat ihr das College finanziert.“

Gray starrte den Mann an und fragte sich, wie er diese Informationen nutzen konnte, um herauszufinden, ob Ryan und er Blakelys Verbindungen zu Lockwood Industries ausgenutzt hatten, um zwanzig Millionen Dollar zu stehlen und es ihm in die Schuhe zu schieben. Martin würde es sicher nicht einfach zugeben, schon gar nicht auf einem Polizeirevier. Und wenn er ihn direkt fragte, würde er damit seine Karten aufdecken. Besser wäre es, Joker ein wenig graben zu lassen. Gray wollte aufstehen, da ließen ihn Martins Worte innehalten.

„Blakely weiß nichts davon, und sie würde nie wieder mit mir sprechen, wenn sie herausfände, dass Ryan ihre Ausbildung bezahlt hat. Meine Tochter ist sehr stolz und ehrenhaft.“

Während die meisten Väter diese Worte voller Stolz sagen würden, klang Martin enttäuscht.

„Wenn Ryan in Flammen stünde, würde Blakely nicht auf ihn spucken. Allerdings würde sie noch Benzin nachgießen.“

Das war eindeutig und ließ wenig Raum für die Vorstellung, dass Blakely etwas tun würde, um Ryan O’Sullivan zu helfen. Andererseits würde ihr Vater zweifellos alles sagen, um jeden Verdacht von ihr abzulenken.

Das Gespräch half Gray nicht, zu entscheiden, ob Blakely mitgeholfen hatte, ihn in die Falle zu locken, oder ob sie nur auf sorgfältig platzierte Informationen gestoßen war.

Ein Klopfen hinderte ihn daran, weitere Fragen zu stellen. In der Tür erschien der Detective, hinter dem eine aufgebrachte Blakely um die Ecke schaute.

Blakely stürmte aus dem Revier. Sie war schon halb an Grays Auto, als er sie am Arm packte und festhielt. Wütend drehte sie sich um, zog ihren Arm weg und fauchte: „Fassen Sie mich nicht an.“

In ihren Schläfen pochte es. Ihr war klar, dass Gray nicht die Schuld für ihren Ärger trug. Nur stürzte gerade alles auf sie ein, und er gab eine praktische Zielscheibe ab. Diese Erkenntnis machte es nicht besser.

Stirnrunzelnd blickte Gray sich um.

Es war nicht fair, dass er wie ein Filmstar aussah, obwohl er genervt war. Er ignorierte ihren bissigen Kommentar, schnappte sie wieder beim Arm und schob sie vor sich her um das Gebäude herum. Dann dirigierte er sie in eine dunkle Ecke, wo er sie mit dem Rücken an die Wand stellte und sie losließ.

„Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um durchzudrehen.“

„Was Sie nicht sagen.“

Gray zog nur eine Augenbraue hoch, eine subtile Rüge wegen ihres Ausrasters. Es ärgerte sie, dass er recht hatte. Sie stöhnte auf, lehnte den Kopf zurück und ließ sich gegen die raue Wand sinken. „Ich bin wütend auf Sie. Ich bin wütend auf ihn. Ich bin einfach …“

„Wütend. Ja, das habe ich kapiert.“

„Er hat es mir versprochen. Und ich bin solch eine Idiotin, weil ich ihm geglaubt habe, obwohl er schon Millionen Versprechen gebrochen hat. Aber ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, auch wenn ich es besser wusste.“ Ja, sie hatte es besser gewusst, es war jedoch so schwer, diese Verbindung zu kappen. Denn das wäre nötig, um sich vom Drama und dem chaotischen Leben ihres Vaters zu befreien. Ihre Mutter und ihre Schwester hatten ihn vor Jahren aufgegeben, doch so weit war sie noch nicht.

„Vielleicht sagt er die Wahrheit und ist unschuldig.“

Blakely starrte Gray an. Sagte er das, weil niemand – sie eingeschlossen – ihm geglaubt hatte, dass er unschuldig war? Oder war er so naiv wie sie?

„Das habe ich schon mal gehört, Gray.“ Sie redete nicht nur von ihrem Vater.

„Ich glaube ihm. Ich habe dafür gesorgt, dass ein Freund seinen Fall übernimmt.“

„Warum tun Sie das?“

„Dasselbe hat er mich auch gefragt. Und ich gebe Ihnen dieselbe Antwort wie ihm: Weil ich will, dass Sie sich darauf konzentrieren, mir zu helfen, meine Unschuld zu beweisen, und das werden Sie nicht, solange Sie sich Sorgen um ihn machen. Ich habe das Geld und die Beziehungen, um Martin die beste Vertretung zu verschaffen.“

Blakely schüttelte den Kopf. „Das lasse ich nicht zu. Wir brauchen weder Ihr Geld noch Ihre Hilfe.“ Ungeachtet ihrer Vehemenz war diese Aussage eine Lüge. Sie brauchte seine Hilfe. Und sein Geld in Form des Gehalts, das er ihr zahlte, damit sie ihm bei seiner aussichtslosen Suche half. „Wir wollen Ihre Almosen nicht.“

„Sie kriegen sie trotzdem.“

„Ich weigere mich, Ihre Hilfe anzunehmen.“ Sie wusste, dass es eine Möglichkeit gab, um ihn so wütend zu machen, dass er sein Angebot zurückzog und sie und ihren Vater in Ruhe ließ. „Sie sind ein Verbrecher, genau wie Ryan O’Sullivan. Ich werde ihn nicht um Hilfe bitten, und ich will keine von Ihnen.“

Grays Miene versteinerte. Er presste die Lippen zusammen, seine Augen blitzten warnend auf. Er trat dicht an sie heran. Blakely schluckte, ein Schauer lief ihr über den Rücken. Als sein Körper leicht gegen ihren stieß, wurde ihr heiß, und tief in sich spürte sie Verlangen aufsteigen.

Seine Stimme war leise und gemessen, als er sich vorbeugte und flüsterte: „Ich bin nicht wie Ryan O’Sullivan, obwohl Sie das längst wissen. Verstehen Sie mich nicht falsch – ich bin zehnmal gefährlicher als er, weil ich nur noch sehr wenig zu verlieren habe. Doch im Unterschied zu ihm habe ich Standards und Moral.“

Sein warmer Atem kitzelte ihre Haut. Seine Lippen waren ihr so nah, und sie wollte sie auf ihren spüren. Nein, wollte sie nicht!

Blakely zog den Kopf zurück. Sie versuchte, in die Wand zu kriechen, doch sie konnte ihm nicht entkommen. Oder ihrer eigenen, unerwünschten Reaktion auf ihn. Vor sich sah sie nur seine Augen. Seinen Gesichtsausdruck, voll Trostlosigkeit und Hoffnung, Schmerz und Wut. Die Intensität, die auf sie gerichtet war. Zwischen ihren Schenkeln pochte es. Ihr stockte der Atem, da die Wärme seines Körpers in jede Pore ihrer Haut zu dringen schien.

Gray Lockwood war gefährlich. Für ihren Verstand. Ihren Seelenfrieden. Die gesamte Grundlage ihrer persönlichen Moralvorstellungen.

Ihr Leben lang war sie Männern wie ihm aus dem Weg gegangen, und das nicht nur wegen seiner kriminellen Vergangenheit, obwohl das schon ausreichen sollte. Von Gray Lockwood ging eine unbestreitbare Kraft aus. Er war intelligent, aufmerksam und fordernd.

In seiner Jugend hatte sich diese Kombination in einer anmaßenden Haltung geäußert, die alles andere als attraktiv war. Jetzt sorgten dieselben Eigenschaften dafür, dass ihr Höschen feucht wurde. Sein Selbstbewusstsein und seine dominante Art sollten sie nicht antörnen, aber das taten sie.

Mit leicht geöffneten Lippen sah Blakely zu ihm auf. Und wartete. Worauf, wusste sie selbst nicht. Auch Gray schien unschlüssig, als verharrte er an der Schwelle zu etwas, gegen das sie sich beide wehrten, wogegen sie aber nicht ankamen. Blakely spürte seine Anspannung. Der Moment zog sich dahin. Sie atmete seinen verlockenden Geruch ein, der sie seit Tagen quälte.

„Zur Hölle damit“, murmelte er schließlich und presste sich an sie.

Alle Luft entwich aus Blakelys Lunge, als hätte er sie gegen die Wand geschleudert. Erregung stieg in ihr auf, als er seinen Mund auf ihren senkte. Ihr Keuchen ging in seinem Kuss unter.

Gray legte einen Arm um ihre Taille und zog sie an sich. Mit der anderen Hand umfasste er ihre Wange und drehte ihren Kopf so, wie er ihn haben wollte. Die erste Berührung war leicht, aber nicht für lange. Gleich darauf öffnete er seine Lippen, schob seine Zunge in ihren Mund und forderte alles von ihr. Sein Kuss fachte ihr unterdrücktes Verlangen an, bis es sich in ein rasendes Inferno verwandelte. Nur Sekunden hatte er gebraucht, um ihre Entschlossenheit zu überwinden und aus ihr ein vor Begierde zitterndes Häufchen Elend zu machen.

Blakely umfasste seine Schultern und zog ihn heran, obwohl ihr Verstand schrie, sie solle ihn wegschieben. Doch sie schaffte es nicht. Der Kuss wurde aggressiver. Gray forderte mehr. Und Blakely zögerte nicht, es ihm zu geben. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um seinen Kuss leidenschaftlich und fordernd zu erwidern. Unbewusst schlang sie ein Bein um seinen Oberschenkel. Ihr überhitzter Schoß schmerzte. Stöhnend presste sie sich an Gray.

Dieser Laut schien ihn wieder zu sich zu bringen. Er legte die Hände auf ihre Arme, schob sich weg und löste sich aus der Umklammerung ihrer Körper.

Blakely lehnte sich vor und stemmte sich gegen die unsichtbare Barriere, die er zwischen ihnen errichtet hatte.

„Tut mir leid“, sagte er.

„Mir nicht.“ Am liebsten hätte sie sich ihren ungezogenen Mund zugehalten, doch es war zu spät. Offenbar hatte Gray ihr das Gehirn vernebelt.

Kopfschüttelnd lachte er leise. „Danke für die Ehrlichkeit, aber ich hätte das nicht tun sollen.“

Da konnte sie ihm nicht widersprechen. „Du hast recht.“

Sie erwartete, dass er weggehen würde, sodass sie allein ins Büro zurückfahren musste, stattdessen strich er ihr sanft über die Wange.

„Das wollte ich schon seit Tagen tun.“

Sein heißer Blick glitt über ihr Gesicht und folgte seinen streichelnden Fingerspitzen. Seine Ehrlichkeit war ebenso verstörend wie beruhigend. Es tat gut zu wissen, dass sie nicht die Einzige war, die gegen ein unerwünschtes Verlangen ankämpfte. Doch sie konnte auch nichts vorspielen.

„Hieraus kann nichts werden.“ Sie versuchte, überzeugt zu klingen, obwohl sie etwas völlig anderes wollte.

Gray nickte, doch seine Worte widersprachen der Geste: „Warum nicht? Wir sind beide erwachsen.“

„Ja, aber du magst mich nicht, und ich mag dich nicht.“

Sofort sah er ihr in die Augen. „Das stimmt nicht. Ich mag dich sogar sehr.“

Blakely konnte ein ungläubiges Schnauben nicht verhindern. „Ja, klar. Du hasst mich. Meinetwegen bist du im Gefängnis gelandet.“

„Mag sein.“

Das war eine Tatsache. Ihre Aussage war der Schlüssel zu seiner Verurteilung gewesen.

„Ich fühle mich zu dir hingezogen, Blakely. Wir arbeiten zusammen, was es schwierig macht, die körperliche Anziehung zu ignorieren. Wenn du mir sagst, dass du nicht interessiert bist, halte ich mich daran. Aber zu wissen, dass du es bist …“

Blakely wusste, was er meinte. Ihr Körper bebte noch vom Nachhall ihres Kusses.

„Es wird schwer, diesen Geist in die Flasche zurückzubekommen.“

5. KAPITEL

Zwei Tage waren seit dem Kuss vergangen. Seit Gray Blakely an die Wand gedrückt und zum ersten Mal den berauschenden Geschmack ihres Mundes gekostet hatte. Und nein, dieses Gefühl verfolgte ihn seither nicht.

Gray saß von Blakely abgewandt am anderen Ende des Büros und versuchte, sich auf einen Stapel Beweismittel zu konzentrieren. Falls Stone hereinkäme und ihn fragte, woran er arbeitete, hätte er es ihm nicht sagen können. Seit Stunden hatte er nichts von dem aufgenommen, was er las. Dagegen tat sie so, als wäre der Kuss nie passiert.

Auf dem Rückweg vom Revier war er nicht sicher, wie sie reagieren würde. Dass sie ihm keine geknallt hatte, schien vielversprechend. Zudem konnte sie nicht abstreiten, dass sie ihn ebenso leidenschaftlich geküsst hatte wie er sie. Doch am nächsten Morgen hatte sie ihre steife, perfekte Fassade wieder angelegt. Wenn er ehrlich war, war ihm Blakely lieber, wenn sie energisch und emotional auftrat. Er hatte erlebt, dass sie mehr war als ein missbilligender Roboter, der alle Regeln befolgte.

Sein Gespräch mit Martin war aufschlussreich gewesen. Zu erfahren, dass Blakely im Dunstkreis einer führenden Verbrecherfamilie aufgewachsen war, erklärte einiges. Doch noch etwas war klar – weder sie noch Martin hockten auf zwanzig Millionen Dollar.

Zum einen hätte sich Blakely in diesem Fall keine Sorgen um die Anwaltskosten für ihren Vater gemacht, sondern den besten Strafverteidiger angeheuert, den sie für Geld kriegen konnte. Zum anderen wäre keiner von beiden dann noch in Charleston.

Gray war überzeugt, dass Martin sich dumm stellte, es aber nicht war. Der Mann würde nicht in der Nähe des Tatorts bleiben, wenn er verschwinden und anderswo das Leben genießen könnte. Zwar bedeutete das nicht, dass Blakely nicht unabsichtlich an dem Betrug beteiligt gewesen war. Es befreite sie jedoch von dem Verdacht, ihn bewusst in die Falle gelockt zu haben. Sie war auch nur eine Schachfigur gewesen.

Es war möglich, dass die Person, die die belastenden Finanzdaten in den Büchern von Lockwood Industries platziert hatte, darauf gesetzt hatte, dass jemand die Brotkrumen fand. Dabei wäre es egal, wer dieser Jemand war. Es wäre sogar besser, wenn derjenige vollkommen unschuldig und ohne Verbindung zum Täter war. Wenn die Polizei gründlich gearbeitet hätte – was er nicht glaubte –, hätte sie sämtliche Zeugen überprüfen müssen, um deren einwandfreien Charakter zu bestätigen, bevor diese in den Zeugenstand traten.

Gray schloss die Augen, schob die Akte weg und lehnte sich zurück. Seit einer Woche gingen Blakely und er Aussagen, Beweise und Notizen durch. Bis jetzt hatten sie nicht das Geringste gefunden. Das Einzige, was er vorweisen konnte, war die zunehmende Gewissheit, dass Blakely unwissentlich beteiligt gewesen war. Was ihm nichts nützte.

Autor

Brenda Jackson

Brenda ist eine eingefleischte Romantikerin, die vor 30 Jahren ihre Sandkastenliebe geheiratet hat und immer noch stolz den Ring trägt, den ihr Freund ihr ansteckte, als sie 15 Jahre alt war. Weil sie sehr früh begann, an die Kraft von Liebe und Romantik zu glauben, verwendet sie ihre ganze Energie...

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Wenn Kira Sinclair gerade nicht als Büro – Managerin arbeitet oder neue Zeilen für eine Geschichte schreibt, verbringt sie Zeit mit ihrem Ehemann, zwei bezaubernden Töchtern und jeder Menge Tieren auf ihrer kleinen Farm im Norden Alabamas. Egal in welcher Form, Schreiben war schon immer ein Teil ihres Lebens.
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